Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kein Besitzrecht gegenüber Erwerber bei Zuweisung der Ehewohnung

Aktenzeichen  13 U 3004/15

Datum:
7.1.2016
Fundstelle:
LSK – 2016, 10464
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 566, § 1361b Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die bloße Nutzungsüberlassung einer im Alleineigentum eines Ehegatten stehenden Immobilie für die Dauer des Getrenntlebens an den anderen Ehegatten gibt diesem ohne ein zusätzlich zur Nutzungsüberlassung begründetes befristetes Mietverhältnis gegenüber Erwerbern der Immobilie kein durchsetzbares Recht zum Besitz.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Zuweisung von Wohnraum zur alleinigen Nutzung für die Dauer des Getrenntlebens begründet für sich allein kein Mietverhältnis oder ein Verhältnis, das über eine entsprechende Anwendung von § 566 BGB gegenüber einer Veräußerung der Immobilie durchgreifenden Schutz böte.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Einem besonderen Schutzbedürfnis eines Ehegatten, dem für die Dauer des Getrenntlebens im Alleineigentum des anderen Ehegatten stehender Wohnraum zur Nutzung zugewiesen worden ist, vor den Folgen einer etwaigen Veräußerung kann allein durch zusätzliche Schutzanordnungen Rechnung getragen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

30 O 20777/13 2015-08-12 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten vom 20.08.2015 gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 12.08.2015, Az. 30 O 20777/13, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
2. Der Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten vom 20.08.2015 wird zurückgewiesen.
3. Der Senat empfiehlt der Beklagten, die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.
4. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 48.000,- € festzusetzen.
5. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 29.01.2016.

Gründe

1. Der Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten war zurückzuweisen. Die Berufung hat nach derzeitiger Bewertung keinen Erfolg.
Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 114 Satz 1 ZPO, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung „hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet“ (nicht etwa Erfolgsgewissheit; vgl. OLG München, zuletzt Beschluss vom 25.02.2015 (10 W 186/15); LAG Hamm, Beschluss vom 09.12.2013 – 14 Ta 3477/13 [Juris, dort Rz. 8]; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 114 Rz. 3 und ihm folgend Musielak/Freud/Fischer, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 114 Rz. 19). Bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals ist von Verfassungs wegen zu beachten, dass Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet (BVerfGE, 78, 104, 117 f.; 81, 347, 356 f.; st. Rspr., zuletzt NJW 2010, 288). Konkret bedeutet dies, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dient, die Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung selbst in das summarische PKH-Verfahren zu verlagern; dieses Verfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nämlich nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (BVerfG in st. Rspr., zuletzt etwa NJW 2010, 288). Zur Vermeidung von Verfassungsverletzungen dürfen deshalb keine überspannten Anforderungen gestellt werden (BVerfG NJW 2013, 2013; BayVGH NJW 2005, 1677). Im Übrigen steht es der hilfsbedürftigen Partei zu, den sichersten Weg zur Wahrung ihrer Rechte oder den weitestgehenden Rechtsschutz zu wählen, mit einem schlechteren Rechtsschutz muss sie sich nicht zufrieden geben. Ihr ist es lediglich versagt, von zwei gleichwertigen prozessualen Wegen den teureren zu wählen (OLG München, zuletzt Beschluss vom 25.02.2015 – 10 W 186/15; LAG Hamm, Beschluss vom 09.12.2013 – 14 Ta 3477/13 [Juris, dort Rz. 19]; vgl. auch BGH NJW 2005, 1497).
Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Prozesserfolgs ist dabei nicht erforderlich, es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs (OLG München, zuletzt Beschluss vom 25.02.2015 – 10 W 186/15; BVerwG, NVWZ-RR 1999, 587, 588; BayVGH NJW 2005, 1677). Diese ist gegeben, wenn das Gericht den Standpunkt des Antragstellers aufgrund von dessen Sachdarstellung und der von ihm ggf. eingereichten Unterlagen für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht zumindest die Möglichkeit der Beweisführung gegeben ist (OVG Koblenz, NJWZ 1991, 595). Dies zugrunde gelegt war der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen, da das Rechtsmittel nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.
Weder beruht die angefochtene Entscheidung des Landgerichts München I auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO), noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung.
Der Senat folgt der ausführlich begründeten Entscheidung des Erstgerichts. Ansprüche auf Herausgabe der Doppelhaushälfte, auf Zahlung eines monatlichen Nutzungsersatzes in Höhe von 2.000,00 € ab 10.06.2013 und auf Betreten der Doppelhaushälfte nach Ankündigung bestehen und wurden den Klägern vom Landgericht München I zu Recht zugesprochen. Im Hinblick auf die Berufungsbegründung sind ergänzend folgende Ausführungen veranlasst:
a) Zwar ist der Beklagten mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 13.07.2012 (Anlage K 10) im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens die Wohnung gemäß § 1361 b BGB zugewiesen worden. Die bloße Nutzungsüberlassung einer im Alleineigentum eines Ehegatten stehenden Immobilie für die Dauer des Getrenntlebens an den anderen Ehegatten nach § 1361 b Abs. 1 BGB gibt diesem allerdings ohne ein zusätzlich zur Nutzungsüberlassung begründetes befristetes Mietverhältnis gegenüber Erwerbern der Immobilie kein durchsetzbares Recht zum Besitz (OLG Celle, FamRZ 2012, 32; vgl. auch OLG Bremen, FamFR 11, 261; Palandt-Brudermüller, BGB, 74. Aufl. 2015, § 1361 b Rz. 17). Die Zuweisung von Wohnraum zur alleinigen Nutzung für die Dauer des Getrenntlebens begründet für sich allein kein Mietverhältnis oder ein Verhältnis, das über eine entsprechende Anwendung von § 566 BGB gegenüber einer Veräußerung der Immobilie durchgreifenden Schutz böte. Einem besonderen Schutzbedürfnis eines Ehegatten, dem für die Dauer des Getrenntlebens im Alleineigentum des anderen Ehegatten stehender Wohnraum zur Nutzung zugewiesen worden ist, vor den Folgen einer etwaigen Veräußerung kann – soweit ersichtlich – nach ganz einhelliger Auffassung im Schrifttum wie in Rechtsprechung im Bedarfsfalle allein durch zusätzliche Schutzanordnungen Rechnung getragen werden (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.07.1985, 2 WF 82/85 = FamRZ 1985, 1153 m. w. N.). Ist insofern im Gesetzgebungsverfahren noch davon ausgegangen worden, dass auch der gesonderte Erlass eines Veräußerungsverbotes in Betracht käme (vgl. BT-Drucksache 14/5429, Seite 21, 33), wird dies mittlerweile überwiegend für nicht zulässig erachtet und auf die gesonderte Begründung eines befristeten Mietverhältnisses verwiesen, welches über § 566 zumindest einen weitgehenden Schutz gegenüber Neuerwerbern begründet (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O.).
Unstreitig ist in der gerichtlichen Entscheidung kein Veräußerungsverbot angeordnet worden (Anlage K 10), so dass Ausführungen, ob dies überhaupt zulässig wäre, nicht weiter geboten sind.
Darüber hinaus haben die Ehegatten S. keine zusätzliche, über die bloße zeitlich beschränkte Nutzungsüberlassung hinausgehende Vereinbarung getroffen. Auch aus § 1365 BGB folgt keine Unwirksamkeit der Übertragung an die Erwerber. Unabhängig von der objektiven Vermögenslage haben jedenfalls die Erwerber, wie das Erstgericht in nicht zu beanstandender Beweiswürdigung angenommen hat, hiervon keine Kenntnis gehabt (vgl. Palandt-Brudermüller, a. a. O., § 1365 BGB, Rz. 23).
Somit hat die Beklagte die Doppelhaushälfte tatsächlich zu räumen und geräumt herauszugeben.
b) Die Kläger wurden aufgrund der Auflassung vom 13.12.2012 am 26.03.2013 in das Grundbuch eingetragen.
Die Beklagte hat die streitgegenständliche Immobilie bislang nicht geräumt. Den Klägern stehen daher als Eigentümern Nutzungsentschädigungsansprüche wie geltend gemacht ab 10.06.2013 zu.
c) Selbst wenn der Beklagten der Nutzungswert der Wohnungsüberlassung des streitgegenständlichen Anwesens auf ihren Trennungs- bzw. Betreuungsunterhaltsanspruch, den sie gegen ihren mittlerweile geschiedenen Ehemann hat, angerechnet wird, so endet diese Anrechnung in dem Zeitpunkt, in dem der geschiedene Ehemann nicht mehr Eigentümer der von der Beklagten genutzten Immobilie ist. Den Klägern steht daher durchaus das Recht zu, ab dem Zeitpunkt ihrer Eigentumseintragung Nutzungsentschädigung zu verlangen.
d) Das Erstgericht hat in nicht zu beanstandender Weise die Nutzungsentschädigung für die Immobilie auf 2.000,- €/Monat gesetzt.
Zwar war zunächst mit Beweisbeschluss vom 02.04.2014 (Bl. 139/142 d. A.) die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den von der Beklagten behaupteten Mängeln sowie des objektiven Nutzungswerts der streitgegenständlichen Immobilie angeordnet worden. Weiter hat das Erstgericht unter dem 22.12.2014 (Bl. 170/171 d. A.) darauf hingewiesen, wie der ortsübliche Mietwert zu ermitteln ist. Einen ersten mit Schreiben des Sachverständigen vom 22.01.2015 (Bl. 178 d. A.) anberaumten Termin am 05.02.2015 sagte die Beklagte am 28.01.2015 mit der Begründung ab, dass sie wegen ihrer schwerbehinderten Tochter einen Vorlauf von mindestens zwei Wochen benötige, Termine in der Schulzeit erst ab 14:30 Uhr und in den Ferien überhaupt nicht möglich seien, da diese bereits fest verplant seien. Weitere Einschränkungen wurden nicht genannt. Daraufhin beraumte der Sachverständige mit Schreiben vom 05.02.2015 (Bl. 184 d. A.) Termin zur Besichtigung an auf den 02.03.2015 14:30 Uhr.
Es begegnet keinen Bedenken, dass der Sachverständige die für den 02.03.2015 vorgesehene Ortsbesichtigung abgebrochen hat, da die Beklagte weder den anwesenden Klägern noch deren Prozessbevollmächtigten Einlass gewährt hat. Grundsätzlich gilt für eine Ortsbesichtigung der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit. Es hätte der Beklagten frei gestanden, dem Sachverständigen darzulegen, weshalb sie nur ihm und dessen Kollegin Zugang gewähren will, nicht aber den anwesenden Klägern und deren Prozessbevollmächtigten. Dies hat die Beklagte jedoch weder gegenüber dem Sachverständigen dargelegt, noch hat sie dies in der auf den 01.07.2015 anberaumten Hauptverhandlung, zu der der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit PZU geladen wurde, noch in ihrem früheren Schreiben vom 28.01.2015 dargetan. Der Beklagtenvertreter erklärte vielmehr gegenüber dem Gericht am 01.07.2015, er habe mehrfach vor dem Termin versucht, seine Mandantin telefonisch zu erreichen, dies sei jedoch nicht gelungen (Protokoll Blatt 191/192 d. A.).
Da die Beklagte, obwohl sie hierzu Gelegenheit gehabt hätte, in erster Instanz nicht dargelegt hat, aus welchen Gründen sie eine Ortsbesichtigung verweigert, ist die vom Erstgericht vorgenommene Würdigung, dass die Beklagtenseite mit ihrem Vortrag von bestimmten erheblichen Beschädigungen der Wohnimmobilie nicht zu hören ist, nicht zu beanstanden. In der Berufung ist die Beklagte mit ihrer neuen Begründung, eine Ortsbesichtigung sei ihrer schwer behinderten Tochter nicht zumutbar gewesen, präkludiert, § 531 ZPO Abs. 2 Nr. 3 ZPO, zumal sie auch in der Berufungsbegründung nicht vorgetragen hat, weshalb sie die Umstände nicht bereits in der 1. Instanz vorgebracht hat.
e) Die Schätzung des Erstgerichts anhand der Mietspiegelberechnung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände begegnet keinen Bedenken. Die Beklagte hat hiergegen auch keine konkreten Angriffe vorgebracht.
f) Schließlich haben die Kläger, wie in erster Instanz tenoriert, ein Betretungsrecht.
2. Aus den unter 1. dargelegten Erwägungen hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.
3. Da die Berufung nicht erfolgreich sein wird, war der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung einstweilen ohne Sicherheitsleistung einzustellen, abzulehnen, § 719, 707 ZPO.
4. Der Beklagten wird anheimgegeben, die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.


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