Patent- und Markenrecht

26 W (pat) 596/20

Aktenzeichen  26 W (pat) 596/20

Datum:
30.5.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2022:300522B26Wpat596.20.0
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2019 219 126
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 30. Mai 2022 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge, des Richters Dr. von Hartz und der Richterin Dr. Rupp-Swienty
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wortmarke
2
Pillopaul
3
ist am 10. Juni 2019 angemeldet und am 10. September 2019 unter der Nummer 30 2019 219 126 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register als Marke eingetragen worden für Waren der Klassen 20, 24 und 25, darunter in
4
Klasse 24: Kopfkissenbezüge; Bett- und Tischwäsche; Bezüge für Sitzkissen; Bettdecken [Bettwäsche]; Bezüge für Kissen; Überzüge für Betten.
5
Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 11. Oktober 2019 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus der Wortmarke
6
Polipol
7
die am 14. Juni 2017 angemeldet und am 20. September 2017 unter der Nummer 30 2017 015 083 in das beim DPMA geführte Register eingetragen worden ist für Waren der Klassen 18, 20, 22 und 24, darunter in
8
Klasse 20: Betten; Kissen;
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Klasse 24: Haushaltswäsche; Decken; Schonerdecken.
10
Der Widerspruch richtet sich nur gegen die vorgenannten angegriffenen Waren der Klasse 24 und stützt sich nur auf die vorgenannten Widerspruchsprodukte der Klassen 20 und 24.
11
Mit Beschluss vom 18. September 2020 hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 20 des DPMA eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Vergleichswaren lägen in einem engen Ähnlichkeitsbereich bis hin zur Identität. Die genaue Abstufung könne jedoch dahinstehen, da selbst bei identischen Waren eine Verwechslungsgefahr nicht festgestellt werden könne. Das Markenwort der Widerspruchsmarke sei eine Abwandlung des Fachbegriffs „Polypol“, der sich aus den griechischen Wörtern „poly“ für „viel“ und „Polein“ für „verkaufen“ zusammensetze und stelle in der Wirtschaft eine Marktform dar, die durch viele Marktteilnehmer gekennzeichnet sei. Da dieser spezielle Begriff außerhalb des Fachgebiets der Wirtschaftswissenschaft kaum Verwendung finde, könne der älteren Marke in Bezug auf die hier zu betrachtenden Widerspruchswaren keine beschreibende Bedeutung entnommen werden. Ihr komme daher ein normaler Schutzumfang zu. Der einzuhaltende Markenabstand werde in jeder Hinsicht noch gewahrt, weil keine Ähnlichkeit in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht vorliege. Die angegriffene Marke bestehe phonetisch aus dem an das englische Wort „pillow“ angelehnten Wortanfang „Pillo“ und dem bekannten deutschen Vornamen „Paul“. Derartige Verbindungen aus zwei Sinneinheiten würden grundsätzlich auf dem ersten Bestandteil, dem Bestimmungswort, betont, wodurch das Grundwort „Paul“ akustisch deutlich abgesetzt werde. Demgegenüber liege die Betonung bei Wörtern mit der Endung „ol“, also auch bei der Widerspruchsmarke regelmäßig auf der Endsilbe. Ferner erfolge durch den Doppelkonsonanten in der jüngeren Marke eine schnellere Aussprache der Anfangssilbe, so dass neben der unterschiedlichen Vokalfolge auch ein abweichender Sprechrhythmus entstehe. Trotz der annähernd identischen Wortlänge wiesen die schriftbildlichen Wortanfänge ausreichende Unterschiede in der Breite der jeweils zweiten Buchstaben „l“ und „o“ auf. Da die ältere Marke die Abwandlung eines Fachbegriffs darstelle, während die angegriffene Marke einen deutschen Vornamen mit einer Abwandlung des englischen Substantivs für „Kissen“ kombiniere, scheide auch eine begriffliche Ähnlichkeit aus.
12
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie ist der Ansicht, die Vergleichswaren seien identisch und im Übrigen normal bis hochgradig ähnlich. Kissen, Bettdecken und deren Bezüge sowie Tischwäsche seien Waren des Massenkonsums, weil sie von jedermann täglich benötigt würden. Sie könnten in Discountern, Kaufhäusern, Möbelhäusern und im Online-Handel für geringe Beträge erworben werden. Ihnen bringe der Durchschnittsverbraucher daher normale bis eher unterdurchschnittliche Aufmerksamkeit entgegen. (Alt-)Griechisch sei relevanten Teilen der deutschen Bevölkerung nicht bekannt. Auch wenn der Begriff „poly“ noch einigermaßen geläufig sei, werde bestritten, dass der Verkehr ihn in der älteren Marke mit der Schreibweise „i“ wiedererkenne. Die Endung „pol“ könnte höchstens an das Wort „Pol“ im Sinne von „Nordpol“, „Südpol“ oder „Polkappe“ erinnern. Die Widerspruchsmarke werde vom Verkehr daher als reines Fantasiezeichen wahrgenommen. Aufgrund der anagrammatischen Klangrotation in der jüngeren Marke liege eine hochgradige Markenähnlichkeit vor. Beide Marken begännen mit dem klangstarken Konsonanten „P“ und endeten auf dem Mitlaut „l“. Beide seien dreisilbig, verfügten über identische Vokale und Konsonanten, wobei letztere dieselbe Reihenfolge aufwiesen, während die Vokale „o“ und „i“ eine umgekehrte Abfolge einnähmen. Beide Kollisionsmarken würden entgegen der Ansicht der Markenstelle auf den ersten beiden Silben betont. Die jeweiligen Wortenden „paul“ und „pol“ seien klanglich sehr ähnlich. Die angegriffene Marke werde entweder insgesamt deutsch oder insgesamt englisch ausgesprochen, aber nicht gemischt. Das Wort „pillow“ gehöre nicht zum englischen Grundwortschatz. Auch wegen des fehlenden „w“ werde der Verkehr die angegriffene Marke ebenfalls als Fantasiewort betrachten und allenfalls den Namen „Paul“ wiedererkennen. Der Verkehr werde sich daher nicht an die konkrete Silbenreihenfolge erinnern und keinen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt erkennen. Da die Vergleichswaren überwiegend auf Sicht gekauft würden, komme es vorwiegend auf den schriftbildlichen Vergleich an. Die beiden grundsätzlich stärker beachteten Wortanfänge begännen mit demselben Anfangsschriftzeichen „P“, die Buchstaben „o“ und „a“ ähnelten sich in ihrem Schriftbild deutlich und die Schriftzeichen „l“ stünden sich identisch gegenüber, während das „u“ nicht weiter auffalle.
13
Die Widersprechende beantragt,
14
den Beschluss vom 18. September 2020 der Markenstelle für Klasse 20 des DPMA aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die Eintragung der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke 30 2017 015 083 zu löschen.
15
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
17
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertritt die Auffassung, es fehle bereits an einer Überschneidung der Heimtier- mit der Möbelbranche, weil sie Hundekissen herstelle, die sie mit dem Namen und einer Karikatur ihres Hundes „Paul“ kennzeichne, während die Widersprechende Polstermöbel produziere. Sie trete ausschließlich im Internet über ihren Shop und gelegentlich in Hundeforen im Social Media Bereich auf. Der Bestandteil „Pillo“ sei vom englischen Wort für „Kissen“ abgeleitet. Um einen schönen Klang zu erreichen, sei das „w“ weggelassen worden. Eine phonetische Ähnlichkeit zwischen den Vergleichsmarken liege nicht vor.
18
Mit gerichtlichem Schreiben vom 16. Februar 2022 sind die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
20
Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
21
Zwischen der angegriffenen Marke „Pillopaul“ und der älteren Wortmarke „Polipol“ besteht keine Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.
22
Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: vgl. EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 24 – RETROLYMPICS; GRUR 2021, 724 Rdnr. 31 – PEARL/PURE PEARL m. w. N.).
23
1. Nach der hier maßgeblichen Registerlage sind die Vergleichswaren identisch, weil alle angegriffenen Produkte von dem weiten Oberbegriff „Haushaltswäsche“ der Widerspruchsmarke umfasst sind. Denn „Haushaltswäsche“ wird definiert als „Wäsche, die in einem Haushalt verwendet wird“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Haushaltswaesche). Darunter fällt sowohl Bettwäsche (Laken, Bezüge) als auch Tischwäsche.
24
Da allein von den im Register eingetragenen Waren und Dienstleistungen auszugehen ist, kommt es nicht darauf an, für welche Waren und Dienstleistungen die Marken tatsächlich im Verkehr eingesetzt werden und welcher Art die tatsächlichen Umstände der Benutzung sind, weil Vermarktungsstrategien oder Marketingkonzeptionen jederzeit geändert werden können (EuGH GRUR 2020, 640 Rdnr. 72 – BLACK LABEL/LABELL; BGH GRUR 2004, 600, 601 – d-c-fix/CD-FIX, Juris-Tz. 21; GRUR 2002, 544, 546 – BANK 24, Juris-Tz. 50; GRUR 1999, 245, 247 – LIBERO, Juris-Tz. 36; 1998, 1034, 1036 – Makalu, Juris-Tz 31; BPatG 33 W (pat) 554/10 – KREDIT iNFOM/CREDITREFORM). Es spielt daher keine Rolle, in welcher Branche die Parteien tatsächlich tätig sind.
25
2. Die im Identitätsbereich liegenden Kollisionswaren der Klasse 24 richten sich an breite Verkehrskreise, nämlich sowohl an den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (EuGH GRUR 2006, 411 RdNr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; EuGH GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Windsurfing Chiemsee) als auch an den Fachhandel für Heimtextilien.
26
Da die Anschaffung von Bett- und Tischwäsche regelmäßig für einen längeren Zeitraum erfolgt und im Hinblick auf Optik bzw. Ästhetik erst nach genauerer Prüfung ausgesucht wird (BPatG 26 W (pat) 515/17 – BOSSIMA/BOSS), werden die angesprochenen Verkehrskreise diesen regelmäßig mit erhöhter Aufmerksamkeit begegnen (BPatG 26 W (pat) 548/19 – ROMI/rohi). Im Niedrigpreissegment dürfte die Aufmerksamkeit eher normal sein.
27
3. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke „Polipol“ ist als durchschnittlich einzustufen.
28
a) Ihre originäre Kennzeichnungskraft ist normal.
29
aa) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchstabe a]; BGH GRUR 2020, 870 Rdnr. 41 – INJEKT/INJEX). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH MarkenR 2017, 412 Rdnr. 19 – Medicon-Apotheke/MediCo Apotheke; WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).
30
aa) Die ältere Wortmarke „Polipol“ hat keine Bedeutung in der deutschen Sprache. Soweit der angesprochene Verkehr überhaupt Anlass haben sollte, die Widerspruchsmarke in „Poli“ und „pol“ aufzuspalten, führt dies nicht zu ihrer Kennzeichnungsschwäche.
31
aaa) „Poli“ ist der Name einiger weniger bekannter ausländischer Städte und im Übrigen überwiegend ein italienischer Familienname (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Poli). Die Vorsilbe „poli“ stammt vom griechischen Wort „polis“ für „Burg, Stadt“ ab und ist im Inland vor allem aufgrund der Wortkombination „Poliklinik“ im Sinne von „Stadtkrankenhaus“ oder „Ärztezentrum“ bekannt (https://de.wikipedia.org/wiki/Poliklinik).
32
bbb) Das Substantiv „Pol“ bezeichnet den „Endpunkt der Erdachse (und seine Umgebung); Nordpol, Südpol“. In der Astronomie ist es der „Himmelspol“, in der Physik der „Aus- oder Eintrittspunkt magnetischer Kraftlinien beim Magneten“, in der Elektrotechnik der „Aus- oder Eintrittspunkt des Stromes bei einer elektrischen Stromquelle“ und in der Mathematik ein „Punkt, der eine ausgezeichnete Lage oder eine besondere Bedeutung hat“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Pol_Endpunkt).
33
bb) Die Gesamtbedeutung „Burgpol“ oder „Stadtendpunkt der Erdachse“ enthält schon an sich keine sinnvolle Aussage, geschweige denn über die Widerspruchsprodukte „Haushaltswäsche“. Es verbleibt daher bei einem Fantasiebegriff.
34
cc) Dass der angesprochene Verkehr im vorliegenden Warenzusammenhang in der Widerspruchsmarke den Begriff „Polypol“ erkennt und versteht, dürfte fernliegend sein, zumal es sich um einen wirtschaftswissenschaftlichen Fachbegriff handelt.
35
b) Anhaltspunkte für eine durch Benutzung gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
36
4. Der bei identischen Vergleichswaren und normaler Kennzeichnungskraft der älteren Marke gebotene Abstand zur angegriffenen Marke wird selbst bei nur normaler Aufmerksamkeit wegen geringer Markenähnlichkeit noch eingehalten.
37
a) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 48 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 28 – RETROLYMPICS), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 41 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH a. a. O. Rdnr. 31 – RETROLYMPICS; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH a. a. O. Rdnr. 28 – RETROLYMPICS). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH a. a. O. – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; BGH a. a. O. – RETROLYMPICS).
38
b) Es stehen sich die Vergleichswortmarken „Pillopaul“ und „Polipol“ gegenüber.
39
aa) Eine begriffliche Markenähnlichkeit scheidet aus.
40
Die Voraussetzung, dass zumindest eine der beiden zu vergleichenden Marken eine dem Verkehr erkennbare Bedeutung hat (vgl. EuGH GRUR 2006, 413 Rdnr. 47 – ZIRH/SIR; GRUR 2006, 237 Rdnr. 20 – PICASSO/PICARO), ist vorliegend nicht erfüllt.
41
aaa) Bei der Widerspruchsmarke handelt es sich um ein Kunstwort, wie bereits bei der Frage der Kennzeichnungskraft eingehend dargelegt worden ist.
42
bbb) Der angegriffenen Marke kann ebenfalls kein klarer Begriffsgehalt entnommen werden.
43
(1) Während die Endsilbe „Paul“ einen geläufigen männlichen Vornamen wiedergibt, kommt der Vorsilbe „Pillo“ im Inland keine Bedeutung zu. Im Spanischen wird das Adjektiv „pillo“ mit „verschmitzt, pfiffig“ und das gleichlautende Substantiv mit „Lausbub, Lausebengel, Schlauberger, Spitzbube, Gauner“ übersetzt (https://dict.leo.org/spanisch-deutsch/pillo). Diese Bedeutungen sind weder dem deutschen Durchschnittsverbraucher noch dem Fachverkehr geläufig.
44
(2) Auch wenn bei der phonetischen Wiedergabe das englische Substantiv „pillow“ für „(Kopf-)Kissen, Polster“ artikuliert wird (https://dict.leo.org/englisch-deutsch/pillow), ist dieses Wort dem Durchschnittsverbraucher nicht bekannt, weil es weder zum Grundwortschatz gehört (Weis, Grund- und Aufbauwortschatz Englisch, 2. Aufl. 1977), noch im Inland zur Bezeichnung eines (Kopf-)Kissens gebräuchlich ist.
45
(3) Aber selbst der Fachverkehr für Heimtextilien, dem unterstellt werden kann, dass er die Bedeutung von „pillow“ kennt, wird die Kombination von „Pillo“ mit dem Vornamen „Paul“ in ihrer Gesamtheit nur als einen Fantasiebegriff wahrnehmen.
46
bb) Die schriftbildliche Ähnlichkeit ist ebenfalls gering.
47
Die angegriffene Marke „Pillopaul“ verfügt über neun Buchstaben, die Widerspruchsmarke „Polipol“ nur über sieben Buchstaben, so dass sie sich schon in der Länge unterscheiden. Ferner weichen die Vergleichsmarken am stärker beachteten Wortanfang und am Wortende deutlich voneinander ab. Während die ältere Marke mit der Buchstabenfolge „Po“ beginnt und mit der Buchstabenfolge „ol“ endet, fängt die jüngere Marke mit „Pi“ an und schließt mit „aul“ ab. Gerade die Vokale weisen eine deutlich unterschiedliche Umrisscharakteristik auf (o zu i) und (o zu au), insbesondere bedingt durch den kreisrunden Vokal „o“ (BPatG 25 W (pat) 27/10 – ALLERNIL/ALLERGODIL). Sie befinden sich zudem nicht an gleicher Stelle, was den Unterschied verstärkt (vgl. BPatG 26 W (pat) 49/06 – Notaris/NATURIS). Außerdem wird der Vokal „o“ in der Widerspruchsmarke wiederholt, während er in der jüngeren Marke nur einmal auftaucht. Die Buchstabenfolge „Pill“ in der angegriffenen Marke bildet zudem wegen der doppelten Oberlänge der Buchstaben „ll“ zusammen mit dem i-Punkt und dem Deckstrich des „P“ eine optisch geschlossene Einheit in Versalhöhe, während in der älteren Marke das „o“ zwischen „P“ und „l“ eine erkennbare Lücke bildet.
48
cc) Auch die phonetische Ähnlichkeit ist als unterdurchschnittlich zu beurteilen.
49
aaa) In klanglicher Hinsicht ist maßgeblich, wie die Marken von den angesprochenen Verkehrskreisen mündlich wiedergegeben werden, wenn sie diese in ihrer registrierten Form vor sich haben (BPatG LMuR 2020, 355 – nea/Réa; 29 W (pat) 587/17 – neo/NAO; 27 W (pat) 116/16 – barösta kaffeebar/Rösta; GRUR 2010, 441 – pn printnet/Prinect). Dabei sind sämtliche dem Sprachgefühl entsprechenden und wahrscheinlichen Möglichkeiten der Aussprache und Betonung zu beachten (vgl. BPatG 29 W (pat) 517/15 – elAMARA/Esmara; 24 W (pat) 47/14 – NYX/NUXE; 29 W (pat) 31/13 – Carsi/Cars).
50
bbb) Bei einer deutschen Aussprache der angegriffenen Marke, nämlich „pill-o:-paul“ (Paul), sowie „Po:-li:-po:l“ der Widerspruchsmarke, unterscheiden sich die Zeichen hinreichend, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen. Zwar stimmen die Vergleichsmarken in der Silbenzahl, der Betonung und weitgehend in der Konsonantenfolge überein. Allerdings differieren sie im Wortanfang erheblich, dem ein größeres Gewicht zukommt als den nachfolgenden Bestandteilen, weil der Verkehr dem Beginn eines Wortzeichens im Allgemeinen größere Aufmerksamkeit schenkt (BGH WRP 2015, 1219 Rdnr. 36 – IPS/ISP). Denn die jüngere Marke beginnt mit einem hellen Vokal und die ältere Marke mit einem dunklen Selbstlaut. Ferner weichen die Vokalfolgen (i-o-au/o-i-o) deutlich voneinander ab.
51
ccc) Eine englische Aussprache kommt nicht in Betracht.
52
(1) Da „pillow“ nicht zum englischen Grundwortschatz gehört, stellt der deutsche Durchschnittsverbraucher keine Verbindung zu einem englischen Wort her, zumal er das zweite Element „paul“ sofort als deutschen Vornamen erkennt und die Vorsilbe für einen Fantasiebegriff hält.
53
(2) Zwar kennt der Fachverkehr für Heimtextilien das englische Wort für „pillow“, so dass er dessen Bedeutung auch ohne den Endkonsonanten „w“ bei einer Kennzeichnung von Bettwäsche erfassen und „Pillo“ für eine Abwandlung halten kann, aber gleichzeitig ist ihm auch bekannt, dass eine Vielzahl von Kissenprodukten mit der deutschen Bezeichnung „Paul“ u. a. nebst Zusätzen angeboten wird (Anlagenkonvolut zum gerichtlichen Hinweis), so dass er aufgrund dieser Kennzeichnungsgewohnheit auch den Bestandteil „paul“ der angegriffenen Marke deutsch aussprechen wird.
54
(3) Aber selbst bei englischer Aussprache der angegriffenen Marke [pɪləʊpɔːl] bleiben die markanten Unterschiede am Wortanfang durch die unterschiedlichen Vokale (hell/dunkel) bestehen. Außerdem wird dann das Wortende der jüngeren Marke mit einem lang gedehnten „o“ ausgesprochen, während das „o“ in der Schlusssilbe der Widerspruchsmarke nur kurz artikuliert wird.
55
ddd) Der Fall einer anagrammatischen Klangrotation läge nur dann vor, wenn sich der Markenvergleich auf die Buchstabenfolge „Pillo“ und „Poli“ beschränken würde. Vorliegend kommen aber noch die stark voneinander abweichenden Endsilben „paul“ und „pol“ hinzu.
56
c) Aus den vorgenannten Gründen ist eine unmittelbare Verwechslungsgefahr in jeder Hinsicht ausgeschlossen.
57
5. Für eine Verwechslungsgefahr durch gedankliche Verbindung zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte.
III.
58
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.


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