Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Unwirksamkeit der Bayerischen Mieterschutzverordnung

Aktenzeichen  424 C 22334/18

Datum:
9.8.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31796
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 556 Abs. 2 S. 5, § 556d Abs. 1, Abs. 2, § 556g Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Bayerische Mieterschutzverordnung vom 10.11.2015 leidet an einem Begründungsmangel und ist daher gemäß § 556d Abs. 2 BGB unwirksam. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die nachträgliche Ergänzung der Begründung führt weder rückwirkend noch nachträglich zur Wirksamkeit der Mieterschutzverordnung.  (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist in Ziffer 2. vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 3.794,88 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage war abzuweisen, da sie unbegründet ist.
A.
I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht München sachlich und örtlich zuständig, weil die Streitigkeit einem Mietverhältnis über eine in München gelegene Wohnung entspringt, §§ 29 a Abs. 1 ZPO, 23 Nr. 2 a GVG.
II. Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Auskunft nach § 556 g Abs. 3 S. 1 BGB.
Die im Mietvertrag festgelegte Miete wurde wirksam vereinbart, insbesondere verstößt sie nicht gegen § 556 d Abs. 1 BGB, weil auf den vorliegenden Mietvertrag die Vorschriften der §§ 556 d ff. BGB, der Rechtsnormen über die sogenannte Mietpreisbremse, nicht anwendbar sind. Eine Beschränkung der Vertragsfreiheit nach § 556 d Abs. 1 BGB lag damit nicht vor.
1. Gemäß § 556 d Abs. 1 BGB darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Abs. 2 BGB) um höchstens 10 % übersteigen, sofern ein Mietvertrag über Wohnraum abgeschlossen wird, der in einem durch Rechtsverordnung nach § 556 d Abs. 2 BGB bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt liegt („Mietpreisbremse“).
a) Nach § 556 Abs. 2 S. 5 BGB muss eine solche Verordnung begründet werden. Aus der Begründung muss sich gemäß § 556 Abs. 2 S. 6 und 7 BGB ergeben, auf Grund welcher Tatsachen ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt im Einzelfall vorliegt und welche Maßnahmen die Landesregierung ergreifen wird, um Abhilfe gegen die Anspannung des Wohnungsmarktes zu schaffen.
Das Begründungserfordernis dient dazu, in Anbetracht der mit der Bestimmung von Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten verbundenen Beschränkung der grundrechtlich geschützten Eigentumsfreiheit und Vertragsfreiheit die Verhältnismäßigkeit der von der Landesregierung vorzunehmenden Gebietsausweisung zu gewährleisten. Ausweislich der Gesetzesmaterialien erfordert die Bestimmung und Abgrenzung der Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt eine sorgsame Überprüfung der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Gebietsbestimmung. Dies hat der Gesetzgeber als notwendig erachtet, um den verfassungsrechtlichen Maßgaben des Eigentumsschutzes (Art. 14 GG) Rechnung zu tragen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Mietrechtsnovellierungsgesetz, BT-Drucks. 18/3121, S. 28, mit Hinweis auf den allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung, a.a.O. S. 18 f.). Damit kommt der Begründungspflicht nicht nur verfahrensrechtliche Bedeutung zu; sie hat vielmehr auch materiell-rechtlichen Gehalt (vgl. dazu BVerfGE 127, 293, 320; Nierhaus in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: November 1998, Art. 80 Rn. 420) (zu diesen Ausführungen vgl. BGH, Urteil vom 17.07.2019 – VIII ZR 130/18 Rz. 22).
b) Zwar fällt der vorliegende Mietvertrag in den räumlichen und zeitlichen Anwendungsbereich der Mieterschutzverordnung vom 10.11.2015 (vgl. Art. 229 § 35 Abs. 1 EGBGB), jedoch ist die entsprechende Verordnung vom 10.11.2015 wegen Verstoßes gegen das Begründungserfordernis gemäß § 556 d Abs. 2 BGB unwirksam. Die unter demselben Datum vom 10.11.2015 im Bayerischen Justizministerialblatt veröffentliche Begründung war unzureichend, was zur Unwirksamkeit der Verordnung führte. Das Gericht macht sich insoweit die überzeugenden Darlegungen der Entscheidung des LG München I vom 06.12.2017, 14 S 10058/17 = NJW 2018, 407, zu eigen.
c) Auch durch die ergänzende Begründung der Bayerischen Staatsregierung vom 24.07.2017 zur Mieterschutzverordnung ist der Begründungsmangel weder rückwirkend ex tunc (vgl. BGH, Urteil vom 17.07.2019 – VIII ZR 130/18 Rz. 38; LG München I vom 06.12.2017, 14 S 10058/17 = NJW 2018, 407) noch – wie vorliegend von der Klägerin behauptet – ex nunc (ebenso AG München Urteil vom 28.06.2019 – Az. 461 C 12217/18; AG Hamburg-Altona, Urteil vom 09.10.2017 – Az. 316 C 206/17 = IBRRS 2017, 3460; ebenso Schuldt, Mietpreisbremse-Verordnungen: Das Begründungserfordernis als „Stolperstein“, NZM 2018, 258 (263)) geheilt worden, da die Verordnung trotz nachgeschobener Begründung nach wie vor unwirksam ist.
Das Gericht ist insoweit der Auffassung, dass ein Begründungsmangel, der zur ipso iure Nichtigkeit der Verordnung führte, nur durch Neuverkündung der Verordnung zusammen mit der Begründung geheilt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2010 – 2 C 77/08 Rz. 20 hinsichtlich der Wirksamkeit einer Rechtsverordnung bei nachträglichem Inkrafttreten einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage). Das Erfordernis der Nachvollziehbarkeit, welches durch die nachgeschobene Begründung erfüllt werden sollte, muss gerade bei Inkrafttreten der Rechtsverordnung erfüllt sein (vgl. hierzu auch das Urteil des BGH vom 17.07.2019 – VIII ZR 130/18 Rz. 30). Dies ergibt sich bereits aus Sicht des Gerichts aus dem Wortlaut des § 556 d Abs. 2 S. 5 BGB, wonach „sie“ (= die Verordnung) begründet werden muss. Auch wenn die Verordnung und die Begründung nach den Ausführungen des BGH (Urteil vom 17.07.2019 – VIII ZR 130/18 Rz. 36) nicht in einem zusammenhängenden Dokument verkündet werden müssen, so muss dies jedoch zumindest zeitgleich erfolgen. Denn es heißt, dass die Verordnung begründet werden muss, nicht etwa, dass eine Begründung zu veröffentlichen ist oder dass sich die Landesregierung vor Erlass Gedanken zur Begründung machen muss.
Könnte die Nachholung der Begründung die Verordnung rückwirkend heilen, wäre das Nachschieben der Begründung gleichzusetzen mit dem Erlass einer Verordnung, welcher auch nach der Frist in § 556 d Abs. 2 S. 1 BGB erfolgen könnte. Dies ist angesichts der Nachvollziehbarkeit der Tatsachgrundlage im Zeitpunkt des beabsichtigten Erlasses einer Verordnung (hier 10.11.2015) nicht ausreichend. Die entsprechende Verordnung darf nur erlassen werden, wenn es Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten gibt. Dies muss die Landesregierung zunächst feststellen und prüfen. Dabei geht der Gesetzgeber selbst davon aus, dass sich die Anspannung von Wohnungsmärkten und die ortsübliche Vergleichsmiete in Zeitabschnitten ändern kann, der nach wenigen Jahren zu bemessen ist. Nach § 556 d Abs. 2 S. 1 BGB darf die Rechtsverordnung nur für eine Dauer von 5 Jahren Gültigkeit haben. Nach § 556 d Abs. 2 S. 4 BGB muss sie spätestens am 31.12.2020 in Kraft treten. Nach § 558 Abs. 2 S. 1 BGB wird die ortsübliche Vergleichsmiete gebildet aus den üblichen Entgelten, die in den letzten vier Jahren vereinbart oder geändert worden sind. In München erscheint alle 2 Jahre ein neuer Mietspiegel. Nach der Gesetzesbegründung sollte eine tatsächliche statistische Erhebung stattfinden, es sei denn es stehe bereits Datenmaterial zur Verfügung, das „zeitnah“ erhoben wurde (Bt-Drs. 18/3121, S. 29).
Ausweislich der Begründung vom 10.11.2015 (Bayerisches Justizministerialblatt 2015, Nr. 10, 118) beruhte die Begründung auf einer statistischen Erhebung bis Oktober 2014.
Die Herbeiführung der Wirksamkeit der Verordnung vom 10.11.2015 zum 24.07.2017 ist damit nicht möglich, sie würde das Begründungserfordernis des § 556 d Abs. 2 S. 5 BGB aushebeln.
Die Verordnung würde auf einer Begründung beruhen, die 20 Monate alt ist. Dies ist mit § 556 d Abs. 2 S. 5 und 6 BGB nicht vereinbar.
Es lässt sich zudem der Begründung 24.07.2017 nicht der Wille der Staatsregierung entnehmen, einen Rechtssetzungsakt mit Wirkung ab dem 24.07.2017 vorzunehmen.
Letztendlich besteht eine Nichtigkeit von rechtswidrigen Normen ipso iure und auf Dauer („Nichtigkeitsdogma“, Schuldt, Mietpreisbremse-Verordnungen: Das Begründungserfordernis als „Stolperstein“, NZM 2018, 258 (264). Eine schwebende Unwirksamkeit ist mit dem Gedanken der Rechtssicherheit jedenfalls nicht vereinbar.
Aus Sicht des Gerichts ist auch allein dieses Ergebnis vereinbar mit der erhöhten Grundrechtsrelevanz der Begrenzung der Wiedervermietungsmiete von Bestandswohnungen, da es einen erheblichen Eingriff in die Eigentumsgarantie und die Vertragsfreiheit bedeutet (vgl. BGH, Urteil vom 17.07.2019 – VIII ZR 130/18 Rz. 40). Wie bereits unter II. 1. a) dargelegt, kommt dem Begründungserfordernis auch eine materiell-rechtliche Bedeutung zu. An das Begründungserfordernis sind daher erhöhte Anforderungen zu stellen.
Die Klage auf Auskunftserteilung war daher abzuweisen.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat als im Rechtsstreit Unterlegene die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert ergibt sich aus dem 12fachen der monatlichen Differenz der Mieten von 316,24 €.


Ähnliche Artikel


Nach oben