Patent- und Markenrecht

23 W (pat) 18/20

Aktenzeichen  23 W (pat) 18/20

Datum:
25.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2022:250122B23Wpat18.20.0
Spruchkörper:
23. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2015 115 122.7
hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Strößner sowie der Richter Dr. Friedrich, Dr. Zebisch und Dr. Himmelmann beschlossen:
1. Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. März 2020 wird aufgehoben.
2. Es wird ein Patent erteilt mit der Bezeichnung „Leistungshalbleitermodul mit zweiteiligem Gehäuse“, dem Anmeldetag 9. September 2015 auf der Grundlage folgender Unterlagen:
– Patentansprüche 1 bis 10, als Hilfsantrag eingegangen am 25. Juni 2020;
– Beschreibungsseiten 1 bis 8, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2022;
– 2 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 4, eingegangen im Deutschen Patent- und Markenamt am Anmeldetag.

Gründe

I.
1
Die vorliegende Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen 10 2015 115 122.7 und der Bezeichnung „Leistungshalbleitermodul mit zweiteiligem Gehäuse“ wurde am 9. September 2015 von der I… AG im Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet. Gleichzeitig mit der Anmeldung wurde Prüfungsantrag gestellt. Die Anmeldung wurde am 9. März 2017 mit der DE 10 2015 115 122 A1 offengelegt.
2
Die Prüfungsstelle für Klasse H01L hat im Prüfungsverfahren auf den Stand der Technik gemäß den folgenden Druckschriften verwiesen:
3
D1 DE 101 49 886 A1 und
4
D2 DE 103 26 176 A1.
5
Sie hat in zwei Prüfungsbescheiden vom 9. Mai 2016 und 15. September 2016 sowie in einem Ladungszusatz vom 6. Dezember 2019 ausgeführt, dass die jeweils mit den selbständigen Ansprüchen der einzelnen Anträge beanspruchten Gegenstände mangels Neuheit (§ 3 PatG) oder erfinderischer Tätigkeit (§ 4 PatG) nicht patentfähig seien (§ 1 Abs. 1 PatG).
6
Die Anmelderin hat in ihren Erwiderungen vom 9. September 2016, 20. März 2017 und 15. Januar 2020 den Ausführungen der Prüfungsstelle in einigen Punkten widersprochen und jeweils neue, eingeschränkte Anspruchssätze eingereicht. Zuletzt hat sie mit der Erwiderung vom 15. Januar 2020 zur Vorbereitung der Anhörung am 30. Januar 2020 vier Anspruchssätze als Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht.
7
In der Anhörung am 30. Januar 2020 hat die Prüfungsstelle dann die mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen beanspruchten Gegenstände mit der Anmelderin diskutiert und darauf hingewiesen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag nicht patentfähig sei und die Gegenstände gemäß den Hilfsanträgen 1 den Hilfsanträgen 1 bis 3 ursprünglich nicht offenbart seien. Dem widersprach die Anmelderin. Die Prüfungsstelle und die Anmelderin teilten die Ansicht, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 patentfähig sei, weshalb eine redaktionelle Überarbeitung des Hilfsantrags 4 erfolgte.
8
Mit Schriftsatz vom 18. März 2020 hat die Anmelderin eine Reinschrift des während der Anhörung abgestimmten geänderten Anspruchssatzes des Hilfsantrags 4, sowie eine angepasste Beschreibung eingereicht. In diesem Schriftsatz erhält sie ihre Anträge, also einen Hauptantrag und vier Hilfsanträge aufrecht.
9
In der Folge hat die Prüfungsstelle für Klasse H01L mit Beschluss vom 25. März 2020 den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 3 zurückgewiesen und ein Patent mit den Unterlagen des Hilfsantrags 4 erteilt. In ihrer Begründung gibt die Prüfungsstelle an, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag mangels Neuheit nicht patentfähig (§ 3 i.V.m. § 1 Abs. 1 PatG) sei, während die mit den Ansprüchen 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 3 beanspruchten Gegenstände nicht in der beanspruchten Allgemeinheit ursprünglich offenbart seien (§ 38 PatG), so dass die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 unzulässig seien. Der begründete Beschluss wurde der Anmelderin am 30. März 2020 zugestellt.
10
Gegen diesen Beschluss hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 24. April 2020, am selben Tag elektronisch im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen, Beschwerde eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 24. Juni 2020 begründet hat. Mit ihm hat sie zwei Anspruchssätze, bezeichnet als Hauptantrag und Hilfsantrag eingereicht, wobei der mit Hilfsantrag bezeichnete Anspruchssatz dem Anspruchssatz des dritten Hilfsantrags im Patenterteilungsverfahren entspricht.
11
In der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2022 hat die Anmelderin nach einer Diskussion der beiden mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchssätze den mit Hilfsantrag bezeichneten Anspruchssatz zu ihrem Hauptantrag gemacht, zu diesem eine überarbeitete Beschreibung überreicht und beantragt:
12
1. den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. März 2020 aufzuheben.
13
2. Ein Patent zu erteilen mit der Bezeichnung „Leistungshalbleitermodul mit zweiteiligem Gehäuse“, dem Anmeldetag 9. September 2015 auf der Grundlage folgender Unterlagen:
14
– Patentansprüche 1 bis 10, als Hilfsantrag eingegangen am 25. Juni 2020;
15
– Beschreibungsseiten 1 bis 8, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2022;
16
– 2 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 4, eingegangen im Deutschen Patent- und Markenamt am Anmeldetag.
17
Der geltende Anspruch 1 des mit Schriftsatz vom 24. Juni 2020 als Hilfsantrag bezeichneten Anspruchssatzes lautet mit bei unverändertem Wortlaut eingefügter Gliederung:
18
„M1 Leistungshalbleitermodul (1) zur Anordnung auf einem Kühlkörper (20), wobei das Leistungshalbleitermodul (1) Folgendes aufweist:
19
M2 mindestens ein Substrat (4), welches eine erste, für eine dem Kühlkörper (20) zugewandte Anordnung und zur thermischen leitfähigen Verbindung mit diesem bestimmte Seite aufweist;
20
M3 wenigstens ein auf einer der ersten gegenüberliegenden, zweiten Seite des Substrats (4) angeordnetes Leistungshalbleiterbauelement (14);
21
M4 und ein elektrisch isolierendes Gehäuse (2, 3), welches einen Hohlraum definiert, in dem das Substrat (4) und das wenigstens eine Leistungshalbleiterbauelement (14) aufgenommen sind;
22
M5 wobei das Gehäuse (2, 3) einen Rahmen (3), welcher das wenigstens eine Substrat (4) rahmenartig umgibt, und
23
M6 eine am Kühlkörper (20) mit Befestigungsmitteln (11) zu befestigende Haube (2) aufweist,
24
M7 und wobei die Haube (2) wenigstens einen zur Anlage an das Substrat (4) vorgesehenen Druckstempel (7) aufweist, um wenigstens bei Befestigung des Leistungshalbleitermoduls (1) auf dem Kühlkörper (20) über die Haube (2) und über den wenigstens einen Druckstempel (7) das Substrat (4) elastisch gegen den Kühlkörper (20) vorzuspannen;
25
M8 wobei der Rahmen (3) das Substrat (4) formschlüssig aufnimmt und/oder daran befestigt ist;
26
M9 wobei die Haube (2) den Rahmen (3) übergreift und an ihrer dem Rahmen (3) zugewandten Innenseite in seitlicher Richtung mit dem Rahmen (3) reibschlüssig verbunden ist.“
27
Hinsichtlich der weiteren Unterlagen und Einzelheiten, sowie des Wortlauts der weiteren Ansprüche 2 bis 10 wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
28
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Anmelderin ist zulässig und erweist sich hinsichtlich des mit Schriftsatz vom 24. Juni 2020 eingereichten, als Hilfsantrag bezeichneten Anspruchssatzes auch als begründet, so dass der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01L aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage dieses Anspruchssatzes zu erteilen ist, denn der Anspruch 1 dieses Anspruchssatzes ist zulässig (§ 38 PatG), und das mit ihm beanspruchte Leistungshalbleitermodul ist auch patentfähig (§ 1 Abs. 1 PatG), da das beanspruchte, gewerblich anwendbare (§ 5 PatG) Leistungshalbleitermodul gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu (§ 3 PatG) ist und diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns (§ 4 PatG) beruht.
29
1. Die Anmeldung betrifft gemäß ihrer Beschreibung ein Leistungshalbleitermodul mit aktiven und/oder passiven Bauelementen, insbesondere ein Stromrichtermodul. Derartige Leistungshalbleitermodule sind mehrfach aus der Literatur bekannt. Bei der Erhöhung der Leistungsfähigkeit, der Zuverlässigkeit sowie der Lebensdauer bei gleichzeitig verringerten Herstellungskosten sind veränderte Methoden der Aufbautechnologien für die einzelnen Bestandteile eine zwingende Voraussetzung.
30
Gemäß der Beschreibungseinleitung der vorliegenden Anmeldung sind moderne Leistungshalbleitermodule grundplattenlose Module. Diese weisen gattungsgemäß ein Gehäuse, ein keramisches Substrat mit darauf angeordneten schaltungsgerecht ausgeführten metallischen Kaschierungen, wie sie z.B. nach dem DCB-(direct copper bonding) Verfahren hergestellt werden, auf diesem Substrat mittels Löttechnik stoffschlüssig aufgebrachte Bauelemente, wie beispielhaft Dioden, Transistoren, Widerstände oder Sensoren sowie Bondverbindungen zur Verbindung der strukturierten Seite der chipförmigen, ungehäusten Leistungshalbleiterbauelemente mit weiteren Bauelementen und/oder dem Substrat und/oder nach außen führenden Anschlusselementen auf.
31
Vorzugsweise ist ferner eine aus Silikonkautschuk bestehenden Vergussmasse zur Isolation der einzelnen Bauelemente zueinander vorgesehen.
32
Der Wärmeübergang zwischen dem Substrat und dem Kühlkörper ist für Leistungshalbleitermodule eine entscheidende Größe, die direkt deren Leistungsfähigkeit bestimmt. Die in den Leistungshalbleiterbauelementen während des Betriebs entstehende Wärme muss nämlich möglichst effizient abgeführt werden.
33
Es hat sich gezeigt, dass sich insbesondere großflächige Lötverbindungen zu einem Kühlkörper nur sehr schwer qualitätsgerecht beherrschen lassen, worunter die Zuverlässigkeit sowie die Lebensdauer der Leistungshalbleitermodule leiden. Sehr vorteilhaft hat sich daher für derartige Leistungshalbleitermodule die Aufbautechnologie mit Druckkontakt zur thermisch leitenden Verbindung des Moduls mit einem Kühlkörper erwiesen.
34
Im Stand der Technik ist ein Leistungshalbleitermodul bekannt, dessen Deckel einerseits der Druckeinleitung sowie auch der Druckausübung auf die Bondfüße der Drahtbondverbindungen der Leistungshalbleiterbauelemente dient. Es ist ferner ein Stand der Technik beschrieben und gezeigt, bei dem der Gehäusedeckel Stempel ausbildet, mit denen das Substrat gegen den Kühlkörper gedrückt wird. Die Druckeinleitung ist dabei sehr schwer einzustellen und es kann zu Beschädigungen des Substrats kommen oder die Kontaktierung wird nicht zuverlässig hergestellt (vgl. Seite 1, 1. Abs. bis Seite 2, 1. Abs. der geltenden Beschreibung).
35
Hiervon ausgehend, liegt der Anmeldung als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein grundplattenloses Modul bereitzustellen, das weitgehend vormontiert ausgeliefert werden kann und möglichst lediglich der Anbringung auf einem Kühlkörper ohne sonstige Vormontageschritte am bestimmungsgemäßen Anbringungsort bedarf. Es soll bei einfacher Montage gleichzeitig einen effizienten Wärmeübergang von dem Leistungshalbleiterbauelement zum Kühlkörper ermöglichen (vgl. Seite 2, 2. und 3. Abs. der geltenden Beschreibung).
36
Diese Aufgabe wird durch das Leistungshalbleitermodul des geltenden Anspruchs 1 gelöst.
37
In der Beschreibung wird der beanspruchte Gegenstand u.a. durch die in der hier wiedergegebenen Fig. 1 gezeigte Ausführungsform näher erläutert. Fig. 1 zeigt das bereits auf einen Kühlkörper (20) montierte Leistungshalbleitermodul (1). Es besteht aus einem nichtleitenden Substrat (4), das auf beiden Seiten mit metallischen Schichten oder auch Leitungen (5, 6) bedeckt ist, den Leistungshalbleiterbauelementen (14), einem Gehäuse (2, 3) und elektrischen Zuleitungen (12). Das Gehäuse besteht aus einem Rahmen (3) und einer Haube (2) und ist nach unten zum Kühlkörper (20) hin offen, so dass die untere Metallschicht (5) auf dem Substrat (4) mit dem Kühlkörper (20) in Wärmekontakt, möglicherweise auch in elektrischen Kontakt treten kann.
38
Der Rahmen (3) des Gehäuses sitzt auf dem Substrat (4) auf und kann an diesem beispielsweise durch Verkleben befestigt sein, so dass er mit dem Substrat und den darauf befindlichen Leistungshalbleiterbauelementen (14) eine fest miteinander verbundene Einheit bildet. Nicht gezeigt wird in Figur 1 die Befestigung des Leistungshalbleitermoduls (1) auf dem Kühlkörper (20). Diese erfolgt an einer im Schnitt der Fig. 1 nicht gezeigten Stelle durch beispielsweise Schrauben in der Haube (2). Dies bedeutet, dass das gesamte Modul (1) durch die Haube (2) auf dem Kühlkörper (20) gehalten und auch seine genaue Position durch die Haube (2) festgelegt wird. Hierzu bedarf es eines formschlüssigen Kontakts der Haube (2) mit entweder dem Rahmen (3) oder dem Substrat (4).
39
Dieser Kontakt wird durch zwei Mittel hergestellt. Das erste Mittel sind Stempel (7), die von oben auf das Substrat bzw. die Metallschicht (6) drücken und damit das Modul (1) an den Kühlkörper (20) andrücken, um so den Wärmeübergang vom Substrat (4) zum Kühlkörper (20) zu verbessern. Um Beschädigungen zu vermeiden und die Andruckkraft in einem bestimmten Umfang festzulegen, sind die Stempel (7) elastisch in der Haube gelagert.
40
Das zweite Mittel legt die seitliche Ausrichtung des Rahmens auf dem Kühlköper (20) fest und besteht in einem Kontakt der Innenseite der Haube (2) mit der Außenseite des Rahmens (3), den die Haube (2) übergreift. In Fig. 1 wird dieser Kontakt durch Rippen (13) hergestellt. Diese Rippen haben noch eine weitere Aufgabe, die sie auf Grund der auftretenden Reibung zwischen ihnen und dem Rahmen (3) erfüllen können, also durch eine „reibschlüssige“ Verbindung. Diese besteht darin, dass durch die auftretenden Haftreibungskräfte verhindert wird, dass die Haube (2) beim Transport oder der Montage auf den Kühlkörper (20) vom Rahmen (3) und damit vom Rest des Moduls (1) getrennt wird. Sie verhindern also, dass das nach unten offene Modul auseinanderfällt. Dabei darf aber keine feste, unlösbare Verbindung zwischen der Haube und dem Rahmen bestehen, denn dies würde verhindern, dass sich die Haube (2) gegenüber dem Rahmen (3) bewegen kann, was aber notwendig ist, damit die Stempel (7) ihre Aufgabe, das Substrat (4) an den Kühlkörper (20) anzudrücken, erfüllen können.
41
2. Die mit den geltenden Ansprüchen beanspruchten Gegenstände sind ursprünglich offenbart (§ 38 PatG), so dass die Ansprüche zulässig sind.
42
So geht der geltende Anspruch 1 aus dem ursprünglichen Anspruch 1 hervor, indem in den ursprünglichen Anspruch 1 zusätzlich das Merkmal M9 aufgenommen wurde. Dieses Merkmal ist nicht wörtlich dem ursprünglichen Anspruchssatz entnommen, sondern stamme nach Angaben der Anmelderin aus den Figuren sowie der Beschreibung auf Seite 6, Zeilen 1 bis 3 und Seite 7, Zeilen 16 bis 19. Die Prüfungsstelle hat diese Merkmale in der beanspruchten Allgemeinheit nicht in den ursprünglichen Unterlagen offenbart angesehen. Deshalb hat sie auch nur auf die engeren, ihrer Ansicht nach zweifelsfrei an den angegebenen Stellen offenbarten Ausführungsformen ein Patent erteilt.
43
Die Anmelderin sieht darin eine zu enge Auslegung der ursprünglichen Offenbarung und verweist auf eine Reihe von Urteilen des BGH, wo dieser die Aufnahme einer Auswahl von Merkmalen aus Ausführungsbeispielen zulässt, ohne dass alle Merkmale in den Anspruch aufgenommen werden müssten. Dabei erwähnt sie aber nicht, dass der Fachmann und dessen Verständnis der ursprünglichen Offenbarung zum Maßstab gemacht werden (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 25. November 2014 – X ZR 119/09 –„Schleifprodukt“, Tenor a) und Rn. 19, GRUR 2015, 249 und juris). In diesem Umfang steht es dem Anmelder dann frei, welche Merkmale er in den Anspruch aufnehmen will, d.h. in welcher Breite er sein Erfindung beanspruchen will (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 – X ZB 9/89 – „Spleißkammer“, Tenor b) und Abschnitt 3b und BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 – X ZR 107/12 – „Kommunikationskanal“, Rn. 21 bis 24 GRUR 2014, 542 und juris).
44
Um festzustellen, welche Merkmale in einen Anspruch aufgenommen werden können, muss in einem ersten Schritt somit festgestellt werden, welche Merkmale in der ursprünglichen Offenbarung aus der Sicht des Fachmanns überhaupt offenbart sind. In Bezug auf die Verbindung zwischen der Haube (2) und dem Rahmen (3) ist zweifellos und für den Fachmann ersichtlich offenbart, dass die Haube (2) den Rahmen (3) übergreift. Dies ist aus allen Figuren zweifelsfrei ersichtlich und beispielsweise auf Seite 4 im zweiten Abs. der ursprünglichen Beschreibung, sowie auch auf Seite 6 im vorletzten Absatz, auf Seite 7 im zweiten Absatz und auf Seite 8, 4. und 5. Zeile der ursprünglichen Beschreibung beschrieben. Dieses Merkmal, das sich zum Teil bereits daraus ergibt, dass ein Teil des Gehäuses eine Haube ist, kann demnach auch für sich allein in den Anspruch aufgenommen werden.
45
Für die Verbindung zwischen der Haube und dem Rahmen ist ebenso deutlich offenbart, dass diese zwischen der Innenseite der Haube (2) in seitlicher Richtung mit dem Rahmen (3) erfolgt. Auf Grund des Übergreifens der Haube (2) wäre eine Verbindung ohnehin nur zwischen der Innenseite der Haube (2) und entweder der Außenseite des Rahmens (3) oder dessen Oberseite möglich. Alle Figuren zeigen wiederum eine Verbindung der Innenseite der Haube (2) mit der Außenseite des Rahmens (3), einige auch mit der Oberseite. Bei dieser Verbindung kann es sich auf Grund der beschriebenen Funktionsweise des Gehäuses des Moduls jedoch um keine beliebige Verbindung handeln, denn eine starre feste Verbindung zwischen den beiden würde die beschriebene Funktionsweise verhindern. Deshalb beschreibt die Anmeldung verschiedene Verbindungen.
46
Als erstes beschreibt sie im allgemeinen Teil eine lösbare Verbindung (vgl. S. 5, letzter Abs.), dann eine kraftschlüssige, sowie als Spezialform hiervon eine reibschlüssige Verbindung (vgl. S. 6, 1. Abs.). Diese Verbindung ist auch im ursprünglichen Anspruch 9 enthalten. Beispielhaft wird dabei der Reibschluss durch von dem Material der Haube und/oder dem des Rahmens ausgebildete Reibnasen ausgebildet. Ein weiteres Beispiel für eine reibschlüssige Verbindung wird dann in Zusammenhang mit Fig. 1 beschrieben. Dort gibt es keine Reibnasen, sondern eine oder mehrere Rippen auf der Innenseite der Haube (2). Nicht offenbart sind an dieser Stelle Rippen an der Außenseite des Rahmens (3), wie dies der von der Prüfungsstelle erteilte Anspruch 1 mitbeansprucht.
47
Damit ergibt sich für den Anspruch 1, der eine reibschlüssige Verbindung beansprucht, dass sein Gegenstand in dieser Allgemeinheit in der ursprünglichen Beschreibung offenbart ist. Er ist damit zulässig (§ 38 PatG).
48
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 des geltenden Anspruchssatzes gehen aus den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 8 sowie 10 und 11 hervor, wobei die Ansprüche 6 und 8 gegenüber den ursprünglichen Ansprüchen klargestellt sind. Auch sie sind demnach zulässig.
49
3. Der gewerblich anwendbare (§ 5 PatG) Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist neu (§ 3 PatG) und beruht gegenüber den Lehren der als Stand der Technik ermittelten Druckschriften auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG) des Fachmanns.
50
Als zuständiger Fachmann zur Beurteilung der Erfindung ist hier ein berufserfahrener Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Hochschulabschluss zu definieren, der mit der Entwicklung und Verbesserung von Gehäusen für Leistungshalbleiter, insbesondere in Bezug auf deren Kühlung betraut ist.
51
Druckschrift D1 offenbart in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Anspruchs 1 (siehe die hier wiedergegebenen Fig. 1 und 2) ein
52
M1 Leistungshalbleitermodul (vgl. Abs. [0024]: „Das in Fig. 1 gezeigte Leistungshalbleitermodul 1…“) zur Anordnung auf einem Kühlkörper (30, vgl. Abs. [0026]: „lm montierten Zustand wird das Modulgehäuse mittels nicht dargestellter, durch Bohrungen 29 hindurchgreifender Befestigungsschrauben mit einem nur andeutungsweise dargestellten Kühlkörper 30 verschraubt.“), wobei das Leistungshalbleitermodul Folgendes aufweist:
53
M2 mindestens ein Substrat (2), welches eine erste, für eine dem Kühlkörper (30) zugewandte Anordnung und zur thermischen leitfähigen Verbindung mit diesem bestimmte Seite aufweist (Unterseite, siehe Fig. 2);
54
M3 wenigstens ein auf einer der ersten gegenüberliegenden, zweiten Seite des Substrats (2) angeordnetes Leistungshalbleiterbauelement (6, 7, 8, vgl. Abs. [0024]: „Das in Fig. 1 gezeigte Leistungshalbleitermodul 1 umfasst in separater Darstellung ein Keramik-Substrat (Trägerelement) 2, auf dem mehrere Halbleiterbauelemente 6, 7 und 8 angeordnet und elektrisch kontaktiert sind. Die Halbleiterbauelemente sind über angedeutete Bonddrähte mit nicht näher dargestellten Leiterbahnen verbunden, die auf der Oberfläche des Substrats 2 ausgebildet sind. Die Leiterbahnen führen z. B. zu Kontaktstiften (Anschlusspins) zum externen Anschluss des Leistungshalbleitermoduls. Die Halbleiterbauelemente 6, 7 und 8 können Leistungshalbleiter sein, die hohe in Wärme umgesetzte Verlustleistungen entwickeln und deshalb eine effektive Wärmeableitung erfordern.“);
55
M4 und ein elektrisch isolierendes Gehäuse (10), welches einen Hohlraum definiert, in dem das Substrat (2) und das wenigstens eine Leistungshalbleiterbauelement (6, 7, 8) aufgenommen sind;
56
M5 wobei das Gehäuse (10) einen Rahmen (Kragen 14 bzw. 15), welcher das wenigstens eine Substrat (2) rahmenartig umgibt, und
57
M6 eine am Kühlkörper (30) mit Befestigungsmitteln zu befestigende Haube (12) aufweist (vgl. Abs. [0025]: „Das Halbleitermodul umfasst ferner ein Modulgehäuse 10, das im Ausführungsbeispiel aus zwei Teilgehäusen 12 und 14 zusammengesetzt ist. Das Modulgehäuse 10 ist im Kunststoffspritzgussverfahren hergestellt. Das Teilgehäuse 12 übergreift im montierten Zustand (vgl. Fig. 2) das Teilgehäuse 14, das mit einem umlaufenden Kragen 15 versehen ist.“),
58
M7 und wobei die Haube (12) wenigstens einen zur Anlage an das Substrat (2) vorgesehenen Druckstempel (25) aufweist, um wenigstens bei Befestigung des Leistungshalbleitermoduls auf dem Kühlkörper (30) über die Haube (12) und über den wenigstens einen Druckstempel (25) das Substrat (2) elastisch gegen den Kühlkörper (30) vorzuspannen (vgl. Abs. [0025] bis [0028]: „Das Teilgehäuse 12 weist mehrere federelastische Bereiche 16, 17, 18, 19 auf, die integral aus dem Modulgehäusematerial geformt sind. Die federelastischen Eigenschaften können dadurch erzeugt werden, dass im Bereich der federelastischen Bereiche Materialaussparungen vorgesehen sind. Es kann aber auch (z. B. an den Bereichen 17 und 18) eine lokale Materialverdünnung vorgesehen sein, die federnde elastische Bänder (z. B. 20, 21) bildet. Diese Bänder bilden den Angelpunkt oder Anschlusspunkt für einen Stempel 25, der stegförmig ausgebildet ist. Wie die Ansicht des Leistungshalbleitermoduls im montierten Zustand (der Montageablauf ist in Fig. 1 durch Pfeile angedeutet) gemäß Fig. 2 verdeutlicht, wirkt der Stempel mit seinem freien Ende (Fußpunkt) 26 auf die Oberseite des Substrats 2 ein. Die federelastischen Bereiche 16 und 19 wirken mittelbar über den Kragen 15 umlaufend auf den Randbereich 28 des Substrats 2 ein. lm montierten Zustand wird das Modulgehäuse mittels nicht dargestellter, durch Bohrungen 29 hindurchgreifender Befestigungsschrauben mit einem nur andeutungsweise dargestellten Kühlkörper 30 verschraubt. In Fig. 3 sind die dadurch entstehenden Anschraubkräfte mit F1 bezeichnet. Durch diese Verschraubung werden die federelastischen Bereiche 16, 17, 18, 19 entgegen ihrer Federkraft ausgelenkt und erzeugen aufgrund ihres elastischen Verhaltens und ihres Bestrebens, in die Ausgangslage zurückzufedern, entsprechende Federkräfte F2 und F3. Über den Kragen 15 (Kräfte F2) bzw. die Stempel 25 (Kräfte F3) werden die Federkräfte auf das Substrat übertragen und sorgen für einen gleichmäßigen, substratschonenden Andruck des Substrats auf den Kühlkörper 30. Das Modulgehäuse fungiert damit in Doppelfunktion nicht nur als Gehäuse zur Aufnahme und zum Schutz bzw. Abschluss der Halbleiterbauelemente 6, 7, 8, sondern mit seinen federelastischen Bereichen 16, 17, 18, 19 auch als eine Anpressvorrichtung 40.“);
59
M8 wobei der Rahmen (15) das Substrat (2) formschlüssig aufnimmt und/oder daran befestigt ist (Fig. 2 zeigt, dass das Substrat (2) zumindest nach oben zu formschlüssig zum Rahmen (15) ist. Seitlich besteht ein Spalt, der eine lockere Aufnahme des Substrats (2) ermöglicht.);
60
M9‘ wobei die Haube (12) den Rahmen (15) übergreift.
61
Druckschrift D1 zeigt nicht, dass die Haube (12) an ihrer dem Rahmen (15) zugewandten Innenseite in seitlicher Richtung mit dem Rahmen (15) reibschlüssig verbunden ist, denn dort zeigen die Figuren einen dünnen Spalt zwischen der Haube (12) und dem Rahmen (15). Jedoch ist der Rahmen (15) bis zum Zeitpunkt der Befestigung auf dem Kühlkörper (30) gegenüber der Haube (12) seitlich nicht fixiert, so dass der Rahmen (15) gegenüber der Haube (12) im Umfang der durch die Seitenwände der Haube (12) und der Vorsprünge im Deckel der Haube (12) gesetzten Toleranzen seitlich beweglich ist. Es ist somit davon auszugehen, dass nach der Montage die relative Verschiebung zwischen dem Rahmen und der Haube so ist, dass zumindest auf einer Seite ein Kontakt zwischen der Innenseite der Haube (12) und der Außenseite des Rahmens (15) besteht.
62
Der Fachmann wird jedoch keinen Reibschluss in seitlicher Richtung zwischen der dem Rahmen (15) zugewandten Innenseite der Haube (12) und dem Rahmen (15) ausbilden, auch wenn ihm solche Reibschlüsse zwischen einem Unterteil und einer Haube aus seiner Alltagserfahrung, beispielsweise mit einfachen Cremedosen aus Metall, wo auf diese Weise verhindert wird, dass sich der Deckel von der Cremedose löst, bekannt sind. Denn Druckschrift D1 gibt an, dass ein wesentlicher Aspekt der in ihr offenbarten Erfindung darin bestehe, dass relativ große Maßtoleranzen bestehen (vgl. Abs. [0011]: „Ein weiterer wesentlicher Aspekt der vorliegenden Erfindung besteht darin, dass durch die federnden Elemente oder Bereiche des Gehäuses Maßtoleranzen insbesondere des Gehäuses ausgeglichen werden.“). Diese Maßtoleranzen müssten für den Fall eines Reibschlusses nach dem Vorbild einer Cremedose verringert werden, denn die Maße der Haube (12) und des Rahmens (15) würden auch die Reibungskraft einstellen, die bei der Montage von der Haube auf den Rahmen und von diesem wiederum auf das Substrat (2) übertragen werden. Ist diese Kraft zu groß d.h. die Haube (12) im Vergleich zum Rahmen (15) relativ klein, so kommt es zu einer Beschädigung des Substrats (2) bei der Montage. Ist sie zu klein, d.h. die Haube (12) im Vergleich zum Rahmen (15) relativ groß, so wird die gewünschte Wirkung, die Haube (12) und den Rahmen (15) zusammenzuhalten, nicht erzielt. Die notwendigen geringen Maßtoleranzen würden zu einer Verteuerung der Herstellung von Haube (12) und Rahmen (15) führen, weshalb der Fachmann seine Alltagserfahrung ohne weitere Anregung nicht auf das Leistungshalbleitermodul aus Druckschrift D1 übertragen wird.
63
Dies gilt umso mehr für das Leistungshalbleitermodul aus Druckschrift D2, das in Bezug auf die Merkmale des geltenden Anspruchs 1 die gleichen Merkmale M1 bis M9‘ wie Druckschrift D1 lehrt. Denn anders als das Leistungshalbleitermodul aus Druckschrift D1 weist das Leistungshalbleitermodul aus Druckschrift D2 am Rahmen (22) seitliche Flansche (22a, 22b) auf, mit deren Hilfe der Rahmen (22) und die Haube (21) relativ zueinander fixiert werden können (siehe die hier wiedergegebene Fig. 1). Der Fachmann wird diese Flansche auch nutzen, um bereits vor der Montage den Rahmen (22) und die Haube (21) zusammenzuhalten. Die Nachteile, die eine reibschlüssige Verbindung in seitlicher Richtung zwischen der dem Rahmen (22) zugewandten Innenseite der Haube (21) und dem Rahmen (22) mit sich bringen würde, wird der Fachmann nicht in Kauf nehmen, da hierfür keine Notwendigkeit besteht.
64
Der ermittelte Stand der Technik nimmt somit den Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 weder neuheitsschädlich vorweg (§ 3 PatG) noch legt er ihn dem Fachmann nahe, so dass er als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gilt (§ 4 PatG). Er ist somit patentfähig (§ 1 Abs. 1 PatG).
65
4. Die Patentfähigkeit der mit dem formal nebengeordneten Anspruch 10 beanspruchten Anordnung ergibt sich bereits aus der Patentfähigkeit des Leistungshalbleitermoduls nach Anspruch 1, auf den Anspruch 10 rückbezogen ist.
66
5. An den Patentanspruch 1 können sich die Unteransprüche 2 bis 8 anschließen, da sie vorteilhafte Weiterbildungen des beanspruchten Leistungshalbleitermoduls angeben, die nicht platt selbstverständlich sind.
67
6. In der in der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2022 angepassten Beschreibung ist der Stand der Technik, von dem die Erfindung ausgeht, angegeben und die Erfindung anhand der am Anmeldetag im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenen Zeichnung ausreichend erläutert.
68
7. Bei dieser Sachlage war der angefochtene Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. März 2020 aufzuheben und das Patent wie beantragt zu erteilen.


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