Patent- und Markenrecht

26 W (pat) 511/18

Aktenzeichen  26 W (pat) 511/18

Datum:
28.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:280621B26Wpat511.18.0
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2016 109 475
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 28. Juni 2021 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Dr. von Hartz
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 32 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. November 2017 wird aufgehoben, soweit die Löschung der angegriffenen Marke für folgende Waren und Dienstleistungen angeordnet worden ist:
Klasse 33: alkoholische Getränke [ausgenommen Biere];
Klasse 43: Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wort-/Bildmarke (schwarz/weiß)
2
ist am 19. Oktober 2016 angemeldet und am 2. November 2016 unter der Nummer 30 2016 109 475 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Waren und Dienstleistungen der
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Klasse 32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken;
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Klasse 33: alkoholische Getränke [ausgenommen Biere];
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Klasse 43: Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen.
6
Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 2. Dezember 2016 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdegegnerin Widerspruch erhoben aus ihrer Unions-wortmarke
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Schiller Quelle
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die am 1. April 1996 angemeldet und am 15. Mai 1998 unter der Nummer 000 078 816 in das beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) geführte Register eingetragen worden ist für Waren der
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Klasse 5: Heilwässer;
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Klasse 32: Natürliche Mineralwässer; alkoholfreie Erfrischungsgetränke und Fruchtnektare (jeweils unter Verwendung von natürlichen Mineralwässern hergestellt).
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Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2017, beim DPMA eingegangen am 14. Juli 2017, hat die Inhaberin der angegriffenen Marke die Nichtbenutzungseinrede erhoben. Die Widersprechende hat Unterlagen zur Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung ihrer Marke sowohl im Amts- als auch im Beschwerdeverfahren eingereicht.
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Mit Beschluss vom 16. November 2017 hat die Markenstelle für Klasse 32 des DPMA durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes eine teilweise Verwechslungsgefahr bejaht und unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen die Löschung der angegriffenen Marke für folgende Waren und Dienstleistungen angeordnet:
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Klasse 32: Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken;
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Klasse 33: alkoholische Getränke [ausgenommen Biere];
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Klasse 43: Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen.
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Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Widersprechende habe auf die zulässig erhobene Nichtbenutzungseinrede die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke nur für die Ware „Heilwässer“ in den beiden maßgeblichen Zeiträumen glaubhaft gemacht. Die angegriffenen Waren der Klasse 32 hätten große Ähnlichkeit mit dem Widerspruchsprodukt „Heilwässer“, weil sich diese Vergleichswaren unter den Oberbegriff „alkoholfreie Getränke“ subsumieren ließen und als Erfrischungsgetränke die gleiche Funktion erfüllten. Zwischen der für die jüngere Marke registrierten Ware „Biere“ und dem Widerspruchsprodukt „Heilwässer“ bestehe keine Ähnlichkeit, da es abwegig sei, dass in Brauereien neben Bier auch Heilwasser hergestellt werde. Unähnlichkeit bestehe auch zu den angegriffenen Waren der Klasse 33, weil zur Herstellung alkoholischer Mixgetränke zwar Mineralwasser, aber wohl kaum Heilwasser verwendet werde. Die Vertriebswege seien verschieden und auch im Supermarkt seien die Vergleichswaren räumlich deutlich voneinander abgegrenzt. Ähnlichkeit liege zwischen den von der jüngeren Marke beanspruchten Dienstleistungen „Verpflegung und Beherbergung von Gästen“ und der Widerspruchsware „Heilwässer“ vor, weil sowohl im Wellness- und Spa-Bereich von Hotels als auch in Lokalen Heilwässer angeboten würden. Den bei normaler Kennzeichnungskraft der älteren Marke gebotenen deutlichen Abstand halte die jüngere Marke nicht ein. Der Gesamteindruck beider Marken werde jeweils durch das identische Wort „SCHILLER“ bzw. „Schiller“ geprägt, während der Bildbestandteil der jüngeren Marke und die weiteren Wortelemente der Kollisionsmarken wegen ihres rein beschreibenden Charakters zurückträten.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke. Sie ist der Ansicht, der Widerspruch zwischen der von der Markenstelle tenorierten Löschung der angegriffenen Waren der Klasse 33 und der Begründung ihrer Unähnlichkeit mit Heilwässern sei als offensichtliche Unrichtigkeit aufzufassen. Die Widersprechende habe auch die rechtserhaltende Benutzung für die Ware „Heilwässer“ nicht glaubhaft gemacht, weil das tatsächliche Inverkehrbringen dieser Ware unter der älteren Marke nicht nachgewiesen worden sei. Die Verwendung der Bezeichnung „E… Schiller Quelle Heilwasser“ in Überschriften und auf Flaschenetiketten verändere den kennzeichnenden Charakter der Widerspruchsmarke, weil die Elemente „E…“ und „Heilwasser“ jeweils herkunftshinweisende Funktion hätten und sich in räumlicher Nähe zur älteren Marke befänden. Die allenfalls als rechtserhaltend benutzt in Betracht kommende Ware „Heilwässer“ sei kein gewöhnliches Getränk, sondern eines der ältesten dem Arzneimittelgesetz unterliegenden (Natur-)Heilmittel, das auch äußerlich angewendet werde und sich an Konsumenten von Heilwässern sowie Ärzte und Heilpraktiker wende, die solchen quasi-medizinischen Produkten mit besonders gesteigerter Aufmerksamkeit begegneten. Die Vergleichswaren seien unähnlich. Die Waren der angegriffenen Marke gehörten zu den Genussmitteln und Erfrischungsgetränken, bei denen der Geschmack und das Trinkerlebnis im Vordergrund stehe, von denen aber im Gegensatz zu Heilwässern keine gesundheitsfördernde oder heilende Wirkung erwartet werde. Die gastronomischen Dienstleistungen, die schon wegen ihrer Unkörperlichkeit einen grundlegenden Abstand zur Widerspruchsware aufwiesen, würden bis auf unmaßgebliche Einzelfälle nicht unter Verwendung von Heilwässern erbracht. Die ältere Marke verfüge nur über eine geringe Kennzeichnungskraft. Die Wortfolge „Schiller Quelle“ werde vom Verkehr als Quelle für natürliches Mineralwasser verstanden. Das vorangestellte Wort „Schiller“ werde von den relevanten Verkehrskreisen als Hinweis auf den deutschen Dichter und Philosophen Friedrich von Schiller aufgefasst, zumal die Widersprechende im Großraum Stuttgart ansässig sei, wo der aus Württemberg stammende Schiller bis zu seiner Flucht gelebt habe. Dementsprechend gebe es eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen und Institutionen aus dieser Gegend mit dem Namenszusatz „Schiller“. Zudem habe in Vaihingen, dem Firmensitz der Widersprechenden, der Schiller-Förderer Friedrich Abel gelebt. Ein aus dieser Gegend stammendes Heilwasser mit der Benennung „Schiller Quelle“ werde daher mit dem Dichter Schiller in Verbindung gebracht. Der Verkehr sei an diesen Zusatz gewöhnt, der nach ihrem Verständnis Traditionelles und ursprünglich Belassenes signalisieren solle. Es fehle auch an einer Markenähnlichkeit. Die abweichenden Markenbestandteile prägten den jeweiligen Gesamteindruck mit und träten nicht hinter dem identischen Markenelement „SCHILLER“ bzw. „Schiller“ zurück. Der Bildbestandteil der jüngeren Marke, der die Statue der Bavaria an der Münchener Theresienwiese zeige, wecke Assoziationen an das weltberühmte Münchner Oktoberfest. Diese auffällige Gestaltung stehe im Vordergrund und präge daher den Gesamteindruck entscheidend mit, während der darunter befindliche Wortbestandteil auch wegen seiner zurückhaltend schlanken Buchstaben im Gesamteindruck zurücktrete. Der nach unten offene Ring sowie die stärkere Linienbreite der Wortkombination „SCHILLER • BRÄU“ im Vergleich zur Darstellung der Bavariastatue bewirke eine räumlich-perspektivische Gestaltung, die der jüngeren Marke eine besonders harmonische und wertige Anmutung verleihe. Ließe man den Bildbestandteil und die Wörter „BRÄU“ und „MÜNCHEN“ weg, so ergäbe sich ein völlig anderer Gesamteindruck. Die Wortelemente „SCHILLER BRÄU MÜNCHEN“ der jüngeren Marke unterschieden sich deutlich von der älteren Marke „Schiller Quelle“. Auch der Markenbestandteil „Quelle“ könne nicht ohne entscheidende Veränderung des Gesamteindrucks aus der Widerspruchsmarke entfernt werden. Damit stünden sich die Kollisionsmarken in ihrer registrierten Form gegenüber, bei denen bereits der mit der selten vorkommenden Buchstabenfolge „Qu“ beginnende Begriff „Quelle“ jegliche Verwechslung verhindere. Zudem werde die Verwechslungsgefahr durch den sofort erfassbaren Bedeutungsgehalt beider Marken reduziert. In der angegriffenen Marke wecke die Darstellung der Bavariastatue Assoziationen an das Oktoberfest, was durch den Wortbestandteil „MÜNCHEN“ verstärkt werde. Das Wortelement „BRÄU“ weise auf ein gebrautes Getränk hin, während das Markenwort „Quelle“ „aus der Erde austretendes natürliches Wasser“ bedeute.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 32 des DPMA vom 16. November 2017 aufzuheben und den Widerspruch aus der Unionsmarke 000 078 816 insgesamt zurückzuweisen.
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Die Widersprechende beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Beide Verfahrensbeteiligte regen hilfsweise die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.
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Die Widersprechende vertritt die Auffassung, die von ihrem Geschäftsführer eidesstattlich versicherten erheblichen Umsätze im stationären und im Onlinehandel sowie der Marktanteil von … bzw. …% belegten ein tatsächliches Inverkehrbringen von Heilwässern. In der benutzten Form mit verschiedenen Zusätzen liege keine Änderung des kennzeichnenden Charakters der Widerspruchsmarke. Das mit deutlichem Abstand zur älteren Marke und in anderer Schrift und Farbe auf Flaschenetiketten angebrachte Wort „E…“ sei erkennbar die Dachmarke, während „Schiller Quelle“ die Produktmarke darstelle. Das ebenfalls in anderer und kleinerer Schrift sowie in abweichender Farbe angebrachte Wort „Heilwasser“ sei rein beschreibend. Die beiderseitigen Waren und Dienstleistungen seien überdurchschnittlich bis normal ähnlich. Heilwässer würden wie Mineralwässer und andere alkoholfreie Getränke im Einzelhandel in handelsüblichen 12er-Kästen in Flaschen à 0,75 l und 1 l vertrieben. Der Durchschnittsverbraucher nehme Heilwasser nicht als Arzneimittel wahr, sondern als ein nichtalkoholisches Getränk zur Deckung des Flüssigkeitsbedarfs bzw. zum Durstlöschen sowie als „Super Food“, also als ein Lebensmittel, dem Gesundheitsvorteile zugeschrieben würden. Dementsprechend sei die Rechtsprechung zur Ähnlichkeit zwischen Mineralwässern und alkoholfreien Getränken entsprechend anwendbar. Heilwässer würden wie Mineralwässer mit alkoholischen Getränken zu Cocktails und Mischgetränken gemixt, so dass sie dieselbe Funktion wie klassische sog. Filler erfüllten, zu denen u. a. Soda Water, Tonic Water und Ginger Ale gehörten. Zwei Produzenten stellten zu ihren eigenen Spirituosen die passenden Filler her. Für die Annahme einer gemeinsamen betrieblichen Herkunft spreche auch, dass in der aktuellen Coronakrise vermehrt Hersteller alkoholischer Getränke dazu übergegangen seien, medizinische Produkte wie Desinfektionsmittel herzustellen. Eine durchschnittliche Ähnlichkeit bestehe zwischen Heilwässern und Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen, weil die Rechtsprechung eine solche auch mit Mineralwässern und alkoholfreien Getränken bejaht habe. Heilwässer fänden sich öfter in Speise- und Getränkekarten von Gastronomie- und Beherbergungsbetrieben. Dies gelte insbesondere für das wohl bekannteste Heilwasser „Staatl. Fachingen“, das mit seinem hohen Hydrogencarbonatgehalt Weinsäure neutralisiere und dadurch den Wein besser verträglich mache. In der Gastronomie gehe der Trend aufgrund gestiegenen Gesundheitsbewusstseins zu weniger kohlensäurehaltigen Getränken, wobei es sogar Gastronomen gebe, die ausschließlich Heilwässer anböten. Dementsprechend biete der Deutsche Heilbrunnen auf seiner Webseite eine Schulung zur Weiterbildung von Personal aus Handel und Gastronomie an. Den Gästen der Steigenberger Hotels und Resorts in Deutschland werde Heilwasser auf den Zimmern serviert. In Wellness- und Spa-Hotels sowie Thermen mit angeschlossenen Hotels und Restaurants werde Heilwasser auch als Getränk konsumiert. Es liege daher für den Verkehr nahe, dass Heilwasser und Verpflegungsdienstleistungen von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt und erbracht würden. Die Widerspruchsmarke verfüge insgesamt über eine normale Kennzeichnungskraft. Beim Markenbestandteil „Schiller“ handele es sich um einen gewöhnlichen Nachnamen, der durchschnittlich kennzeichnungskräftig sei. Selbst wenn der Verkehr an den bekannten Dichter Johann Christoph Friedrich von Schiller denken sollte, bestehe keine dem Durchschnittsverbraucher bekannte Beziehung zwischen dieser historischen Figur und Heilwässern. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Google-Suche mit Unternehmen in Stuttgart-Vaihingen, die den Namen Schiller tragen, zeige nur die marken-/unternehmenskennzeichenmäßige Verwendung bei einer Buchhandlung, einer Volkshochschule und einer Arztpraxis „am Schillerplatz“ und nicht in der Getränkebranche. Zwischen den Vergleichsmarken bestehe eine überdurchschnittliche klangliche Ähnlichkeit, weil sie phonetisch durch den Bestandteil „SCHILLER“ bzw. „Schiller“ geprägt würden, während die weiteren Wort- und Bildbestandteile als beschreibende Elemente zu vernachlässigen seien. Eine Neutralisierung durch unterschiedliche Bedeutungsgehalte scheide aus, weil die Kollisionsmarken in ihrer Gesamtheit aufgrund des jeweils kennzeichnungskräftigen Elements „Schiller“ keine einheitliche Bedeutung hätten.
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Für den Fall, dass der Senat den angefochtenen Beschluss dahin auslegt, dass dem Widerspruch für die Waren „alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]“ trotz ihrer Aufnahme in den Tenor nicht stattgegeben worden sei, legt die Widersprechende Anschlussbeschwerde ein, mit der sie sinngemäß beantragt,
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den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, als der Widerspruch für die Waren „alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]“ zurückgewiesen worden ist, und das DPMA anzuweisen, die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 000 078 816 auch für diese Waren zu löschen.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
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die Anschlussbeschwerde zurückzuweisen.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 28. Mai 2020 sind die Beteiligten auf die vorläufige Rechtsauffassung des Senats hingewiesen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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1. Der Senat sieht davon ab, die Sache nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG zur erneuten Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
31
a) Nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem DPMA an einem wesentlichen Mangel leidet. Von einem wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn es nicht mehr als ordnungsgemäße Grundlage für die darauf beruhende Entscheidung des DPMA anzusehen ist (BGH GRUR 1962, 86, 87 – Fischereifahrzeug). Das gilt insbesondere für völlig ungenügende oder widersprüchliche Begründungen (BPatGE 7, 26, 31 ff.; 21, 75).
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b) Im vorliegenden Fall widersprechen sich Tenorierung und Begründung des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich der angegriffenen Ware „alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]“ der Klasse 33. Das DPMA hat im Entscheidungsausspruch die Teillöschung der angegriffenen Marke auch insoweit angeordnet, obwohl es im 3. Absatz auf Seite 5 der Entscheidungsbegründung ausführt, dass keine Ähnlichkeit zwischen alkoholischen Getränken und Heilwässern feststellbar sei, weil zur Herstellung alkoholischer Mixgetränke zwar Mineralwasser, aber wohl kaum Heilwasser verwendet werde, die Vertriebswege verschieden und die Vergleichswaren auch im Supermarkt räumlich deutlich voneinander abgegrenzt seien. Da das Amt nach dem Inhalt der Entscheidungsgründe von einer absoluten Warenunähnlichkeit ausgegangen ist, hätte es „alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]“ von der Löschungsanordnung ausnehmen müssen. Wegen dieser Widersprüchlichkeit weist der angefochtene Beschluss einen wesentlichen Mangel gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG auf.
33
c) Der Beschluss der Markenstelle kann angesichts des eindeutig formulierten Entscheidungstenors nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Markenstelle „alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]“ von der Löschung ausgenommen hat. Daher ist über die Anschlussbeschwerde der Widersprechenden, die unter der innerprozessualen Bedingung einer solchen Auslegung eingelegt worden ist, nicht zu entscheiden.
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d) Trotz dieses wesentlichen Verfahrensmangels entscheidet der Senat aus Gründen der Verfahrensökonomie in der Sache selbst. Neben der inzwischen langen Verfahrensdauer berücksichtigt der Senat vor allem den Umstand, dass die Markenstelle in ihrer Entscheidungsbegründung unmissverständlich klar gemacht hat, dass sie von einer absoluten Warenunähnlichkeit der angegriffenen Ware „alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]“ ausgegangen ist, so dass der Entscheidungsausspruch offensichtlich aus Versehen fehlerhaft abgefasst worden ist. Eine erneute Befassung der Markenstelle würde daher nur zu einer formalen Korrektur des Tenors führen. Außerdem hat sich keine der Verfahrensbeteiligten für eine Zurückverweisung ausgesprochen, obwohl auch dieser Punkt erörtert worden ist. Vielmehr zeigen die Anschlussbeschwerde der Widersprechenden und der Vortrag der Beschwerdeführerin, dass sie eine Entscheidung in der Beschwerdeinstanz wünschen.
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2. Die nach §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
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Zwischen der angegriffenen Marke und der älteren Unionsmarke „Schiller Quelle“ besteht mit Ausnahme der tenorierten Waren und Dienstleistungen die Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 125b Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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a) Da es sich vorliegend um ein Verfahren über einen Widerspruch handelt, der nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 erhoben worden ist, ist die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG). In Bezug auf die erhobene Nichtbenutzungseinrede sind gemäß § 158 Abs. 5 MarkenG die Vorschrift des 43 Abs. 1 MarkenG ebenfalls in ihrer bis dahin geltenden Fassung anzuwenden.
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b) Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2019, 1058 Rdnr. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rdnr. 9 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.).
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c) Auf die zulässige Nichtbenutzungseinrede hat die Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke nur für die eingetragene Ware „Heilwässer“ hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.
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aa) Am 14. Juli 2017 hat die Inhaberin der angegriffenen Marke die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten. Da die Einrede der Nichtbenutzung undifferenziert erhoben wurde, ist davon auszugehen, dass sie beide Zeiträume des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG umfassen soll (BGH GRUR 1998, 938 – DRAGON; lngerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl., § 43 Rdnr. 12; Ströbele in: Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Aufl., § 43 Rdnr. 26 ff.; Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, 3. Aufl., Rdnr. 560).
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bb) Die Einrede ist nach beiden Alternativen des § 43 Abs. 1 MarkenG wirksam erhoben worden, weil die am 15. Mai 1998 eingetragene Widerspruchsmarke sowohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der angegriffenen Marke am 2. Dezember 2016 als auch im Zeitpunkt der Erhebung am 14. Juli 2017 bereits länger als fünf Jahre eingetragen war.
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cc) Damit sind für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr nach § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG nur die Waren und Dienstleistungen zu berücksichtigen, für die eine rechtserhaltende Benutzung glaubhaft gemacht worden ist. Die Widersprechende hat somit die Benutzung ihrer Marke für die Zeiträume von Dezember 2011 bis Dezember 2016 und von Juni 2016 bis Juni 2021 gemäß §§ 125b Nr. 4, 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG i. V. m. Art. 18 UMV im maßgeblichen Unionsgebiet nach Art, Dauer und Umfang glaubhaft zu machen.
43
dd) Eine Marke wird ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion, die Ursprungsidentität der Waren, für die sie eingetragen ist, zu garantieren, benutzt wird, um für diese Waren einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, wobei die Fälle ausgeschlossen sind, in denen die Marke nur symbolisch benutzt wird, um die durch sie begründeten Rechte zu wahren (EuGH WRP 2017, 1066 Rdnr. 37 – Gözze/VBB; GRUR 2003, 425 Rdnr. 38 – Ansul/Ajax; BGH GRUR 2013, 725 Rdnr. 38 – Duff Beer). Eine ernsthafte Benutzung erfordert, dass die Marke tatsächlich, stetig und mit stabilem Erscheinungsbild auf dem Markt präsent ist (EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 72 – 74 – Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]). Zur Glaubhaftmachung muss von der Widersprechenden daher konkret angegeben werden, wer die Marke auf welche Weise für welche Waren in welchen Jahren an welchem Ort benutzt hat und wie viel Umsatz damit erwirtschaftet worden ist. Dabei müssen die detaillierten Angaben zu den Umsatzzahlen entweder in Geldbeträgen oder in Stück- bzw. Auftragszahlen konkret auf die jeweiligen Waren bezogen und in die jeweiligen für die Benutzung rechtserheblichen Zeiträume aufgeteilt sein.
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ee) Die Frage der Benutzung der Widerspruchsmarke nach § 43 Abs. 1 MarkenG unterliegt abweichend von dem das patentamtliche und das patentgerichtliche Verfahren ansonsten beherrschenden Untersuchungsgrundsatz dem Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatz (BGH GRUR 2006, 152 Rdnr. 19 – GALLUP; BPatG GRUR-RR 2015, 468, 469 – Senkrechte Balken).
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ff) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Widersprechende durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen ihres Geschäftsführers vom 1. März 2017 und 31. März 2021 nebst Anlagen hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Widerspruchsmarke in den maßgeblichen Benutzungszeiträumen zur Kennzeichnung der Ware „Heilwässer“ in der Union benutzt worden ist.
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aaa) Entgegen der Ansicht der Inhaberin der angegriffenen Marke hat die Widersprechende durch eidesstattliche Versicherung ihrer in den Jahren 2011 bis 2020 erzielten Umsätze belegt, dass sie Heilwässer unter ihrer älteren Marke sowohl über das Internet als auch über den stationären Lebensmitteleinzel- und Getränkehandel tatsächlich verkauft und in den Verkehr gebracht hat.
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bbb) Auch die erforderliche funktionsgemäße Benutzung der Widerspruchsmarke ist hinreichend glaubhaft gemacht.
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(1) Auszugehen ist von dem allgemeinen Grundsatz, dass sich die erforderliche Art einer rechtserhaltenden Benutzung nach den jeweiligen branchenüblichen Verwendungsformen von Marken bemisst. Sofern bei den einschlägigen Waren die jeweiligen Marken üblicherweise auf der Ware selbst, ihrer Verpackung oder Umhüllung angebracht werden, sind diese Verwendungsformen auch zur Anerkennung einer rechtserhaltenden Benutzung unabdingbar, weil nur auf diese Weise die erforderliche Herkunftsfunktion erfüllt wird (EuGH GRUR 2003, 425 Rdnr. 36 – Ansul/Ajax; BGH GRUR 2011, 623 Rdnr. 23 – Peek & Cloppenburg II; GRUR 1996, 267, 268 – AQUA; GRUR 1995, 347, 348 – TETRASIL; BPatG GRUR 1996, 981, 982 – ESTAVITAL). Zur Glaubhaftmachung der funktionsgerechten Verwendung ist es daher erforderlich, die Originalware oder -verpackung vorzulegen oder in anderer Form, z. B. durch Fotos oder Kataloge, die tatsächlich vorgenommene Verbindung zwischen Marke und Produkt aufzuzeigen (BPatG Mitt 2006, 567, 569 – VisionArena/@rena vision).
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(2) Die eidesstattlichen Versicherungen des Geschäftsführers der Widersprechenden vom 1. März 2017 und 31. März 2021 zeigen Fotos von Glas- und PET-Flaschen in den Jahren 2011 bis 2016 und in den Jahren 2017 bis 2020 . Auf den Flaschenetiketten
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 erscheint neben weiteren Wort- und Bildelementen jeweils der Schriftzug „Schiller Quelle“ in zweizeiliger Schreibweise als größtes Einzelelement. Dabei handelt es sich um die klassische Anbringungsart einer Getränkemarke.
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ccc) Der Art nach liegt ebenfalls eine rechtserhaltende Benutzung gemäß Art. 18 Abs. 1 a) UMV vor, weil die verwendete Form der Widerspruchsmarke deren kennzeichnenden Charakter nicht verändert.
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(1) Wird die Marke in einer von der Eintragung abweichenden Form benutzt, liegt eine rechtserhaltende Benutzung nur vor, wenn die Abweichung den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändert. Eine solche Veränderung ist zu verneinen, wenn der Verkehr das abweichend benutzte Zeichen gerade bei Wahrnehmung der Unterschiede dem Gesamteindruck nach noch mit der eingetragenen Marke gleichsetzt, das heißt, in der benutzten Form noch dieselbe Marke sieht (BGH GRUR 2017, 1043 Rdnr. 19 – Dorzo; GRUR 2013, 840 Rdnr. 20 – PROTI II). Die isolierte Verwendung von Wortmarken kommt in der Praxis kaum vor. Wird eine Wortmarke dergestalt benutzt, dass das Wortzeichen graphisch oder farblich gestaltet wird oder bildliche Elemente hinzugefügt werden, ist zu prüfen, ob diese weiteren Elemente einen Bezug zur Funktion der Marke als Herkunftshinweis haben oder lediglich allgemeine Sachangaben oder werbliche Hervorhebungsmittel sind (BGH GRUR 2017, 1043 Rdnr. 19 – Dorzo; GRUR 2014, 662 Rdnr. 18 – Probiotik). Die Ergänzung einer an sich unveränderten Marke durch Zusätze stellt keine Benutzung der Marke in der eingetragenen Form dar, wenn die Zusätze mit dem Zeichen erkennbar verbunden sind. In diesem Fall handelt es sich um eine Verwendung der Marke in einer von der Eintragung abweichenden Form (BGH a. a. O. – Dorzo). Die Verbindung zwischen der Marke und einem Zusatz kann insbesondere durch die räumliche Nähe oder die Einbindung in ein Logo hergestellt werden (BGH a. a. O. – Dorzo; GRUR 2015, 587 Rdnr. 13 und 16 f. – PINAR).
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(2) Die auf den Etiketten gezeigte Verwendung der älteren Marke in einer an eine Handschrift erinnernden Schriftart zeigt nur eine werbeübliche Schreibweise, die die Wortmarke „Schiller Quelle“ klar erkennen lässt.
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(3) Die darunter angebrachte Angabe „Heilwasser“ in wesentlich kleinerer Schriftgröße und Druckschrift weist nur beschreibend auf die Warenart hin. Glatt beschreibenden Charakter hat auch die darunter befindliche Zweckangabe in noch kleinerer Schrift „Bei Calciummangel – Unterstützend bei Osteoporose – Zur Magnesiumversorgung“.
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(4) Das auf den Etiketten oberhalb der Widerspruchsmarke angebrachte Wort
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„E…“ führt ebenfalls nicht zu einer Veränderung des kennzeichnenden Charakters.
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(4.1) Falls dem Verbraucher „E…“ als Stadtteil der Großen Kreisstadt V… im Landkreis Ludwigsburg in Baden-Württemberg mit rund 2537 Einwohnern bekannt sein sollte (https://de.wikipedia.org/wiki/E…), fasst er dieses Wort nur als Hinweis auf die geografische Herkunft des Heilwassers und damit als kennzeichnungsschwachen Bestandteil auf.
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(4.2) „E…“ ist aber auch ein Familienname (https://de.wikipedia.org/wiki/E…) und das Firmenschlagwort der Widersprechenden. Trotz der dadurch bedingten eigenen Kennzeichnungskraft ist dieser Begriff nicht in der Lage, den kennzeichnenden Charakter der älteren Marke zu beeinträchtigen.
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(4.2.1) Zum einen fehlt es an einer optischen Verbindung mit der Widerspruchsmarke. Das Wort „E…“ setzt sich auf den Flaschenetiketten
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von der Marke „Schiller Quelle“ durch die andere Ausgestaltung in Schriftart, -größe und -farbe sowie durch die räumliche Anordnung deutlich ab. Die dunkelgrüne, geschwungene, feine Schreibschrift der „Schiller Quelle“ mit eher runden Schriftzeichen bildet einen starken Kontrast zur gedrungenen, fetten Druckschrift des Wortes „E…“ mit fast quadratischen Buchstaben in türkisblauer oder grauer Farbe, so dass sie schon optisch keine zusammengehörige Einheit bilden.
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(4.2.2) Zum anderen handelt es sich aufgrund der klar erkennbar unterschiedlichen Ausgestaltung um die in der Getränkebranche übliche Verwendung von zwei Marken zur Warenkennzeichnung, nämlich das Firmenschlagwort „E…“ als Haupt- oder Dachmarke und „Schiller Quelle“ als spezielle Produktmarke, und damit um eine unschädliche Mehrfachkennzeichnung (BGH a. a. O. – PROTI II). Hauptmarken sind dazu bestimmt, sämtliche mit ihnen versehene Waren einem bestimmten Unternehmen zuzuordnen, während die zusätzlichen Spezialmarken die einzelnen Waren kennzeichnen sollen. Da beide Marken eine betriebliche Herkunftsfunktion erfüllen, liegt auch eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke vor.
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(5) Auch das auf den Etiketten oberhalb vom Wort „E…“ angebrachte kreisförmige Symbol hat keine eigene kennzeichnende Wirkung. Es tritt schon
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größenmäßig   hinter die eigentliche Kennzeichnung „Schiller Quelle“ zurück und ist räumlich noch weiter entfernt als die Dachmarke. Darin ist auch nur der beschreibend wirkende symbolisierte Brunnen mit einer Wasserfontäne noch einigermaßen erkennbar, während die kreisförmig um das Bildsymbol herum angeordneten Wörter schon wegen ihrer Anordnung, aber auch wegen der winzigen Schriftgröße kaum lesbar sind. Im Übrigen lassen sich selbst dann nur die beschreibenden Angaben „MINERAL-HEILQUELLEN E…“ über Art und Herkunft des Wassers erahnen.
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ddd) Die vorgelegten Glaubhaftmachungsmittel belegen eine rechtserhaltende Benutzung der älteren Marke für „Heilwässer“ dem Umfang und der Dauer nach.
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Aus den eidesstattlichen Versicherungen ergeben sich für die Jahre 2011 bis 2020 jährliche Umsätze mit Heilwässern unter der Marke „Schiller Quelle“ in Höhe von ca. … bei … bis … jährlich verkaufter Flaschen, Werbekosten in Höhe von durchschnittlich um die … und ein deutscher Marktanteil von …. Zudem erfolgt der Vertrieb teilweise über namhafte große Einzelhändler, wie EDEKA, REWE, METRO oder Kaufland. Angesichts des begrenzten Marktvolumens von Heilwässern, die nicht mit Massenprodukten wie Erfrischungsgetränken vergleichbar sind, ist von einer ernsthaften Benutzung auszugehen. Mit diesen Angaben werden beide maßgeblichen Benutzungszeiträume fast vollständig abgedeckt.
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eee) Die Benutzung erfolgte auch im maßgebenden Gebiet der Europäischen Union. Der Umstand, dass sich die Umsatzzahlen und Belege nur auf Deutschland beziehen, steht dem nicht entgegen.
67
(1) Die Benutzung einer Unionsmarke muss, um als ernsthaft zu gelten, nicht notwendig im gesamten Gebiet der Europäischen Union erfolgen. Vielmehr ist die Größe des Gebiets der Benutzung nur eines von mehreren maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung einer ernsthaften Benutzung, die untereinander sämtlich in einer Art Wechselwirkung zueinander stehen (EuGH GRUR 2013, 182 Rdnr. 55 – Leno Merken/Hagelkruis Beheer [Onel/Omel]). Bei der Beurteilung der rechtserhaltenden Benutzung einer Unionsmarke sind die Grenzen des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten außer Betracht zu lassen. Zu prüfen sind vielmehr die Merkmale des betreffenden Marktes, die Art der geschützten Waren oder Dienstleistungen, die Gebietsgröße, der quantitative Umfang der Benutzung sowie deren Häufigkeit und Regelmäßigkeit. Dabei ist nicht auszuschließen, dass dieser Markt faktisch auf das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats begrenzt sein kann (EuGH a. a. O. Rdnr. 36, 50, 57 – Leno Merken/Hagelkruis Beheer [Onel/Omel]; BGH GRUR 2013, 925 Rdnr. 38 – VOODOO).
68
(2) Da es sich bei der Bundesrepublik Deutschland gemessen am Bruttoinlandsprodukt um die größte Volkswirtschaft in Europa handelt, ist von einer ernsthaften Benutzung für die Ware „Heilwässer“ in der Union auszugehen (vgl. BPatG 28 W (pat) 10/17 – H-TEC/HYDAC; 30 W (pat) 23/16 – nivo/NIVONA; 24 W (pat) 35/07 – Stradivari; 30 W (pat) 1/10 – TOLTEC/TOMTEC; OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 312, 314 – NEWS; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 172, 173 – ZAPPA). Hierfür spricht auch, dass aus Quellen gewonnene Spezial- und Heilwässer traditionell mit Schwerpunkt in der Produktionsregion abgesetzt werden. Exporte finden in diesem Warenbereich nur bei vergleichsweise wenigen marktführenden Produkten statt.
69
d) Für die Widerspruchswaren der Klasse 32 fehlen sowohl Vortrag als auch Benutzungsunterlagen, so dass sie nicht zu berücksichtigen sind (§§ 125b Nr. 4, 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG).
70
e) Zwischen der rechtserhaltend benutzten Widerspruchsware „Heilwässer“ und den für die angegriffene Marke geschützten Produkten und Dienstleistungen der Klasse 35 besteht teilweise überdurchschnittliche, teilweise normale, teilweise geringe Ähnlichkeit und teilweise Unähnlichkeit.
71
aa) Eine Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblicher Faktoren wie insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierender oder einander ergänzender Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2014, 488 Rdnr. 12 – DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2015, 176, 177 Rdnr. 16 – ZOOM). Von einer absoluten Warenunähnlichkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Annahme einer Verwechslungsgefahr trotz (unterstellter) Identität der Marken wegen des Abstands der Waren von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a. a. O. – DESPERADOS/DESPERADO; a. a. O. Rdnr. 17 – ZOOM). Das stärkste Gewicht kommt im Hinblick auf die Herkunftsfunktion der Marke der regelmäßigen betrieblichen Herkunft, also dem gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereich für die Qualität der Waren und/oder Dienstleistungen zu, während der regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsstätte ein geringeres Gewicht zugemessen wird.
72
bb) Die angegriffenen Getränke „Mineralwässer““ der Klasse 32 sind mit der Widerspruchsware „Heilwässer“ überdurchschnittlich ähnlich, weil beide Waren als naturbelassene Wässer mit Mineralstoffen und Spurenelementen stofflich weitgehend identisch sind und häufig von denselben Unternehmen in gleicher Art und Weise gewonnen, verarbeitet und vertrieben werden. Sie stimmen auch überwiegend im Verwendungszweck überein, weil beide Getränke dazu dienen, für eine ausreichende und gesunde Flüssigkeitszufuhr zu sorgen.
73
cc) Die für die jüngere Marke geschützten Produkte „kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte“ weisen durchschnittliche Ähnlichkeit mit der für die Widerspruchsmarke registrierten Ware „Heilwässer“ auf. Denn es bestehen Parallelen beim Verwendungszweck, bei der Verarbeitung von im Wesentlichen wasserhaltigen Getränken und dem Vertrieb in üblichen Gebinden über den Lebensmitteleinzel- und den Getränkefachhandel. „Kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte“ werden zudem häufig von größeren Mineralwasserfirmen neben Heilwässern und Mineralwässern hergestellt. Die Vergleichswaren stehen auch in einem Ergänzungsverhältnis zueinander, weil sie parallel zu mineralhaltigen Heilwässern getrunken oder zur Reduzierung des Heilwassergeschmacks miteinander vermischt werden können.
74
dd) Zwischen den angegriffenen Produkten „Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken“ und der Widerspruchsware „Heilwässer“ besteht nur eine unterdurchschnittliche Ähnlichkeit. Die Kollisionswaren haben Berührungspunkte als alkoholfreie Getränkezubereitungsmittel, die im Getränkehandel erhältlich sind. Zudem können Sirupe und Getränkezubereitungspräparate zu Heilwässern hinzugemischt werden, um bei den geschmacklich nicht immer unproblematischen Heilwässern eine Geschmacksverbesserung oder -variation zu erreichen.
75
ee) Keine Ähnlichkeit weisen hingegen die für die jüngere Marke registrierten Waren „alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]“ mit dem Widerspruchsprodukt „Heilwässer“ auf.
76
aaa) Heilwässer haben nach § 2 Absatz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) den Status eines Arzneimittels, das nur mit Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei Nachweis einer vorbeugenden, lindernden oder heilenden Wirkung auf den Markt gebracht werden darf. Allen Heilwässern gemein ist, dass sie direkt aus der Quelle entnommen werden müssen und in ihrer Mineralstoffzusammensetzung nicht verändert werden dürfen. In einem Liter Wasser müssen mindestens ein Gramm gelöste Mineralstoffe oder Spurenelemente enthalten sein. Genaue Angaben zu Inhaltsstoffen und deren Wirkweise müssen auf dem Flaschenetikett ausgewiesen werden. Der Genuss kann Anwendungsbeschränkungen unterliegen, z. B. muss auf Unverträglichkeiten von größeren Flüssigkeitsmengen bei schweren Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen geachtet werden. Eine typische auf dem Etikett angegebene Wechselwirkung ist, dass die Aufnahme und Ausscheidung von Medikamenten beeinflusst werden kann (https://de.wikipedia.org/wiki/Heilwasser). Die Gegenanzeigen schließen mit dem aus der Arzneimittelwerbung bekannten Satz: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie das Etikett und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ (vgl. Anlage GL 5).
77
bbb) Die Vergleichswaren unterscheiden sich daher erheblich in ihrer stofflichen Beschaffenheit, ihrem Verwendungszweck, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft und ihrer regelmäßigen Vertriebsart.
78
(1) Einem Arzneimittel aus Wasser mit lebenswichtigen Mineralstoffen und Spurenelementen sowie einer wissenschaftlich und amtlich bestätigten vorbeugenden, lindernden und heilenden Wirkung steht ein Lebensmittel mit teilweise erheblichem, gesundheitsschädlichem Alkoholgehalt und vielfältigen anderen Inhaltsstoffen gegenüber.
79
(2) Während Heilwässer als Naturheilmittel die Verbesserung oder Erhaltung der Gesundheit des Konsumenten bezwecken, dienen alkoholische Getränke ausschließlich Genusszwecken. Außerdem wird das Trinken von Heilwässern zumeist bei gleichzeitigem Verzicht auf Alkohol empfohlen, was die Gegensätzlichkeit der Vergleichswaren hervorhebt.
80
(3) Alkoholische Getränke werden von Brauereien, Brennereien, Likörfabriken, Winzern in aufwändigen Prozessen hergestellt, während Heilwässer von Quellenbesitzern oder -pächtern schlicht gewonnen und abgefüllt werden.
81
(4) Auch in Supermärkten werden Heilwässer und alkoholische Getränke in getrennten Regalen angeboten.
82
(5) Für ihre Behauptung, dass Heilwässer mit alkoholischen Getränken zu Cocktails und Mixgetränken gemischt würden, hat die Widersprechende das Rezept eines als alkoholfrei bezeichneten Cocktails mit 2 Tropfen Orangenbitter (Anlage GL 12, Bl. 101 GA) und das Rezept für eine Maibowle mit 4 cl Kiwilikör (Anlage GL 12, Bl. 104) eingereicht. Abgesehen davon, dass der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen der die Ähnlichkeit beeinflussenden Tatsachen und für die Beurteilung der darauf beruhenden Verkehrsauffassung der Anmeldezeitpunkt der angegriffenen Marke (BGH GRUR 1999, 731, 733 – Canon II) ist und nicht feststellbar ist, ob die beiden Belege aus der Zeit vor dem 19. Oktober 2016 stammen, würden diese schon anzahlmäßig nicht ausreichen, um nachzuweisen, dass die Verwendung von Heilwässern für das Mischen mit alkoholischen Getränken zum maßgeblichen Prioritätszeitpunkt üblich gewesen sei.
83
(6) Die beiden von der Widersprechenden angeführten Beispiele, bei denen zwei konkret benannte Spirituosenhersteller auch die passenden Filler herstellen (Anlagen GL 15 u. 16, Bl. 193 f. GA), betreffen weder Heil- noch Mineralwasser, sondern Genussmittel wie Tonic Water und Ginger Ale, die nach traditionellen Rezepten zu bestimmten Spirituosen wie Gin passen. Heilwässer werden von diesen Spirituosenherstellern jedenfalls nicht produziert. Außerdem stammen die Belege von 2018 und 2020 und damit aus einer Zeit nach dem maßgeblichen Prioritätszeitpunkt.
84
(7) Dies gilt auch für die aus 2020 stammenden Nachweise (Anlage GL 17, Bl. 195 – 206 GA), dass Spirituosenhersteller in Zeiten der Coronakrise medizinische Produkte, nämlich Desinfektionsmittel herstellen. Außerdem weisen antivirale Desinfektionsmittel einen extrem hohen Alkoholgehalt auf und haben deshalb einen intensiven Destillationsprozess hinter sich, so dass sie mit der Gewinnung von Heilwässern nichts gemeinsam haben.
85
(8) Angesichts dieser weitgehenden Abweichungen vermögen gelegentliche gemeinsame Verwendungen wie etwa der von der Widersprechenden angeführte gemeinsame Konsum von Wein und bestimmten säureneutralisierenden Heilwässern zwecks Vorbeugung von Sodbrennen (Anlage GL 18, Bl. 208 f. GA) keine auch nur geringe Warenähnlichkeit zu begründen. Bei einem solchen Parallelkonsum, der einer begleitenden Einnahme säurehemmender Tabletten zur Vermeidung oder Bekämpfung von Magenübersäurerung entspricht, erfüllt das Heilwasser einen anderen, nämlich einen medizinischen oder quasi-medizinischen Zweck.
86
ff) Absolute Unähnlichkeit besteht auch zwischen den angegriffenen „Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen“ der Klasse 43 und der Widerspruchsware „Heilwässer“.
87
aaa) Dabei dürfen an eine Ähnlichkeit zwischen Waren und Dienstleistungen keine unüberwindbar hohen Anforderungen gestellt werden. Zwar sind Dienstleistungen generell weder mit den zu ihrer Erbringung verwendeten Waren und Hilfsmitteln noch mit den durch sie erzielten Ergebnissen, soweit sie Waren hervorbringen, ohne weiteres als ähnlich anzusehen. Besondere Umstände können jedoch die Feststellung der Ähnlichkeit nahelegen. Maßgeblich ist insoweit die Verkehrsanschauung. Eine die Verwechslungsgefahr begründende Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen liegt vor, wenn das Publikum annimmt, die Ware und die Dienstleistung stammten aus demselben oder jedenfalls wirtschaftlich verbundenen Unternehmen. Ein Indiz für eine Ähnlichkeit zwischen Waren und Dienstleistungen kann vorliegen, wenn die Waren nicht allgemein angeboten und verwendet werden, sondern typischerweise bei der Erbringung der Dienstleistungen zur Anwendung kommen. Bei den beteiligten Verkehrskreisen kann der Eindruck aufkommen, dass Ware und Dienstleistung der Kontrolle desselben Unternehmens unterliegen, wenn sich das Dienstleistungsunternehmen selbständig auch mit der Herstellung bzw. dem Vertrieb der Ware befasst oder der Warenhersteller oder -vertreiber sich auch auf dem entsprechenden Dienstleistungsgebietselbständig gewerblich betätigt (BGH GRUR 2012, 1145 Rdnr. 35 – PELIKAN). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
88
bbb) Zwar hat die Rechtsprechung mehrfach eine Ähnlichkeit zwischen Verpflegungs- und Beherbergungsdienstleistungen sowie Mineralwässern und anderen alkoholfreien Getränken der Klasse 32 bejaht (vgl. BPatG 27 W (pat) 581/11 – KALIMERA/Guten Morgen; 27 W (pat) 595/10 – YoYo Foodworld/YO; EuG, Urt. v. 16. Januar 2014 -T-304/12 Rdnr. 29 – ABSACKER of Germany/ABSACKER). Diese Rechtsprechung kann aber nicht auf Heilwässer übertragen werden. Heilwässer kommen im Gegensatz zu Mineralwässern nicht typischerweise bei der Erbringung von Verpflegungs- und Beherbergungsdienstleistungen zur Anwendung. Ferner sprechen die von der Widersprechenden vorgelegten Internetausdrucke eher gegen eine Gleichsetzung von Heilwasser mit Mineralwasser. So ist in der Information eines Kurhotels über das Thermalwasser/Heilwasser in Füssing von Schwefelwässern (!) und einer Trinkkur mit maximal ½ Liter Thermalmineralwasser täglich in einem Zeitraum von bis zu vier Wochen die Rede (Kurhotel Zink, Anlage GL 22, Bl. 215 GA), was gegen einen unbedenklichen Konsum und gegen die Eignung als Gegenstand von Gastronomie- und Verpflegungsdienstleistungen spricht. Ein weiteres Wellness-Hotel stellt die Unterschiede zwischen Mineralwasser und Heilwasser deutlich heraus (Seehotel Burg, Anlage GL 22, Bl. 217 GA). Auch die in den Belegen enthaltene Information, dass Heilwässer eine medizinische Wirkung und den Status eines Arzneimittels haben, und sowohl innerlich für Trinkkuren als auch äußerlich für Heilbäder verwendet werden können, spricht gegen eine Gleichsetzung mit Mineralwässern.
89
ccc) Jedenfalls ist von Heilwasserherstellern nicht bekannt, dass sie wie Brauereien häufig eigene gastronomische Einrichtungen betreiben, in denen Heilwasser ausgeschenkt und Speisen angeboten werden. Auf Speise- und Getränkekarten gastronomischer Betriebe sind zwar stets Mineralwässer, aber keineswegs immer Heilwässer zu finden, insbesondere nicht bei kleineren gastronomischen Betrieben, was die Annahme einer Ähnlichkeit für sich genommen auch nicht rechtfertigen würde. Es gibt aber keinen Hotel- oder Verpflegungsbetrieb, der ein auf seiner Getränkekarte angebotenes Heilwasser selbst fördert oder vor Ort abfüllt. Davon würde auch kein Hotel- oder Restaurantgast ausgehen.
90
ddd) Soweit die Widersprechende unter Vorlage eines Artikels aus der online verfügbaren Zeitschrift „AHGZ Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung“ (Ausgabe 23/2016, S. 14, Anlage GL 19, Bl. 210 GA) behauptet, dass der Trend aufgrund gestiegenen Gesundheitsbewusstseins zu weniger kohlensäurehaltigen Getränken gehe, wobei es sogar Gastronomen gebe, die ausschließlich Heilwässer anböten, hat sie diese Gastronomen nicht namentlich benannt. Aber selbst wenn einige Gastronomen dies getan haben sollten, ist damit noch nicht belegt, dass sich im Oktober 2016 bereits ein entsprechendes Verkehrsverständnis gebildet hat.
91
eee) Das Angebot einer Schulung über Heilwässer zur Weiterbildung von Personal aus Handel und Gastronomie des Verbandes Deutscher Mineralbrunnen e. V. (Seite 4 f. des Schriftsatzes der Widersprechenden vom 25. Juni 2020, Bl. 188 f. GA) ist nicht datiert und dürfte daher ebenfalls aus dem Jahr 2020 und damit jenseits des maßgeblichen Zeitpunkts liegen. Außerdem belegt das Schulungsangebot eines Heilwasserherstellerverbandes zur Information über Inhalt und gesundheitliche Wirkung von Heilwässern noch nicht, dass gastronomische Betriebe auch selbst Heilwässer produzieren.
92
fff) Auch der Umstand, dass Gästen der Steigenberger Hotels und Resorts in Deutschland seit Januar 2018 Heilwasser auf den Zimmern serviert wird (Anlage GL 20, Bl. 211 f. GA), liegt jenseits des maßgeblichen Zeitpunkts und erweckt auch nicht den Eindruck einer Eigenproduktion durch das Hotel.
93
ggg) Der Internetausdruck der Homepage http://www.fachingen.de (Anlage GL 21, Bl. 213 GA), in dem vorgeschlagen wird, dieses Heilwasser auch im Spa- und Wellness-Bereich anzubieten, stammt ebenfalls aus dem Jahr 2020 und weist nur darauf hin, dass gastronomische Betriebe dieses Heilwasser anbieten können, nicht aber, dass sie Heilwasser selbst gewinnen.
94
hhh) Vorgenanntes gilt auch für Thermen mit angeschlossenen Hotels und Restaurants (Anlage GL 22, Bl. 214 – 224 GA).
95
iii) Da somit hinsichtlich der angegriffenen Waren „alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]“ und den von der jüngeren Marke beanspruchten „Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen“ eine Ähnlichkeit zu verneinen ist, scheidet eine Verwechslungsgefahr insoweit aus.
96
f) Die im Ähnlichkeitsbereich liegenden Produkte richten sich sowohl an breite Verkehrskreise, nämlich sowohl an den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr.24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Chiemsee) als auch an den Lebensmittel- und Getränkefachhandel sowie den Gastronomiefachverkehr. Da es sich bei alkoholfreien Getränken um Artikel des täglichen Bedarfs bzw. um kurzlebige Erzeugnisse des Massenkonsums handelt, werden die angesprochenen Verkehrskreise diesen Waren mit eher geringem Aufmerksamkeitsgrad begegnen. Da „Heilwässer“ den Status eines Arzneimittels einnehmen, ist auch auf Ärzte und Heilpraktiker abzustellen, die diesem Produkt mit besonderer Aufmerksamkeit begegnen. Aber auch der Endverbraucher misst allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit bei (vgl. BGH GRUR 1995, 50, 53 – Indorektal/Indohexal).
97
g) Der Widerspruchswortmarke „Schiller Quelle“ kommt von Haus aus eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu.
98
aa) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchstabe a]; BGH a. a. O. Rdnr. 41 – INJEKT/INJEX). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).
99
bb) Die ältere Unionswortmarke „Schiller Quelle“ setzt sich aus dem Namen „Schiller“ und dem Wort „Quelle“ zusammen.
100
aaa) Das Substantiv „Quelle“ weist nur auf Ort und Art der Gewinnung der zu berücksichtigenden Widerspruchsware „Heilwässer“ hin. Es handelt sich daher um eine unmittelbar beschreibende und damit kennzeichnungsunfähige Angabe.
101
bbb) Das Wort „Schiller“ wird von den angesprochenen Verkehrskreisen als deutscher Nachname und/oder als Name des berühmten Dichters Johann Christoph Friedrich von Schiller erkannt und damit als klassisches Unterscheidungsmittel angesehen. Dieser Personenname wird nicht als eine warenbeschreibende Sachangabe verstanden, weil jeglicher Bezug dieser historischen Person oder seines Namens zu Heilwässern oder der Art der Gewinnung, Zubereitung oder Darreichung von Heilwässern fehlt. Soweit die Beschwerdeführerin meint, der Name „Schiller“ signalisiere Traditionelles und ursprünglich Belassenes, geht dies aus der bloßen Verwendung des Dichternachnamens für Heilwässer nicht hervor.
102
cc) Das kennzeichnungsstarke Element „Schiller“ führt somit zu einem normalen Schutzumfang der Gesamtmarke.
103
dd) Eine Schwächung der Kennzeichnungskraft durch benutzte Drittmarken ist ebenfalls weder nachgewiesen noch ersichtlich. Aus der von der Inhaberin der angegriffenen Marke vorgelegten Google-Trefferliste (Anlage zum Schriftsatz vom 13. Juli 2017) geht nicht hervor, dass es noch andere Heilwasserhersteller gibt, die ihr Produkt mit dem Namen „Schiller“ kennzeichnen. In dieser Liste taucht kein einziges Konkurrenzunternehmen mit einem „Schiller“-Produkt auf.
104
h) Den bei gering bis überdurchschnittlich ähnlichen Vergleichswaren, geringer bis erhöhter Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise und normaler Kennzeichnungskraft der älteren Marke gebotenen Abstand hält die jüngere Marke wegen klanglicher Markenidentität nicht mehr ein.
105
aa) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rdnr. 35 – Specsavers/Asda; BGH a. a. O. Rdnr. 58 – INJEKT/INJEX), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH a. a. O. Rdnr. 37 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH GRUR 2016, 382 Rdnr. 37 – BioGourmet). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 35 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).
106
bb) Die Vergleichsmarken und „Schiller Quelle“ unterscheiden sich in der Gesamtheit und (schrift-)bildlich durch die abweichenden Wörter „BRÄU“, „MÜNCHEN“ und „Quelle“ sowie durch den Bildbestandteil der angegriffenen Marke deutlich voneinander.
107
cc) Jedoch wird der klangliche Gesamteindruck beider Marken jeweils durch das übereinstimmende Wort „SCHILLER“ bzw. „Schiller“ geprägt.
108
aaa) Bei der Feststellung des klanglichen Gesamteindrucks einer Wort-/Bildmarke ist von dem in ständiger Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Wortbestandteil – sofern er kennzeichnungskräftig ist – den Gesamteindruck prägt, weil er die einfachste Möglichkeit bietet, die Marke zu benennen (vgl. BGH GRUR 2014, 378 Rdnr. 39 – OTTO CAP).
109
bbb) Da es sich bei dem Wortelement „SCHILLER“ um den einzigen kennzeichnungskräftigen Bestandteil der jüngeren Marke handelt, der selbst, wenn man ihn mit der Person und dem Schaffen des gleichnamigen Dichters assoziiert, nicht geeignet ist, die alkoholfreien Getränkewaren und -präparate zu beschreiben, bietet er sich zur Benennung der Gesamtmarke an.
110
ccc) Das auf Brauereiprodukte, zu denen auch alkoholfreie Erfrischungsgetränke gehören, hinweisende Wort „BRÄU“ und die geografische Herkunftsangabe „MÜNCHEN“ treten wegen ihres rein beschreibenden Charakters im phonetischen Gesamteindruck zurück.
111
ddd) Das Wortelement „SCHILLER“ wird auch nicht größenmäßig von dem Bildbestandteil verdrängt. Abgesehen davon, dass es sich dabei um eine einfache, symbolartige Darstellung handelt, bei der auf Gesichtskonturen verzichtet wird, ist er als bildlicher Hinweis auf die geografische Herkunft der Waren kennzeichnungsschwach. Er besteht aus einer Frauenfigur, die mit ihrem einfachen, wallenden und ärmellosen Kleid an antike Frauendarstellungen erinnert und die mit einem erhobenen Arm sowie dem an ihrer Seite befindlichen Löwen der an der Münchner Theresienwiese stehenden Bavaria-Statue entspricht. Der Ortsname „MÜNCHEN“ und der Wortbestandteil „BRÄU“ verstärken den Eindruck, dass es sich um eine Darstellung der Bavaria-Statue an der Münchener Theresienwiese handelt, auf der das bekannte Münchener Oktoberfest stattfindet.
112
dd) Auch die Widerspruchsmarke wird wegen des kennzeichnungsschwachen Bestandteils „Quelle“ durch das normal kennzeichnungskräftige und vorangestellte Wort „Schiller“ geprägt.
113
ee) Es stehen sich daher klanglich identische Markenwörter gegenüber.
III.
114
Die von beiden Verfahrensbeteiligten angeregte Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 83 Abs. 2 MarkenG ist nicht veranlasst.
115
Einen Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde hat keiner von ihnen genannt.
116
Im Übrigen ist weder über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (§ 83 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG), noch ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung als erforderlich zu erachten (§ 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr sind die vom EuGH und BGH in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Maßstäbe angelegt worden.
IV.
117
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.


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