Patent- und Markenrecht

18 W (pat) 13/20

Aktenzeichen  18 W (pat) 13/20

Datum:
21.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:210921B18Wpat13.20.0
Spruchkörper:
18. Senat

Tenor

In der Einspruchsbeschwerdesache


die mündliche Verhandlung vom 21. September 2021 durch die Vorsitzende Richterin Dipl.-Ing. Wickborn sowie den Richtern Kruppa und Dipl.-Phys. Dr. Schwengelbeck sowie die Richterin Dipl.-Phys. Zimmerer beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Patentanmeldung 11 2008 003 730.2 wurde am 19. Mai 2008 unter dem PCT-Aktenzeichen PCT/CN2008/000965 bei der WIPO unter Inanspruchnahme der CN-Priorität vom 27. Februar 2008 angemeldet. Die Erteilung des Patents 11 2008 003 730 (im Folgenden Streitpatent genannt) mit der Bezeichnung
2
“Verfahren zur direkten Herstellung von individuellen Lingualbrackets durch Selectives Laserschmelzen“
3
wurde am 5. Februar 2015 veröffentlicht.
4
Gegen das Streitpatent hat die Firma M… GmbH Einspruch erhoben.
5
Die Einsprechende machte als Widerrufsgründe fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit der Antragsgegenstände gemäß Hauptantrag als auch gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 geltend und nannte hierzu die folgenden Druckschriften:
6
D1 WO 03/068099 A2
7
D2 US 6 846 179 B2
8
D3 D. Wiechmann: „Ein neues Bracketsystem für die Lingualtechnik“, Journal of Orofacial Orthopedics/Fortschritte der Kieferorthopädie, Vol. 63, S. 234-245 (2002) (DOI 10.1007/s00056-002-0211-5)
9
D4 WO 2007/085656 A1
10
D5 WO 2007/084768 A1
11
D6 M. Eisen, Selective Laser Melting – Bauteile aus Materialien nach Kundenwunsch, RTejournal – Forum für Rapid Technologie, Vol. 4 (2007), (urn:nbn:de:0009-2-11153)
12
D7 Ausdruck von „http://web.archive.org/web/20061110213317 /http://en.wikipedia.org/wiki/Selective_laser_sintering“, zuletzt aktualisiert 15.10.2006
13
D8 DE 10 2004 009 126 A1
14
D9 DE 10 2004 009 127 A1
15
D10 DE 10 2008 002 797 A1
16
D11 US 2002/018458 A1
17
D12 D. Freitag, T. Wohlers, T. Philippi: „Rapid Prototyping: State of the Art“, Manufacturing Technology Information Analysis Center, Report Date: October 23, 2003 (SPO700-97-D-4005)
18
Die Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in der Anhörung vom 30. Mai 2017 den Einspruch für zulässig erklärt, den Antrag der Einsprechenden auf Zurückweisung der Druckschriften D8 bis D12 wegen verspäteten Vorbringens nicht entsprochen, und das Patent widerrufen, da die jeweiligen Gegenstände des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 4 für den Fachmann nicht auf erfinderischer Tätigkeit in Kenntnis von Druckschrift D1 i.V.m. D11 beruhen, wobei zum Hauptantrag alternativ zu Druckschrift D1 auf Druckschrift D2 verwiesen wurde, und zum Gegenstand der Hilfsanträge zum Beleg des Fachwissens auf die Druckschriften D3 und D6.
19
Gegen den Beschluss der Patentabteilung richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin vom 3. August 2017.
20
Nach Auffassung der Patentinhaberin sind die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge ursprünglich als zur Erfindung gehörig offenbart und patentfähig.
21
Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin beantragt,
22
den Beschluss der Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 30. Mai 2017 aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
23
– Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Patentschrift (Hauptantrag),
24
hilfsweise gemäß Hilfsantrag 1
25
Patentansprüche 1 bis 8, eingegangen am 16. Mai 2017,
26
hilfsweise gemäß Hilfsantrag 2
27
Patentansprüche 1 bis 4, eingegangen am 30. Mai 2017,
28
hilfsweise gemäß Hilfsantrag 3
29
Patentansprüche 1 bis 3, eingegangen am 30. Mai 2017,
30
hilfsweise gemäß Hilfsantrag 4
31
Patentansprüche 1 und 2, eingegangen am 30. Mai 2017,
32
– Beschreibung und Figuren gemäß Patentschrift.
33
Die Einsprechende beantragt,
34
die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.
35
Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag lautet:
36
1. Direktherstellungsverfahren von individuellen Lingualbrackets durch selektives Laserschmelzen,
37
mit den Schritten:
38
(a) Erfassen von Zahndaten des Zahnprofils;
39
(b) Erstellen eines 3D-CAD-Modells der Zähne eines Patienten auf der Grundlage der Zahndaten mit Hilfe von Reverse Engineering und Speichern des Modells auf einem Computer;
40
(c) Entwerfen eines 3D-CAD-Modells für eine einzelne Lingualbrack[e]t-Struktur, die eine Basisplatte, die sich in Kontakt mit einer Zahnoberfläche befindet, und Slots für eine aus orthodontischer Sicht und unter Berücksichtigung von Material und Zahnprofil ideale Positionierung umfasst;
41
(d) Importieren des 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modells in die SLM-Maschine und direktes Herstellen des Brackets in einem Schichtprozess;
42
(e) Bearbeiten der Bracketoberfläche auf der Grundlage klinischer Anforderungen.
43
Der Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 lautet (mit eingefügter Merkmalsgliederung, Unterschiede zu dem erteilten Patentanspruch 1 unterstrichen):
44
1. Direktherstellungsverfahren von individuellen Lingualbrackets durch selektives Laserschmelzen,
45
mit den Schritten:
46
(a) Erfassen von Zahndaten des Zahnprofils;
47
(b) Erstellen eines 3D-CAD-Modells der Zähne eines Patienten auf der Grundlage der Zahndaten mit Hilfe von Reverse Engineering und Speichern des Modells auf einem Computer;
48
(c) Entwerfen eines 3D-CAD-Modells für eine einzelne Lingualbrack[e]t-Struktur, die eine Basisplatte, die sich in Kontakt mit einer Zahnoberfläche befindet, und Schlösser für eine aus orthodontischer Sicht und unter Berücksichtigung von Material und Zahnprofil ideale Positionierung umfasst;
49
(d) Importieren des 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modells in die SLM-Maschine und direktes Herstellen des Brackets in einem Schichtprozess,
50
(d)H1
wobei das Schichtherstellungsverfahren unter Verwendung einer Slicing Software durchgeführt wird, um das 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modell in Schichten zu zerlegen und mit jeder Schicht ein horizontales Schnittmodell zu erhalten, wobei die SLM-Maschine dann auf der Grundlage dieses Schnittmodells direkt metallische Brackets herstellen kann, wobei gewährleistet ist, dass die Form jeder Schicht mit den 3D-CAD-Strukturdaten identisch ist;
51
(e) Bearbeiten der Bracketoberfläche auf der Grundlage klinischer Anforderungen.
52
Der Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 2 lautet (mit eingefügter Merkmalsgliederung, Unterschiede zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterstrichen):
53
1. Direktherstellungsverfahren von individuellen Lingualbrackets durch selektives Laserschmelzen,
54
mit den Schritten:
55
(a) Erfassen von Zahndaten des Zahnprofils;
56
(b) Erstellen eines 3D-CAD-Modells der Zähne eines Patienten auf der Grundlage der Zahndaten mit Hilfe von Reverse Engineering und Speichern des Modells auf einem Computer;
57
(c) Entwerfen eines 3D-CAD-Modells für eine einzelne Lingualbrack[e]t-Struktur, die eine Basisplatte, die sich in Kontakt mit einer Zahnoberfläche befindet, und Slots für eine aus orthodontischer Sicht und unter Berücksichtigung von Material und Zahnprofil ideale Positionierung umfasst;
58
(d) Importieren des 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modells in die SLM-Maschine und direktes Herstellen des Brackets in einem Schichtprozess,
59
(d)H1 wobei das Schichtherstellungsverfahren unter Verwendung einer Slicing Software durchgeführt wird, um das 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modell in Schichten zu zerlegen und mit jeder Schicht ein horizontales Schnittmodell zu erhalten, wobei die SLM-Maschine dann auf der Grundlage dieses Schnittmodells direkt metallische Brackets herstellen kann, wobei gewährleistet ist, dass die Form jeder Schicht mit den 3D-CAD-Strukturdaten identisch ist,
60
(d1)H2
wobei die Dicke der Schichten 20-50 µm beträgt und die Herstellungsgenauigkeit auf der Grundlage eines Fehler-Kompensationsverfahrens 5-10 µm beträgt,
61
(d2)H2
wobei die Dicke der Bracketbasisplatte geringer als 0,4 mm ist,
62
(d3)H2
wobei die Herstellungsmaterialien Pulver aus Zahngold, einer Ti-Legierung, einer Co-Cr-Legierung und rostfreiem Stahl mit einer Partikelgröße von 10 µm umfassen, und
63
(d4)H2
wobei je nach Belastung unterschiedliche Pulverzusammensetzungen für die Schichten während des selektiven Laserschmelzens erforderlich sind;
64
(e) Bearbeiten der Bracketoberfläche auf der Grundlage klinischer Anforderungen.
65
Der Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 3 lautet (mit eingefügter Merkmalsgliederung, Unterschiede zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterstrichen):
66
1. Direktherstellungsverfahren von individuellen Lingualbrackets durch selektives Laserschmelzen,
67
mit den Schritten:
68
(a)H3 Erfassen von Zahndaten des Zahnprofils, wobei die Erfassung der Zahndaten mit Hilfe eines CT-Scanners erfolgt, wobei die Abtastgenauigkeit weniger als 0,02 mm beträgt;
69
(b) Erstellen eines 3D-CAD-Modells der Zähne eines Patienten auf der Grundlage der Zahndaten mit Hilfe von Reverse Engineering und Speichern des Modells auf einem Computer;
70
(c) Entwerfen eines 3D-CAD-Modells für eine einzelne Lingualbrack[e]t-Struktur, die eine Basisplatte, die sich in Kontakt mit einer Zahnoberfläche befindet, und Slots für eine aus orthodontischer Sicht und unter Berücksichtigung von Material und Zahnprofil ideale Positionierung umfasst;
71
(d) Importieren des 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modells in die SLM-Maschine und direktes Herstellen des Brackets in einem Schichtprozess,
72
(d)H1 wobei das Schichtherstellungsverfahren unter Verwendung einer Slicing Software durchgeführt wird, um das 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modell in Schichten zu zerlegen und mit jeder Schicht ein horizontales Schnittmodell zu erhalten, wobei die SLM-Maschine dann auf der Grundlage dieses Schnittmodells direkt metallische Brackets herstellen kann, wobei gewährleistet ist, dass die Form jeder Schicht mit den 3D-CAD-Strukturdaten identisch ist,
73
(d1)H2 wobei die Dicke der Schichten 20-50 µm beträgt und die Herstellungsgenauigkeit auf der Grundlage eines Fehler-Kompensationsverfahrens 5-10 µm beträgt,
74
(d2)H2 wobei die Dicke der Bracketbasisplatte geringer als 0,4 mm ist,
75
(d3)H2wobei die Herstellungsmaterialien Pulver aus Zahngold, einer Ti-Legierung, einer Co-Cr-Legierung und rostfreiem Stahl mit einer Partikelgröße von 10 µm umfassen, und
76
(d4)H2 wobei je nach Belastung unterschiedliche Pulverzusammensetzungen für die Schichten während des selektiven Laserschmelzens erforderlich sind;
77
(e) Bearbeiten der Bracketoberfläche auf der Grundlage klinischer Anforderungen.
78
Der Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 4 lautet (mit eingefügter Merkmalsgliederung, Unterschiede zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterstrichen):
79
1. Direktherstellungsverfahren von individuellen Lingualbrackets durch selektives Laserschmelzen,
80
mit den Schritten:
81
(a)H3 Erfassen von Zahndaten des Zahnprofils, wobei die Erfassung der Zahndaten mit Hilfe eines CT-Scanners erfolgt, wobei die Abtastgenauigkeit weniger als 0,02 mm beträgt;
82
(b) Erstellen eines 3D-CAD-Modells der Zähne eines Patienten auf der Grundlage der Zahndaten mit Hilfe von Reverse Engineering und Speichern des Modells auf einem Computer;
83
(c) Entwerfen eines 3D-CAD-Modells für eine einzelne Lingualbrack[e]t-Struktur, die eine Basisplatte, die sich in Kontakt mit einer Zahnoberfläche befindet, und Slots für eine aus orthodontischer Sicht und unter Berücksichtigung von Material und Zahnprofil ideale Positionierung umfasst;
84
(d) Importieren des 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modells in die SLM-Maschine und direktes Herstellen des Brackets in einem Schichtprozess,
85
(d)H1 wobei das Schichtherstellungsverfahren unter Verwendung einer Slicing Software durchgeführt wird, um das 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modell in Schichten zu zerlegen und mit jeder Schicht ein horizontales Schnittmodell zu erhalten, wobei die SLM-Maschine dann auf der Grundlage dieses Schnittmodells direkt metallische Brackets herstellen kann, wobei gewährleistet ist, dass die Form jeder Schicht mit den 3D-CAD-Strukturdaten identisch ist,
86
(d1)H2 wobei die Dicke der Schichten 20-50 µm beträgt und die Herstellungsgenauigkeit auf der Grundlage eines Fehler-Kompensationsverfahrens 5-10 µm beträgt,
87
(d2)H2 wobei die Dicke der Bracketbasisplatte geringer als 0,4 mm ist,
88
(d3)H2wobei die Herstellungsmaterialien Pulver aus Zahngold, einer Ti-Legierung, einer Co-Cr-Legierung und rostfreiem Stahl mit einer Partikelgröße von 10 µm umfassen, und
89
(d4)H2 wobei je nach Belastung unterschiedliche Pulverzusammensetzungen für die Schichten während des selektiven Laserschmelzens erforderlich sind,
90
(d5)H4
und wobei ein Faserlaser für das selektive Laserschmelzen verwendet wird, mit einer kontinuierlichen Ausgangsleistung von 100-200 W und einem Laserstrahl-Gütefaktor von M
>1,1 und einem Brennpunktdurchmesser von weniger als 25 µm;
91
(e) Bearbeiten der Bracketoberfläche auf der Grundlage klinischer Anforderungen.
92
Bezüglich der Unteransprüche und den weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen und auf die Akte verwiesen.
II.
93
Die Beschwerde ist zulässig (PatG § 73). Sie hat jedoch keinen Erfolg, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hauptantrags (erteilte Fassung) und in der Fassung der Hilfsanträge jeweils nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (§§ 1 und 4 PatG).
94
1. Die Beschwerde ist rechtzeitig eingegangen und auch sonst zulässig.
95
Der vorangegangene Einspruch war ebenfalls (unbestritten) zulässig.
96
2. Die Erfindung betrifft nach der Patentschrift allgemein die Herstellung von Brackets zum Beseitigen von Fehlstellungen der Zähne, insbesondere ein Verfahren zur direkten Herstellung von individuellen Lingualbrackets mit Hilfe von Selektivem Laserschmelzen (siehe Patentschrift Abs. [0001]).
97
Bei lingualer Orthodontie werden die Brackets auf die innere statt auf die labiale Zahnoberfläche geklebt, so dass weder das Aussehen des Patienten beeinträchtigt, noch das Schließen der Lippen behindert werde. Darüber hinaus würden die durch Dekalzifizierung verursachten weißen Flecke auf dem Zahnschmelz der labialen Zahnoberfläche vermieden, da kein Ätzmittel verwendet würde. Ferner könne der Arzt während der Behandlung die Zahnposition und -form leichter von der lingualen Seite beobachten.
98
Nach der Beschreibungseinleitung sind die zur lingualen Orthodontie verwendeten Brackets Serienprodukte, die standardisiert hergestellt würden. Diese Brackets könnten nur schlecht an einen jeweiligen Zahn angepasst werden. Aufgrund der komplizierten Form der lingualen Zahnoberfläche seien auch kleinere Brackets besser zum Ankleben geeignet. Bei einer stärkeren Krümmung der Zahnoberfläche sei mehr Haftmittel erforderlich, was zu einer Ablösung des Bracket von der Zahnoberfläche führe. Im Vergleich zur labialen Orthodontie habe die linguale ein variableres Profil und erfordere passendere Brackets. Der Hauptnachteil der lingualen Orthodontie seien Irritationen der Zunge (siehe Patentschrift Abs. [0002]-[0003]).
99
Zur Herstellung von Lingualbrackets sei bisher das Rapid Prototyping experimentell verwendet worden. Dieses Verfahren bestehe allgemein darin, zuerst durch ein 3D-Printing- oder 3D-Druckverfahren ein Wachsmodell des Brackets zu erzeugen und dann ein Wachsausschmelzverfahren (engl. „investment casting”) durchzuführen. Der Komplexität der durch dieses Verfahren hergestellten Brackets seien keine Grenzen gesetzt, jedoch sei der Prozess aufgrund der vielen Schritte und langen Zeitspannen kompliziert (siehe Patentschrift Abs. [0005]).
100
Das selektive Laserschmelzen sei eine relativ neue, jedoch sich rasch entwickelnde Rapid Prototyping Technik, die auf dem Gebiet der Medizin verwendet werde. Mit seiner Hilfe könnten Lingualbrackets, die üblicherweise aus metallischen Materialien wie etwa Zahngoldlegierungen oder Titanlegierungen bestehen, direkt hergestellt werden (siehe Patentschrift Abs. [0005]).
101
Das existierende Herstellungsverfahren von Lingualbrackets sei standardisiert, so dass die individuellen Bedürfnisse oder Erfordernisse der Patienten kaum zufriedengestellt bzw. erfüllt werden könnten, wodurch unerwünschte Effekte bei der Behandlung verursacht würden und große Belastungen für die Patienten entstünden (siehe Patentschrift Abs. [0006]).
102
3. In der Beschreibung ist keine Aufgabe angegeben. Sie besteht ausgehend vom Stand der Technik darin, die genannten Nachteile des Standes der Technik zu beheben, d.h. sinngemäß ein verbessertes Herstellungsverfahren bereitzustellen, welches die Herstellung von maßgefertigten Lingualbrackets mit individuellen Merkmalen und mit hoher Fertigungsgenauigkeit ermöglichen soll (vgl. Patentschrift, Abs. [0006] u. [0007]).
103
4. Vor diesem Hintergrund schlägt das Streitpatent zur Lösung der bei den bisherigen, oben beschriebenen Herstellungstechniken von Lingualbrackets auftretenden Probleme ein Direktherstellungsverfahren von individuellen Lingualbrackets durch selektives Laserschmelzen mit den Merkmalen (a) bis (e) des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag vor.
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
104
Die nebenstehend wiedergegebene Zeichnung stammt aus der Streitpatentschrift (Fig.1) und zeigt ein technisches Flussdiagramm des Direktherstellungsverfahrens der Lingualbracket durch selektives Laserschmelzen.
105
Die Aufgabe soll auch durch den Gegenstand des jeweiligen Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 bis 4 gelöst werden.
106
5. Da der Schwerpunkt der Patentschrift in der Herstellung von Lingualbrackets besteht, ist als zuständiger Fachmann ein Team aus einem Diplom-Ingenieur oder Master der Werkstoffkunde und einen Zahntechniker bzw. Ingenieur oder Bachelor der Fachrichtung Medizintechnik mit Kenntnissen im Bereich der Dentaltechnik berufen.
107
6. Einige Merkmale des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 bedürften der Auslegung.
108
6.1 Ausgehend von dem Fachwissen versteht der Fachmann die Angaben im Patentanspruch 1 nach Hauptantrag wie folgt:
109
Patentanspruch 1 beinhaltet ein Direktherstellungsverfahren von individuellen Lingualbrackets durch selektives Laserschmelzen.
110
Im Schritt (a) werden Zahndaten des Zahnprofils erfasst. Nach dem Ausführungsbeispiel wird für diesen Schritt eine CT-Schichtrasterung (CT layer scanning) direkt auf die Zähne des Patienten oder eine Nicht-Kontakt-3D-Rasterung der Zähne des Patienten auf das zuvor modellierte Zahnmodell angewendet (vgl. Patentschrift Abs. [0024]).
111
Es können somit für Schritt (a) direkte oder indirekte Scan-Verfahren verwendet werden, jedoch ist Schritt (a) nicht auf diese genannten Scanverfahren eingeschränkt. Am Ende des Schritts (a) müssen jedenfalls Zahndaten des Zahnprofils vorhanden sein.
112
Auf der Grundlage der Zahndaten nach Schritt (a) wird in Schritt (b) mit Hilfe von Reverse Engineering das 3D-CAD-Modell der Zähne des Patienten erstellt und (beispielsweise als .stl-Datei) auf einem Computer gespeichert (vgl. Patentschrift Abs. [0024]: „(2) Auf der Grundlage der gegebenen Zahndaten wird durch Reverse Engineering das 3D-CAD-Modell hergestellt und als .stl-Datei auf dem Computer gespeichert.“)
113
Unter Reverse Engineering versteht der Fachmann die Volumenmodellierung, d.h. die Umwandlung der 3D Scan-Daten in ein Volumenmodell (CAD Format).
114
Das Ergebnis des Schritts (b) ist somit ein CAD-Volumenmodell der Zähne des Patienten.
115
In Schritt (c) wird ein 3D-CAD-Modell für eine einzelne Lingualbracket-Struktur entworfen. Diese Lingualbracket-Struktur umfasst eine Basisplatte, die sich in Kontakt mit einer Zahnoberfläche befindet, und Slots für eine aus orthodontischer Sicht und unter Berücksichtigung von Material und Zahnprofil ideale Positionierung. Fig.4 der Patentschrift zeigt ein derart entworfenes Bracket.
116
In Schritt (c) ist nach dem Anspruchswortlaut nicht ausgeschlossen, dass auf Bibliotheken oder (Teil-)Modelle zurückgegriffen wird. Lediglich die Struktur aus Basisplatte und Slots ist vorgegeben.
117
In Schritt (d) wird das 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modell in die Maschine für selektives Laserschmelzen (englisch Selective Laser Melting, Abk. SLM) importiert und das Bracket in einem Schichtprozess direkt hergestellt.
118
Beim selektiven Laserschmelzen wird der zu verarbeitende Werkstoff in Pulverform in einer dünnen Schicht auf einer Grundplatte aufgebracht. Der pulverförmige Werkstoff wird mittels Laserstrahlung lokal vollständig umgeschmolzen und bildet nach der Erstarrung eine feste Materialschicht. Anschließend wird erneut Pulver aufgetragen und dieser Zyklus solange wiederholt, bis alle Schichten umgeschmolzen sind.
119
In Schritt (e) wird die Bracketoberfläche auf der Grundlage klinischer Anforderungen bearbeitet. Einzelheiten hierzu sind der Patentschrift nicht zu entnehmen.
120
6.2 Ausgehend von dem Fachwissen versteht der Fachmann die geänderten Angaben im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 wie folgt:
121
Im Merkmal c wurde Slots in Schlösser geändert. Unter den Schlössern sind die Slots zu verstehen, die zur Befestigung der Verbindungsdrähte dienen, die Brackets untereinander verbinden. Die Verwendung des Begriffs „Schlösser“ ist damit als offensichtlicher Übersetzungsfehler anzusehen, der Fachbegriff lautet korrekt „Slots“.
122
Da die Herstellung der Brackets in einer SLM-Maschine in Schichten erfolgt, wird das 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modell mittels Slicing-Software in Schichten zerlegt, wodurch mit jeder Schicht ein horizontales Schnittmodell erhalten wird, und in spezifische Anweisungen für die Herstellung mittels SLM-Maschine umgesetzt. Die SLM-Maschine kann dann auf der Grundlage des Schnittmodells direkt metallische Brackets herstellen, wobei zu gewährleisten ist, dass die Form jeder Schicht mit den 3D-CAD-Strukturdaten identisch ist (vgl. Merkmal (d)H1).
123
6.3 Ausgehend von dem Fachwissen versteht der Fachmann die Angaben zum Gütefaktor im ergänzten Merkmal des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 wie folgt:
124
Im Merkmal (d5)H4 wird u.a. ein Faserlaser für das selektive Laserschmelzen mit einem Laserstrahl-Gütefaktor von M
>1,1 beansprucht.
125
Unter dem im Merkmal (d5)H4 genannten Laserstrahl-Gütefaktor versteht der Fachmann im Gesamtzusammenhang der Beschreibungsunterlagen die Beugungsmaßzahl, die einen Laserstrahl charakterisiert.
126
Der angegebene Gütefaktor (Beugungsmaßzahl) des Laserstrahls von M2
> 1,1 beruht auf einem offensichtlichen Fehler. Denn der nacharbeitende Fachmann erkennt ohne Weiteres auf Grund seines Fachwissens, dass als Gütefaktur (Beugungsmaßzahl) nur M2
< 1,1 gemeint sein kann (vgl. BGH Beschluss vom 20. November 2001 - X ZB 3/00 -Gegensprechanlage, Abschnitt II.2.b, aa). Dies wird auch gestützt von den Anmeldeunterlagen (S.4 Z. 30-32), der geltenden Beschreibung (vgl. Patentschrift Abs. 0016), wie auch den ursprünglich eingereichten und erteilten Patentanspruch 9, wo von einem Gütefaktor (Beugungsmaßzahl) von M2
< 1,1 ausgegangen wird. Denn nur dies ist auch technisch sinnvoll, denn je größer der Gütefaktor (Beugungsmaßzahl) ist, umso schlechter ist der Strahl zu fokussieren, d.h. desto größer ist der kleinste mögliche Fokusdurchmesser.
127
Es wird daher unterstellt, dass ein Gütefaktor (Beugungsmaßzahl) von M2
< 1,1 gemeint war und dieser Wert im Wege der Auslegung verwendet.
128
7. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen ergibt sich jeweils für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (§ 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 PatG).
129
a) Hauptantrag
130
Als Ausgangspunkt für fachmännische Überlegungen zur Verbesserung des Standes der Technik ist Druckschrift D1 relevant, da sie ein Direktherstellungsverfahren von individuellen Lingualbrackets offenbart (vgl. D1 Patentanspruch 1: „A method of designing and manufacturing a customized orthodontic bracket (14), …“, Patentanspruch 13: „The bracket of claim 12, wherein said bracket (14) comprises a lingual bracket.“, S.1 Z.7-10: „The invention is useful for orthodontics generally. It can be employed with particular advantage in lingual orthodontics, that is, where the orthodontic appliance is attached to the lingual surface of the teeth for aesthetic reasons.“, S.10 Z.14-17: „create a set of individual, customized orthodontic brackets“).
131
Dabei werden mittels 3D Scan die Zahndaten des Zahnprofils erfasst (vgl. D1 S.3 Z.21-24: „This problem can be solved by creating an ideal set-up, either virtually using 3D scan data of the dentition or.…“, S.27 Z.8-13: „First, a digital three-dimensional representation of the patient’s dentition is created or otherwise obtained. One option would be to generate a representation of the malocclusion from a scanning of the malocclusion (either in-vivo or from scanning a model)…“) und ein 3D-CAD-Modell der Zähne auf der Grundlage der Zahndaten mit Hilfe von Reverse Engineering, d.h. die Volumenmodellierung, also die Umwandlung der 3D Scan-Daten in ein Volumenmodell (CAD Format), und Speichern des Modells auf einem Computer erstellt (vgl. D1 S.21 Z.27-30: „In a preferred embodiment, the bracket design is performed in a workstation that stores a three-dimensional virtual model of the patient’s dentition and preferably treatment planning software for moving the teeth in the virtual model to desired finish positions.“, S.27 Z.8-13: „… in which case the digital models of the teeth derived from the digital representation of the dentition would be re-arranged to a desired finishing position with a computer treatment planning program.“) [= Verfahrensschritte (a) und (b)].
132
Die einzelnen Lingualbrackets, d.h. eine einzelne Lingualbracket-Struktur, wird unter Berücksichtigung von Material und Zahnprofil als 3D-CAD-Modell entworfen (vgl. D1 S.21 Z.27-30). Die Basisplatte des Bracketkörpers, die sich in Kontakt mit der Zahnoberfläche befindet, wird dabei direkt aus dem digitalen Modell der Zähne abgeleitet, und der virtuelle Bracketkörper mit den Slots aus einer abgespeicherten Bibliothek entnommen und patientenspezifisch zur Basisplatte virtuell positioniert, so dass eine aus orthodontischer Sicht und unter Berücksichtigung von Material und Zahnprofil ideale Positionierung erreicht wird (vgl. S.22 Z.4-6: „The pad 18 geometry can be derived directly from digital representations of the patient’s teeth so as to produce a bracket bonding pad that conforms substantially exactly to the shape of the surface of the teeth.“, S.28, Z.11-31, Fig. 16-21, S.24, Z.6-11) [= Verfahrensschritt (c)].
133
Das 3D-CAD-Modell der Bracket-Struktur wird in eine Herstellungsmaschine importiert und das Bracket in einem Schichtprozess hergestellt (vgl. D1 S.10 Z.17-19: „A file representing the customized orthodontic brackets is exported from the computer to a manufacturing system for manufacturing the customized orthodontic brackets.“, S.25 Z.12-18: „Once the pad and bracket body have been joined into one 3D object, data representing this object can be exported, for instance in STL format, to allow for direct manufacturing using “rapid prototyping” devices. There are already a wide variety of appropriate rapid prototyping techniques that are well known in the art. They include stereolithography apparatus (“SLA”), laminated object manufacturing, selective laser sintering, fused deposition modeling, solid ground curing, and 3-D ink jet printing. Persons skilled in the art are familiar with these techniques.“). Als Herstellungssystem sind hierbei u.a. Lasersintern (selective laser sintering), aber auch Schmelzverfahren (fused depostion modelling) erwähnt [= Verfahrensschritt (d) mit Lasersintern SLS bzw. Schmelzverfahren statt Laserschmelzen SLM]. Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin ist dabei auch ein einstufiger Herstellungsprozess offenbart, da die stl-Daten direkt in die Rapid-Prototyping-Maschine importiert und das Bracket direkt herstellt werden (vgl. D1 S.25 Z.12-14).
134
Falls die Bracketoberfläche aufgrund des Schichtaufbaus für die klinische Anforderung nicht ausreichend glatt ist, kann sie mechanisch nachbearbeitet werden (vgl. D1 S.25 Z.31 bis S. 26 Z.2: „… One option is to accept steps during the rapid prototyping manufacturing and to mechanically refinish the slots as a last manufacturing step.“) [= Verfahrensschritt (e)]
135
Das SLS-Verfahren führt im Ergebnis zu einer körnigen Struktur, welche zu Irritationen bzw. Reizungen der Zunge führen kann und auch im Hinblick auf Hygiene bzw. bakteriellen Befall problematisch sein kann. Wie vorstehend ausgeführt, wird in Druckschrift D1 jedoch im Hinblick auf Verfahrenschritt (d) bereits auf ein Schmelzverfahren (fused depostion modelling) hingewiesen. Im Bestreben die Technologien nach Druckschrift D1 weiterzuentwickeln und zu verbessern, wird der Fachmann selbstverständlich und ohne erfinderisch tätig zu werden, das aus der Druckschrift D11 bekannte, verfahrensmäßig ähnliche selektive Laserschmelzen (statt Lasersintern) aufgreifen, da er damit Lingualbrackets mit höheren Bauteildichten und geringerer Porosität, also dichte Strukturen mit glatten Oberflächen, erwarten konnte. Diese Vorteile des SLM gegenüber dem SLS lehrt Druckschrift D11.
136
Druckschrift D11 beschreibt die Herstellung von Zahnersatz bzw. dentalen Hilfsteilen mittels Laser-Schmelzen, bei dem aus einem Pulver schichtweise Formkörper aufgebaut werden (vgl. D11 Abstract: „In a method for forming a dental part, a laser beam is guided over a powder layer of biocompatible material. … The powder is substantially melted by the laser beam to form a layer in the shaped body, to build the shaped body entirely from layers of laser-melted material.“).
137
Weiter offenbart Druckschrift D11, dass das Laser-Schmelzen entsprechend Verfahrensschritt (d) gegenüber dem Laser-Sintern zu einer höheren Dichte und einem stabileren Material führt (vgl. D11 Abs. [0010]: „It has been found that, rather than selectively sintering metal powder by superficially melting the uncompressed material, a still considerably higher density of the finished product can be achieved by substantially entirely melting the powdered material, primarily metal. …“, [0011]: „Using this method of “selective melting”, the porosity of the resultant part is significantly less than what is achieved under conventional laser sintering….“).
138
Der Fachmann, der stets bestrebt ist, die Verfahrenseffizienz zu steigern und die Produktqualität zu verbessern, hatte somit Anlass, Druckschrift D1 mit Druckschrift D11 zu kombinieren, und so zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag zu gelangen. Ein erfinderisches Tätigwerden des Fachmanns war hierzu nicht erforderlich.
139
b) Hilfsantrag 1
140
Gemäß Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 erfolgt eine Beschränkung durch Aufnahme des Merkmals des erteilten Unteranspruchs 4 in den Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag:
141
(d)H1 wobei das Schichtherstellungsverfahren unter Verwendung einer Slicing Software durchgeführt wird, um das 3D-CAD-Bracket-Struktur-Modell in Schichten zu zerlegen und mit jeder Schicht ein horizontales Schnittmodell zu erhalten, wobei die SLM-Maschine dann auf der Grundlage dieses Schnittmodells direkt metallische Brackets herstellen kann, wobei gewährleistet ist, dass die Form jeder Schicht mit den 3D-CAD-Strukturdaten identisch ist.
142
Druckschrift D1 sieht bereits die Herstellung in Schichten vor (vgl. S.11 Z.10-11: „different alloy powders are used for different layers“, S.26 Z.20-24), so dass der Fachmann in Druckschrift D1 bereits mitliest, dass das dort verwendete 3D-CAD-Modell (vgl. a.a.O.) in Schichten zerlegt wird, ohne dass dies weiterer Erwähnung bedarf. Der Fachmann liest daher im Unterschied zur Auffassung der Beschwerdeführerin bereits in Druckschrift D1 mit, dass ein Slicing erfolgt und es für den Fachmann auf der Hand liegt, dafür eine Slicing Software zu verwenden.
143
Der Fachmann weiß aufgrund seines Fachwissens, dass im SLM-Herstellungsverfahren – analog zu SLS (vgl. Druckschrift D1 a.a.O.) oder 3D-Druck – die Fertigung in Schichten erfolgt und daher das 3D-CAD-Modell mittels einer Slicing-Software in Schichten zerlegt werden muss, um ein horizontales Schnittmodell zu erhalten (vgl. rein exemplarisch Druckschrift D8 Abs. [0001], [0003], [0010] und [0037]). Der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Verwendung einer Slicing Software ausschließlich aus dem Prototyping bekannt sei, und das Merkmal daher nicht ableitbar sei, wird nicht gefolgt.
144
Die zusätzlichen Schritte nach Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 ergeben sich somit selbstverständlich aus dem Fachwissen.
145
Für die mit Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag übereinstimmenden Merkmale wird auf die Ausführungen in Abschnitt II.7.a verwiesen, die für Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ebenfalls gelten.
146
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 beruht für den Fachmann daher in Kenntnis von D1 iVm. Druckschrift D11 nicht auf erfinderischer Tätigkeit, wobei das Fachwissen des Fachmanns mit Druckschrift D8 belegt wurde.
147
c) Hilfsantrag 2
148
Gemäß Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 2 erfolgt gegenüber Hilfsantrag 1 eine weitere Beschränkung im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag durch Aufnahme der Merkmale der erteilten Unteransprüche 5 bis 8:
149
(d1)H2 wobei die Dicke der Schichten 20-50 µm beträgt und die Herstellungsgenauigkeit auf der Grundlage eines Fehler-Kompensationsverfahrens 5-10 µm beträgt,
150
(d2)H2 wobei die Dicke der Bracketbasisplatte geringer als 0,4 mm ist,
151
(d3)H2 wobei die Herstellungsmaterialien Pulver aus Zahngold, einer Ti-Legierung, einer Co-Cr-Legierung und rostfreiem Stahl mit einer Partikelgröße von 10 µm umfassen, und
152
(d4)H2 wobei je nach Belastung unterschiedliche Pulverzusammensetzungen für die Schichten während des selektiven Laserschmelzens erforderlich sind.
153
Der in Merkmal (d1) genannte Bereich der Schichtdicken ist beispielsweise aus Druckschrift D6 ableitbar (vgl. D6 Abs. „2.Selective Laser Melting“) Druckschrift D6 beschreibt das Selective Laser Melting für die Herstellung von Werkzeugen, Formen, Einzelteilen und medizinischen Implantaten aus unterschiedlichen metallischen Werkstoffen (vgl. D6 Abs. „Einleitung“: Dieses Verfahren ermöglicht die Herstellung von Werkzeugen, Formen, Einzelteilen und medizinischen Implantaten aus unterschiedlichen metallischen Werkstoffen und wird seit 2005 im SLM Tech Center Paderborn kontinuierlich weiterentwickelt.“). Dabei wird zunächst ein dünne Schicht Metallpulver definiert programmierbar im Bereich zwischen 30 – 100 µm aufgetragen (vgl. D6 Abs. „2. Selective Laser Melting“), so dass der beanspruchte Teilbereich von 30-50 µm davon umfasst ist. Die gewünschte Herstellungsgenauigkeit für Dentalprothesen ergibt sich aus den klinischen Anforderungen und den Wunsch, eine geringe Nachbearbeitung durchzuführen. Der Fachmann wird im Rahmen fachmännischen Handelns das Verfahren von Druckschrift D6, dass im Unterschied zur Auffassung der Beschwerdeführerin allgemein die Herstellung von Werkzeugen, Formen, Einzelteilen und medizinischen Implantaten anspricht (vgl. D6 a.a.O.), und daher allgemein anwendbar ist, und das unter Absatz 3. beispielsweise die Herstellung von individuellen Hüftimplantaten nennt, auf die noch filigraneren Teile eines Lingualbrackets anpassen, und beispielsweise Schichtdicken von weniger als 30 µm, insbesondere auch 20 µm, im Rahmen orientierender Versuche verwenden.
154
Weiter wird auch beispielsweise in Druckschrift D4 darauf verwiesen, dass bei einem System zur Herstellung von Lingualbrackets die Herstellungsgenauigkeit bevorzugt ca. 8 µm beträgt (vgl. D4 S.13 letzter Satz in Abs. 51, S. 17/18, seitenübergreifender Satz, S. 19 Abs. 62 vorletzter Satz), so dass die Verwendung eines Fehlerkompensationsverfahrens für eine Herstellungsgenauigkeit von 5-10 Mikrometern gemäß Merkmal (d1) für den Fachmann naheliegend ist.
155
Die Dicke der Bracketbasisplatte geringer als 0,4 mm [Merkmal (d2)] auszuführen, ergibt sich ebenfalls aus den klinischen und patientenspezifischen Anforderungen, um die Nachteile eines Linugalbrackets zu verringern (vgl. D1 S.6 Abs.2). Eine Dicke der Bracketbasisplatte eines Linugalbrackets zwischen 0,1 und 0,3 mm ist beispielsweise auch in Druckschrift D1 genannt, die damit im beanspruchten Bereich von geringer als 0,4 mmm liegt (vgl. D1 S.16 Z.28-29, S.19 Z.26-29, S.23 Z.9-11, S.28 Z.9-10).
156
Die Verwendung von unterschiedlichen Herstellungsmaterialien in Merkmal (d3) gehören zum Fachwissen des Fachmann bei Zahnersatz, Zahnapplikationen und -Brackets (vgl. D1 S.11 Z.9-11 und S.26 Z.22-24: „different alloy powders are used for different layers“, S.10 Z.27-29). Der Fachmann wird daher die in Druckschrift D1 für SLS erfolgreich eingesetzten Herstellungsmaterialien auch bei der Herstellung mittels SLM in Betracht ziehen (vgl. auch D6 Abs. “2. Selective Laser Melting“: „Momentan werden mittels der SLM Technologie Edelstahl, Werkzeugstahl, Titan und Titanlegierungen, Kobaltbasislegierung, Nickelbasislegierungen und seit neuestem auch Aluminiumlegierungen verarbeitet. Die Werkstoffliste wird stetig erweitert. Auch die Zertifizierung eines Materials nach Kundenwunsch ist denkbar.“, so dass die Verwendung einer Ti-Legierung, rostfreiem Stahl und einer Co-Cr-Legierung sowie Zahngold naheliegt. Aus Druckschrift D11 (vgl. Abs. [0012]: „Furthermore, the invention provides for a powder consisting of a biocompatible material of varying grain size between 0 and 50 μm“, [0016], Ansprüche 11, 12) ergibt sich, dass die Partikelgröße der verwendeten Pulver zur Herstellung der Lingualbrackets 10 μm betragen kann.
157
Je nach Bedarf wird der Fachmann auch Schichten aus unterschiedlichen Materialien verwenden (vgl. D1 S.11 Z.3ff: „Depending on the type of the manufacturing process, it is possible to use different alloys to achieve such a configuration. Using centrifugal casting, first, a controlled amount of a hard alloy can be used to form the section that holds the slot, and afterwards a softer alloy is used to fill up the remainder of the bracket (or other way round).“, S.26 Z.22-24, S.10 Z.27-29) [Merkmal (d4)].
158
Die zusätzlichen Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 sind daher nicht geeignet, eine Patentfähigkeit zu begründen. Ein kombinatorischer Effekt ist ebenfalls nicht ersichtlich.
159
Für die mit Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 übereinstimmenden Merkmale wird auf die Ausführungen in Abschnitt II.7.b verwiesen, die für Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ebenfalls gelten.
160
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags 2 beruht für den Fachmann daher in Kenntnis von Druckschrift D1 iVm. Druckschrift D11 unter Berücksichtigung seines Fachwissens, belegt durch Druckschrift D4, D6 und 8, nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
161
d) Hilfsantrag 3
162
Gemäß Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 3 erfolgt gegenüber Patentanspruch in der Fassung des Hilfsantrags 2 eine weitere Beschränkung im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 durch Aufnahme von Merkmalen des erteilten Unteranspruchs 2:
163
(a)H3 Erfassen von Zahndaten des Zahnprofils, wobei die Erfassung der Zahndaten mit Hilfe eines CT-Scanners erfolgt, wobei die Abtastgenauigkeit weniger als 0,02 mm beträgt.
164
Einen CT-Scanner zur Erfassung der Zahndaten zu verwenden, stellt eine fachmännische Maßnahme dar. Das Scannen in Druckschrift D1 (vgl. S.3 Z.21-24, S.27 Z. 9-14) umfasst für den Fachmann alle gängigen 3D-Scan-Methoden, d.h. beispielsweise mit einem CT-Scanner. Auch in Druckschrift D6 werden CT-Daten als Grundlage für die Herstellung eines mittels SLM-hergestellten Implantats verwendet (vgl. Abschnitt 3. Absatz 2). Der Fachmann wird je nach gewünschter Auflösung/Abtastgenauigkeit (vgl. auch D3 „Ein Bracketsystem für die Lingualtechnik“ S.236 re. Spalte, 2. Absatz Mitte: Aufgrund der extremen Genauigkeit des zur Verfügung stehenden Scans, mit einer Genauigkeit von mindestens 0,02 mm,…“) und/oder diagnostischer Anforderungen den geeigneten 3D-Scanner wählen, um die erforderliche Abtastgenauigkeit von mindestens 0,02 mm zu erreichen [Merkmal (a)].
165
Für die mit Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 übereinstimmenden Merkmale wird auf die Ausführungen in Abschnitt II.7 c verwiesen, die für Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 ebenfalls gelten.
166
Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 beruht für den Fachmann daher in Kenntnis von D1 iVm. Druckschrift D11 unter Berücksichtigung seines Fachwissens, belegt durch Druckschrift D3, D4, D6 und D8, nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
167
e) Hilfsantrag 4
168
Der Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 4 basiert auf Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 3, wobei darüber hinaus eine weitere Beschränkung im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 durch Aufnahme der Merkmale des erteilten Unteranspruchs 9 erfolgt:
169
(d5)H4 und wobei ein Faserlaser für das selektive Laserschmelzen verwendet wird, mit einer kontinuierlichen Ausgangsleistung von 100-200 W und einem Laserstrahl-Gütefaktor von M2>1,1 und einem Brennpunktdurchmesser von weniger als 25 µm.
170
Der Gütefaktor wird im Wege der Auslegung korrigiert in M2
< 1,1 (vgl. Ausführungen in Abschnitt II.6.3).
171
Die Verwendung eines Faserlasers für das selektive Laserschmelzen mit einer Ausgangsleistung von 100-200 W wird bereits in Druckschrift D6 gelehrt (vgl. Titel “Selective Laser Melting“, Abs. „6. Anlagentechnik“: „Zum Einsatz kommen 100 bzw. 200 W Faserlaser.“).
172
Der Brennpunktdurchmesser ist gemäß Druckschrift D6 für 100 W-Faserlaser variabel und einstellbar im Bereich 30-300 µm oder 80-300 µm (vgl. S.3 Abschnitt 6). Da der Fachmann bestrebt ist, das Herstellungsverfahren stetig zu optimieren und die Genauigkeit zu verbessern, wird er auch Versuche anstellen, und Brenndurchmesser unter 30 µm, z.B. kleiner 25 µm, verwenden, und gelangt damit zu dem beanspruchten Bereich.
173
Die Verwendung einer Beugungsmaßzahl (Gütefaktor) von M2
< 1,1 liegt für den Fachmann ebenfalls nahe. Denn da der Idealwert von M2 = 1 real nicht erreichbar ist, ist es für den Fachmann selbstverständlich, eine möglichst niedrige Beugungsmaßzahl (Gütefaktor) (d.h. nahe 1) zu wählen.
174
Die zusätzlichen Merkmale nach Hilfsantrag 4 sind daher nicht geeignet, eine Patentfähigkeit zu begründen. Ein kombinatorischer Effekt ist ebenfalls nicht ersichtlich.
175
Für die mit Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 übereinstimmenden Merkmale wird auf die Ausführungen in Abschnitt II.7.d verwiesen, die für Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 ebenfalls gelten.
176
Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 beruht für den Fachmann daher in Kenntnis von D1 iVm. Druckschrift D11 unter Berücksichtigung seines Fachwissens, belegt durch Druckschrift D3, D4, D6 und D8, nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
177
8. Mit dem nicht patentfähigen Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen sind auch die weiteren Patentansprüche nicht schutzfähig, da auf diese Patentansprüche kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet ist und über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 – X ZB 6/05, GRUR 2007, 862, Leitsatz, Abs. III. 3. a) cc) – Informationsübermittlungsverfahren II).
178
9. Die von der Einsprechenden nach der Einspruchsfrist eingereichten Druckschriften D8 bis D11 waren zuzulassen und im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen.
179
Im Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) sieht das Patentgesetz eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens nicht vor. Die im Nichtigkeits- und Berufungsverfahren geltenden Verspätungsregelungen der § 83 Abs. 4 und § 117 PatG sind als Ausnahmevorschriften nicht analog auf das Einspruchsverfahren anwendbar, und auch eine analoge Anwendung der Verspätungsvorschriften der ZPO (§§ 530, 296 ZPO) scheidet als auf dem Beibringungsgrundsatz beruhend für das dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegende Verfahren vor dem DPMA (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1, § 59 Abs. 5 PatG) aus (vgl. BPatG, Beschluss vom 14. Februar 2018 – 19 W (pat) 15/17 –, Rn. 73 – 74, juris).
180
Zwar können nach der Rechtsprechung neue Tatsachen und Widerrufsgründe zur Stützung des Einspruchs nur innerhalb der Einspruchsfrist vorgebracht werden, und es besteht kein Anspruch auf Berücksichtigung von nach Ablauf der Einspruchsfrist – insoweit verspäteten – Vorbringens (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 1977 – X ZB 11/76, BlPMZ 1977, 277, III. 1. c) aa) – Gleichstromfernspeisung). Allerdings ist ein solchermaßen nach Ablauf der Einspruchsfrist verspätetes Vorbringen grundsätzlich auf seine sachliche Relevanz für die Entscheidung zu prüfen und kann nicht ohne diese als verspätet übergangen werden (vgl. BGH, a. a. O., III. 1. c) bb) – Gleichstromfernspeisung).
181
Entschließt sich die Patentabteilung – wie im vorliegenden Fall der Druckschriften D8 bis D11 -, solches Material in seine Erwägungen im Einspruchsverfahren einzubeziehen, dann macht es dieses zum entscheidungserheblichen Prüfstoff (vgl. BGH, a. a. O., III. 1. c) bb) – Gleichstromfernspeisung). Dies ergibt sich aus dem das patentamtliche Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatz – im Gegensatz zu dem Beibringungsgrundsatz des Zivilprozesses. Die patentrechtliche Würdigung des Inhalts der Druckschriften D8 bis D11 stellt damit kein Abweichen von einer ständigen Patentrechtsprechung dar (vgl. auch BGH, X ZB 15/19, Beschluss vom 24. August 2021, II. 2. a) bb) (1)).
182
10. Bei dieser Sachlage war die Beschwerde zurückzuweisen.


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