Patent- und Markenrecht

1 Ni 16/19 (EP)

Aktenzeichen  1 Ni 16/19 (EP)

Datum:
1.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:011221U1Ni16.19EP.0
Spruchkörper:
1. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

Klägerin,

gegen

Beklagte,

betreffend das europäische Patent 1 577 165
(DE 50 2004 003 830)
hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2021 unter Mitwirkung des Richters Heimen als Vorsitzenden sowie der Richter Dr. Himmelmann, Dipl.- Phys. Univ. Dr.- Ing. Geier, Dipl.- Ing. Körtge und der Richterin Dipl.-Ing. Univ. Peters für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent EP 1 577 165 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1 bis 5 für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland am 15. März 2004 in der Verfahrenssprache Deutsch beim Europäischen Patentamt (EPA) angemeldeten Patents EP 1 577 165, dessen Erteilung am 16. Mai 2007 veröffentlicht wurde und die Bezeichnung „Kraftfahrzeug-Innenverkleidungsteil mit Metallstruktur“ trägt. Das Streitpatent wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 50 2004 003 830.1 geführt und umfasste zunächst einen selbstständigen Anspruch 1 und 17 auf diesen selbstständigen Anspruch zumindest mittelbar rückbezogene Unteransprüche (EP 1 577 165 B1). Gegen die Patenterteilung wurde von drei Einsprechenden Einspruch erhoben. Gegen diesen Einspruch hat sich die Patentinhaberin mit 31 Hilfsanträgen verteidigt. Auf Basis des Hilfsantrages 26 wurde das Patent beschränkt aufrechterhalten. Gegen diese Entscheidung hat eine der Einsprechenden Beschwerde eingelegt. Am Ende des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdekammer des EPA den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 3, der als Hilfsantrag 30 im Verfahren vor der Einspruchsabteilung des EPA genannt worden ist, als patentfähig angesehen. Mit Datum vom 9. August 2017 ist die geänderte Patentschrift EP 1 577 165 B2 (Streitpatentschrift) erschienen, die 16 Ansprüche umfasst, einen Hauptanspruch und 15 auf diesen zumindest mittelbar rückbezogene Unteransprüche 2 bis 16.
2
Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des deutschen Teils des Streitpatents im Umfang der Ansprüche 1 bis 5. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in vollem Umfang.
3
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Deutsch gemäß EP 1 577 165 B2 mit der Gliederung des Senates:
4
V0 Verfahren zum Herstellen eines Kfz-Innenverkleidungsteils,
5
M1 bei welchem Verfahren eine flächige Metallstruktur (9, 12, 15),
6
M1.1 die senkrecht zu ihrer Flächigkeit für Fluide durchlässig ist,
7
V1 mit einer Sperrschicht (8, 13, 17) verbunden wird
8
V2 und mit einer weiteren Schicht (7a, 14, 16, 19) verbunden wird,
9
M2 wobei die Sperrschicht (8, 13, 17) das Durchdringen der weiteren Schicht (7a, 14, 16, 19) durch die Metallstruktur (9, 12, 15) begrenzt,
10
dadurch gekennzeichnet, dass
11
M1.2 nach der Herstellung des Innenverkleidungsteils die Metallstruktur (9, 12, 15) zumindest teilweise durchsichtig
12
M1.3 und eine unter der Metallstruktur (9, 12, 15) angeordnete Schicht (7, 14, 16, 17) durch die Metallstruktur (9, 12, 15) hindurch sichtbar ist.
13
Hieran schließen sich rückbezogen die ebenfalls angegriffenen Patentansprüche 2 bis 5 mit folgendem Wortlaut an:
14
„2. Verfahren nach Anspruch 1, bei dem die Metallstruktur (9, 12, 15) eine Drahtstruktur, insbesondere ein Drahtgewebe, ist.
15
3. Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche, bei dem die Metallstruktur (9, 12, 15) als solche nach Herstellung des Innenverkleidungsteils zumindest teilweise als Dekorationsbestandteil sichtbar ist.
16
4. Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche, bei dem eine Trägerstruktur (14, 16, 18) des Innenverkleidungsteils angespritzt oder angegossen wird.
17
5. Verfahren nach Anspruch 4, bei dem die Sperrschicht (13) das Durchdringen des Trägerstrukturmaterials (14, 16) durch die Metallstruktur (12, 15) begrenzt.“
18
Die Klägerin stützt ihre Klage auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit wegen fehlender Neuheit und den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit.
19
Zur Stützung ihres Vorbringens hat die Klägerin u. a. die folgenden Dokumente genannt:
20
NI5 DE 93 21 214 U1 (bereits im EP-Verfahren genannt als D1),
21
NI7 Wikipedia: Streckmetall, heruntergeladen am 6. August 2018,
22
NI8 DE 41 32 413 A1 (bereits im EP-Verfahren genannt als D2),
23
NI9 DE 199 14 092 C2 (bereits im EP-Verfahren genannt als D8) und
24
NI10 DE 43 01 444 A1.
25
Die Klägerin stellt den Antrag,
26
das europäische Patent 1 577 165 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1 bis 5 für nichtig zu erklären.
27
Die Beklagte stellt den Antrag,
28
die Klage abzuweisen.
29
Die Beklagte tritt der Argumentation der Klägerin in allen wesentlichen Punkten entgegen und vertritt die Auffassung, dass die erteilten Ansprüche neu seien und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen würden.
30
Im europäischen Einspruchsverfahren sind neben den Druckschriften NI5 (= D1), NI8 (= D2) und NI9 (= D8) noch folgende Druckschriften genannt worden:
31
D3 DE 101 26 703 A1,
32
D4 DE 197 13 949 A1,
33
D5 DE 198 01 985 A1,
34
D6 DE 44 41 986 A1,
35
D7 DE 203 06 670 U1,
36
D9 DE 195 46 551 C1,
37
D10 DE 698 04 676 T2,
38
D11 DE 195 22 480 A1,
39
D12 JP H06 278 162 A,
40
D13 JP H10 128 921 A,
41
D14 DE 1 271 972 B,
42
D15 AT 228 994 B,
43
D16 EP 1 219 401 A2,
44
D17 DE 199 48 664 A1,
45
D18 DE 197 32 425 A1,
46
D19 Wikipedia: Netz (Textilie), heruntergeladen am 24. Juni 2013,
47
D20 BOTTENBRUCH, Ludwig, BINSACK, Rudolf: Kunststoff-Handbuch 3/4, 1998, ISBN 3-446-16486-3,
48
D21 DD 111 845 A5,
49
D22 DE 30 22 017 C2 und
50
D23 US 2001 0 040 393 A1 sowie
51
im europäischen Prüfungsverfahren die Druckschriften:
52
PV1 GB 589 260A,
53
PV2 US 41 28 683 A,
54
PV3 JP H06 096680 A und
55
PV4 JP S62 043336 A.
56
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

57
Die Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ i.V.m. Art. 54 und 56 EPÜ wegen fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit geltend gemacht wird, ist zulässig.
58
Sie hat auch Erfolg, denn das Streitpatent, soweit es im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 angegriffen worden ist, erweist sich in der geltenden Fassung als nicht rechtsbeständig.
I.
59
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Kraftfahrzeug-Innenverkleidungsteils (vgl. Abs. [0001] der Streitpatentschrift, im Folgenden mit SPS kurzbezeichnet).
60
Gemäß SPS sei es bekannt, in Kraftfahrzeugen Innenverkleidungsteile mit verschiedenen dekorativen Oberflächen einzusetzen. Bei solchen Innenverkleidungsteilen würden Materialoberflächen eingesetzt, die neben den eher funktionellen Gesichtspunkten der Lichtechtheit, Medienbeständigkeit, Abwaschbarkeit und dgl. auch besonderen ästhetischen Ansprüchen genügen müssen. Besonders weit verbreitet seien Innenverkleidungsteile mit Aluminiumoberflächen und Holzoberflächen oder Holzimitatoberflächen. Ein solches Innenverkleidungsteil werde in der Druckschrift PV1 offenbart. Es sei ferner bekannt, solche Innenverkleidungsteile in einer Mehrzahl von miteinander verbundenen Schichten herzustellen. In der Regel würden auf eine Trägerstruktur aus Metall oder Kunststoff, die im eingebauten Zustand auf der dem Innenraum des Kfz abgewandten Seite angeordnet sei und besonders ausgeformte Strukturelemente zur Befestigung aufweise, weitere Schichten aufgebracht. Insbesondere könnten Holz- oder Aluminiumschichten aufgeklebt sein. Diese könnten von weiteren Schutzschichten, beispielsweise Lackschichten, überzogen sein (vgl. die Abs. [0002] und [0003] der SPS).
61
Dem Streitpatent liege das Problem zugrunde, den Gestaltungsspielraum bei Kfz-Innenverkleidungsteilen zu erhöhen. (vgl. Abs. [0004] der SPS).
62
2. Als maßgeblichen Fachmann definiert der Senat zum Verständnis des Streitgegenstandes und zur nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik einen Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik oder einen Absolventen des Hochschul-Studiengangs Industrie- und Produktdesign, der auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Innenausstattungsteilen für Kraftfahrzeuge seit mehreren Jahren tätig ist. Bedarfsweise wird er einen auf dem Gebiet der Herstellungsverfahren von Verbundbauteilen erfahrenen Fertigungstechnik-Ingenieur zu Rate ziehen.
II.
63
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der geltenden Fassung erweist sich gegenüber der Offenbarung der Druckschrift NI5 als nicht neu.
64
1. Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum). Dazu ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt, wobei der Fachmann auch die Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen hat (BGH GRUR 2007, 859 – Informationsübermittlungsverfahren I). Dies darf allerdings weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Begriffe in den Patentansprüchen sind deshalb so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift und Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln versteht.
65
Der zuständige Fachmann entnimmt der SPS im Sinne des Merkmals V0 ein Verfahren zum Herstellen eines Kfz-Innenverkleidungsteils.
66
Mit Merkmal M1 wird als ein explizit benanntes Teil des Kfz-Innenverkleidungsteils eine flächige Metallstruktur beansprucht, die gemäß Merkmal M1.1 senkrecht zu ihrer Flächigkeit für Fluide durchlässig ist, ohne dabei jedoch eine dafür notwendige Struktur zu konkretisieren. Für den Fachmann kommen als geeignete fluidische Strukturen u.a. Kanäle, Löcher, Durchbrechungen beispielsweise in Form von Schlitzen, Aussparungen oder Öffnungen (vgl. beispielhaft für die erste Ausführungsform Abs. [0033] der SPS: „Maschenöffnungen“) in Frage. Eine derartige Metallstruktur, die komplizierter als ein einfaches flächiges Metallblech sei, soll die ästhetische Wirkung des Innenverkleidungsteils steigern. Beispiele hierfür seien Drahtstrukturen, insbesondere Drahtgewebe, Streckmetallstrukturen oder auch andere perforierte Metallstrukturen (vgl. Patentanspruch 2 und Abs. [0007] der SPS). Die Produktmerkmale M1 und M1.1 finden insoweit ihren Niederschlag in der beanspruchten Kategorie Verfahren, als dass als ein Verfahrensschritt eine Bereitstellung einer solchen Metallstruktur angesehen werden kann bzw. weitergehende, nicht genannte, dem Fachmann aber präsente Verfahrensschritte zum Einbringen geeigneter fluidischer Kanäle (wie z.B. das Schlitzen eines Bleches mit anschließendem Strecken des Blechs senkrecht zu den Schnitten zur Herstellung eines Streckmetalls) darunter verstanden werden müssen.
67
Als ein explizit genannter Verfahrensschritt V1 wird eine Verbindung der Metallstruktur mit einer Sperrschicht gefordert, wobei diese ausweislich Abs. [0009] der SPS verhindern soll, dass während der Herstellung Material einer weiteren mit der Metallstruktur zu verbindenden Schicht (Merkmal V2), das zumindest in bestimmten Phasen der Herstellung fließfähig ist, unkontrolliert durch die Metallstruktur hindurchtritt, im Sinne des Merkmals M2, das der Sperrschicht die Aufgabe zuweist, das Durchdringen der weiteren Schicht durch die Metallstruktur zu begrenzen. In der Kategorie Verfahren – mit Blick auf die unterschiedlichen Ausführungsvarianten – werden insoweit implizit Verfahrensschritte gefordert, die unterschiedliche Anordnungen der drei vorgenannten Schichten – Metallstruktur, Sperrschicht, weitere Schicht – zueinander nach sich ziehen. Gemäß der ersten Ausführungsform, die mit den Fig. 1 bis 3 der SPS näher beschrieben ist, werden diese Schichten so zueinander bereitgestellt und miteinander verbunden, dass sich die Sperrschicht zwischen der Metallstruktur und der weiteren Schicht befindet, mit der Folge, dass die Metallstruktur gar nicht in Kontakt mit der weiteren Schicht kommt, gleichsam vollständig von der weiteren Schicht undurchdrungen bleibt. Das mit den Fig. 4 bis 9 der SPS beschriebene Verfahren lehrt eine von der als Trägerstruktur ausgeführten weiteren Schicht teilweise durchdrungene Metallstruktur und Fig. 10 der SPS eine von der dort als Transparentschicht ausgeführten weiteren Schicht vollständig durchdrungene Metallstruktur. Für den Fachmann wird aus den unterschiedlichen Ausführungsformen deutlich, dass als Sperrschicht und als weitere Schicht zur Herstellung eines Kfz-Innenverkleidungsteils sämtliche fachnotorisch bekannten, für Kfz-Anwendungen technisch geeignete, sich nicht notwendigerweise über die gesamte Fläche des Kfz-Innenverkleidungssteil erstreckende (vgl. Abs. [0045] der SPS, hier beispielhaft ausgeführt zur Sperrschicht und zusätzlich auch noch zur Metallstruktur) Schichten, in beliebiger Reihenfolge (auch nur mittelbar) miteinander verbunden, zu verstehen sind. Dies steht im Übrigen im Einklang damit, dass diese Schichten selber und deren Zuordnung untereinander im Anspruch 1 auch nicht weitergehend konkretisiert sind.
68
Das Verfahrensmerkmal V2 fordert zwar nur eine weitere (auch mittelbare) Verbindung der Metallstruktur mit einer weiteren Schicht, jedoch darf dies im Lichte der Gesamtoffenbarung des Streitpatents nicht abschließend verstanden werden. Denn das herzustellende Erzeugnis kann durchaus auch zusätzliche weitere Schichten umfassen, wie beispielsweise eine zusätzliche transparente Schicht (vgl. Patentanspruch 14 der SPS), wodurch weitere Verfahrensschritte notwendig werden. Auch das mögliche Ablösen der Sperrschicht und Anbringen einer weiteren Schicht (vgl. Patentanspruch 13 der SPS) bedingen weitere Verfahrensschritte.
69
Darüberhinausgehende weitere Verfahrensschritte sind indes explizit nicht beansprucht. Jedoch wird mit dem Erzeugnismerkmal M1.2 das Erzeugnis noch weitergehend dahingehend konkretisiert, dass die Metallstruktur teilweise durchsichtig ist nach der Herstellung des Kfz-Innenverkleidungsteils, insoweit hierfür nur partielle Bereiche, also Teilbereiche, vorgesehen sein müssen. Damit muss die bereitzustellende Metallstruktur Löcher, Durchbrechungen, Aussparungen oder Öffnungen o.ä. in dem mithilfe des beanspruchten Verfahrens fertig hergestellten Kfz-Innenverkleidungsteil aufweisen, die zwingend i.W. durchgängig senkrecht zur Flächigkeit der Metallstruktur ausgerichtet sein müssen. Das beanspruchte Verfahren mitumfasst dabei insoweit die explizit genannten Verfahrensschritte (Merkmale V1 und V2), die aus den weiteren vorstehend genannten Erzeugnismerkmalen (Merkmale M1, M1.1 und M2) abgeleiteten Verfahrensschritte oder/und weitere nicht genannte, dem Können des Fachmanns zugeschriebenen weiteren notwendigen Verfahrensschritte. Merkmal M1.1 alleine fordert eine solche Sichtachse durch die Öffnungen nicht zwangsläufig, da sich Flüssigkeiten auch durch blickdichte labyrinthähnliche Spalten zwängen können, insoweit müssen diese Öffnungen gemäß den Implikationen der Merkmale M1.1 und M1.2 auch nicht zwingend identisch sein. Welche Verfahrensschritte zum Vorsehen der (zusätzlichen) Öffnungen notwendig sind, die einen Blick auf eine darunterliegende beliebige Schicht ermöglicht, wie mit Merkmal M1.3 gefordert, überlässt die SPS ebenfalls dem zuständigen Fachmann. Bei dieser sichtbaren Schicht kann es sich beispielsweise um eine bisher nicht genannte zusätzliche weitere Schicht, wie eine zusätzliche Holzschicht oder Metallschicht handeln (vgl. Abs. [0010] der SPS), der Anspruch indes schreibt dies nicht vor.
70
2. Die Druckschrift NI5 offenbart ein dort als Verzierungselement bezeichnetes Kfz-Innenverkleidungsteil (vgl. S. 1, Abs. 1 i.V.m. S. 7, Abs. 3) und insoweit auch ein Verfahren, das seine Herstellung ermöglicht (Merkmal V0). Für die Herstellung des Verzierungselements wird eine Fasermateriallage 20 verwendet (vgl. S. 14, Abs. 3), deren Fasern beispielsweise aus Metall bestehen können (vgl. S. 11, Abs. 3). Das Verzierungselement weist eine Transparentschicht 12 auf, die bei Auftragen auf die flächige Metallstruktur derart flüssig ist, dass es die Metallstruktur in einer Ausgestaltung vollständig durchdringen und die strukturierte Oberfläche der Metallstruktur vollständig ausfüllen kann (vgl. S. 15, Abs. 2 i.V.m. Fig. 1) oder in einer anderen Ausgestaltung nur teilweise durchdringen kann (vgl. S. 16, Abs. 4 i.V.m. Fig. 3), womit der zuständige Fachmann der Transparentschicht die Funktion einer Sperrschicht zuschreibt, die das Durchdringen möglicher weiterer Schichten begrenzt. Mithin sind die für die Kategorie des beanspruchten Verfahrensanspruchs 1 relevanten Forderungen der Produktmerkmale M1, M1.1 und M2 nach Bereitstellungen einer Sperrschicht und einer flächigen, für Fluide senkrecht zu ihrer Flächigkeit durchlässigen Metallstruktur 20 bzw. eines zusätzlichen, dem Fachmann geläufigen Verfahrens zur Herstellung einer solchen, erfüllt. Gleiches gilt für das Verfahrensmerkmal V1, wonach die beiden Schichten, die Metallstruktur 20 und die Sperrschicht 12, miteinander verbunden werden.
71
Abb. 1: Fig. 1 und 3 der Druckschrift NI5
72
Der Fachmann identifiziert bei den beiden Ausführungsbeispielen als eine weitere Schicht, Merkmal V2 folgend, eine mit der Metallstruktur verbundene Klebeschicht 26 (vgl. ergänzend die vorstehend eingeblendete Abb. 1)
73
Aufgrund der Breite der Formulierung des Anspruchs 1 – insbesondere hinsichtlich der in die Gestaltungsfreiheit des Fachmanns gelegten Schichten –, der wie vorstehend unter Ziffer II.1 zumindest die drei unterschiedlichen Ausführungsformen mitinkludiert, sind nach Überzeugung des Senates die vorstehend genannten gattungsbildenden Merkmale aus der Druckschrift NI5 auch bekannt, wenn der Transparentschicht die Funktion der weiteren Schicht und der Klebeschicht die Funktion der Sperrschicht zugewiesen werden. Denn dem sich mit der Fig. 3 (vgl. vorstehend eingeblendete Abb. 1 untere Ausführungsform) auseinandersetzenden Abs. 4 auf Seite 16, lässt sich keine Reihenfolge des Verbindens der beiden Schichten an die Metallstruktur entnehmen. Insoweit liegt es im Belieben des Fachmanns in welcher Reihenfolge er dies vorsieht – vor dem Hintergrund, dass eine Sperrschicht zuerst mit der Metallschicht verbunden werden muss, um als eine solche eine weitere Schicht sperren zu können – um im Sinne vorstehender Auslegung zu einer von der weiteren Schicht teildurchdrungenen Metallstruktur zu gelangen.
74
Mit den kennzeichnenden Produktmerkmalen M1.2 und M1.3 ist definiert, dass nach der Herstellung des Innenverkleidungsteils die Metallstruktur zumindest teilweise durchsichtig und (dadurch) eine unter der Metallstruktur angeordnete Schicht durch die Metallstruktur hindurch sichtbar sein soll.
75
Die Klägerin erläutert hierzu, dass es zwei Argumentationsstränge gebe.
76
Der erste Strang repräsentiert i.W. die im europäischen Verfahren verfolgte Auffassung, dass die Öffnungen in der Metallstruktur, die den Blick auf eine beliebige darunterliegende Schicht ermöglichen, den fluidischen Kanälen gemäß Merkmal M1.1 entsprächen, wie sie beispielsweise in einem Streckmetall oder in einem grobmaschigen Drahtgewebe vorliegen könnten. Eine solche enge Auslegung greift nach Überzeugung des Senates zu kurz, denn der Anspruch selber lehrt keinen solchen direkten Bezug (vgl. vorstehende Auslegung). Ganz im Gegenteil, es wird vielmehr durch die Konkretisierung in Merkmal M1.2, dass die Metallstruktur auch nur teilweise durchsichtig sein muss, also nur partiell Bereiche aufweisen muss, die einen Blick durch die Metallstruktur hindurch ermöglichen, eine Unterscheidung zwischen den fluidischen, im Sinne der verwendeten Metallstrukturen über die gesamte Fläche i.W. gleichmäßig verteilten Kanälen und den den Blick durch die Metallstruktur ermöglichenden Teilbereichen explizit herausgestellt. Insoweit erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die im europäischen Verfahren vorgetragenen Argumente und den daraus resultierenden Ergebnissen.
77
Mit dem zweiten Argumentationsstrang wird hinsichtlich des kennzeichnenden Merkmals M1.2 auf eine auf S. 6, Abs. 3 bis S. 7, Abs. 1 beschriebene diskontinuierliche Fasermateriallage mit mehreren einander benachbarten, getrennten Zonen verwiesen:
78
„… Individuelle Elemente einer diskontinuierlichen Fasermateriallage, die in einer einzigen Ebene angeordnet sind, sind vorzugsweise auf einem Träger – z.B. einem Polyester-Film – angeordnet, und die Transparentschicht wird sowohl auf das Fasermaterial als auch auf die freien Bereiche des Trägers aufgetragen. Die Elemente der Fasermateriallage können jede beliebige Form, insbesondere die Form von Schriftzeichen, Zahlen, Symbolen oder Piktogrammen aufweisen. …“
79
Eine solche Ausgestaltung des Kfz-Innenverkleidungsteils beschreibt demnach eine weitere, nicht bildlich im Dokument NI5 vorliegende Ausführungsform, mit einer in bestimmten Teilbereichen gegenüber denjenigen der Fig. 1 und 3 geänderten Struktur.
80
Die individuellen Elemente der diskontinuierlichen Fasermateriallage, die in einer einzigen Ebene auf einem beispielsweise aus einem Polyesterfilm bestehenden Träger angeordnet sein können, können jede beliebige Form annehmen (insbesondere Schriftzeichen, Zahlen, Symbole oder Piktogramme). Die Transparentschicht wird entsprechend den Implikationen der kategoriefremden Merkmale M1.2 und M1.3 sowohl auf das Fasermaterial als auch durch die die Schriftzeichen o.ä. kennzeichnenden Öffnungen in der Metallstruktur hindurch auf die dadurch in einer Sichtachse zum Betrachter hin freien Bereiche des Trägers aufgetragen, mit dem Erfolg, das der mit der Metallstruktur 20 verbundene Polyesterfilm, der Träger, als eine unter der Metallstruktur durch die mit der Transparentschicht durchsetzten Öffnungen in besagter Metallstruktur – und nicht nur in Randbereichen, wie die Beklagte die Ausführungen zur vorstehend dargelegten Ausführungsform verstanden haben möchte – angeordnete Schicht sichtbar ist. Dieser Polyesterfilm kann insoweit als eine zusätzliche weitere sichtbare Schicht verstanden werden.
81
Mithin ist die Gesamtheit der im geltenden Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmale entsprechend deren beizumessenden Sinngehalt bei dem in der Druckschrift NI5 beschriebenen Verfahren verwirklicht.
82
Auf weitere Unterargumentationsstränge im Rahmen des zum Erfolg der Klägerin führenden zweiten Argumentationsstrangs (wie z.B. eine Auslegung dahingehend, dass der Polyesterfilm auch als Sperrschicht für die als weitere Schicht ausgebildete Transparentschicht angesehen werden könnte) kam es insoweit nicht mehr an. Auch nicht auf Ausführungen der Beklagten in der Verhandlung zu den Unteransprüchen 2 bis 5, die sie lediglich zu Verdeutlichung ihres engeren Verständnisses des beanspruchten Gegenstandes nach Anspruch 1 herangezogen hatte. Eine hilfsweise Verteidigung auf Basis der dortigen Merkmale hat sie nicht geltend gemacht, eine solche war auch implizit nicht erkennbar. Sie wären nach Überzeugung des Senates auch nicht zielführend gewesen. Denn die die Metallstruktur weiter konkretisierenden Merkmale der Ansprüche 2 und 3 sind ebenfalls durch die Druckschrift NI5 vorbekannt (vgl. insbesondere S. 11, Abs. 3 und S. 12, Abs. 1) und infolgedessen fehlt auch solchen Gegenständen die Neuheit. Die Gegenstände der Ansprüche 4 und 5 sind für den Fachmann naheliegend, da derartig angespritzte Trägerstrukturen dem einschlägigen Fachmann als weitere mögliche Befestigungseinrichtungen bekannt sind, wobei die Autoren der Druckschrift NI5 im Übrigen im Vergleich zu den bevorzugten Klebeverbindungen auch ganz allgemein auf weitere Befestigungsmöglichkeiten verwiesen haben (vgl. S. 12, Abs. 1, letzter Satz). Als Beleg für dieses Fachwissen sei lediglich beispielhaft auf die Druckschrift NI8 und dort insbesondere auf die Sp. 1, Z. 14-23 und 51-58 verwiesen.
83
Nach alledem ist die Klage begründet.
III.
84
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
85
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.


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