Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Wohnungseigentum: Ungültigkeit einer Jahresabrechnung mit vereinbarungswidrigem Kostenverteilungsschlüssel

Aktenzeichen  23 C 1871/16 WEG

Datum:
1.6.2017
Fundstelle:
ZWE – 2017, 380
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG WEG § 28 Abs. 3, § 46 Abs. 1 S. 2, § 49 Abs. 2

 

Leitsatz

Ist in der Teilungserklärung eine Kostenverteilung nach betragsmäßig vorgegebenen Quadratmeter-Flächen der Wohnungen bestimmt, hat diese Regelung rechtlich Vorrang vor einer abweichenden geübten Praxis. Eine Jahresabrechnung, die von der Kostenverteilung nach Teilungserklärung abweicht, ist auf Anfechtung für ungültig zu erklären. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 03.11.2016 zu TOP 4 (Genehmigung der Jahresabrechnung 2015 – Gesamt- und Einzelabrechnung) sowie zu TOP 6 (Entlastung des Verwaltungsbeirats) werden für ungültig erklärt.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist in Ziffer 2. vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
1. Die Klagefrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG wurde eingehalten. Die Eigentümerversammlung fand am 03.11.2016 statt. Am 02.12.2016, also innerhalb der gesetzlichen Frist, wurde die Klage bei Gericht eingereicht. Der Klägervertreter sagte sich in der Klageschrift für den Eingang des Gerichtskostenvorschusses bereits stark (Eingang: 12.12.2016). Es konnte daher mit Verfügung vom 08.12.2016 die Klagezustellung verfügt werden. Die am 10.12.2016 bewirkte Klagezustellung ist daher „demnächst“ im Sinn von § 167 ZPO erfolgt. Die Klagebegründung ist ebenfalls innerhalb der gesetzlichen Klagebegründungsfrist, nämlich am 31.12.2016, eingegangen. Eine Eigentümerliste wurde vorgelegt (Anlage K 1), § 44 Abs. 1 S. 2 WEG.
2. Die angefochtenen Beschlüsse zu TOP 4 und TOP 6 aus der Eigentümerversammlung vom 03.11.2016 sind auf Antrag der Kläger für ungültig zu erklären, da sie den formellen Anforderungen der Gemeinschaftsordnung nicht genügen bzw. nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen.
a. Grundlage der gerichtlichen Beurteilung ist die Regelung der Kostenverteilung in der Gemeinschaftsordnung (Anlage K 8). Nach § 8 Abs. 1 GO sind die von der Eigentümergemeinschaft zu tragenden Kosten von den Eigentümern nach dem Verhältnis der Wohn- bzw. Nutzflächen zu tragen. Hierbei sind die Wohnungen mit den aus der Anlage 1 ersichtlichen Flächen sowie Tiefgaragenplätze und Sondernutzungsräume mit 10% der tatsächlichen Fläche anzusetzen. In der zitierten Anlage 1 (ebenfalls K 8) sind die einzelnen Wohnungen bezeichnet, wobei jeweils die Größe der Wohnfläche angegeben ist.
Nachdem in § 8 Abs. 1 GO ausdrücklich und unmißverständlich festgeschrieben ist, dass bei Wohnungen die Flächen wie aus der Anlage 1 ersichtlich anzusetzen sind, hat diese Regelung rechtlich Vorrang vor der bislang geübten Praxis der Bestimmung der Wohnflächen. Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, es handele sich ausweislich des Wortlauts der Anlage 1 lediglich um „ca.“-Angaben. Die einzelnen Wohnungen sind in der Anlage 1 gerade nicht mit ungefähren Größen, sondern bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma exakt bezeichnet.
b. Die klägerseits angestellten Berechnungen zu den Quadratmeterangaben sind rechnerisch richtig und stehen in Übereinstimmung mit Anlage K 8 (dort Anlage 1) und den weiter vorgelegten Urkunden. Auf die Berechnungen in der Klageschrift S. 4/13 (Bl. 17/26 d.A.) wird Bezug genommen.
So ergeben sich für das Haus U. die angesetzten Quadratmetergrößen der Wohnungen aus der Anlage K 8 (dort S. 1/3 der Anlage 1) und hinsichtlich des Sondernutzungsraums aus dem Plan Anlage K 10. Insgesamt errechnet sich eine zutreffende Summe von 760,052 m².
Für das Haus F. ergeben sich die angesetzten Quadratmetergrößen der Wohnungen aus der Anlage K 8 (dort S. 4/9 der Anlage 1) und hinsichtlich der beiden Sondernutzungsräume aus dem Plan Anlage K 11. Insgesamt errechnet sich eine zutreffende Summe von 1404,239 m².
Für das Haus Sp. ergeben sich die angesetzten Quadratmetergrößen der Wohnungen aus der Anlage K 8 (dort S. 9/15 der Anlage 1) und der Notarurkunde Anlage K 15 und hinsichtlich der beiden Sondernutzungsräume aus dem Plan Anlage K 14. Insgesamt errechnet sich eine zutreffende Summe von 1502,782 m².
Für das Haus B. ergeben sich die angesetzten Quadratmetergrößen der Wohnungen aus der Anlage K 8 (dort S. 15/20 der Anlage 1) und hinsichtlich des Sondernutzungsraums aus dem Plan Anlage K 16. Insgesamt errechnet sich eine zutreffende Summe von 1649,57 m².
Für das Haus A. ergeben sich die angesetzten Quadratmetergrößen der Wohnungen aus der Anlage K 8 (dort S. 20/28 der Anlage 1) und hinsichtlich des Sondernutzungsraums aus dem Plan Anlage K 17. Insgesamt errechnet sich eine zutreffende Summe von 2114,58 m².
c. Diese nach § 8 GO korrekt ermittelten Flächen finden sich so als Umschlageschlüssel in der Jahresabrechnung (Anlage K 3) nicht wieder. Es ergeben sich dort Abweichungen je Haus um einige wenige Quadratmeter, beim Haus Sp. allerdings um ca. 50 m². Hinzu kommt, dass in der Abrechnung (wie sich etwa exemplarisch auf S. 18 der Anlage K 3 erkennen läßt) auch nicht durchgehend die einzelnen Häuser mit exakt der gleichen Größe angesetzt werden, sondern zum Teil mit einer verminderten Größe unter dem Zusatz „ohne TG-Schleuse“. Für das Gericht ist nicht nachvollziehbar, wie sich diese Differenzierung mit § 8 GO in Einklang bringen lassen soll; angelegt ist sie dort jedenfalls nicht.
Unabhängig davon ist festzuhalten, dass die in der Abrechnung zugrunde gelegten Quadratmeterangaben von den nach § 8 GO zu ermittelnden Flächen abweichen. Sie sind rechnerisch mit den klägerseits vorgelegten Urkunden Anlage K 8 bis K 17 nicht in Einklang zu bringen. Auch wenn sich die Abweichungen bei der hier konkret zu beurteilenden Jahresabrechnung 2015 -jedenfalls bei vier Häusern, wohl kaum aber beim Haus Sp. – in einem nur geringfügigen Umfang bewegen, tritt das Gericht nicht der Auffassung bei, es handele sich um zu vernachlässigende Unterschiede, die noch im Rundungsbereich lägen und daher vertretbar seien. Maßstab der rechtlichen Beurteilung muss der Inhalt der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung sein, die in § 8 Abs. 1 GO durch den Verweis auf die Anlage 1 gerade zum Ausdruck bringt, dass die Kostenverteilung sich exakt (und nicht gerundet) an der genauestens festgelegten Größe der Wohnungen orientieren soll. Abweichende Werte – und wenn auch nur um einige Quadratmeter – wie hier in der Jahresabrechnung sind daher auf der Grundlage der Gemeinschaftsordnung rechtlich nicht begründbar.
Damit ist der Verteilungsschlüssel der Jahresabrechnung unrichtig. Diese Unrichtigkeit wirkt sich auf nahezu alle Abrechnungspositionen aus, so dass die Jahresabrechnung in beiden Teilen -Gesamt- und Einzelabrechnung – auf Antrag der Klagepartei für ungültig zu erklären ist.
Auf die weiteren gegen die Beschlüsse zu TOP 4 erhobenen klägerischen Einwendungen kommt es somit nicht an. Es bedarf daher insoweit keiner gerichtlichen Entscheidung.
d. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass auch der unter TOP 6 gefasste Beschluss aufzuheben ist. Infolge der Ungültigerklärung der Beschlüsse zu TOP 4 liegt noch keine beschlussfähige Jahresabrechnung vor, so dass eine damit zusammenhängende Entlastung des Verwaltungsbeirats folgerichtig noch nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht.
Die Klage ist daher vollumfänglich begründet.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91,100 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Kostenauferlegung auf die Verwaltung nach § 49 WEG liegen nach Auffassung des Gerichts nicht vor. Zwar hält die beschlossene Jahresabrechnung der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Da die festgestellten Unrichtigkeiten aber eher geringfügig sind und wohl auch der bisher geübten Praxis entsprechen, kann nicht von einem nach § 49 Abs. 2 WEG erforderlichen groben Verschulden der Verwaltung gesprochen werden.
III.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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