Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Zahlung von Geschäftsraummiete für Einzelhandelsgeschäft trotz behördlicher Betriebsuntersagung wegen Covid-19-Pandemie

Aktenzeichen  13 O 1657/20

Datum:
22.9.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34250
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
2. BayIfSMV § 2 ABs. 4, Abs. 5
BGB § 275 Abs. 1, § 313, § 326 Abs. 1, § 535 Abs. 2, § 536 Abs. 1
EGBGB Art. 240

 

Leitsatz

1. Das Auftreten der SARS-CoV-2 Pandemie und die in der Folge der Pandemie durch behördliche Betriebsuntersagung bedingte Schließung eines angemieteten Ladengeschäfts führen nicht zu einer Mangelhaftigkeit der Mietsache. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch die Regelung des § 313 BGB zur Störung der Geschäftsgrundlage ist in einem solchen Fall nicht anzuwenden. Denn nach § 537 Abs. 1 BGB liegt das Risiko beim Mieter, die in mangelfreiem Zustand überlassene Mietsache den eigenen wirtschaftlichen Zwecken gemäß verwenden zu können. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Vorschrift des § 313 BGB ist aber auch deshalb nicht anzuwenden, weil der Gesetzgeber mit Art. 240  EGBGB eine gesetzliche Regelung geschaffen hat, welche vor dem Hintergrund der Pandemie gezielt einzelne Normen des BGB mit dem Ziel einer Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abgeändert bzw. ergänzt hat und diese Regelung die Pflicht zur vollständigen Mietzinszahlung unberührt lässt. Damit hat der Gesetzgeber bewusst keine Regelung zur Reduzierung der Mietzahlung aufgenommen, weil er an der Pflicht zur vollständigen Mietzahlung festhalten wollte. Eine Reduzierung des vertraglich geschuldeten Mietzinses unter Rückgriff auf § 313 BGB kommt angesichts des eindeutigen Willens des Gesetzgebers nicht in Betracht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.  Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.090,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.04.2020, sowie weitere 865,00 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.04.2020 zu zahlen.
2.  Die Widerklage wird abgewiesen.
3.  Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4.  Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Die Widerklage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Mietzins in Höhe von 13.090 € aus § 3 des Mietvertrages vom 26./29.06.2009 in Verbindung mit § 535 Abs. 2 BGB.
Die Verpflichtung zur Mietzinszahlung ist nicht nach § 536 Abs. 1 BGB entfallen. Das Auftreten der SARS-CoV-2 Pandemie und die in der Folge der Pandemie durch die Allgemeinverfügung und die Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen der Bayerischen Staatsministerien für Familie, Arbeit und Soziales bzw. für Gesundheit und Pflege bedingte Schließung des Ladengeschäfts der Beklagten führen nicht zu einer Mangelhaftigkeit der Mietsache. Zwar können auch behördliche und gesetzliche Anordnungen als aus dem Umfeld der Mietsache stammende Einwirkungen die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache beeinträchtigen. Sie führen jedoch nur dann zu einem Mangel im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache vorliegt. Sonstige behördliche oder gesetzliche Maßnahmen, die die Nutzbarkeit der Mietsache und den wirtschaftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigen, fallen in den Risikobereich des Mieters (Häublein, in MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 536 Rn. 24 f.; BGH NJW 2011, 3151). Das Auftreten der SARS-CoV-2 Pandemie steht in keinem Zusammenhang mit dem Mietobjekt. Die in der Folge ergriffenen behördlichen Maßnahmen und erlassenen Rechtsverordnungen dienten dem Schutz der Gesamtbevölkerung vor Ansteckung und sollten einer Überlastung des Gesundheitswesens durch stark steigende Fallzahlen mit Covid-19 Erkrankungen entgegenwirken. Die Anordnung der Schließung von Einzelhandelsgeschäften, die als eine von zahlreichen Maßnahmen dem Ziel diente, das Zusammentreffen von Menschen zu beschränken, erfasste ganz Bayern. Daher stehen diese allgemeinen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache (vgl. auch LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020, 5 O 66/20).
Die Verpflichtung zur Mietzinszahlung ist auch nicht nach §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB entfallen. Die Hauptleistungspflicht des Klägers als Vermieter besteht in der Überlassung der Mietsache zum bestimmungsgemäßen Gebrauch. Diese Pflicht hat der Kläger unstreitig erfüllt. Eine Unmöglichkeit der Leistungserbringung liegt daher nicht vor. Es bestand aber auch keine rechtliche Unmöglichkeit. Die rechtliche Unmöglichkeit setzt voraus, dass der vertraglich geschuldete Erfolg nicht eintreten kann, weil ihn die Rechtsordnung nicht anerkennt oder aber der Schuldner aus rechtlichen Gründen nicht leisten darf (Ernst, in MüKo BGB, 8. Aufl. 2019, § 275 Rn. 41 f.). Beide Fälle liegen erkennbar nicht vor. Die mietvertragliche Überlassung von Gewerberäumen zum Betrieb eines Handelsunternehmens ist in der Rechtsordnung ohne weiteres anerkannt. Die Vermietung des Klägers an die Beklagte verstößt auch nicht gegen ein gesetzliches Verbot. Das Risiko die Mietsache dem Betriebskonzept gemäß nutzen zu können, liegt nach § 537 Abs. 1 BGB beim Vermieter (vgl. auch LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020, 5 O 66/20).
Eine Anpassung des Mietvertrages nach § 313 Abs. 1 BGB, die zu einer Reduzierung oder gar dem Wegfall der Mietzinszahlungspflicht führen könnte, ist nicht vorzunehmen. Dabei kann dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage überhaupt erfüllt sind. Denn die Vorschrift des § 313 BGB ist im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Nach § 537 Abs. 1 BGB liegt das Risiko die in mangelfreiem Zustand überlassene Mietsache den eigenen wirtschaftlichen Zwecken gemäß verwenden zu können beim Mieter. Hierunter fällt auch, dass es dem Mieter gelingt, sein Betriebskonzept umzusetzen, prognostizierte Kunden- und Umsatzzahlen zu erreichen und Gewinn zu erzielen (Finkenauer, in MüKo BGB, 8. Aufl. 2019, § 313 Rn. 223 m.w.N.; BGH NJW 2006, 899). Zwar könnte etwas anderes gelten, wenn durch unvorhergesehene Umstände der Geschäftsbetrieb dauerhaft nicht aufrechterhalten werden kann und dadurch der Mieter in eine wirtschaftliche Notlage gerät. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die Beklagte musste ihr Geschäft für die Dauer von circa fünf Wochen schließen. Hierbei handelt es sich um einen, insbesondere angesichts des seit 2009 laufenden langfristigen Mietvertrages, überschaubaren Zeitraum. Die Schließung erfolgte nur vorübergehend. Der Geschäftsbetrieb kann seit dem 27.04.2020 wieder betrieben werden. Zwar führen die erforderlichen Hygienemaßnahmen zu einem zusätzlichen Aufwand und es mag nach der Wiedereröffnung eine Kaufzurückhaltung beim Publikum zu beobachten sein. Vor dem Hintergrund der hier vorliegenden langfristigen Vermietung ist es aber geboten, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Äquivalenz der vertraglichen Leistung und Gegenleistung ebenfalls längerfristig zu betrachten. Danach ist festzustellen, dass ein Umsatzausfall über fünf Wochen bei der Betrachtung der mehrjährigen wirtschaftlichen Entwicklung, die von der konjunkturellen Entwicklung, der Entwicklung des Kundenzuspruchs, der Entwicklung der Wettbewerbssituation und der Entwicklung des Stadtteils, in dem sich das Geschäft befindet, abhängig ist, nicht erheblich ins Gewicht fällt. Hinzu kommt, dass durch die gesetzlichen Regelungen zum Kurzarbeitergeld die Lohnkosten der Beklagten in erheblichem Umfang ausgeglichen werden. Die besondere wirtschaftliche Belastung der Beklagten liegt darin, dass nicht nur das streitgegenständliche Ladengeschäft, sondern alle 203 Einzelhandelsgeschäfte der Beklagten in Deutschland in etwa zeitgleich schließen mussten und dadurch in der Summe hohe Umsatzausfälle zu verzeichnen waren. Hierbei handelt es sich aber um einen Umstand, der nicht mit der hier streitgegenständlichen Vertragsbeziehung im Zusammenhang steht und dementsprechend auch nicht zur Geschäftsgrundlage des zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrages gehört. Daher kommt es auch nicht in Betracht den Kläger an diesen wirtschaftlichen Kosten der Beklagten durch eine Absenkung des Mietzinses zu beteiligen.
Die Vorschrift des § 313 BGB ist aber auch deshalb nicht anzuwenden, weil der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19 Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.03.2020 (BGBBl. I 2020, S. 569) in Artikel 240 EGBGB eine gesetzliche Regelung geschaffen hat, welche vor dem Hintergrund der Pandemie gezielt einzelne Normen des BGB mit dem Ziel einer Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abgeändert bzw. ergänzt hat. In Artikel 240 § 2 EGBGB hat der Gesetzgeber einzelne mietvertragliche Regelungen aufgenommen, welche nach Artikel 240 § 1 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB abschließend sind. Es handelt sich hier um eine spezielle Gesetzesnorm, welche die Folgen der Pandemie für Miet- und Pachtverträge vorrangig regelt und entgegenstehende mietvertragliche Normen ebenso verdrängt, wie die Normen des allgemeinen Schuldrechts, zu denen § 313 BGB gehört. Dass es sich bei Artikel 240 EGBGB um eine besondere und vorrangige Regelung handeln soll, ist in Abschnitt B. Ziffer 1. der Begründung des Gesetzentwurfes vom 24.03.2020 (BT-Drucks. 19/18110) festgehalten. Artikel 240 § 2 EGBGB sieht vor, dass ein Vermieter von Grundstücken und Räumen das Mietverhältnis nicht allein aus dem Grund kündigen darf, weil der Mieter mit der Mietzinszahlung für den Zeitraum 01.04.2020 bis 30.06.2020 in Verzug gerät. Eine Reduzierung der Miete im Hinblick auf die nach § 535 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Mietzinszahlung sieht Artikel 240 § 2 EGBGB dagegen nicht vor. In Abschnitt B. Ziffer 1. der Begründung des Gesetzentwurfes vom 24.03.2020 heißt es ausdrücklich, dass die Pflicht zur Zahlung der Miete bestehen bleibt. Ausweislich des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 25.03.2020 (BT-Drucks. 19/18158) hat die Fraktion Die Linke zum Ausdruck gebracht, dass es vorzugswürdig wäre, würde Mietern ein Teil der Miete erlassen (BT-Drucks. 19/18158, S. 3). Diese Anregung hat jedoch keinen Eingang in das Gesetz gefunden. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass Artikel 240 § 2 EGBGB nicht nur die Pflicht zur vollständigen Mietzinszahlung unberührt lässt. Vielmehr hat der Gesetzgeber bewusst auch keine Regelung zur Reduzierung der Mietzahlung aufgenommen, weil er an der Pflicht zur vollständigen Mietzahlung festhalten wollte. Eine Reduzierung des vertraglich geschuldeten Mietzinses unter Rückgriff auf § 313 BGB kommt angesichts des eindeutigen Willens des Gesetzgebers nicht in Betracht.
Die Miete ist nach § 3 Abs. 1 des Mietvertrages monatlich im Voraus zu zahlen. Hierbei handelt es sich um eine nach dem Kalender bestimmte Zeit, wonach die Aprilmiete am 01.04.2020 zu zahlen war. Die Beklagte befand sich daher ab dem 02.04.2020 mit der Mietzinszahlung nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Verzug, weshalb sie ab diesem Zeitpunkt nach § 288 BGB die Zahlung von Verzugszinsen schuldet. Die Verpflichtung zur Erstattung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten ergibt sich als Verzugsschadenersatz aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die ersatzfähigen Kosten belaufen sich bei einem Gegenstandswert von 13.090 € unter Ansatz einer Geschäftsgebühr von 1,3 nach VV RVG Nr. 2300 und einer Auslagenpauschale nach VV RVG Nr. 7200 auf insgesamt 865 €. Dieser Betrag ist nach Ablauf der mit Aufforderungsschreiben vom 08.04.2020 zum 20.04.2020 gesetzten Zahlungsfrist ab dem 21.04.2020 nach §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 BGB zu verzinsen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.


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