Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Mietvertrag, Leistungen, Mieter, Miete, Mietobjekt, Mangel, Feststellung, Beschaffenheit, Mietsache, Wirksamkeit, Betrieb, Rauchverbot, Vermieter, Leistung, vertragliche Vereinbarung, kein Anspruch

Aktenzeichen  15 O 6089/20

Datum:
20.1.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6812
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.668,18 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Minderung, noch auf Vertragsanpassung zu. Sie ist auch nicht wegen Unmöglichkeit von der Leistung der Miete befreit.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist sie nicht nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB von ihrer Leistungspflicht befreit.
Vor Übergabe der Mietsache gelten nach herrschender Meinung für die Sachmängelhaftung die allgemeinen Vorschriften. Diese werden aber durch die Vorschriften über die Sachmängelhaftung verdrängt, wenn die Mietsache dem Mieter übergeben worden ist. Die Anwendung der allgemeinen Vorschriften in diesen Fällen widerspräche dem Zweck der durch § 536a Abs. 1 Alt. 1 BGB angeordneten Garantiehaftung des Vermieters, durch die dem Mieter ein weitgehender Schutz gerade gegen anfängliche Mängel verschafft werden soll (Schmidt-Futterer/Eisenschmid, 14. Aufl. 2019, BGB § 536 Rn. 313, 532; Zehelein, Miete in Zeiten von Corona, § 3 Gewährleistungsrecht – insbesondere Schließungen nach § 28 IfSG Rn. 5). Ein Rückgriff auf die allgemeinen Regeln nach §§ 275, 326 BGB ist daher vorliegend nicht möglich, da das Mietobjekt der Klägerin bereits vor Jahren übergeben wurde.
2. Die Miete ist auch nicht nach § 536 Abs. 1 BGB gemindert.
Die aufgrund der Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 angeordnete Untersagung des Gastronomiebetriebs stellt keinen Mangel der Mietsache dar.
a. Das Reichsgericht hatte in mehreren Entscheidungen (RGZ 87, 277; 88, 96; 91, 54) einen Mangel angenommen, weil durch kriegsbedingte gesetzliche Bestimmungen bestimmte Nutzungen, die den wesentlichen Gebrauch der jeweiligen Gewerbeimmobilie ausmachten, ganz oder teilweise untersagt worden war. Dabei befassten sich zwei der Entscheidungen zwar mit der Wirksamkeit der mieterlichen Kündigung. Allerdings ließ das Reichsgericht erkennen, dass es wegen des Verbotes den wesentlichen Verwendungszweck als nicht mehr erreichbar und deshalb den Gebrauch entzogen ansah.
b. Der BGH folgt dieser Betrachtungsweise nicht. Zwar sieht § 535 Abs. 1 BGB die Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung durch den Vermieter vor und knüpft an die Verletzung dieser Pflicht eine Minderung der Miete. Dem aber steht die Regelung des § 537 Abs. 1 BGB gegenüber, wonach der Mieter von der Pflicht zur Zahlung der Miete nicht dadurch frei wird, dass er am Gebrauch der Mietsache aus Gründen, die in seiner Person liegen gehindert ist. Daher hat der BGH im Rahmen seiner Sphärentheorie der Gebrauchsgewährung das Verwendungsrisiko gegenüber gestellt (vgl. dazu Schmidt-Futterer/Eisenschmid, 14. Aufl. 2019, BGB § 536 Rn. 12 ff; 78 ff). Da sich die Verantwortlichkeit des Vermieters auf die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache richtet, beschränkt sich dessen Verantwortung auf diejenigen Umstände, die sich auf die konkrete Lage und Beschaffenheit der Mietsache beziehen (vgl. BGH NZM 2014, 165). Daher muss der Vermieter die baulichen Gegebenheiten herstellen, die zur Einhaltung der für die vorgesehene Nutzung der Mietsache maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen erforderlich sind. Ebenso trifft ihn die Verpflichtung, eine nach öffentlichem Recht erforderliche Genehmigung für die beabsichtigte Nutzung einzuholen, soweit diese objektbezogen erteilt wird. Muss der Mieter für seinen Gewerbebetrieb eine verwaltungsbehördliche Erlaubnis oder Genehmigung einholen, muss der bauliche Zustand der Räume so beschaffen sein, dass die Konzession erteilt werden kann.
Öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen, Verbote oder Gebrauchshindernisse, die sich dagegen aus betriebsbezogenen Umständen ergeben oder in der Person des Mieters ihre Ursache haben, hat der Vermieter ohne eine anderslautende vertragliche Vereinbarung hingegen nicht zu verantworten (Zehelein, Miete in Zeiten von Corona, § 3 Gewährleistungsrecht – insbesondere Schließungen nach § 28 IfSG Rn. 18-22; vgl. dazu auch die Entscheidung des BGH zum Rauchverbot, NZM 2011, 727).
c. Vorliegend beruhen die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen nicht auf der konkrete Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache. Weder die Beschaffenheit der Räume noch ihre Lage noch ihr baulicher oder sonst substantieller Zustand sind der Anlass für die Schließungsanordnung. Anlass ist vielmehr das politische Interesse, die Anzahl von Neuerkrankungen so gering wie möglich zu halten, um das Gesundheitswesen nicht in einer Weise beanspruchen zu müssen, der dieses nicht gestanden gewesen wäre. Zur Mietsache an sich fehlt somit jeder Bezug für die Schließungsanordnung. Müssen allerdings im Interesse des Allgemeinwohls oder aus sonstigen politischen Erwägungen den Menschen bestimmte Verhaltensweisen abverlangt werden, die dazu führen, dass Einzelne ihre geschäftlichen Erwartungen nicht oder nicht mehr in dem Maße erfüllen können, wie sie dies erwartet haben, muss dies dem Verwendungsrisiko der Betroffenen zugerechnet werden. Die Räumlichkeiten nämlich haben sich durch die Maßnahmen nicht verändert und sind uneingeschränkt einsatzfähig (Zehelein, Miete in Zeiten von Corona, § 3 Gewährleistungsrecht – insbesondere Schließungen nach § 28 IfSG Rn. 24).
d. Zudem war der Klägerin der Gastronomiebetrieb jedenfalls insoweit möglich, als Speisen zur Abholung oder Lieferung außer Haus angeboten werden konnten. Nach dem Mietvertrag war sogar der Schwerpunkt des gastronomischen Angebots auf Mitnahmeware ausgerichtet. Darin unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung von dem der Entscheidung des LG München I, Az. 3 O 4495/20 zugrunde liegenden Sachverhalt. Denn der dortige Fall betraf ein Möbelhaus, dem jeglicher Betrieb verboten war.
e. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass aufgrund der Beschränkungen der Kundenverkehr im … zum Erliegen gekommen ist. Fehlgeschlagene Verkaufs- und Gewinnerwartungen sind grundsätzlich kein Mangel. Wird z.B. der Kundenstrom am Ladenlokal des Mieters vorbeigeleitet oder nimmt die Bevölkerung ein angemietetes Einkaufszentrum nicht an, kann der Mieter daraus in der Regel keine Gewährleistungsrechte herleiten. (Fehlgeschlagene) Gewinnerwartungen gehören nämlich grundsätzlich zu seinem Risikobereich (Schmidt-Futterer/Eisenschmid, 14. Aufl. 2019, BGB § 536 Rn. 12).
3. Der Klägerin steht schließlich kein Anspruch auf Anpassung nach § 313 Abs. 1 BGB zu.
a. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die Vertragsparteien des streitgegenständlichen Vertrages vorausgesetzt haben, dass es nicht zu einer globalen Pandemie mit weitreichender Stilllegung des öffentlichen Lebens, mit Kontakt- und Zugangsbeschränkungen, mit Betriebsuntersagungen bzw. Betriebseinschränkungen, mit dem Abbruch von Lieferketten sowie zu einem weitreichenden Erlahmen wirtschaftlicher Tätigkeit kommt. Das stellt ohne Weiteres eine Änderung der (objektiven) Vertragsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB dar. Betroffen ist die sog. große Geschäftsgrundlage, weil die Änderung aus den allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen herrührt und nicht aus sonstigen, nur den konkreten Vertrag betreffenden Umständen (Zehelein, Miete in Zeiten von Corona, § 7 Wegfall der Geschäftsgrundlage Rn. 4).
b. Ferner dürfte grundsätzlich eine Unzumutbarkeit der unveränderten Vertragsfortsetzung jedenfalls dann gegeben sein, wenn der Klägerin jeglicher Betrieb unmöglich wäre (woran wegen der Möglichkeit, mitnahmefähige Speisen anzubieten, schon Zweifel bestehen).
c. Eine Anpassung kommt jedoch vorliegend nicht in Betracht, weil im Rahmen der Bewertung der Risikoverteilung die Folgen der Beschränkungen von der Klägerin zu tragen sind.
aa. Ist das Risiko einer Partei durch Vertrag oder Gesetz zugewiesen, kommt eine Anpassung grundsätzlich nicht in Betracht, es bleibt vielmehr beim allgemeinen Leistungsstörungs- bzw. Gewährleistungsrecht. Es geht bei der Betriebsuntersagung um die Verwirklichung des Vertragszwecks, konkret darum, dass der Mieter das Gewerbemietobjekt krisenbedingt nicht wie vorgesehen nutzen kann und die Anmietung unrentabel ist. Das betrifft das Verwendungsrisiko, das bei einer Betriebsuntersagung meist der Mieter trägt, da nicht die körperliche Beschaffenheit der Mietsache gestört ist, sondern betriebliche Umstände; der Vermieter muss nur die Möglichkeit des Betriebs durch Zurverfügungstellen der Räume gewähren, nicht aber den Betrieb selbst (Zehelein, Miete in Zeiten von Corona, § 7 Wegfall der Geschäftsgrundlage Rn. 8).
bb. Die vertragliche Risikoverteilung hindert eine Anpassung aber nur, solange sich ein „normales“ Verwendungsrisiko verwirklicht. Ist hingegen die Grenze des übernommenen Risikos überschritten und kann die benachteiligte Vertragspartei in der getroffenen Vereinbarung ihr Interesse nicht mehr auch nur annähernd gewahrt sehen, kommt eine Anpassung in Betracht (Zehelein, Miete in Zeiten von Corona, § 7 Wegfall der Geschäftsgrundlage Rn. 9).
cc. Vorliegend hat die Klägerin das Risiko der Beschränkung des Geschäftsbetriebs aufgrund der Covid-19-Pandemie übernommen. Die Klägerin war nach dem Mietvertrag verpflichtet, eine Betriebsunterbrechungsversicherung abzuschließen. Wie aus der Presse inzwischen allgemein bekannt sein dürfte, haben die für Versicherungsstreitsachen zuständigen Zivilkammern des Landgerichts München I etliche Betriebsunterbrechungsversicherungen zu Leistungen an Gastronomiebetriebe verurteilt (z.B. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/corona-schliessung-wirt-versicherung-urteil-1.5051519). Das Risiko war daher versicherbar. Die Klägerin hat das Risiko der Betriebsschließung durch die Verpflichtung zum Abschluss einer solchen Versicherung übernommen.
dd. Deshalb ist der vorliegende Fall auch nicht mit der Entscheidung des Landgerichts München I (Az. 34 O 6013/20) vergleichbar. Zum einen war dort in den Mieträumen eine Kunstgalerie betrieben worden, deren gesamte Tätigkeit damit nicht mehr möglich war, zum anderen ergibt sich aus diesem Urteil nicht, inwieweit die dortige Mieterin zum Abschluss einer Betriebsunterbrechungsversicherung verpflichtet war.
d. Insoweit kann offen bleiben, ob, und ggf. inwieweit Art. 240 § 2 EGBGB eine spezialgesetzliche Regelung darstellt, die eine Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB für den vorliegenden Fall ausschlösse.
e. Ferner konnte offenbleiben, inwieweit krisenbedingte Unterstützungsleistungen des Staates zu berücksichtigen sind (vgl. Zehelein, Miete in Zeiten von Corona, § 7 Wegfall der Geschäftsgrundlage Rn. 25).
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zu vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.
C.
Für die Streitwertfestsetzung war die klägerischen Hauptforderung maßgeblich. Da die Klägerin im Wege der negativen Feststellungsklage ihren Anspruch verfolgt, war kein Abschlag von der Forderung vorzunehmen (vgl. Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 3 ZPO, Rn. 16.76)


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