Aktenzeichen L 11 AS 656/19
Leitsatz
Aufwendungen für eine Garage oder einen (Tiefgaragen-) Stellplatz stellen ausnahmsweise Unterkunftsbedarfe gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar, wenn die konkret im Streit stehende Wohnung nur zusammen mit der Garage oder dem Stellplatz angemietet oder behalten werden kann (“fehlende Abtrennbarkeit”). Die rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit der Untervermietung von Garage oder (Tiefgaragen-) Stellplatz gehört systematisch nicht zur Frage der Abtrennbarkeit in diesem Sinne, sondern zur Frage, ob der Leistungsberechtigte im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zur Kostensenkung verpflichtet ist. Sind die Gesamtaufwendungen für die Bruttokaltmiete inklusive der nicht abtrennbaren Aufwendungen für eine Garage oder einen (Tiefgaragen-) Stellplatz angemessen, sind diese vom Träger der Grundsicherung nach dem SGB II zu übernehmen.
Verfahrensgang
S 4 AS 8/19 2019-07-03 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 03.07.2019 aufgehoben. Der Bescheid vom 11.10.2018 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 22.11.2018 und 24.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2018 wird abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 01.09.2018 bis 28.02.2019 weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 35,00 € monatlich zu zahlen.
II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG) und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 11.10.2018 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 22.11.2018 und 24.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten, als die ihm entstandenen Aufwendungen für den Tiefgaragenstellplatz bei der Leistungsbewilligung nicht berücksichtigt worden sind.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 11.10.2018 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 22.11.2018 und 24.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 04.12.2018, mit dem der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2018 bis 28.02.2019 bewilligt hat. Dagegen wendet sich der Kläger mittels der zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG).
Der Kläger hat Anspruch auf die Übernahme weiterer Mietkosten in Höhe von 35,00 € für den Tiefgaragenstellplatz. Weitergehende Ansprüche sind nicht erkennbar, denn der Beklagte hat dem Kläger den ihm zustehenden Regelbedarf ungekürzt sowie im Übrigen die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt.
Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Arbeitslosengeld II, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Diese Voraussetzungen erfüllt der 1987 geborene, im Stadtgebiet A. lebende Kläger. Insbesondere bestehen an seiner Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund der Aktenlage sowie dem Vortrag beider Beteiligter keine Zweifel.
Nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II umfassen die Leistungen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Kosten anerkannt, soweit diese angemessen sind. Kosten für Stellplätze und Garagen fallen zwar grundsätzlich nicht unter die Kosten der Unterkunft, weil diese Einrichtungen keinen Wohnzwecken dienen (vgl. BSG, Urt. vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R -; Urt. vom 06.08.2014 – B 4 AS 37/13 R -, beide zitiert nach juris). Insoweit differenziert auch § 1 des Mietvertrages des Klägers vom 13.02.2016 zwischen zu Wohnzwecken und nicht zu Wohnzwecken angemieteten Einrichtungen, wobei der Stellplatz Nr. 69 zu letzteren gezählt wird.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat das BSG in der Entscheidung vom 07.11.2006 für den Fall entwickelt, dass eine Wohnung ohne die Garage nicht anmietbar ist und sich der Mietpreis bei fehlender „Abtrennbarkeit“ der Garage noch innerhalb des Rahmens der Angemessenheit für den maßgeblichen Wohnort hält (vgl. a.a.O., juris, Rn. 28). Dies präzisierend hat der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 06.08.2014 sodann ausgeführt, dass Gegenstände einer mietvertraglichen Vereinbarung dann dem Unterkunftsbedarf im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zuzuordnen seien, wenn sie zu Wohnzwecken angemietet worden oder untrennbarer Gegenstand der Mietvereinbarung seien. Nicht umfasst seien damit Räume zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder weitere Räume oder Plätze, die gesondert angemietet würden und keinen Wohnzwecken dienten, beispielsweise zusätzlich angemietete Garagen (B 4 AS 37/13 R, juris, Rn. 21). Von der Frage der „Abtrennbarkeit“ hat das BSG sodann die Möglichkeit der Untervermietung unterschieden, welche als Kostensenkungsmaßnahme bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen sei (und nicht, worauf es im vom BSG entschiedenen Rechtsstreit ankam, als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II – vgl. hierzu Rn. 30 f. des nach juris zitierten Urteils vom 06.08.2014).
Dieser aus der Systematik des SGB II überzeugenden Differenzierung schließt sich der Senat an. Hieraus ergibt sich, dass in einem ersten Schritt zu überprüfen ist, ob Kosten einer Garage oder eines (Tiefgaragen-)Stellplatzes, die grundsätzlich nicht zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung rechnen, weil Stellplätze nicht Wohnzwecken dienen, diesen Bedarfen ausnahmsweise doch, und zwar deshalb zuzuschlagen sind, weil die konkret im Streit stehende Wohnung nur zusammen mit der Garage oder dem Stellplatz anmietbar ist („fehlende Abtrennbarkeit“). Stellen die Aufwendungen für Garage oder Stellplatz solcherart ausnahmsweise Unterkunftsbedarfe im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar, hat bei der Prüfung der Übernahmefähigkeit dieser Aufwendungen im zweiten Schritt konsequenterweise auch zu gelten, dass sie anerkannt werden, soweit die Gesamtaufwendungen für die untrennbar verbundenen Gegenstände des Mietvertrages (Wohnung mit Stellplatz) angemessen sind (dies folgt direkt aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), und dass im Falle, dass diese Gesamtaufwendungen sich als unangemessen darstellen, das Verfahren nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II anzuwenden ist. Erst in diesem Rahmen und nicht bei der Frage der Abtrennbarkeit ist die Möglichkeit der Untervermietung zu prüfen.
Die Untervermietung ist keine Maßnahme zur Herstellung der Abtrennbarkeit der Garagenmiete von der Wohnungsmiete. Der Gegenauffassung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.09.2018 – L 12 AS 346/18 -), die dieses zuerst im Hinblick auf § 42 Nr. 4 i.V.m. § 35 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) entwickelt hat (Urteil vom 10.12.2014 – L 2 SO 4042/14 -, zitiert nach juris), überzeugt jedenfalls im Kontext des SGB II nicht. Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg hat auf dem Gebiet des Sozialhilferechts drei Voraussetzungen für die ausnahmsweise Übernahmefähigkeit der Kosten für Stellplätze und Garagen aufgestellt, nämlich, dass 1. die Wohnung ohne den Stellplatz nicht anmietbar ist, 2. der Mietpreis sich bei fehlender „Abtrennbarkeit“ des Stellplatzes noch innerhalb des Rahmens der Angemessenheit für den maßgeblichen Wohnort hält und 3. alle zumutbaren Möglichkeiten zur Vermeidung oder Verringerung dieser Kosten ausgeschöpft sind, was anzunehmen sei, wenn eine Untervermietung rechtlich nicht möglich oder aber trotz ernsthafter Bemühungen tatsächlich gescheitert sei. Die dritte Voraussetzung wird in der genannten Entscheidung aus dem Nachrangprinzip und der Selbsthilfeobliegenheit des § 2 Abs. 1 SGB XII hergeleitet. Der 12. Senat des LSG Baden-Württemberg hat diese Kriterien auf das SGB II übertragen, die Frage der Untervermietbarkeit jedoch unter den Gesichtspunkt der „Abtrennbarkeit“ subsumiert (vgl. Urt. vom 21.09.2018, a.a.O., Rn. 23, zitiert nach juris).
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Möglichkeit einer Untervermietung nicht dazu führt, dass eine bestehende Mietvereinbarung über die Wohnung von der Mietvereinbarung über Garage oder Stellplatz „abtrennbar“ wird im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Der Mieter und Leistungsberechtigte bleibt durch eine solche vertragliche Konstruktion weiterhin dem Vermieter gegenüber zur Zahlung der gesamten vereinbarten Miete verpflichtet und erspart lediglich während der Dauer des Untermietverhältnisses Aufwendungen für den Stellplatz in der Höhe, in der er einen Untermietzins erhält. „Abgetrennt“ würde die Vereinbarung über die Garage nur, wenn der Mieter in der Lage wäre, sich einseitig und dauerhaft aus der Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Vermieter zu lösen, wie dies bei Ausübung einer getrennten Kündigungsmöglichkeit der Fall wäre.
Damit bleibt es zur Auffassung des erkennenden Senats dabei, dass die Frage, ob Kosten für Unterkunft und Heizung überhaupt vorliegen, danach zu beantworten ist, ob der Leistungsberechtigte die Wohnung ohne die anderen Bestandteile wie Garage oder Stellplatz anmieten oder behalten kann, während die Untervermietung eine – ggf. zeitlich beschränkte – Kostensenkungsmöglichkeit darstellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Im Hinblick auf die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (L 12 AS 346/18) war die Revision zuzulassen.