Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Ungültige Eigentümerbeschlüsse: Bestellung unzulässiger Anzahl von Beiräten, unbestimmte bauliche Maßnahme

Aktenzeichen  481 C 11177/16 WEG

Datum:
18.1.2017
Fundstelle:
ZWE – 2017, 419
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG WEG § 22 Abs. 1, § 29 Abs. 1 S. 2
BGB BGB § 139

 

Leitsatz

1. Ein Beschluss, der ohne entsprechende Vereinbarung entgegen § 29 Abs. 1 S. 2 WEG mehr als die zulässige Anzahl von Beiräten bestimmt, ist auf Anfechtung hin für ungültig zu erklären. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB führt die Ungültigkeit eines Beschlusses zur Ungültigkeit weiterer Beschlüsse, die damit in engem thematischen Zusammenhang stehen. Das ist für vier nacheinander in einer Versammlung gefasste Beschlüsse anzunehmen, mit denen mehr als die zulässige Anzahl von Beiräten bestellt wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Beschluss über eine Maßnahme der Instandhaltung oder Instandsetzung oder eine anderweitige bauliche Maßnahme muss hinreichend bestimmen, welche konkreten Maßnahmen vorgenommen werden sollen, insbesondere die Art und Weise der Durchführung und die Finanzierung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die in der ordentlichen Eigentümerversammlung der WEG D.-straße …/N.-straße …, M., vom 03.05.2016 zu TOP 6 („Neuwahl der Beiräte und Rechnungsprüfer“) und TOP 8 („Antrag Frau Lautenschläger – Handlauf Anbringung im Treppenhaus Nietzschestraße 27“) gefassten Beschlüsse werden für ungültig erklärt.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger als Gesamtschuldner 58 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 42 % zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Klage war stattzugeben, da sie, soweit sie nicht zurückgenommen wurde, zulässig und begründet ist.
I.
Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht München ist nach § 23 Nr. 2 c GVG und § 43 Nr. 4 WEG sachlich und örtlich ausschließlich zuständig.
II.
Die Klage ist, soweit sie nicht zurückgenommen wurde, begründet.
Die Klage wurde innerhalb der Ausschlussfristen des § 46 Abs. 1 WEG eingelegt und begründet.
Die unter TOP 6 gefassten Beschlüsse sind für ungültig zu erklären, da diese gegen die Regelung in § 29 Abs. 1 S. 2 WEG verstoßen, wonach der Verwaltungsbeirat aus einem Wohnungseigentümer als Vorsitzendem und zwei weiteren Wohnungseigentümern als Beisitzer, insgesamt also aus drei Wohnungseigentümern besteht. Eine hiervon abweichende Vereinbarung wurde nicht gefasst. Auch eine entsprechende Regelung in der Teilungserklärung, wodurch von § 29 Abs. 1 S. 2 WEG abgewichen wird, liegt nicht vor. Insbesondere folgt das Gericht nicht der Argumentation der Beklagten zu 1), wonach allenfalls der vierte unter TOP 6 gefasste Beschluss nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche. Ist ein Beschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft für ungültig zu erklären, so führt dies zur Ungültigkeit weiterer Beschlüsse, die mit dem ungültigen Beschluss in engem thematischen Zusammenhang stehen (LG Köln vom 31.01.2013 – 29 S 135/12, ZMR 2013, 379, Leitsatz 4, Randzahl 30 bei juris). Hier kommt der Rechtsgedanke des § 139 BGB zum Tragen. Aus dem Protokoll wird deutlich, dass die Wohnungseigentümer von vorneherein vier Mitglieder zu Mitgliedern des Verwaltungsbeirats bestellen wollten. Auf diesem Wunsch beruht jeder einzelne der darauf folgenden vier Beschlüsse über die Bestellung jeweils eines Beiratsmitglieds. Die chronologische Reihenfolge der Abstimmung enthält keine zwingende inhaltliche Aussage darüber, welche Personen unter der Voraussetzung, dass der Beirat nur aus drei Mitgliedern bestehen darf – was den Wohnungseigentümern ohnehin bekannt war –, tatsächlich in diesen gewählt worden wären. Das Gericht kann nun nicht, wie die Beklagten meinen, eine Entscheidung aufgrund der Chronologie des Protokolls treffen und unter Aufrechterhaltung der übrigen Bestellungen nur die Bestellung eines bestimmten Mitglieds, nämlich nach Auffassung der Beklagten des letzten zur Abstimmung gestellten Wohnungseigentümers, für ungültig erklären. Der enge Zusammenhang aller Abstimmungen wird hier besonders deutlich, da jedes Beiratsmitglied – mit Ausnahme der eigenen Enthaltung – einstimmig mit gleicher Anzahl aller Stimmen gewählt wurde. Mithin sind auf die Anfechtung der Kläger alle unter TOP 6 gefassten Beschlüsse für ungültig zu erklären.
Hinsichtlich TOP 8 fehlt es dem Beschluss an der erforderlichen Bestimmtheit. Beschlüsse der Wohnungseigentümer sind auch sich heraus objektiv und normativ auszulegen, ohne dass auf die subjektiven Vorstellungen der bei Beschlussfassung Beteiligten ankommt (vergleiche etwa Bärmann-Merle, WEG, 13. Auflage 2015, § 23 Randnummer 62, Fußnote 208). Maßgeblich sind dabei der Wortlaut des Beschlusses und der Inhalt des Protokolls. Auf die Frage, ob der Einbau des Handlaufs eine bauliche Veränderung von Gemeinschaftseigentum im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG oder eine Maßnahme der Instandhaltung oder Instandsetzung darstellt, kommt es für die Frage der Bestimmtheit des Beschlusses nicht an. Bei Maßnahmen der Instandhaltung oder Instandsetzung muss ebenso wie bei anderweitigen baulichen Maßnahmen hinreichend bestimmt sein, welche konkreten Maßnahmen vorgenommen werden sollen. Die Grundfragen der Art und Weise der Durchführung (Umfang, Finanzierung, Ablauf, Kostenvorschläge) müssen im Beschluss geregelt werden (Bärmann-Merle, a.a.O. Randnummer 56). Das Landgericht Berlin hat dies in seiner Entscheidung vom 20.01.2015 (55 S 130/14 WEG, ZWE 2016, 140) dahingehend formuliert, dass bei Durchführung von baulichen Maßnahmen die „wesentlichen Punkten, was genau gemacht werden soll und wie dies ausgeführt zu werden hat“ im Beschluss festgelegt werden müssen. Dem wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Er enthält insbesondere keine Angaben zur Art und Weise der Ausführung und keinen Kostenrahmen. Gerade ein Kostenrahmen wäre auch maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob mehrere Vergleichsangebote erforderlich sind; nach Rechtsprechung des Landgerichts München I ist dies bei größeren Sanierungen der Fall (Urteil des LG München I, Urteil vom 06.10.2014 – 1 S 21342/13, ZMR 2014, 147, Rn. 4 ff. bei juris). Auf die Anfechtung der Kläger ist der angefochtene Beschluss daher für ungültig zu erklären.
III.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, waren die Kosten gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO dem Kläger aufzuerlegen. Im Übrigen waren die Kosten des Rechtsstreits gem. § 92 Abs. 1 ZPO den Beklagten aufzuerlegen, da sie unterlegen sind. Die Quote wurde entsprechend dem im Termin vom 04.01.2017 festgesetzen Streitwert berechnet. Danach beträgt der Streitwert der Anfechtung der Beschlüsse zu TOP 6 5.000,00 €, zu TOP 8 1.500,00 € und zu TOP 10 9.000,00 €, insgesamt also 15.500,00 €.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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