Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Zur Kündigung des in den Mietvertrag nach § 563 BGB eintretenden Angehörigen

Aktenzeichen  432 C 9516/16

Datum:
18.8.2016
Fundstelle:
WuM – 2017, 282
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 242, § 540, § 543, § 546 Abs. 1, § 563 Abs. 4, § 574

 

Leitsatz

1. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 563 Abs. 4 BGB ist nicht gleichzusetzen mit Umständen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Ein wichtiger Grund kann daher bereits bei Zweifeln an der Zahlungsfähigkeit des eintretenden Mieters vorliegen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die unterlassene Mitteilung vom Tod des ursprünglichen Mieters des nach § 563 BGB eintretenden Mieters an den Vermieter über mehr als 10 Monate begründet erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit und zukünftigen Vertragstreue des Eintretenden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Monatsfrist des § 563 Abs. 4 BGB beginnt erst mit konkreter Kenntnis vom Tod des ursprünglichen Mieters. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Aufforderung zur Einzahlung von Genossenschaftsanteilen trotz Streit um die Wirksamkeit der Wohnungskündigung verstößt nicht gegen § 242 BGB. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, die Wohnung Nr. 16017 im Anwesen … 1. Stock rechts, bestehend aus 1 Küche, 3 Zimmern, 1 Vor Platz, 1 Flur, 1 Bad, 1. Dunkelkammer, 1 Balkon und zugehörigem Kellerabteil, zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer 1 vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.300,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Hinsichtlich Ziffer 2 ist das Urteil ebenfalls vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 31.01.2017 gewährt.
5. Der Streitwert wird auf 5.280,24 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zum örtlich und sachlich zuständigen Gericht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der verfahrensgegenständlichen Wohnung gem. § 546 Abs. 1 BGB.
Denn das Nutzungsverhältnis zwischen Klage- und Beklagtenpartei ist bereits durch die außerordentlichen Kündigungen mit gesetzlicher Frist vom 13. und 14.10.2015 gegenüber beiden Beklagten nach § 563 Abs. 4 BGB zum 30.04.2016 wirksam beendet worden.
Ein wichtiger Grund im Sinne dieser Vorschrift liegt vor. Die einschlägige Monatsfrist wurde eingehalten.
1. Der wichtige Grund ist jedenfalls in Anbetracht einer Gesamtwürdigung des Verhaltens der beklagten Partei und der berechtigten konkreten Zweifel der Klägerin an der Zahlungsfähigkeit zum Kündigungszeitpunkt anzunehmen Nach zutreffender Ansicht ist der Begriff des wichtigen Grundes nach § 563 Abs. 4 BGB nicht mit solchen Umständen gleichzusetzen, die sonst zur fristlosen Kündigung nach § 543 BGB berechtigen würden. Vielmehr müssen sich – ähnlich wie bei der Problematik der Untervermietung an einen dem Vermieter missliebigen Untermieter gem. § 540 BGB – die Kündigungsgründe gerade aus der Person des Eintretenden ergeben (vgl. Bub/Treier-Landwehr, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl., II. Rdn. 2618). Hierzu gehören auch Zweifel an der Zahlungsfähigkeit, weil anders als bei der Untervermietung dem Vermieter in dieser Konstellation gerade der Eintretende als Hauptmieter allein haftet (vgl. Bub/Treier-Landwehr, a.a.O.; Blank/Börstinghaus-Blank, Miete, 4. Aufl., § 563 Rdn. 65; Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 11. Aufl., § 563 Rdn. 69).
So verhält es sich hier.
Denn die Klägerin hatte hier hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Zahlungsfähigkeit beider Beklagter gefährdet erschien. Zum einen ergeben sich diese Anhaltspunkte aus den klägerseits eingeholten SCHUFA-Auskünften, die jeweils eine Mehrzahl negativer Einträge aufwiesen. Zum anderen waren die in den Nutzungsvertrag eingetretenen Beklagten zum Kündigungszeitpunkt bereits in zwei vorangegangenen Monaten mit der Zahlung des monatlichen Nutzungsentgelts in Rückstand geraten – so unstreitig im November 2011 und Mai 2015. In letzterem Fall erfolgte der Ausgleich überdies erst mehr als 2 Monate nach dem gesetzlichen und vertraglichen Fälligkeitszeitpunkt (3. Werktag des Monats Mai 2015). Dass zum Kündigungszeitpunkt keine Mietrückstände mehr bestanden, ist unerheblich. Denn eine gefährdet erscheinende Zahlungsfähigkeit reicht grundsätzlich aus. Dies war hier objektiv und aus subjektiver Klägersicht durchaus der Fall.
Hinzu kamen vorliegend aber weitere erhebliche Gesichtspunkte aus denen die Klägerin erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Beklagtenpartei herleiten durfte. Denn es ist nicht zu verkennen, dass die Beklagten hier ohne rechtfertigenden Grund oder nachvollziehbaren Anlass die Klägerin pflichtwidrig über einen erheblichen Zeitraum hinweg nicht über den Tod der vormals Nutzungsberechtigten … informierten. Es kann nicht angehen, dass nach § 563 BGB in den Vertrag eingetretene Personen ihren neuen Vermieter über einen Zeitraum von mehr als 10 Monaten nicht über den Tod der bisherigen Mieterin/Nutzungsberechtigten informieren, sondern dies erst auf Nachfrage der Vermieterseite zögerlich nachholen. Ein derartiges Verhalten ist in nicht hinnehmbarer Weise vertragswidrig und stellt eine (weitere) konkrete Erschütterung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und künftige Vertragstreue der Eingetretenen dar.
Nach alledem ist ein wichtiger Grund i.S.v. § 563 Abs. 4 BGB durchaus anzunehmen. Derartige Mieter muss sich ein Vermieter nicht aufdrängen lassen.
2. Zutreffend geht die Klägerin auch davon aus, dass die Monatsfrist des § 563 Abs. 4 BGB vorliegend zum Zeitpunkt der Kündigungen noch nicht abgelaufen war.
Denn zum Zeitpunkt des Schreibens der Beklagtenseite vom 26.08.2015 bestand noch keine hinreichend sichere Tatsachengrundlage, mithin noch keine positive Kenntnis der Klägerin von den kündigungsrelevanten Umständen. Zwar enthielt das Schreiben der Beklagten zu 1) eine Mitteilung vom Tode der früheren Mieterin und eine Benennung der Namen der derzeit in der Wohnung lebenden Personen. Nähere Angaben oder gar belastbare Nachweise zum Todeszeitpunkt, zur Erbenstellung der eingezogenen Personen und zum konkreten Zeitpunkt des Einzugs der Beklagten waren dem Schreiben aber nicht zu entnehmen.
Ausreichende Informationen folgten vielmehr erst – auf erneute Aufforderung der Klagepartei – mit Schreiben vom 30.09.2015.
Die Monatsfrist war somit bei Ausspruch der Kündigungen vom 13. bzw. 14.10.2015 eingehalten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin gegen ihre Obliegenheiten zur zeitnahen Einholung eigener Informationen verstoßen hätte.
3. Auch das weitere Verhalten der Klägerin gegenüber den Beklagten steht der Wirksamkeit der Kündigung(en) vom 13./14.10.2015 und/oder dem Anspruch auf Räumung und Herausgabe nicht entgegen. Zwar mag auf den ersten Blick widersprüchlich und inkonsequent anmuten, eine Kündigung auszusprechen und dann gleichwohl auf dem Eintritt der Beklagten in die Baugenossenschaft zu bestehen und diesen nach Ausspruch einer Kündigung herbeizuführen.
Die Klägerin brachte hierbei aber weder ausdrücklich noch konkludent zum Ausdruck, dass dann am Nutzungsvertrag (doch noch) festgehalten werden könne und (auch) die Kündigungen vom 13./14.10.2015 „hinfällig“ seien. Denn gegenüber den Beklagten wurde stets nur zum Ausdruck gebracht, dass bei einem Eintritt in die Genossenschaft die Kündigung vom 03.11.2015 als „hinfällig“ erachtet werde. Letztlich ist dieses Verhalten der Klägerin durchaus nachvollziehbar. Denn der Nutzungsvertrag und die Mitgliedschaft in der Genossenschaft stellen unterschiedliche vertragliche Verbindungen dar. Nicht einzusehen ist zudem, warum die Klägerin während der Dauer der Nutzung der Wohnung durch die Beklagten – ob nun auf Basis eines Mietvertrags/Nutzungsvertrags oder eines faktischen Nutzungsverhältnisses – auf die finanziellen Leistungen der Beklagten zugunsten der Genossenschaft hätte verzichten sollen. Das Verhalten der Klägerin kann dieser also auch nach § 242 BGB nicht entgegengehalten werden.
4. Ein Anspruch der Beklagten auf Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574 BGB besteht hier nicht.
Härtegründe i.S. von § 574 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB liegen nicht vor.
Zwar kann nicht verkannt werden, dass die Beklagten in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten – zumal unter Berücksichtigung des Mietmarkts im Großraum München – auf Probleme bei der Suche nach Ersatzwohnraum stoßen werden. Diese allgemeine Befürchtung trägt jedoch nicht die Annahme einer nicht zu rechtfertigenden Härte, zumal die Beklagten keine Bemühungen bei der Suche nach Ersatzwohnraum dargelegt haben und die Beklagten die Unterstützung der Sozialbehörden in Anspruch nehmen können, also nicht auf die Suche nach einer neuen Wohnung auf dem freien Mietmarkt beschränkt sind. Maßgebliche gesundheitliche (Krankheit, Behinderung usw.) oder sonstige gewichtige soziale Aspekte (z.B. berufliche oder schulische Schwierigkeiten) sind nicht ersichtlich. Das Nutzungsverhältnis bestand überdies nur vergleichsweise kurze Zeit.
II.
Die Kostenfolge beruht auf § 91 ZPO.
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 7, Nr. 11, 711 ZPO.
IV.
Den Beklagten ist jedoch nach § 721 Abs. 1 ZPO eine Räumungsfrist zu gewähren.
Dabei ist zugunsten der Beklagten davon auszugehen, dass diesen derzeit keine Mietrückstände anzulasten sind und Maßnahmen zur künftigen Sicherstellung einer pünktlichen Zahlung der Nutzungsentgelte (Einrichtung eines Dauerauftrags) getroffen wurden.
Nicht zu verkennen ist freilich die gerichtsbekannt angespannte Situation auf dem Münchner Mietmarkt, zumal die finanziell in angespannten Verhältnissen lebenden Beklagten bei ihrer Suche nach Ersatzwohnraum auf die Unterstützung durch Sozialbehörden angewiesen sein werden. Auch das fortgeschrittene Alter der Beklagten zu 1) und die Minderjährigkeit des Sohnes der Beklagten zu 2) können aus sozialen Gründen Berücksichtigung finden.


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