Patent- und Markenrecht

12 W (pat) 17/20

Aktenzeichen  12 W (pat) 17/20

Datum:
11.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:110521B12Wpat17.20.0
Spruchkörper:
12. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 11 2015 004 475.2

hat der 12. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Univ. Rothe, der Richterin Bayer, der Richterin Dipl.-Ing. Univ. Schenk und des Richters Dr.-Ing. Herbst
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die vorliegende Patentanmeldung 11 2015 004 475 geht aus der internationalen PCT-Anmeldung PCT/JP2015/004962 (Veröffentlichung WO 2016/051786 A1) hervor, die am 30. September 2015 unter Inanspruchnahme der Priorität JP 2014-200966 vom 30. September 2014 eingereicht wurde.
2
Am 30. März 2017 reichte die Anmelderin beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) ihren Antrag und die Unterlagen für die Einleitung der nationalen Phase der PCT-Anmeldung für die Erteilung eines Patents mit der Bezeichnung „Platteneinheit“ ein.
3
Mit in der Anhörung vom 3. Februar 2020 verkündetem Beschluss hat die Prüfungsstelle für Klasse F16L des DPMA die Anmeldung zurückgewiesen. Die Prüfungsstelle begründete den Beschluss gemäß § 48 PatG damit, dass der Gegenstand nach Patentanspruch 1 nicht neu (§ 3 PatG) sei gegenüber der Druckschrift WO 2003/054 456 A1.
4
Gegen diesen am 10. Februar 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 9. März 2020, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 10. März 2020.
5
Die Beschwerdeführerin stellt den Antrag,
6
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F16L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 3. Februar 2020 aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
7
Patentansprüche 1 bis 13, eingegangen am 10. März 2020,
8
Beschreibung Seiten 1 bis 32, eingegangen am 10. März 2020
9
und Zeichnungen Fig. 1A bis Fig. 8 C (8 Blätter), eingegangen am 10. März 2020.
10
Der mit einer vom Senat hinzugefügten Merkmalsgliederung, ansonsten wörtlich wiedergegebene, geltende Patentanspruch 1 lautet:
11
M01 Platteneinheit, umfassend:
12
M02 eine erste Platte;
13
M03 eine zweite Platte, die auf die erste Platte gerichtet ist, wobei zwischen der ersten Platte und der zweiten Platte ein Raum bereitgestellt ist;
14
M04 ein Trennelement, das sich zwischen der ersten Platte und der zweiten Platte befindet und den Raum von einem umgebenden Raum trennt; und
15
M05 einen Umschaltmechanismus, der sich in dem Raum befindet, so dass eine Veränderung der Wärmeleitfähigkeit zwischen der ersten Platte und der zweiten Platte ermöglicht wird,
16
M06 wobei der Umschaltmechanismus mindestens ein Verbindungselement umfasst, das wärmeleitfähig ist, und
17
M07 der Umschaltmechanismus zwischen einem ersten Zustand, in dem das mindestens eine Verbindungselement nicht mit der ersten Platte oder der zweiten Platte in Kontakt ist, und einem zweiten Zustand, in dem das mindestens eine Verbindungselement sowohl mit der ersten Platte als auch mit der zweiten Platte in einem wärmeleitfähigen Kontakt ist, umschaltbar ist,
18
dadurch gekennzeichnet, dass
19
M08 der Raum ein Wärmeisolationsraum ist, der einen verminderten Druck aufweist, und
20
M09 eine mittlere freie Weglänge λ von Gas in dem Raum und ein Abstand D zwischen der ersten Platte und der zweiten Platte eine Beziehung aufweisen, die als λ/D > 0,3 dargestellt ist.
21
An diesen Patentanspruch 1 schließen sich die auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 13 an.
22
Im Verfahren vor dem Deutsches Patent- und Markenamt wurde unter anderem folgende Druckschrift berücksichtigt:
23
D1 WO 2003/054 456 A1
24
Im Beschwerdeverfahren wurde im Zusatz zur Ladung vom 15. März 2021 auf folgendes Dokument hingewiesen:
25
D7 DEMTRÖDER, W. Experimentalphysik Bd. 1 Mechanik und Wärme. 3. Auflage. Berlin : Springer, 2003. S. 251 – 252. – ISBN 3-540-43559-x
26
Wegen des Wortlauts der weiteren Patentansprüche und wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
27
Die Beschwerde des Anmelders ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
28
1. Die Anmeldung betrifft gemäß Absatz [0001] der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung der Anmeldung (DE 11 2015 004 475 T5, im Folgenden: T5-Schrift) Platteneinheiten und insbesondere eine Platteneinheit, die eine erste Platte und eine zweite Platte mit einem dazwischen bereitgestellten Raum umfasst, wobei die Wärmeleitfähigkeit zwischen der ersten Platte und der zweiten Platte umschaltbar ist.
29
a) In den Absätzen [0002] und [0004] der T5-Schrift wird ausgeführt, dass aus der Druckschrift JP 2008-32071 A ein wärmeisolierendes Element mit einer einstellbaren Wärmeleitfähigkeit bekannt sei. Die Wärmeleitfähigkeit des wärmeisolierenden Elements werde durch Verändern des Innendrucks eines Wärmeisolierbehälters eingestellt. Das in der JP 2008-32071 A beschriebene wärmeisolierende Element sei so ausgebildet, dass die Wärmeleitfähigkeit durch Verändern des Innendrucks verändert werde und daher die Veränderung der Wärmeleitfähigkeit etwa das 10-fache betrage.
30
In den Absätzen [0003] und [0005] der T5-Schrift wird die Druckschrift JP 2010-25511 A zitiert. Diese beschreibe ein Plattenelement, das eine variable Wärmeleitfähigkeit aufweise. Das Plattenelement umfasse zwei wärmeleitfähige Elemente, die jeweils eine Plattenform und einen Mechanismus zum Einstellen der Menge eines Gases aufwiesen und die in einem in einem Gehäuse eingeschlossenen Raum angeordnet seien, und die Menge des Gases werde so eingestellt, dass die Dicke des Gehäuses verändert werde. In dem Fall des Plattenelements seien in einem Zustand, in dem das Gehäuse eine geringe Dicke aufweise, die zwei wärmeleitfähigen Elemente miteinander in Kontakt, wodurch ein Wärmeübertragungsweg gebildet werde. In einem Zustand, in dem das Gehäuse eine große Dicke aufweise, werde ein Raum zwischen den zwei wärmeleitfähigen Elementen bereitgestellt, wodurch der Wärmeübertragungsweg unterbrochen werde.
31
b) Davon ausgehend liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine Platteneinheit bereitzustellen, die deren Wärmeleitfähigkeit ohne Veränderung von deren Außenform signifikant verändern kann; siehe Absatz [0006] der T5-Schrift.
32
c) Der mit der Lösung dieser Aufgabe befasste Fachmann ist ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Abschluss als Dipl.-Ing. oder Master an einer Fachhochschule oder Hochschule für angewandte Wissenschaften, mit besonderen Kenntnissen und mehrjähriger Berufserfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von Wärmeisolationssystemen.
33
2. Die oben genannte, der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe soll durch eine Platteneinheit mit den Merkmalen gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 gelöst werden.
34
Die nachfolgend wiedergegebene Figurengruppe 1 der T5-Schrift zeigt eine erfindungsgemäße Platteneinheit:
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35
Hinsichtlich des Verständnisses der Lehre aus Patentanspruch 1 sind folgende Erläuterungen notwendig:
36
a) Patentanspruch 1 enthält keine expliziten Angaben zu Zweck und Verwendung der Platteneinheit.
37
Nach Absatz [0178] der T5-Schrift besteht der Zweck der Platteneinheit darin, deren Wärmeleitfähigkeit signifikant zu verändern.
38
In den Absätzen [0162] bis [0175] der T5-Schrift werden drei Anwendungsbeispiele der Platteneinheit beschrieben:
39
Das erste Anwendungsbeispiel nach der nachfolgend wiedergegebenen Figur 8A und der zugehörigen Beschreibung in den Absätzen [0163] bis [0166] zeigt die Verwendung als Baumaterial eines Gebäudes 7. Dabei wird eine Wärmespeicherplatte 72 durch Bestrahlen mit Sonnenlicht durch eine wärmeisolierte Glasplatte 73 erwärmt. Zu einem Zeitpunkt, bei dem die Temperatur eines Innenraums 70 erhöht werden soll, wird eine Platte 6, die eine Platteneinheit gemäß Patentanspruch 1 darstellt, von einem Wärmeisolationsmodus zu einem Wärmeableitungsmodus umgeschaltet, so dass die Wärmeenergie von Sonnenlicht direkt zum einstellbaren Erwärmen des Innenraums 70 verwendet werden kann.
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40
Die beiden weiteren in der T5-Schrift genannten Anwendungsbeispiele betreffen eine Isolierung eines Kalzinierofen, um diesen bei Bedarf schneller abzukühlen, oder die Isolierung eines Motors, um während dessen Betriebs die Wärme abzuführen und während dessen Stopps diesen zu isolieren.
41
b) Nach Merkmal M04 soll ein Trennelement, das sich zwischen der ersten und der zweiten Platte befindet, einen Raum zwischen den beiden Platten von einem umgebenden Raum trennen. Merkmal M08 fordert, dass dieser Raum ein Wärmeisolationsraum ist, und einen verminderten Druck aufweist. Nach Merkmal M09 muss zwischen der ersten und der zweiten Platte ein Abstand D liegen. Aus fachmännischer Sicht muss das Trennelement somit den Raum hermetisch abdichten, wärmeisolierend sein, und den Abstand D überbrücken.
42
Eine konkrete Ausgestaltung des Trennelements ist in Patentanspruch 1 nicht genannt. Jedoch wird in den Absätzen [0044] bis [0046] in Verbindung mit der Figurengruppe 1 der T5-Schrift ein Ausführungsbeispiel eines Trennelements beschrieben: Danach ist das Trennelement 3 eine rahmenförmige Trennwand, die den Raum S1, der sich zwischen der ersten Platte 1 und der zweiten Platte 2 befindet, von dem umgebenden Raum hermetisch einschließt. In diesem Beispiel ist das Trennelement 3 aus einem Haftmittel mit Gasbarriereeigenschaften und Wärmeisolationseigenschaften in einer Rahmenform hergestellt.
43
c) Die Bemessungsregel nach Merkmal M09 legt fest, dass eine mittlere freie Weglänge λ von Gas in dem Raum und der Abstand D zwischen der ersten und der zweiten Platte in der Beziehung λ/D > 0,3 stehen müssen.
44
Der Begriff „mittlere freie Weglänge“ ist in der Anmeldung nicht bestimmt, so dass der Fachmann die allgemeine physikalische Definition zugrunde legt. Danach ist die mittlere freie Weglänge die durchschnittliche Weglänge, die ein Teilchen (z. B. ein Molekül) in einem gegebenen Material ohne Wechselwirkung, also ohne Stoßvorgang mit anderen Teilchen zurücklegt, so z. B. die D7 (S. 252). Die mittlere freie Weglänge ist von der Art des Gases und dem Druck abhängig. Bei geringerem Druck, z. B. bei Unterdruck, liegen weniger Teilchen pro Raum vor, so dass die mittlere freie Weglänge zunimmt.
45
Anspruch 1 enthält keine Vorgaben dazu, welches Gas sich in dem Wärmeisolationsraum befinden soll. Nach Absatz [0047] der T5-Schrift ist dies Luft, wenn der Druck in dem Wärmeisolationsraum auf einen vorgegebenen Wert oder darunter vermindert ist.
46
3. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist nicht patentfähig, denn er ist nicht neu.
47
a) Aus der Veröffentlichung WO 03/054456 A1 (D1), der die nachfolgend wiedergegebene Figurengruppe 1 entnommen ist,
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48
ist eine „Schaltbare Wärmedämmung“ bekannt, die – in der Terminologie des geltenden Patentanspruchs 1 – folgendes aufweist:
49
M01 Platteneinheit (S. 16 Z. 2 – 3: „zwei […] plattenartige Grenzelemente (1, 3)“, Fig. 1), umfassend:
50
M02 eine erste Platte (S. 7 Z. 22 – 23: „oberes plattenartiges Grenzelement (1)“, Fig. 1);
51
M03 eine zweite Platte (S. 8 Z. 2: „unteres plattenartiges Grenzelement (3)“, Fig. 1), die auf die erste Platte („oberes plattenartiges Grenzelement (1)“) gerichtet ist, wobei zwischen der ersten Platte („oberes plattenartiges Grenzelement (1)“) und der zweiten Platte („unteres plattenartiges Grenzelement (3)“) ein Raum bereitgestellt ist (Anspr. 1, S. 16 Z. 2 – 3: „zwei, ein geschlossenes Volumen konstituierende plattenartige Grenzelemente (1, 3)“, Fig. 1);
52
M04 ein Trennelement (S. 8 Z. 5 – 6: „gasdichter Randverbund“, in Fig. 1 nicht dargestellt), das sich zwischen der ersten Platte („oberes plattenartiges Grenzelement (1)“) und der zweiten Platte („unteres plattenartiges Grenzelement (3)“) befindet und den Raum („geschlossenes Volumen“) von einem umgebenden Raum (S. 7 Z. 22 – S. 8 Z. 6: „oberes plattenartiges Grenzelement (1) […] und […] unteres plattenartiges Grenzelement (3) […] sind an ihrem gesamten Umfang mittels eines – aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht gezeigten – gasdichten Randverbundes gasdicht miteinander verbunden“, i. V. m. Fig. 1) trennt; und
53
M05 einen Umschaltmechanismus (Anspr. 1, S. 16 Z. 4: „folienartiges, gut thermisch leitendes Schaltelement (5)“, Fig. 1), der sich in dem Raum („geschlossenes Volumen“) befindet (Anspr. 1, S. 16 Z. 3 – 4: „plattenartige Grenzelemente (1, 3), zwischen denen […] folienartiges, gut thermisch leitendes Schaltelement (5) vorhanden ist“, Fig. 1), so dass eine Veränderung der Wärmeleitfähigkeit zwischen der ersten Platte („oberes plattenartiges Grenzelement (1)“) und der zweiten Platte („unteres plattenartiges Grenzelement (3)“) ermöglicht wird (S. 1 Z. 1 – 2: „bezüglich seiner Wärmeleitfähigkeit schaltbares Isolations-Paneel“),
54
M06 wobei der Umschaltmechanismus (Schaltelement (5)) mindestens ein Verbindungselement (S. 9 Z. 20: „metallische Folie 5“, Fig. 1) umfasst, das wärmeleitfähig ist (S. 9 Z. 20 – 22: „metallische Folie 5 […] ist aus Gründen einer hohen Wärmeleitfähigkeit entweder Kupfer oder Aluminium“, Fig. 1), und
55
M07 der Umschaltmechanismus (Schaltelement (5)) zwischen
56
einem ersten Zustand (S. 10 Z. 9: „Zustand niedriger Wärmeleitung“, Fig. 1a), in dem das mindestens eine Verbindungselement („metallische Folie 5“) nicht mit der ersten Platte („oberes plattenartiges Grenzelement (1)“) oder der zweiten Platte („unteres plattenartiges Grenzelement (3)“) in Kontakt ist (S. 4 Z. 5 – 7: „Im Zustand keiner Berührung zwischen dem folienartigen Schaltelement und dem zweiten Grundelement herrscht dann im wesentlichen die durch die Wärmeleitung des Gases bzw. des vakuumähnlichen Unterdruckes gegebene geringe Wärmeleitung“, i. V. m. Fig. 1a),
57
und
58
einem zweiten Zustand (S. 10 Z. 18: „Zustand hoher Wärmeleitfähigkeit“, Fig. 1b), in dem das mindestens eine Verbindungselement („metallische Folie 5“) sowohl mit der ersten Platte („oberes plattenartiges Grenzelement (1)“) als auch mit der zweiten Platte („unteres plattenartiges Grenzelement (3)“) in einem wärmeleitfähigen Kontakt ist (S. 4 Z. 8 – 9: „Im Zustand der grossflächigen Berührung dieser beiden Element dominiert hingegen die hohe Wärmeleitung durch das folienartige Element“, i. V. m. Fig. 1b),
59
umschaltbar ist (S. 4 Z. 1 – 4: „leicht in zwei Endlagen bringbares Schaltelement in permanentem Kontakt mit einem der beiden Grundelemente steht und das andere Grundelement je nach eingenommener Endlage entweder möglichst grossflächig berührt oder überhaupt nicht berührt“, i. V. m. Fig. 1),
60
[wobei]
61
M08 der Raum („geschlossenes Volumen“) ein Wärmeisolationsraum ist, der einen verminderten Druck aufweist (S. 8 Z. 10 – 15: „Im Innern des […] geschlossenen Volumens kann […] ein Unterdruck in der Grössenordnung von beispielsweise ungefähr 0,0001 mbar bis 1 mbar herrschen, was zu einem wesentlich verbesserten Isolationsverhalten führt“, Fig. 1), und
62
M09 eine mittlere freie Weglänge λ von Gas in dem Raum („geschlossenes Volumen“) und ein Abstand D zwischen der ersten Platte und der zweiten Platte (S. 8 Z. 16 – 17: „Der Abstand der beiden Grenzplatten liegt [im] Falle eines evakuierten Innenraumes im Bereich von 0.5 mm bis 5 mm“, Fig. 1) eine Beziehung aufweisen, die als λ/D > 0,3 dargestellt ist.
63
b) Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, Patentanspruch 1 sei neu, da die D1 nicht die Bemessungsregel nach Merkmal M09 offenbare. Sie verweist dabei auf den Beschluss des BGH vom 19. Mai 1981 – X ZB 19/80 – Etikettiermaschine, wonach eine Bemessungsregel zumindest dann neu sei, wenn der Bereich, den sie umschreibe, einen Ausschnitt aus einem einer Vorveröffentlichung zu entnehmenden undifferenzierten Gesamtbereich ohne konkrete Parameter darstelle. Im vorliegenden Fall differenziere die Druckschrift D1 den darin vorgeschlagenen Gesamtbereich nicht – insbesondere nicht (einmal ansatzweise) nach dem erfindungsgemäßen Parameter λ/D – weder explizit noch implizit.
64
Dem kann seitens des Senats nicht gefolgt werden.
65
Auf Seite 8 (Zeilen 10 bis 15) der D1 ist angegeben, dass „im Innern des so gebildeten geschlossenen Volumens […] ein Unterdruck in der Grössenordnung von beispielsweise ungefähr 0,0001 mbar bis 1 mbar herrschen [kann], was zu einem wesentlich verbesserten Isolationsverhalten führt“.
66
In dem Lehrbuch „Experimentalphysik“ (D7) ist auf Seite 252 (oben und Tabelle 9.1) angegeben, dass bei einem als „Feinvakuum“ bezeichneten Druckbereich zwischen 1 hPa und 10-3 hPa (entspricht 1 mbar bis 0,001 mbar) die mittlere freie Weglänge von Luft 0,06 bis 60 mm, und bei einem Druckbereich zwischen 10-3 hPa und 10-6 hPa (entsprechend 0,001 mbar und 10-6 mbar) die mittlere freie Weglänge von Luft 60 mm bis 60 m beträgt. Durch Interpolation der Werte aus Tabelle 9.1 ergibt sich, dass bei einem Druck von 0,0001 mbar (10-4 hPa) die mittlere freie Weglänge von Luft den Wert von 0,6 m annehmen muss.
67
Das Lehrbuch D7 beschreibt im hier vorliegenden Zusammenhang lediglich physikalische Gesetzmäßigkeiten zwischen Druck und freier Weglänge und gibt den zugehörigen Wertebereich der freien Weglänge für den in der Veröffentlichung D1 (Seite 8 Zeile 13 bis 15) genannten Druckbereich an. Dieser Wertebereich der freien Weglänge ist dem Fachmann beim Nacharbeiten einer schaltbaren Wärmedämmung nach D1 auch ohne Hinzuziehung der D7 als inhärentes Merkmal unmittelbar und zwangsläufig offenbart, da gleiche Maßnahmen zu gleichen Wirkungen führen müssen (BGH, Beschl. v. 17.01.1980 – X ZB 4/79, GRUR 1980, 283 (LS 2) – Terephtalsäure; BGH, Urt. v. 24.07.2012 – X ZR 126/09 Tz. 29 – Leflunomid).
68
Aus diesen – in der D7 beschriebenen – physikalischen Gesetzmäßigkeiten ergibt sich, dass bei dem größten in der D1 angegeben Druck von 1 mbar die mittlere freie Weglänge λ von Luft den unteren Wert von λmin = 0,06 mm annimmt, und bei dem kleinsten in der D1 genannten Druck von 0,0001 mbar die mittlere freie Weglänge λ von Luft den oberen Wert von λmax = 600 mm annimmt. In D1 Seite 8 (Zeile 16 bis 18) ist angegeben, dass „der Abstand der beiden Grenzplatten [im] Falle eines evakuierten Innenraumes im Bereich von 0.5 mm bis 5 mm“ liegt. Damit offenbart die D1 ein kleinstes Verhältnis von λmin/Dmax = 0,06 mm / 5 mm = 0,012 und ein größtes Verhältnis von λmax/Dmin = 600 mm / 0,5 mm = 1.200.
69
Damit ist aus der D1 – im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin – für den Parameter λ/D ein differenzierter Gesamtbereich mit konkret parametrierten Randwerten offenbart.
70
Gemäß Leitsatz 2 der von der Beschwerdeführerin genannten Entscheidung „Etikettiermaschine“ (aaO) ist eine Bemessungsregel dann neu, wenn der Bereich, den sie umschreibt, einen Ausschnitt aus einem einer Vorveröffentlichung zu entnehmenden und differenzierten Gesamtbereich ohne konkrete Parameter darstellt. Ob die Neuheit auch dann gegeben ist, wenn – wie im hier vorliegenden Fall – die Vorveröffentlichung einen durch konkrete Parameter abgegrenzten Bereich offenbart, während die neue Anmeldung einen Teilbereich auswählt, hat der BGH in der Entscheidung Etikettiermaschine ausdrücklich offengelassen (aaO II.3.b).
71
Der Rechtsprechung des BGH zum Offenbarungsgehalt numerisch definierter Bereichsangaben folgend stellt die Nennung einer numerischen Bereichsangabe – nichts anderes kann vorliegend für die Bereichsangabe der Verhältnisse λ/D gelten – eine vereinfachte Schreibweise der zahlreichen möglichen, zwischen dem unteren und dem oberen Grenzwert liegenden Zwischenwerte dar (BGH, Beschl. v. 20.03.1990 – X ZB 10/88, GRUR 1990, 510, III.3.d – Crackkatalysator I). Das hat im Regelfall zur Folge, dass sämtliche Zwischenwerte als offenbart anzusehen sind. Denn die umfassende numerische Bereichsangabe des bekannten Dokuments enthält grundsätzlich auch eine gleichermaßen umfassende Offenbarung aller denkbaren Unterbereiche (BGH, Urt. v. 07.12.1999 – X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, LS 1 – Inkrustierungsinhibitoren). Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen nur unter besonderen, vom Anmelder näher darzulegenden und gegebenenfalls zu beweisenden Umständen in Betracht, was im vorliegenden Fall nicht erkennbar ist.
72
Denn die hier vorliegende Erfindung vermittelt dem Fachmann mangels anderweitiger Angaben die Lehre, dass mit allen nach der Bemessungsregel gemäß Merkmal M09 zu erzielenden Werte das erstrebte Ergebnis zu erreichen sei. Da die Bemessungsregel nach Merkmal M09 alle Verhältnisse von λ/D größer dem Wert 0,3 zulässt, nimmt der in der D1 (inhärent) offenbarte Wertebereich von λ/D = 0,012 bis λ/D = 1.200 mögliche Zwischenwerte zwischen dem unteren und dem nach oben offenen Grenzwert nach Merkmal M09 vorweg. Die Beschwerdeführerin möchte Patentschutz auf einen Gesamtbereich erlangen, von dem ein vorbekannter Gegenstand bereits zumindest teilweise Gebrauch gemacht hat. Da dies der Fall ist, ist die Bemessungsregel im Merkmal M09 nicht neu.
73
Damit ist der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 im Stand der Technik durch die „Schaltbare Wärmedämmung“ nach D1 vorweggenommen.
74
4. Mit dem nicht patentfähigen Patentanspruch 1 sind auch die jeweils auf diesen Anspruch rückbezogenen Unteransprüche nicht schutzfähig, da auf diese Ansprüche kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet war und über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 – X ZB 6/05, GRUR 2007, 862, Abschnitt III. 3. a) aa), Tz. 18 – Informationsübermittlungsverfahren II).


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