Patent- und Markenrecht

19 W (pat) 32/20

Aktenzeichen  19 W (pat) 32/20

Datum:
3.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:031121B19Wpat32.20.0
Spruchkörper:
19. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. November 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, des Richters Dipl.-Ing. Müller, der Richterin Dorn und des Richters Dipl.-Phys. Dr. Haupt beschlossen:
Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen 10 2018 009 521.6 und der Bezeichnung „Verfahren zur Bestimmung und Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls eines Verbrennungsmotors“ ist am 6. Dezember 2018 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eingereicht worden.
2
Das DPMA – Prüfungsstelle für Klasse G01M – hat die Anmeldung mit am Ende der Anhörung am 28. Juli 2020 verkündetem Beschluss zurückgewiesen. In der schriftlichen Begründung ist unter Bezugnahme auf die im Prüfungsbescheid vom 13. August 2019 mitgeteilte und ausführlich begründeten Auffassung ausgeführt, der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 sei in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann ihn ausführen könne (§ 34 Abs. 4 PatG).
3
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 26. August 2020 eingelegte Beschwerde der Anmelderin.
4
Zu der mündlichen Verhandlung am 3. November 2021 ist für die ordnungsgemäß geladene Anmelderin niemand erschienen. Sie hat mit Schriftsatz vom 3. August 2021 zuletzt sinngemäß beantragt:
5
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G01M des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. Juli 2020 aufzuheben und das nachgesuchte Patent wie folgt zu erteilen:
6
Patenansprüche:
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Patentansprüche 1 bis 5 vom 10. Dezember 2019, beim DPMA im Original eingegangen am 13. Dezember 2019
8
Beschreibung:
9
Beschreibungsseiten 1 bis 12 vom 30. Januar 2019, beim DPMA eingegangen am 1. Februar 2019
10
Zeichnungen:
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Figuren 1 und 2 vom 30. Januar 2019, beim DPMA eingegangen am 1. Februar 2019,
12
Figur 3 vom 14. Dezember 2018, beim DPMA eingegangen am 19. Dezember 2018
13
hilfsweise mit folgenden Unterlagen:
14
Patentansprüche 1 bis 5 vom 3. August 2021, beim BPatG als Hilfsantrag I eingegangen am 9. August 2021
15
Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag.
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Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 5 gemäß Hauptantrag lauten:
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1. Verfahren zur Bestimmung und Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls eines Verbrennungsmotors, umfassend die nachfolgenden Schritte:
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– Ermittlung und Speicherung der Einflussgrößen und Verschleißindikatoren des Öls, die einen Ölverschleiß hervorrufen können an einem Verbrennungsmotor auf dem Prüfstand, insbesondere unter Berücksichtigung der aus dem Nonroad Transient Cycle (NRTC) extrahierten Lastzyklen, Messungen der Lastzyklen am Prüfstand, Vornahme von Ölanalysen, Modellbildung und Implementierung in das Motorsteuergerät, Zeitreihenanalyse zur Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls im laufenden Betrieb des Verbrennungsmotors, wobei sieben Anwendungszyklen am Prüfstand zu reproduzieren und den Einfluss der verschiedenen Zyklen auf den Ölzustand zu identifizieren sind, wobei zwischen den sieben verschiedenen Zyklen jedes Mal einmalig vor Beginn der nächsten Zyklusmessung ein Ölwechsel und eine Referenzölprobenentnahme erfolgt, wobei während der Vermessung am Prüfstand die Einflussgrößen aufgezeichnet und gespeichert werden, die Ölproben entnommen und analysiert werden, für die Prognose des individuellen Ölwechselintervalls wird das Verfahren der Zeitreihenanalyse in Kombination mit dem Verfahren der exponentiellen Glättung verwendet,
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Anzeige des vorhergesagten Ölwechselzeitpunkts, verbleibende Öllebensdauer in Betriebsstunden.
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5. Brennkraftmaschine,
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dadurch gekennzeichnet, dass ein Verfahren nach einem oder mehreren
22
der vorgenannten Ansprüche zum Einsatz kommt.
23
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I lautet:
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1. Verfahren zur Bestimmung und Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls eines Verbrennungsmotors, umfassend die nachfolgenden Schritte:
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– Ermittlung und Speicherung der Einflussgrößen und Verschleißindikatoren des Öls, die einen Ölverschleiß hervorrufen können an einem Verbrennungsmotor auf dem Prüfstand, insbesondere unter Berücksichtigung der aus dem Nonroad Transient Cycle (NRTC) extrahierten Lastzyklen, Messungen der Lastzyklen am Prüfstand, Vornahme von Ölanalysen, Modellbildung und Implementierung in das Motorsteuergerät, Zeitreihenanalyse zur Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls im laufenden Betrieb des Verbrennungsmotors, wobei sieben Anwendungszyklen am Prüfstand zu reproduzieren und den Einfluss der verschiedenen Zyklen auf den Ölzustand zu identifizieren sind, wobei zwischen den sieben verschiedenen Zyklen jedes Mal einmalig vor Beginn der nächsten Zyklusmessung ein Ölwechsel und eine Referenzölprobenentnahme erfolgt, wobei während der Vermessung am Prüfstand die Einflussgrößen aufgezeichnet und gespeichert werden, die Ölproben entnommen und analysiert werden, für die Prognose des individuellen Ölwechselintervalls wird das Verfahren der Zeitreihenanalyse in Kombination mit dem Verfahren der exponentiellen Glättung verwendet, und der Forecast wird für je einen akkumulierten Schadensindikator berechnet (Fig. 3).
26
– Berechnung 1. Ordnung als Zwischenwert:
27
Z1t [%] = Zwischenwert der exponentiellen Glättung 1. Ordnung
28
a = Glättungskonstante für exponentiellen Glättung 1. Ordnung
29
obsrv [%] = aktueller Wert des jeweiligen Schadensindikators
30
Z1t-1 [%] = vorheriger Zwischenwert
(1)
31
– Berechnung 2. Ordnung:
32
Z2t [%] = Zwischenwert der exponentiellen Glättung 2. Ordnung
33
ß = Glättungskonstante für exponentiellen Glättung 2. Ordnung
34
Z1t [%] = Zwischenwert der exponentiellen Glättung 1. Ordnung
35
Z2t-1 [%] = vorheriger Zwischenwert
(2)
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Die Glättungskonstanten (a und ß) können mittels Felddaten und Simulation des Prozesses oder mit Hilfe eines Optimierungsverfahrens ermittelt werden.
37
Nachdem die exponentielle Glättung berechnet wurde (für den gesamten Forecast Horizont), wird Formel (3) angewandt. Die aktuellen Glättungsfaktoren zum Zeitpunkt des Forecast Horizonts (FCH) werden wiederum geglättet und mit dem Forecast Horizont multipliziert. Dazu wird der Y-Achsenabschnitt addiert und das Ergebnis ist der Forecast (= verbleibende Ölbetriebszeit nach FCH) zum Zeitpunkt FCH.
38
– Berechnung des Ölwechselintervalls:
39
Durch Aufstellung der Geradengleichung und Einsetzen der Schadensindikatorgrenze (Schwelle) in die Gleichung kann der Zeitpunkt, wann das Öl verschlissen sein wird, bestimmt werden. Dies gelingt durch Anwendung der Formeln 4 bis 6. Es werden die Steigung m (mittlere Steigung) über den gesamten Forecast Horizont und der Y-Achsenabschnitt berechnet. Dann wird die Geradengleichung nach der (Rest-) Betriebszeit aufgelöst. o entspricht in diesem Fall der jeweiligen Schadensschwelle. Die Berechnung wird für jeden einzelnen Schadensindikator durchgeführt. Nun wird die geringste Betriebslaufzeit von allen Schadensindikatoren ermittelt und als restliche Betriebslaufzeit des Öls angenommen. Diese stellt den nächsten Ölwechselzeitpunkt in Betriebsstunden (Ölwechselintervall) dar.
40
Forcast [h] = Betriebszeit in Stunden bis Erreichen o
41
o [%] = obere Schwelle des Verschleißes, hier: 100 % Ölverschleiß
42
m
[%/FCH] = Steigung
43
b [%] = Y-Achsenabschnitt
44
Z1 [%] = Zwischenwert der exponentiellen Glättung 1. Ordnung zum Zeitpunkt FCH
45
FCH [h] = Forecast Horizont (z. B. 24 h 2 (Beobachtungs-Intervall)
46
= 48 h = FCH
47
Z2[%] = Zwischenwert der exponentiellen Glättung 2. Ordnung zum Zeitpunkt FCH
48
Forcast [%] = Forecast Vektor der Länge FCH
49
T[h] = Beobachtungsintervall, eine Forecast Berechnung je T
50
x [h] = Restbetriebszeit
51
Geradengleichung: (4)
52
Mit:
53
Y-Achsenabschnitt b: (5)
54
Steigung m:
(6)
55
– Berechnung Forecast Error:
56
Das Vorhersageergebnis wird während der Laufzeit permanent überwacht. Dazu wird der Prognosefehler (MAPE, Mean Absolut Percentage Error, siehe Formel 7) periodisch bestimmt. Zeichnet sich eine zu hohe Abweichung über mehrere Perioden ab, werden die Glättungskoeffizienten der exponentiellen Glättung stärker angepasst (Überschreiten = Verringerung der Glättungsfaktoren, Unterschreiten = Vergrößerung der Glättungskonstanten).
57
M [%] = MAPE
58
n = Anzahl der Prognosen
59
A[%] = aktueller Wert der mittleren rel. Abweichung
60
F[%] = Prognostizierter Wert der mittleren rel. Abweichung
(7)
61
Die Prognose des Ölwechselintervalls wird mit dem Regelwartungsintervall des Verbrennungsmotors abgeglichen. Kann ein Regelwartungsintervall zeitlich nicht erreicht werden, da die verbleibende Ölbetriebszeit geringer ist als die Differenz aus Zeitpunkt des Regelwartungsintervalls und verbleibende Betriebszeit, wird der einzuhaltende Zeitpunkt der Wartung aufgrund des berechneten Ölwechselintervalls kommuniziert bzw. gespeichert. Kann das Regelwartungsintervall zeitlich erreicht werden, wird der Status kommuniziert, dass das Öl bei der nächsten Regelwartung getauscht werden sollte.
62
Wird kein rechtzeitiger Ölwechsel durchgeführt, wird aufgrund der o. g. Warnung ein Diagnosestatus aktiviert.
63
Anzeige des vorhergesagten Ölwechselzeitpunkts, verbleibende Öllebensdauer in Betriebsstunden.
64
Der Patentanspruch 5 gemäß Hilfsantrag I ist mit dem Patentanspruch 5 gemäß Hauptantrag identisch.
65
Wegen des Wortlauts der jeweils abhängigen Ansprüche 2 bis 4 gemäß Haupt- und Hilfsantrag sowie weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
66
Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da die Erfindung in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG).
67
1. Die Anmeldung beschäftigt sich mit einem Verfahren zur Bestimmung und Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls eines Verbrennungsmotors (Bezeichnung).
68
Zum technischen Hintergrund ist in der Beschreibungseinleitung ausgeführt, dass derzeit keine technischen Lösungen oder Umsetzungen zur Bestimmung individueller Ölwechselintervalle bekannt seien und aktuelle Verfahren präventiv statische Ölwechselintervallzeiten – mittels Worst-Case-Abschätzung basierend auf umfangreichen Versuchsreihen – definieren würden, unabhängig von der individuellen Nutzung eines Verbrennungsmotors. Für bestimmte Motorbaugruppen würden verschiedene Prüfstands-Messungen durchgeführt, wobei die Motorbaugruppen mit repräsentativen Lastzyklen im Rahmen von Dauerläufen belastet würden. Anschließend werde das Öl analysiert. Hierbei werde stets ein Sicherheitsfaktor eingerechnet. Nachteilig daran sei, dass nicht jeder individuelle Verbrennungsmotor in der Praxis ähnlich ausgelastet werde, wie in den zu Grunde liegenden Dauerläufen angenommen. Darauf addiere sich unter Umständen der Sicherheitsfaktor (Seite 1 der Beschreibung vom 30. Januar 2019, 1. Absatz).
69
Der Erfindung liege daher die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zu schaffen, das die Öllebensdauer für den jeweiligen Verbrennungsmotor, unter Vermeidung starrer Worst Case Intervalle, mit einer beliebigen individuellen Auslastung bzw. Nutzung bestimmen soll (Seite 1, 2. Absatz).
70
2. Diese Aufgabe werde durch das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 gelöst.
71
Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lässt sich wie folgt gliedern:
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M1 Verfahren zur Bestimmung und Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls eines Verbrennungsmotors, umfassend die nachfolgenden Schritte:
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M1.1 – Ermittlung und Speicherung der Einflussgrößen und Verschleißindikatoren des Öls, die einen Ölverschleiß hervorrufen können an einem Verbrennungsmotor auf dem Prüfstand,
74
M1.2 insbesondere unter Berücksichtigung der aus dem Nonroad Transient Cycle (NRTC) extrahierten Lastzyklen,
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M1.2.1 Messungen der Lastzyklen am Prüfstand,
76
M1.3 Vornahme von Ölanalysen,
77
M1.4 Modellbildung und Implementierung in das Motorsteuergerät,
78
M1.5 Zeitreihenanalyse zur Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls im laufenden Betrieb des Verbrennungsmotors,
79
M1.2.2 wobei sieben Anwendungszyklen am Prüfstand zu reproduzieren und
80
M1.2.3 den Einfluss der verschiedenen Zyklen auf den Ölzustand zu identifizieren sind,
81
M1.3.1 wobei zwischen den sieben verschiedenen Zyklen jedes Mal einmalig vor Beginn der nächsten Zyklusmessung ein Ölwechsel und eine Referenzölprobenentnahme erfolgt,
82
M1.1.1 wobei während der Vermessung am Prüfstand die Einflussgrößen aufgezeichnet und gespeichert werden,
83
M1.3.2 die Ölproben entnommen und analysiert werden,
84
M1.5.1 für die Prognose des individuellen Ölwechselintervalls wird das Verfahren der Zeitreihenanalyse in Kombination mit dem Verfahren der exponentiellen Glättung verwendet,
85
M1.6 – Anzeige des vorhergesagten Ölwechselzeitpunkts, verbleibende Öllebensdauer in Betriebsstunden.
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3. Als Fachmann, der mit der Entwicklung eines derartigen Verfahrens betraut wird, ist ein Diplomingenieur bzw. Master der Fahrzeugtechnik mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Prüfung und Überwachung von Brennkraftmaschinen anzusehen.
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4. Der Senat legt seiner Entscheidung folgende Überlegungen des Fachmanns zu den Angaben im Patentanspruch 1 nach Hauptantrag zugrunde:
88
4.1
Einflussgrößen und Verschleißindikatoren (Merkmale M1.1, M1.1.1)
89
Der Fachmann versteht als Einflussgrößen alle Größen, die den Ölzustand verändern können. Die Beschreibung der Anmeldung nennt dazu beispielhaft die integrale Öltemperatur (z. B. in der Ölwanne) über die Laufzeit des Verbrennungsmotors, die Rußemission durch den Verbrennungsprozess, die NOx-Emission, die durch einen Verbrennungsprozess entsteht, die Drehzahl bzw. das Drehmoment (Integral oder Mittelwert), die mittlere Leistung, die Anzahl von Kaltstarts und die Verweildauer im Kaltbetrieb sowie die Kraftstoff- und Ölqualität (Seite 5, 1. Absatz).
90
Die Anmeldung führt in der Beschreibung weiter aus, dass die Ölanalyse Veränderungen des Ölzustands anhand von Verschleißindikatoren feststellt, deren wichtigste die folgenden sein sollen: Rußgehalt im Öl, Gesamtsäurezahl / Gesamtbasenzahl, Viskosität, verschiedene Fremdstoffe sowie Kraftstoff und Wassergehalt im Öl (Seite 5, 2. Absatz und 3. Absatz).
91
4.2 Nonroad Transient Cycle (NRTC), Lastzyklen, Anwendungszyklen, Zyklen (Merkmale M1.2, M1.2.1, M1.2.2, M1.2.3)
92
Gemäß Merkmal M1.2 soll die Ermittlung und Speicherung der Einflussgrößen und Verschleißindikatoren des Öls unter Berücksichtigung der aus dem Nonroad Transient Cycle (NRTC) extrahierten Lastzyklen erfolgen, wobei diese am Prüfstand gemessen werden (Merkmal M1.2.1), dort sieben Anwendungszyklen zu reproduzieren sind (Merkmal M1.2.2) und der Einfluss der verschiedenen Zyklen auf den Ölzustand zu identifizieren ist (Merkmal M1.2.3).
93
Beim NRTC-Test handelt es sich um einen, dem zuständigen Fachmann geläufigen genormten transienten, d. h. dynamischen instationären Prüfzyklus für mobile Maschinen und Geräte auf dem Prüfstand. Er kann für Benzin- und Dieselmotoren mit variabler Drehzahl in einem bestimmten Leistungsbereich verwendet werden und wird international für die Emissionszertifizierung bzw. Typengenehmigung von Nonroad-Motoren eingesetzt.
94
Dieser NRTC-Zyklus setzt sich aus sieben verschiedenen typischen Lastprofilen unterschiedlicher Maschinentypen (Traktor, Bagger, Radlader, …) zusammen, die möglichst realistischen und praxisnahen Anwendungen entsprechen sollen (Seite 5, 4. Absatz), und weist eine Gesamtdauer von 1238 Sekunden auf, wie dies in Figur 1 der Anmeldeunterlagen gezeigt wird.
95
4.3 Zeitreihenanalyse in Kombination mit
exponentieller Glättung (Merkmale M1.5, M1.5.1)
96
Die gemäß dem Verfahren der Anmeldung gelehrte Zeitreihenanalyse in Kombination mit der exponentiellen Glättung für die Prognose des individuellen Ölwechselintervalls ist eine dem Fachmann geläufige Standardmethode der inferenzstatistischen Analyse zur Trendextrapolation.
97
Die Anmeldung gibt auf Seite 8, 3. Absatz bis Seite 9., 2. Absatz die Anwendung der exponentiellen Glättung auf die Zeitreihenanalyse für je einen akkumulierten Schadensindikator wieder, wobei die den Grad der exponentiellen Glättung 1. und 2. Ordnung bestimmenden Glättungskonstanten mittels Felddaten und Simulation des Prozesses oder mit Hilfe eines Optimierungsverfahrens ermittelt werden sollen.
98
4.4 Anzeige des vorhergesagten Ölwechselzeitpunkts, verbleibende Öllebensdauer (Merkmal M1.6)
99
Wie die Berechnung des individuellen Ölwechselintervalls nach exponentieller Glättung der Daten in der Zeitreihe für die abschließende Anzeige des vorhergesagten Ölwechselzeitpunkts oder – äquivalent – der verbleibenden Öllebensdauer (Merkmal 1.6) erfolgt, ist im Anspruch 1 nach Hauptantrag nicht angegeben. Eine solche Berechnung des Ölwechselintervalls wird allerdings in der Beschreibung auf Seite 9 letzter Absatz bis Seite 12 gezeigt.
100
5. Die Anmeldung offenbart die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG).
101
Eine für die Ausführbarkeit einer mit einem Patent geschützten Lehre hinreichende Offenbarung ist gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift – hier der am Anmeldetag eingereichten Unterlagen – in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (zuletzt BGH, Urteil vom 22. März 2018 – X ZR 128/15, juris, Rn. 38 sowie Orientierungssatz, m. w. N.).
102
Diesen Anforderungen genügt die Anmeldung nicht, da sie dem Fachmann nicht so viel an technischer Information vermittelt, dass er mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen (BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 – X ZR 35/12, GRUR 2013, 1121, Rn. 46 – Halbleiterdotierung; BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 – X ZR 51/06, GRUR 2010, 901, Rn. 31 – polymerisierbare Zementmischung; BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 – Xa ZR 126/07, GRUR 2010, 916, Rn. 17 – Klammernahtgerät).
103
5.1 Zusammengefasst soll durch Patentanspruch 1
nach Hauptantrag ein Verfahren zur Prädiktion und Anzeige des individuellen Ölwechselintervalls eines Verbrennungsmotors unter Schutz gestellt werden (Merkmale M1, M1.6), wobei
104
– Einflussgrößen auf und Verschleißindikatoren für das Motoröl auf dem Prüfstand gemessen und gespeichert werden (Merkmale M1, M1.1.1),
105
– sieben Anwendungszyklen, vorzugsweise aus dem NRTC-Testzyklus, am Prüfstand reproduziert und vermessen werden (Merkmale M1.2, M1.2.1 bis M1.2.3),
106
– während und zwischen den Anwendungszyklen Ölproben entnommen und analysiert werden (Merkmale M1.3, M1.3.1, M1.3.2),
107
– zur Auswertung eine Zeitreihenanalyse in Kombination mit exponentieller Glättung angewendet wird (Merkmale M1.5, M1.5.1) und
108
– ein Modell gebildet und in das Motorsteuergerät implementiert wird (Merkmal M1.4).
109
Der Wortlaut des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag lässt zumindest folgende Fragen offen:
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1) Wie ist die Ermittlung der Einflussgrößen und Verschleißindikatoren des Öls (Merkmal M1.1) bzw. die Vermessung, Aufzeichnung und Speicherung der Einflussgrößen (Merkmal M1.1.1) zu verstehen? Insbesondere bleibt offen, ob diese Parameter während der Reproduktion der sieben Anwendungszyklen am Prüfstand gemessen oder lediglich aus der Analyse der entnommenen Ölproben bestimmt werden. Weiter ist nicht ersichtlich, ob die verwendeten Begriffe „Anwendungszyklen“, „Lastzyklen“ und „Zyklen“ als Synonyme zu verstehen sind, ferner, ob die Berücksichtigung der Lastzyklen des Nonroad Transient Cycle (NRTC) ein für die beanspruchte technische Lehre notwendiges Merkmal darstellt oder die anderen Merkmale, welche die Zyklen betreffen, nur beispielhaft erläutern soll (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 34 Rdn. 129).
111
2) In den Merkmalen M1.5 und M1.5.1 wird lediglich beschrieben, dass zur Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls das Verfahren der Zeitreihenanalyse in Kombination mit exponentieller Glättung angewendet wird. Der Anspruch 1 enthält jedoch keine Angaben dazu, wie die Prognose des individuellen Ölwechselintervalls ermöglicht wird, insbesondere welche Daten und Werte auf welche Weise und in welcher Form in die Zeitreihenanalyse eingehen. Gehen die ermittelten Einflussgrößen und Verschleißindikatoren (Merkmal M1.1), die Einflussgrößen, die während der Vermessung am Prüfstand gewonnen werden (Merkmal M1.1.1), die Daten, die durch die entnommenen und analysierten Ölproben gewonnen werden (Merkmal M1.3 und M1.3.2), einzeln in die Zeitreihenanalyse ein oder wird eine Kombination aus mehreren oder allen dieser Daten berücksichtigt? Und welche Rolle spielen dabei die Messungen der Lastzyklen (Merkmale M1.2, M1.2.1 bis M1.2.3)?
112
3) Das Merkmal M1.4, wonach eine „Modellbildung und Implementierung in das Motorsteuergerät“ stattfinden soll, ist in zweifacher Hinsicht unverständlich und somit nicht so offenbart, dass ein Fachmann dieses Merkmal ausführen kann, ohne selbst erfinderisch tätig zu werden:
113
i) Zum einen ist nicht nachvollziehbar, was das Motorsteuergerät im Rahmen eines Verfahrens zur Prädiktion und Anzeige des individuellen Ölwechselintervalls eines Verbrennungsmotors steuern soll. Insbesondere bleibt offen, ob das Motorsteuergerät dazu dienen soll, am Prüfstand die Anwendungszyklen zu reproduzieren, den Ölwechselzeitpunkt vorherzusagen, die Einflussgrößen und Verschleißindikatoren zu messen und zu speichern und/oder den Motor bzw. Motoren der untersuchten Bauart im Betrieb außerhalb des Prüfstands, beispielsweise im Fahrbetrieb als Antrieb für ein Kraftfahrzeug im eigentlichen Sinn zu steuern.
114
ii) In Bezug auf das ins Motorsteuergerät zu implementierende Modell bleibt zum einen offen, was in diesem Modell abgebildet oder repräsentiert sein soll: Eigenschaften des Verbrennungsmotors, die Anwendungs- oder Lastzyklen und/oder das Verhalten des verwendeten Öls unter diesen Einflüssen. Zum anderen bleibt offen, was die Implementierung des Modells in das Motorsteuergerät bewirken soll: lediglich die genauere Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls aufgrund der in der Modellierung berücksichtigten Daten des Motoröls, welche in Abhängigkeit von Anwendungs- oder Lastzyklen des Verbrennungsmotors gewonnen werden, oder tatsächlich eine Steuerung des Motors – wie es bei dem Begriff „Motorsteuergerät“ zu erwarten wäre – beispielsweise derart, dass eine positive Auswirkung auf die Öllebensdauer erreicht wird.
115
Nähere Angaben zu Einflussgrößen und Verschleißindikatoren, Zyklen, Zeitreihenanalyse mit exponentieller Glättung und insbesondere Modellbildung und Motorsteuergerät kann der Fachmann weder dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag noch anderen Teilen der Anmeldung entnehmen.
116
5.2 Zwar ist nicht erforderlich, dass ein Patentanspruch alle zur Ausführung der Erfindung notwendigen Angaben enthält. Vielmehr genügt es, wenn dem Fachmann mit dem Anspruch ein generelles Lösungsschema an die Hand gegeben wird und er insoweit notwendige Einzelangaben der allgemeinen Beschreibung oder den Ausführungsbeispielen entnehmen kann (BGH, Urteil vom 28. März 2017 – X ZR 17/15, juris, Rn. 23 m. w. N.; BGH, Urteil vom 8. Juni 2010 – X ZR 71/08, juris, Rn. 39 sowie Orientierungssatz 2 m. w. N.).
117
In der vorliegenden Patentanmeldung ist jedoch die Beschreibung, auch in Zusammenschau mit den Zeichnungen, nicht geeignet den Fachmann in die Lage zu versetzen, ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag aufgrund der Gesamtoffenbarung der Anmeldung i. V. m. dem allgemeinen Fachwissen am Anmeldetag derart zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht werden könnte. Denn die Beschreibung liefert weder ein Ausführungsbeispiel noch eine technische Lehre, die dem Fachmann wenigstens eine Variante des Verfahrens zugänglich machen würde. Vielmehr enthält gerade die Beschreibung eine Vielzahl von fehlerhaften, unklaren bzw. widersprüchlichen Angaben, so dass sie die genannten Offenbarungslücken nicht schließen kann, sondern sogar neue Fragen hinsichtlich der Ausführbarkeit aufwirft, wie im Folgenden ausgeführt wird:
118
1) Auf Seite 4 der Beschreibung wird angegeben, dass das Verfahren zur Bestimmung und Prädiktion des individuellen Ölwechselintervalls eines Verbrennungsmotors u. a. die Schritte umfasst:
119
– Einflussgrößen, die Ölverschleiß hervorrufen können
120
– Verschleißindikatoren des Öls
121
– Lastzyklen, extrahiert aus dem Nonroad Transient Cycle (NRTC)
122
– Verbrennungsmotor
123
– Trainingsdaten
124
– Motorsteuergerät.
125
Selbst wenn der Fachmann möglicherweise noch davon ausgehen wird, dass Einflussgrößen und Verschleißindikatoren ermittelt, Lastzyklen reproduziert, Methoden aus dem Bereich Machine Learning sowie künstliche neuronale Netze und Zeitreihenanalyse angewendet werden sollen, ist es offensichtlich, dass es sich bei den Angaben „Verbrennungsmotor“, „Trainingsdaten“ und „Motorsteuergerät“ nicht um Verfahrensschritte handelt. Der Fachmann erhält hier auch keine Anweisung, wie diese gegenständlichen Merkmale „Verbrennungsmotor“ und „Motorsteuergerät“ in das Verfahren integriert werden sollen und was mit „Trainingsdaten“ gemeint ist.
126
Selbst wenn der Fachmann den zeitlichen Ablauf der Ölprobenentnahme und -analyse zur Bestimmung der Verschleißindikatoren, mit denen letztendlich die Berechnung des Ölwechselintervalls erfolgt, gemäß den Merkmalen M1.2.2 bis M1.3.2 i. V. m. den Erläuterungen auf Seite 5, 4. Absatz bis Seite 7, letzter vollständiger Absatz so versteht, dass jeder der sieben, nur wenige Minuten dauernden Anwendungszyklen solange wiederholt wird, bis nach z. B. 24 h und 48 h jeweils eine Ölprobe entnommen wird, anschließend ein Ölwechsel und eine Referenzölprobenentnahme erfolgt, bevor mit dem nächsten der sieben Anwendungszyklen in gleicher Weise fortgefahren wird, bleibt zumindest die Frage offen, was es bedeutet, dass die Zyklen zeitlich skaliert werden (Seite 6, Zeile 8).
127
2) Die vermeintlich detaillierte Anweisung zur Berechnung für die Prognose, den sogenannten Forecast des individuellen Ölwechselintervalls, nach der Beschreibung, Seite 8, 3. Absatz bis Ende der Seite 10 kann dem Fachmann aus den folgenden Gründen nicht bei der Realisierung des beanspruchten Verfahrens helfen:
128
Hinsichtlich der Gleichung (3) auf Seite 9
129
die sich an die dem Fachmann bekannte exponentiellen Glättung 1. und 2. Ordnung anschließt (Seite 9, 3. Absatz), ist zum einen nicht verständlich, warum diese überhaupt bestimmt wird, da der Parameter für weitere Schritte, insbesondere in den Gleichungen (4) bis (6) nicht verwendet wird. Zum anderen kann diese gar nicht berechnet werden, da sie aus Dimensionsgründen völlig unbestimmt ist:
130
Die linke Seite der Gleichung (3), der , soll die verbleibende Ölbetriebszeit zum Zeitpunkt FCH angeben; auf der rechten Seite der Gleichung sind die ersten beiden Terme dimensionslos (Zwischenwerte der exponentiellen Glättung zum Zeitpunkt FCH in Prozent; Seite 10, Zeilen 6 und 10: ), wohingegen der dritte Summand durch die Multiplikation mit dem Faktor FCH die Dimension „Zeit“ aufweist (explizite Angabe auf Seite 10, Zeilen 8 und 9: „FCH [h] = Forecast Horizont (z. B. 24 h 2 (Beobachtungsintervall) = 48 h = FCH“), so dass die Gleichung offensichtlich nicht korrekt sein kann und dem Fachmann keine Berechnung ermöglicht.
131
Ähnlich verhält es sich bei der Gleichung (6) auf Seite 10:
(6)
132
die den Steigungswert m definieren soll, der in die zentrale Geradengleichung (4) zur Bestimmung von eingeht, welcher wiederum die Betriebszeit in Stunden bis zum Erreichen der oberen Schwelle des Ölverschleißes angeben soll.
133
Die Steigungsgleichung (6) enthält im Nenner den Faktor „”, der die Länge einer auf Seite 10, Zeile 12 als Vektor angegebenen Größe darstellen soll.
134
Es ist für den Fachmann offensichtlich, dass mit diesem Vektor nicht ein Element eines Vektorraums der linearen Algebra bzw. analytischen Geometrie gemeint sein kann, sondern allenfalls der durch die Koordinatendarstellung von geometrischen Vektoren motivierte Vektorbegriff eines sog. n-Tupels reeller Zahlen als ein mathematisches Objekt einer geordneten Menge zu vermuten ist. Als Länge „length“ eines derartigen Vektors könnte der Fachmann zwar die Anzahl n der im Tupel enthaltenen Elemente verstehen. Diese Interpretation scheitert jedoch an der Definition auf Seite 10, Zeile 12:
135
Forecast
[%] = Forecast Vektor der Länge FCH,
136
die den Vektor “Forecast
[%]“, der in Prozent angegeben wird, als dimensionslos charakterisiert und ihm eine Länge zuordnet, die gemäß Seite 10, Zeilen 8 und 9 explizit die Dimension einer Zeit besitzt („FCH [h] … = 48 h …“).
137
Der Fachmann kann somit weder die Gleichung (6) für die Steigung m noch die Geradengleichung (4) für die Betriebszeit bis zum Erreichen der oberen Schwelle des Verschleißes, also die Restbetriebszeit, berechnen und damit auch unter Zuhilfenahme seines Fachwissens kein Verfahren realisieren, das den Ölwechselzeitpunkt vorhersagt.
138
Im Übrigen wird in der Beschreibung zwar angegeben, dass in die Zeitreihenanalyse mit exponentieller Glättung zur Prognose des individuellen Ölwechselintervalls nur die Werte des jeweiligen Schadensindikators o und die Glättungskonstanten α und β, die mittels Felddaten und Simulation des Prozesses oder mit Hilfe eines Optimierungsverfahrens gewonnen werden, eingehen (Seite 8, 4. Absatz bis Seite 9, Zeile 8). Jedoch wird an keiner Stelle beschrieben, was unter einem Schadensindikator zu verstehen ist. Es wird lediglich erklärt, dass der jeweilige „gemessene“ Schadensindikator die „Zielgröße“ eines künstlichen neuronalen Netzwerks ist, in das die Einflussgrößen integriert oder gemittelt und zusammengefasst eingegeben werden. Der Fachmann kann allenfalls indirekt, durch den Verweis auf die Figur 3 vermuten, dass der Rußgehalt und die Viskosität Beispiele für Schadensindikatoren sein sollen. Ob die aus den Einflussgrößen abgeleiteten Schadensindikatoren im Wesentlichen dieselben Parameter bezeichnen sollen wie die Verschleißindikatoren, nur eine Teilmenge davon oder möglicherweise eine andere Art von Kenngrößen darstellen, ist der Anmeldung nicht zu entnehmen. Eine eindeutige Anleitung für die Durchführung der Zeitreihenanalyse in Kombination mit exponentieller Glättung für die Prognose des individuellen Ölwechselintervalls ist damit jedenfalls nicht gegeben.
139
3) Auch die weiteren Erläuterungen in der Beschreibung und die schematischen Darstellungen in den Figuren 2 und 3 versetzen den Fachmann nicht in die Lage, die Anweisung „Modellbildung und Implementierung in das Motorsteuergerät“ in Merkmal M1.4 zu realisieren. Alle Angaben dazu bleiben abstrakt und unvollständig bzw. beschränken sich auf lediglich stichwortartig erwähnte Einzelheiten:
140
i) In der Beschreibung wird ausgeführt, dass im Motorsteuergerät außer der Öltemperatur alle zur Bestimmung des Ölzustands verwendeten Motorsignale berechnet würden (Seite 3, 2. Absatz). Durch das Training der Algorithmen würde ein realistisches Verhalten der Lastzyklen modelliert (Seite 5, 4. Absatz). Nachdem die künstlichen neuronalen Netze trainiert seien, sollten ihre Parameter in das Motorsteuergerät kalibriert werden, wobei das Motorsteuergerät zur Betriebszeit des Verbrennungsmotors die Einflussgrößen messe, integriere oder diese mittele (die Seiten 7 und 8 übergreifender Absatz). Schließlich ist auch in der Figur 2 das Motorsteuergerät lediglich durch „Berechnung Öl-Wechselintervall / -Restlaufzeit“ charakterisiert. Worin die Steuerfunktion des Motorsteuergeräts bestehen soll, ist an keiner Stelle der Anmeldung angegeben.
141
ii) In Bezug auf das zu bildende Modell, welches in das Motorsteuergerät implementiert werden und laut Beschreibungseinleitung für die technische Lehre der Anmeldung in Abgrenzung zu herkömmlichen Verfahren aus „mehreren künstlichen neuronalen Netzen“ bestehen soll (Seite 2, letzter Absatz und Seite 3, erster Absatz), liefert die Beschreibung im Wesentlichen lediglich folgende Informationen:
142
Das sogenannte „Degradationsmodell“ bestehe aus „mehreren künstlichen neuronalen Netzen, die je ein Verschleißverhalten eines Schadensindikators prädizieren“, und werde durch „Machine Learning“ gebildet (Seite 3, Zeilen 5 bis 10), wobei die Modellierung durch ein Training der Algorithmen im Motorsteuergerät stattfinde (Seite 5, 4. Absatz) und die Trainingsdaten sich aus den gemessenen integralen Einflussgrößen über den jeweiligen Zykluszeitraum und dem Verlauf der Verschleißindikatoren des Öls zusammensetzten (Seite 7, 3. Absatz).
143
iii) Zu den dem Degradationsmodell zugrundeliegenden künstlichen neuronalen Netzen erfährt der Fachmann, dass diese durch heuristische Algorithmen optimiert (Seite 2, letzter Absatz), an das Verschleißverhalten der Schadensindikatoren angepasst (Seite 3, erster Absatz, letzter Satz) und die Lastzyklen durch das Training der Algorithmen im Motorsteuergerät modelliert würden (Seite 5, vorletzter Absatz). Alle Einflussgrößen würden integriert oder gemittelt und zum Eingangsvektor des künstlichen neuronalen Netzwerks zusammengefasst, wobei die Zielgröße der jeweilige gemessene (Ölanalyse) Schadensindikator sei (Figur 3 i. V. m. Seite 7, letzter vollständiger Absatz), bevor die Parameter der trainierten künstlichen neuronalen Netze in das Motorsteuergerät kalibriert würden (Seite 7, letzter vollständiger Satz).
144
Die Topologie bzw. Struktur des künstlichen neuronalen Netzwerks wird in der Anmeldung jedoch nicht beschrieben, und zwar weder, wie viele künstliche Neuronen sich auf wie vielen Schichten (einschichtig oder mehrschichtig, hidden layers) befinden, noch wie diese miteinander verbunden sind (z. B. feedforward, convolutional oder rekurrente Netze), so dass der Fachmann nicht weiß, welche konkrete Ausgestaltung das neuronale Netz haben muss, damit es für das beanspruchte Verfahren geeignet ist.
145
Der Eingangsvektor der für das überwachte Lernen benötigten Trainingsdaten wird laut Beschreibung aus den integrierten oder gemittelten Einflussgrößen gebildet, jedoch bleibt offen, ob die als Zielgrößen angegebenen „gemessenen“ Schadensindikatoren die Ausgabewerte in den Trainingsdaten sind (siehe oben) und was unter Schadensindikatoren tatsächlich zu verstehen ist (vgl. obigen Gliederungspunkt 2)), ferner, ob und gegebenenfalls wie die Verschleißindikatoren dabei verwendet werden. Somit ist für den Fachmann unverständlich, wie er die Trainingsdaten bilden und somit das neuronale Netzwerk trainieren kann.
146
Nach alledem offenbart die Patentanmeldung insgesamt keine nacharbeitbare technische Lehre, welche dem Fachmann vermitteln würde, wie er die im Patentanspruch 1 nach Hauptantrag geforderte funktionelle Wirkung erzielen und das beanspruchte Verfahren mit Erfolg verwirklichen könnte. Mit dieser Beurteilung sieht sich der Senat auch in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Prüfungsstelle des DPMA im angefochtenen Beschluss bzw. im Prüfungsbescheid vom 13. August 2019, dort insbesondere Abschnitt 3.
147
5.3. Der Hilfsantrag I ist aus den oben genannten Gründen ebenfalls nicht gewährbar.
148
Denn auch bei dessen Fassung des Patentanspruchs 1 vermögen die zusätzlich aufgenommenen Merkmale, die bereits bei der Beurteilung der ausreichenden Offenbarung zum Anspruch 1 nach Hauptantrag berücksichtigt wurden, an der Bewertung des Senats nichts zu ändern, da sie den Mangel der nicht hinreichenden Offenbarung der Erfindung in der Anmeldung nicht beheben können.
149
Vor diesem Hintergrund war die Beschwerde der Anmelderin zurückzuweisen.


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