Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Nutzungsuntersagung für Boardinghouse aufgrund des Verbots von Zweckentfremdung

Aktenzeichen  M 9 K 17.557

Datum:
15.11.2017
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZwEWG Art. 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Art. 5
LStVG LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

1 Eine Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts liegt immer dann vor, wenn ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes vorliegt. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn eine Wohnung für die Dauer eines zu einem bestimmten Zweck, aber vorübergehenden Aufenthalts, zur Verfügung gestellt wird. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblich ist nicht die Länge des Aufenthalts sondern der Umstand, dass es sich um ein übergangsweises, nicht alltägliches bzw. ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen für Personen handelt, die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben (hier Zweckentfremdung angenommen für ein Boardinghouse). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gegen die Nutzungsuntersagung im Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2017 bestehen keine rechtlichen Bedenken, da das von der Klägerin betriebene Boardinghaus gegen Zweckentfremdungsrecht verstößt.
Rechtsgrundlage für die Nutzungsuntersagung in Nr. 1 des Bescheides vom 20. Januar 2017 ist der zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses geltende Art. 5 ZwEWG (a.F.) i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 LStVG; eine entsprechende Ermächtigung enthält der heute geltende Art. 3 Abs. 2 ZwEWG (n.F.). Der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand des Art. 2 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG (a.F.) bzw. Art. 1 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG (n.F.) i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 ZeS liegt vor. Danach wird Wohnraum zweckentfremdet, wenn er nicht nur vorübergehend gewerblich oder gewerblich veranlasst für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird.
1. Nach den Baugenehmigungen lag bei den hier verfahrensgegenständlichen 92 Einheiten Wohnraum vor. Da sich eine Wohnnutzung nach Bauplanungsrecht durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts auszeichnet, sind auch Wohnheime Wohngebäude, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen können und sollen, sofern die Unterkunft nicht lediglich als Schlafstätte dient (BayVGH, B.v. 26.11.2015 – 12 CS 15.2269, m.w.N.). Nach den genehmigten Plänen ist das Gebäude bei objektiver Betrachtung zu Wohnzwecken geeignet und nach dem baurechtlich genehmigten Nutzungszweck „Wohnheim“ auch dazu bestimmt.
2. Die Wohneinheiten wurden seit dem Bau des Hauses bis zur Beendigung des Mietvertrages mit der Bahn zum 31. Dezember 2005 durchgehend zu Wohnzwecken genutzt. Nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten gibt es zwar keine durchgehenden Nachweise für eine Wohnnutzung vor der Vermietung an die Bahn im Jahre 1992. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat jedoch in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass der Vater des Eigentümers 1982/1984 das Eigentum erworben habe und – soweit bekannt – an Firmen zum Wohnen für deren Mitarbeiter vermietet habe. Ausweislich der Akten waren außerdem in den Telefonbüchern von 1977, 1981 und 1989 unter der Adresse jeweils mehrere Bewohner eingetragen. Daraus ergibt sich in Verbindung mit der unveränderten Baugenehmigung mit hinreichender Sicherheit, dass die Wohneinheiten vor der Vermietung an die Bahn ebenfalls zu Wohnzwecken genutzt wurden. Aufgrund des Mietvertrages mit der Bahn vom 4. Mai 1991 dienten die Wohneinheiten – mit Ausnahme von 4 Appartements – bis zum 31. Dezember 2005, dem Ende des Mietverhältnisses, als Wohnheim für Beschäftigte der Bahn; der Mietvertrag spricht ausdrücklich von „zu vorübergehenden Wohnzwecken an Beschäftigte“.
3. Entgegen dem Vortrag im Klageverfahren handelte es sich bei dem Wohnheim auch zu Zeiten der Vermietung an die Bahn um Wohnraum im Sinne des Zweckentfremdungsrechts. Vor dem Inkrafttreten des Zweckentfremdungsgesetzes zum 10. Dezember 2007 galt Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstieges sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4. November 1971 (MRVerbG) i.V.m. der Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (BayRS 2330-11-I). Nach der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern zum Vollzug des Verbots der Zweckentfremdung von Wohnraum vom 4. Mai 1995 (VollzBekZwE), Nr. II C 5-4709.17-021/94 (AllMBl 1995, S. 478) gehörten Wohnheime zum Wohnraum, ebenso wie Werk- und Dienstwohnungen, ihre objektive Eignung und subjektive Bestimmung zu Wohnzwecken vorausgesetzt (Ziff. 2). Kein Wohnraum lag nach Ziff. 2.1 VollzBekZwE vor, wenn der Raum dem Wohnungsmarkt nicht generell zur Verfügung stand, weil das „Wohnen“ in einem engen räumlichen Zusammenhang an eine bestimmte Tätigkeit geknüpft war, zum Beispiel Wohnraum für Aufsichtsperson auf Betriebsgelände oder Hausmeisterwohnung im Schulgebäude. Die Nutzung als Wohnheim für Bedienstete der Bahn hatte nicht zur Folge, dass die Räume dem Wohnungsmarkt nicht mehr generell zur Verfügung standen, da es bereits an einem „engen räumlichen Zusammenhang“ des Wohnens mit einer bestimmten Tätigkeit fehlte. Es ist für Wohnheime sowie für Werk- und Dienstwohnungen typisch, dass diese von ihrer Zweckbestimmung her nur für einen festgelegten Bewohnerkreis zur Verfügung stehen wie zum Beispiel Mitarbeitern und nicht für jedermann. Es bleibt dennoch Wohnraum.
Anders ist es bei den Betriebsleiterwohnungen im Sinne der Ziff. 2.1 VollzBekZwE, die bereits baurechtlich regelmäßig nur ausnahmsweise auf dem Betriebsgelände zulässig sind und bereits deshalb nicht generell als Wohnungen – losgelöst von einem räumlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit auf dem Betriebsgelände – genutzt werden dürfen.
Bedenken dagegen, dass die Nutzung als Wohnheim der Bahn den Begriff des „Wohnraums“ im Sinne des Zweckentfremdungsrechts erfüllt, bestehen daher keine.
4. Die Nutzungsänderung in ein Bordinghouse seit dem Jahr 2007 war eine ungenehmigte Zweckentfremdung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG (a.F.) i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZeS. Eine Genehmigung (§ 5 ZeS) wurde nach Aktenlage nie beantragt.
Eine Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts liegt immer dann vor, wenn ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes vorliegt. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn eine Wohnung für die Dauer eines zu einem bestimmten Zweck, aber vorübergehenden Aufenthalts, zur Verfügung gestellt wird (BayVGH, B.v. 1.8.2016 – 12 CS 16.969, m.w.N.). Maßgeblich ist nicht die Länge des Aufenthalts sondern der Umstand, dass es sich um ein übergangsweises, nicht alltägliches bzw. ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen für Personen handelt, die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Ausschlaggebend ist nicht die Möglichkeit einer uneingeschränkten eigenen Haushaltsführung in Abgrenzung zu einer Unterkunft mit fremdenverkehrstypischen Dienstleistungen – wie sie in Hotels oder Pensionen angeboten werden. Die dazu vorliegende baurechtliche Rechtsprechung zur Einstufung eines Boardinghouses – je nach Schwerpunkt (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 6.7.2006 – OVG 2 S. 2.06; VGH BW, B.v. 17.1.2017 – 8 S 1641/16 -) kann für das Zweck-entfremdungsrecht nicht übernommen werden.
Wenn – wie hier – eine Wohneinheit nach ihrer Ausstattung mit Möbeln, Kochecke, Bettwäsche und Handtüchern sowie Wäschedienst und Zimmerreinigung dafür geeignet ist, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können, kommt es auf das zugrundeliegende Nutzungskonzept des Vermieters und sein konkretes Geschäftsmodell im Einzelfall dafür an, ob eine Fremdenverkehrsnutzung vorliegt.
Die Klägerin bietet ihren Mietern eine flexible, vorübergehende Unterkunft an und keine Wohnung im Sinne einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit. Die Vermietung erfolgt ausweislich der Homepage und verschiedener Vermittlungsportale tageweise (vgl. Ausdrucke, Stand: 9.11.2017, im Gerichtsakt); die Bezeichnung als „serviced apartements“ und die Beschreibung dieses Konzepts lassen daran keinen Zweifel.
Bei einer Nutzung durch regelmäßig wechselnde Personen, die sich zu einem bestimmten Zweck vorübergehend – ohne Aufgabe ihres angestammten Wohnsitzes oder einer temporären Verlegung ihres Lebensmittelpunktes – am Beherbergungsort aufhalten, besteht keine auf Dauer angelegte Häuslichkeit.
Dabei ist es unerheblich, ob sich das Angebot an Urlauber oder Geschäftsreisende richtet. In Abgrenzung zu einem Wohnheim, das regelmäßig einem bestimmten Personenkreis zur Verfügung gestellt wird, kommt es für einen Beherbergungsbetrieb – wie hier – nicht darauf an, wer das Appartement anmietet und für welchen individuellen Zweck er sich am Beherbergungsort aufhält.
5. Auch im Übrigen ist der Bescheid rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Anordnung in Nr. 1 des Bescheides richtet sich gegen den richtigen Adressaten. Die Klägerin hat das Gebäude vom Eigentümer angemietet und ist Betreiberin. Sie wurde damit zutreffend als Handlungsstörerin in Anspruch genommen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG). Die im Rahmen des § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung der Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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