Patent- und Markenrecht

3 Ni 26/20 (EP), verb. mit 3 Ni 33/20 (EP)

Aktenzeichen  3 Ni 26/20 (EP), verb. mit 3 Ni 33/20 (EP)

Datum:
11.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2022:110222U3Ni26.20EP.0
Spruchkörper:
3. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 2 783 571
(DE 50 2013 005 454)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2022 durch den Vorsitzenden Richter Schramm, die Richter Schwarz und Dipl.-Chem. Dr. Wismeth sowie die Richterinnen Dipl.-Chem. Dr. Wagner und Dr.-Ing. Philipps
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 783 571 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagten sind eingetragene Inhaberinnen des aufgrund der Anmeldung vom 25. März 2013 auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in deutscher Verfahrenssprache erteilten europäischen Patents 2 783 571 (Streitpatent) mit der Bezeichnung „Vorrichtung und Verfahren zur Steuerung einer Füllmaschine“.
2
Das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE 50 2013 005 454 geführte Streitpatent umfasst die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 12 sowie die auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Unteransprüche 2 bis 11 und den auf Patentanspruch 12 zurückbezogenen Unteranspruch 13. Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 12 lauten:
3
1. Verfahren zum Steuern einer Füllmaschine (1) mit einer Clipmaschine (2), wobei die Clipmaschine (2) und die Füllmaschine (1) über eine Kommunikationsschnittstelle (3) Prozessdaten austauschen derart, dass das Bewegungsprofil von gegenüberliegenden Clipperscheren (4a, b) und das Geschwindigkeitsprofil eines Förderwerks (5) von einer Steuereinrichtung (6, 7) automatisch zueinander passend eingestellt werden, wobei das Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks (1) in Förderwerkzyklen periodisch wiederholt wird, und die Startzeit (tstart) eines Förderwerkzyklus in Abhängigkeit der Position von Clipperscheren (4a, b) bestimmt wird und die Steuereinrichtung ein entsprechendes Startsignal an das Förderwerk (5) sendet und wobei die Steuereinrichtung frühestens ein Startsignal an das Förderwerk (5) sendet, wenn ein Abstand der Clipperscheren (4a, b) zueinander ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber (d0, d1) durch die Öffnung (8) der Clipperscheren (4a, b) passt.
4
12. Vorrichtung zum Durchführen des Verfahrens nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 11 mit einer Füllmaschine (1) und mit einer Clipmaschine (2) und einer Kommunikationsschnittstelle (3) zwischen Füllmaschine (1) und Clipmaschine (3) zum Austausch von Prozessdaten sowie mindestens einer Steuereinrichtung, die das Bewegungsprofil von gegenüberliegenden Clipperscheren (4a, b) und das Geschwindigkeitsprofil eines Förderwerks (5) zueinander passend automatisch einstellt, wobei die Steuerung derart ausgelegt ist, dass die Startzeit eines Förderwerkszyklus in Abhängigkeit der Position der Clipperscheren (4a, b) bestimmt wird und frühestens ein Startsignal an das Förderwerk (5) gesendet wird, wenn ein Abstand der Clipperscheren (4a, b) ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung (8) der Clipperscheren passt.
5
Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass das Streitpatent mangels Patentfähigkeit für nichtig zu erklären sei. Die Beklagte tritt den Argumenten der Klägerinnen entgegen und verteidigt ihr Patent in der erteilten Fassung sowie nach Maßgabe des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags, in dessen Fassung die beiden nebengeordneten Patentansprüche 1 und 11 (der an die Stelle des erteilten Patentanspruchs 12 tritt) wie folgt lauten:
6
1. Verfahren zum Steuern einer Füllmaschine (1) mit einer Clipmaschine (2), wobei die Clipmaschine (2) und die Füllmaschine (1) über eine Kommunikationsschnittstelle (3) Prozessdaten austauschen derart, dass das Bewegungsprofil von gegenüberliegenden Clipperscheren (4a,b) und das Geschwindigkeitsprofil eines Förderwerks (5) von einer Steuereinrichtung (6, 7) automatisch zueinander passend eingestellt werden, wobei das Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks (1) in Förderwerkzyklen periodisch wiederholt wird, und die Startzeit (tstart) eines Förderwerkzyklus in Abhängigkeit der Position von Clipperscheren (4a, b) bestimmt wird und die Steuereinrichtung ein entsprechendes Startsignal an das Förderwerk (5) sendet und wobei die Steuereinrichtung frühestens ein Startsignal an das Förderwerk (5) sendet, wenn ein Abstand der Clipperscheren (4a, b) zueinander ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber (d0, d1) durch die Öffnung (8) der Clipperscheren (4a, b) passt, wobei das Bewegungsprofil der Clipperscheren (4a, b) das Ausmaß der Bewegung der Clipperscheren in Abhängigkeit der Zeit darstellt und während einer Portionszeit (tPortion) des Förderwerks (5), in der das Förderwerk Füllgut ausstößt, sich die Clipperscheren (4a, b) auseinander bewegen bis zu einem maximalen Abstand voneinander und sich dann wieder aufeinander zu bewegen, wobei die Scheren während der Portionszeit (tPortion) des Förderwerks einen Abstand zueinander aufweisen derart, dass das erzeugte Wurstkaliber durch die Öffnung (8) zwischen den Scheren passt.
7
11. Vorrichtung zum Durchführen des Verfahrens nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 10 mit einer Füllmaschine (1) und mit einer Clipmaschine (2) und einer Kommunikationsschnittstelle (3) zwischen Füllmaschine (1) und Clipmaschine (3) zum Austausch von Prozessdaten sowie mindestens einer Steuereinrichtung, die das Bewegungsprofil von gegenüberliegenden Clipperscheren (4a, b) und das Geschwindigkeitsprofil eines Förderwerks (5) zueinander passend automatisch einstellt, wobei die Steuerung derart ausgelegt ist, dass die Startzeit eines Förderwerkszyklus in Abhängigkeit der Position der Clipperscheren (4a, b) bestimmt wird und frühestens ein Startsignal an das Förderwerk (5) gesendet wird, wenn ein Abstand der Clipperscheren (4a, b) ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung (8) der Clipperscheren passt, wobei das Bewegungsprofil der Clipperscheren (4a, b) das Ausmaß der Bewegung der Clipperscheren in Abhängigkeit der Zeit darstellt und während einer Portionszeit (tPortion) des Förderwerks (5), in der das Förderwerk Füllgut ausstößt, sich die Clipperscheren (4a, b) auseinander bewegen bis zu einem maximalen Abstand voneinander und sich dann wieder aufeinander zu bewegen, wobei die Scheren während der Portionszeit (tPortion) des Förderwerks einen Abstand zueinander aufweisen derart, dass das erzeugte Wurstkaliber durch die Öffnung (8) zwischen den Scheren passt.
8
Wegen des Wortlauts der übrigen Ansprüche in der Fassung des Hilfsantrags wird auf die Anlage zum Protokoll zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
9
Die Klägerinnen haben zur Stützung ihres Vortrags u.a. folgende Druckschriften eingereicht (Nummerierung und Kurzzeichen von den Klägerinnen):
10
A1 EP 2 783 571 B1 (Streitpatent)
11
D1 EP 0 962 143 A1
12
D2 DE 196 44 074 A1
13
D3 EP 2 380 443 A1
14
D4 Anlagenkonvolut „Doppelclip-Automat SV 4612“
15
D5 US 2007/018795 A1
16
D6 EP 1 607 000 A1
17
D8 EP 0 339 524 A2
18
D9 DE 27 30 603 A1
19
Die Klägerinnen sind der Auffassung, die nebengeordneten Patentansprüche des Streitpatents seien in der erteilten Fassung sowie in der Fassung des Hilfsantrags jeweils so zu verstehen, dass für eine Profilanpassung auch eine Anpassung von Startsignalen genüge, da die Ansprüche keinerlei Vorgaben enthielten, welche Parameter im Einzelnen angepasst würden. Das Teilmerkmal „automatisch“ werde streitpatentgemäß auch dann erfüllt, wenn der Benutzer noch einige Einstellungen manuell vornehme. Das Merkmal „wobei die Steuereinrichtung frühestens ein Startsignal an das Förderwerk sendet, wenn ein Abstand der Clipperscheren (4a, b) zueinander ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber (d0, d1) durch die Öffnung (8) der Clipperscheren (4a, b) passt“ sei aufgrund des zeitlichen Begriffs „frühestens“ bereits dann erfüllt, wenn die Clipperscheren vollständig geöffnet seien. Daran ändere auch der geänderte Wortlaut im Hilfsantrag nichts.
20
Hiervon ausgehend mangele es den Gegenständen nach den nebengeordneten Patentansprüchen des Streitpatents sowohl in der erteilten Fassung als auch in derjenigen des Hilfsantrags an der erforderlichen Neuheit gegenüber den als einheitliche Offenbarung anzusehenden Druckschriften D1 und D2 sowie gegenüber den Druckschriften D3 und D5. Des Weiteren seien sie auch gegenüber einem klägerseits als offenkundig vorbenutzt behaupteten Doppelclip-Automaten SV 4612 nicht neu, dessen Funktionsweise und öffentliche Zugänglichkeit vor dem Zeitrang des Streitpatents sich aus dem Anlagenkonvolut D4 ergebe.
21
Darüber hinaus beruhten die Gegenstände der nebengeordneten Ansprüche ausgehend von den Dokumenten D1/D2, D3, D4 oder D5 auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da es für den Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens nahegelegen habe, eine Steuereinrichtung zum Steuern einer Füllmaschine mit einer Clipmaschine so einzurichten, dass das Wurstkaliber nicht vorzeitig mit den Clipscheren kollidiere, mithin den Förderzyklus spät genug zu starten. Gleiches gelte auch bei einer Kombination der Lehren der D5 mit der D2.
22
Die Gegenstände der Unteransprüche seien ebenfalls durch den genannten Stand der Technik vorbeschrieben bzw. nahegelegt.
23
Mit der Fassung des Hilfsantrags könnten die Beklagten schon deshalb ihr Patent nicht verteidigen, weil diese Fassung unzulässig sei; denn da der erteilte Unteranspruch 10, dessen Merkmale in die mit dem Hilfsantrag beschränkte Fassung des Patentanspruchs 1 aufgenommen worden seien, nur auf die Unteransprüche 8 und 9 zurückbezogen sei, seien sie nicht ursprungsoffenbart und führten auch zu einer unzulässigen Schutzbereichserweiterung. Im Übrigen seien die zusätzlichen Merkmale in der Fassung des Hilfsantrags auch aus den Druckschriften D8 und D9 vorbekannt, zumindest aber nahegelegt.
24
Die Klägerinnen beantragen jeweils,
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das europäische Patent 2 783 571 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
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Die Beklagten beantragen,
27
die Klagen abzuweisen,
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hilfsweise die Klagen mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsantrags erhält.
29
Nach Auffassung der Beklagten sind die nebengeordneten Patentansprüche jeweils so zu verstehen, dass der Austausch von Prozessdaten über die Kommunikationsschnittstelle in zwei Richtungen, d.h. von und zur Füllmaschine und von und zur Clipmaschine, erfolge. Unter einem Bewegungsprofil verstehe das Streitpatent das Ausmaß der Bewegung der Clipperscheren in Abhängigkeit von der Zeit, und unter einem Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks die Fördergeschwindigkeit bzw. die Füllgeschwindigkeit des Förderwerks, z.B. die Drehgeschwindigkeit einer Flügelzellenpumpe, in Abhängigkeit von der Zeit. Da ein Profil betrachtet werde und nicht isolierte Werte, könnten auch entsprechende Steigungen, Rampenabschnitte, etc. bei der Einstellung berücksichtigt werden. Durch die Kommunikationsschnittstelle könnten die Profile der Clipmaschine und des Förderwerks von einer Steuerung automatisch passend eingestellt werden, sodass ein Nachjustieren beim Ändern von bestimmten Parametern entfalle. Die Steuereinrichtung sende frühestens ein Startsignal an das Förderwerk, wenn der Abstand der Clipperscheren zueinander ausreichend groß sei, damit ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung der Scheren passe. Das beziehe sich nicht auf das eingegebene Wurstkaliber, sondern auf das erzeugte Wurstkaliber. Demnach könnten die Clipperscheren bereits schon dann öffnen, wenn die Wurstkappe mit ihrem kleineren Durchmesser in den Bereich der Scheren komme.
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Vor diesem Hintergrund seien die Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche schon in der erteilten Fassung, auf jeden Fall aber in der Fassung des Hilfsantrags gegenüber den klägerseits hierzu geltend gemachten Druckschriften neu und beruhten ihnen gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Denn diese Druckschriften beschrieben weder ein Verfahren zum Steuern einer Füllmaschine mit einer Clipmaschine, bei dem das Bewegungsprofil der Clipperscheren und das Geschwindigkeitsprofil eines Förderwerks von einer Steuereinrichtung automatisch zueinander passend eingestellt würden, noch lehrten sie, dass die Startzeit eines Förderwerkzyklus in Abhängigkeit von der Position der Clipperscheren von einer Steuervorrichtung bestimmt werde und dass die Steuereinrichtung frühestens ein Startsignal an das Förderwerk sende, wenn ein Abstand der Clipperscheren zueinander ausreichend groß sei, dass ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung der Clipperscheren passe. Den Druckschriften ließe sich auch keine Anregung entnehmen, wann und wie die Füllmaschine angesteuert werde, noch könne die Startzeit eines Förderwerkzyklus in Abhängigkeit von der Position der Clipperscheren bestimmt werden, wobei eine Steuereinrichtung ein entsprechendes Startsignal an das Förderwerk schicke, noch dass die Steuereinrichtung frühestens ein Startsignal an das Förderwerk sende, wenn der Abstand der Clipperscheren zueinander ausreichend groß sei, sodass ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung der Scheren passe. Es würden auch keine Prozessdaten übermittelt, die zur Anpassung von Geschwindigkeitsprofilen und Bewegungsprofilen dienten.
31
Soweit die mangelnde Patentfähigkeit auf die behauptete Lieferung des Doppelclip-Automaten SV 4612 gestützt werde, würden die Lieferung und deren behauptete Umstände bestritten.
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Auch die Gegenstände der Unteransprüche seien sowohl neu als auch erfinderisch. Die Klägerinnen hätten hierzu auch keinen entgegenstehenden Stand der Technik genannt.
33
Zumindest in der Fassung des Hilfsantrags seien die beanspruchten Gegenstände des Streitpatents auf jeden Fall schutzfähig. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen sei diese Fassung auch nicht wegen fehlender Offenbarung oder einer unzulässigen Schutzbereichserweiterung unzulässig, denn die zusätzlichen Merkmale seien nicht nur im erteilten Unteranspruch 10, sondern auch in der ursprünglich eingereichten Beschreibung eindeutig ursprungsoffenbart.

Entscheidungsgründe

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Die zulässigen Klagen sind begründet. Das Streitpatent ist für nichtig zu erklären, denn sowohl der erteilten Fassung als auch der Fassung laut dem Hilfsantrag steht jeweils der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gemäß Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ entgegen.
I.
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Das Streitpatent betriff ein Verfahren zum Steuern einer Füllmaschine mit einer Clipmaschine und eine Vorrichtung zum Durchführen des Verfahrens (vgl. A1 [0001]).
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1. Zum technischen Hintergrund verweist das Streitpatent u.a. auf vergleichbare Kombinationen aus einer Clipmaschine und einer Füllmaschine, wie sie in D5 und D6 beschrieben sind. Die Kombination gemäß D5 umfasst eine Fördereinrichtung (Füllmaschine) und eine Verschließeinrichtung, die synchronisiert werden. Die Fördereinrichtung verfügt zudem über eine Steuereinrichtung, die mit der Clipmaschine verbunden ist. Um ein Aufstauen der pastösen Masse vor den Verdrängerscheren zu verhindern, ist in D5 eine bewegliche Darmbremse vorgesehen (vgl. A1 [0002]). Die D6 gibt bereits eine gemeinsame Steuerung für das Clipmodul und die Fülleinheit an, die ein Startsignal an die Clipmaschine ausgibt (vgl. A1 [0003]).
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Zum allgemeinen Fachwissen führt das Streitpatent einleitend aus, dass bei der Wurstherstellung ein von einer Füllmaschine gefüllter Wurststrang mit sogenannten Clipperscheren abgeteilt wird, wobei die pastöse Masse von den Clipperscheren, die sich aufeinander zubewegen, verdrängt wird. Zwischen den Clipperscheren wird dann ein sogenannter Clip oder Doppelclip gesetzt, der die einzelnen Wurstportionen verschließt. Die Würste können dann zwischen dem Doppelclip durchtrennt werden (vgl. A1 [0005]).
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Darüber hinaus geht das Streitpatent davon aus, dass die industrielle Wurstherstellung mit einer Clipmaschine in folgende, sich zyklisch wiederholende Ablaufschritte, aufgeteilt werden kann (vgl. A1 [0006]):
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1. Füllmaschine: Förderwerk stößt Portion aus und stoppt nach eingestelltem Volumen.
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2. Clipmaschine: Verdrängerscheren bewegen sich aufeinander zu und schließen, wodurch das Füllgut verdrängt wird.
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3. Clipmaschine: Die Abteilstelle kann gespreizt werden, wobei sich die Verdrängerscheren voneinander wegbewegen.
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4. Clipmaschine: Setzten eines Clips, wodurch die Portionen verschlossen werden.
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5. Clipmaschine: Die Verdrängerscheren öffnen sich wieder.
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Für eine hohe Portioniergenauigkeit bei gleichzeitig hohem Portioniertakt sei es bei der industriellen Wurstherstellung zudem erforderlich, die Start- und Stoppbewegung der Füll- und Clipmaschine in Bezug auf die Überlagerung der Bewegung der Verdrängerscheren, die auch als Clipperscheren bezeichnet würden, und der Bewegung des Förderwerks, die Geschwindigkeit und Beschleunigung der Verdrängerscheren beziehungsweise des Förderwerks aufeinander abzustimmen. Insbesondere müsse der Übergang zwischen den oben genannten Schritten 1 und 2 sowie 5 und 1 optimiert werden. Eine Änderung des Bewegungsprofils der Füllmaschine bedinge immer auch eine Anpassung der Clipperscherenbewegung und umgekehrt, um eine optimale Portionierung zu gewährleisten. Diese Problematik tritt am stärksten zum Vorschein bei hohem Portioniertakt und kleinem Portionsvolumen (vgl. A1 [0007] und [0008]).
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Die bisherige Einstellung der Geschwindigkeit, Beschleunigung und Überlagerung werde an der Füllmaschine und der Clipmaschine jeweils getrennt voneinander vorgenommen. Mit den bestehenden Parametern sei es zwar möglich, die Synchronisation zwischen Füll- und Clipmaschine einzustellen, aber die Einstellung erfolge in der Praxis schrittweise und dauere sehr lange. Sobald die Geschwindigkeit an der Füllmaschine verstellt werde, sei diese zeitaufwändige Neueinstellung zu wiederholen, was in der Praxis oftmals nicht gemacht werde, und was wiederum zu schlecht eingestellten Maschinen führen könne (vgl. A1 [0010] und [0011]).
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2. Ausgehend davon stellt sich das Streitpatent die Aufgabe, ein Verfahren und eine Vorrichtung bereitzustellen, mit denen auf einfache und zuverlässige Art und Weise eine Füllmaschine mit einer Clipmaschine gesteuert werden kann, wobei die Funktionen von Füll- und Clipmaschine einfach und zuverlässig aneinander angepasst werden können (vgl. A1 [0012]).
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3. Zur Lösung der gestellten Aufgabe wird ein Verfahren gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 und eine Vorrichtung gemäß dem erteilten Patentanspruch 12 mit folgenden Merkmalen vorgeschlagen:
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Patentanspruch 1
49
1.1 Verfahren zum Steuern einer Füllmaschine mit einer Clipmaschine, wobei
50
1.2 die Clipmaschine und die Füllmaschine über eine Kommunikationsschnittstelle Prozessdaten derart austauschen, dass
51
1.3 das Bewegungsprofil von gegenüberliegenden Clipperscheren und das Geschwindigkeitsprofil eines Förderwerks von einer Steuereinrichtung automatisch zueinander passend eingestellt werden, wobei
52
1.4 das Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks in Förderwerkzyklen periodisch wiederholt wird und
53
1.5 die Startzeit (tstart) eines Förderwerkzyklus in Abhängigkeit der Position von Clipperscheren bestimmt wird und
54
1.6 die Steuereinrichtung ein entsprechendes Startsignal an das Förderwerk sendet und wobei
55
1.7 die Steuereinrichtung frühestens ein Startsignal an das Förderwerk sendet, wenn ein Abstand der Clipperscheren zueinander ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung der Clipperscheren passt.
56
Patentanspruch 12
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12.1 Vorrichtung zum Durchführen des Verfahrens nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 11,
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12.2 mit einer Füllmaschine und
59
12.3 mit einer Clipmaschine und
60
12.4 einer Kommunikationsschnittstelle zwischen Füllmaschine und Clipmaschine zum Austausch von Prozessdaten sowie
61
12.5 mindestens einer Steuereinrichtung, die das Bewegungsprofil von gegenüberliegenden Clipperscheren und das Geschwindigkeitsprofil eines Förderwerks zueinander passend automatisch einstellt, wobei
62
12.6 die Steuerung derart ausgelegt ist, dass die Startzeit eines Förderwerkszyklus in Abhängigkeit der Position der Clipperscheren bestimmt wird und
63
12.7 frühestens ein Startsignal an das Förderwerk gesendet wird, wenn ein Abstand der Clipperscheren ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung der Clipperscheren passt.
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4. Der zuständige Fachmann, ein Ingenieur (M.Sc.), der Fachrichtung Verfahrenstechnik, welcher über eine einschlägige Berufserfahrung auf dem Gebiet der industriellen Wurstherstellung verfügt der die streitpatentgemäße Lehre wie folgt versteht:
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4.1 Gemäß Merkmal 1.2 tauschen die Clipmaschine und die Füllmaschine über eine Kommunikationsschnittstelle Prozessdaten aus. Zur Datenübertragung ist streitpatentgemäß ein Kabel zwischen der Clipmaschine und der Füllmaschine vorgesehen, das beispielsweise einen Stecker als Kommunikationsschnittstelle aufweist. Die Prozessdaten können jedoch auch per Funk (z.B. WLAN) mittels einer Buskommunikation als Schnittstelle ausgetauscht werden (vgl. A1 [0014] und [0041]). Nach den Angaben im Streitpatent handelt es sich bei den Prozessdaten bspw. um Prozessparameter und Startsignale (vgl. A1 [0014]), wobei unter Prozessparametern Füll- und Clipperparameter verstanden werden (vgl. A1 [0019], [0043]). Zu den Füllparametern zählen das Portionsvolumen, die Füllgeschwindigkeit bzw. die Drehgeschwindigkeit des Förderwerks für eine bestimmte Förderwerksgeometrie, die Beschleunigung des Förderwerks (vgl. A1 [0022], [0023]) und zu den Clipperparametern das Wurstkaliber, die Clipperscherengeschwindigkeit, die Scherengeometrie und die Clipperscherenbeschleunigung bzw. –verzögerung (vgl. A1 [0021]).
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4.2 Das Merkmal 1.3 definiert, dass das Bewegungsprofil von gegenüberliegenden Clipperscheren und das Geschwindigkeitsprofil eines Förderwerks von einer Steuereinrichtung automatisch zueinander passend eingestellt werden. Bei dem Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks handelt es sich um die Fördergeschwindigkeit bzw. die Füllgeschwindigkeit des Förderwerks in Abhängigkeit von der Zeit (vgl. A1 [0016], Fig. 5 erster Kurvenverlauf). Bevorzugt gibt das Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks seine Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der Zeit an, wobei in einer Portionszeit tPortion in einem ersten Rampenabschnitt während einer ersten Rampenzeit tAuf die Geschwindigkeit von einer minimalen Füllgeschwindigkeit Vmin auf eine maximale Füllgeschwindigkeit VFüll ansteigt und für eine Füllzeit tFüll auf dem hohen Niveau gehalten wird, bevor sie in einem zweiten Rampenabschnitt tAb wieder auf Vmin abgesenkt wird. Die minimale Füllgeschwindigkeit kann Null sein (vgl. A1 [0029], Sp. 11 Z. 52 bis Sp. 12 Z. 1). Somit handelt es sich bei dem Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks um den Füllgeschwindigkeitsverlauf während der Portionszeit.
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Als Bewegungsprofil der gegenüberliegenden Clipperscheren definiert das Streitpatent das Ausmaß der Bewegung der Clipperscheren in Abhängigkeit von der Zeit, d.h. den zeitlichen Verlauf der Bewegungen der Scheren in Richtung des Wurststrangs von einer maximalen überlagerten Position bis zu einem maximalen Abstand der Clipperscheren. Als maximalen Abstand versteht das Streitpatent bei einem rotierenden Antrieb eine Drehbewegung bis 180°, d.h. den maximalen Hub, welcher größer als das Wurstkaliber ist (vgl. A1 [0054], [0055]). In der Portionspause des Förderwerks bewegen sich die Clipperscheren soweit aufeinander zu, dass der Wurststrang abgeteilt wird, wonach zwischen den Clipperscheren der Clip oder Doppelclip gesetzt wird. Danach bewegen sich die Scheren wieder auseinander. Während der Portionszeit tPortion kann die Geschwindigkeit der Clipperscheren Null sein oder aber auf eine Durchlaufgeschwindigkeit abgesenkt und dann wieder angehoben (A1 [0015], [0029] bis [0033], [0054], [0055], Fig. 5, mittlerer Kurvenverlauf). Somit umfasst das Merkmal 1.3 auch eine Variante, bei der die Clipperscheren während der Portionszeit nicht bewegt werden und maximal geöffnet sind.
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Das Bewegungsprofil der Clipperscheren wird gemäß Merkmal 1.3 automatisch an das Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks mittels einer Steuereinrichtung angepasst. Hierfür erstellt eine erste Steuerung in Abhängigkeit der Füllparameter das Geschwindigkeitsprofil des Förderwerks. Eine zweite Steuerung bestimmt in Abhängigkeit der Clipperparameter und des Geschwindigkeitsprofils des Förderwerks das Bewegungsprofil der Clipperscheren. Die Füll- und Clipperparameter können werkseitig abgespeichert sein oder aber durch einen Bediener eingegeben werden. Beide Steuerungen können auch in einer Steuereinheit zusammengefasst sein (vgl. A1 [0014] und [0019]). Unter der automatischen Anpassung der genannten Profile versteht das Streitpatent somit die Synchronisierung der Ablaufschritte eines Füllzyklus einer Fülllinie, die eine Füllmaschine und eine Clipmaschine aufweist (vgl. A1 [0027], [0046]).
69
4.3 Die Steuereinrichtung sendet gemäß Merkmal 1.7 frühestens ein Startsignal an das Förderwerk, wenn ein Abstand der Clipperscheren zueinander ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung der Clipperscheren passt. Das erzeugte Wurstkaliber entspricht nach den Angaben im Streitpatent dem Durchmesser d0 der Wurstportion im Mittelbereich der Wurst bzw. dem eingegebenen Wurstkaliber. Darüber hinaus wird streitpatentgemäß unter dem erzeugten Wurstkaliber auch ein gegenüber d0 etwas kleinerer Durchmesser d1 bzw. d2 im Endbereich der erzeugten Wurstkuppen verstanden (vgl. A1 [0025], [0026]). Der Abstand der Clipperscheren muss jedoch grundsätzlich so groß sein, dass die ausgestoßene Portion durch die teilweise geöffneten Scheren nicht undefiniert gebremst wird bzw. nicht gegen geschlossene Scheren fährt (vgl. A1 [0027]). An das Förderwerk kann somit frühestens ein Startsignal gesendet werden, wenn das erzeugte Wurstkaliber, das im Wurstkuppenbereich einen kleineren Durchmesser d1, d2 aufweist, durch die Öffnung der Scheren passt (vgl. A1 [0026], [0067], Fig. 8). Die zeitliche Festlegung „frühestens“ ein Startsignal an das Förderwerk zu senden, wenn das erzeugte Wurstkaliber durch die Öffnung der Clipperscheren passt, umfasst aber nicht nur den zuvor beschriebenen frühest möglichen Zeitpunkt, sondern eine Zeitspanne, innerhalb der das Startsignal von der Steuereinrichtung an das Förderwerk gesendet wird. Einzige Bedingung hierfür ist, dass das erzeugte Wurstkaliber durch die Öffnung der Clipperscheren passt. Entsprechend den Angaben im Streitpatent handelt es sich hierbei um einen Abstand der Clipperscheren im Bereich von d1, d2 bis zu deren maximalen Öffnung (vgl. Abs. II. 1.2). Demzufolge werden vom Wortlaut des Merkmals 1.7 auch solche Verfahrensvarianten umfasst, bei der ein Startsignal an das Förderwerk erst gesendet wird, wenn die Clipperscheren nahezu vollständig bzw. vollständig geöffnet sind.
II.
70
In der erteilten Fassung ist das Streitpatent für nichtig zu erklären, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sich gegenüber den Druckschriften D1 und dem Fachwissen als nicht patentfähig i.S.d. Art. 52, 56 EPÜ erweist. Aus diesem Grund kann dahingestellt bleiben, ob der streitpatentgemäße Gegenstand gegenüber der Druckschrift D1 bereits als nicht neu anzusehen ist.
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1. Zur Lösung der vorliegenden Aufgabe, ein Verfahren zum Steuern einer Füllmaschine mit einer Clipmaschine und eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens bereitzustellen, die auf einfache und zuverlässige Art und Weise eine Steuerung einer Füllmaschine mit einer Clipmaschine erlauben, wobei insbesondere die Funktionen von Füll- und Clipmaschine einfach und zuverlässig aneinander angepasst werden können, befasst sich der Fachmann zunächst mit bekannten Kombinationen aus einer Füllmaschine und einer Clipmaschine.
72
Eine solche Fülllinie zum Herstellen von mit Füllgut befüllten Verpackungen, insbesondere Würsten, durch Befüllen und anschließendes Verschließen von schlauch- oder beutelförmigen Wursthüllen, mit u.a. einer Füllmaschine und einer Verschließmaschine, ist aus der D1 bekannt (vgl. D1 Patentanspruch 1). Die Vorrichtung gemäß D1 arbeitet zyklisch in fachüblicher Art und Weise. So wird Füllgut mittels der Förderpumpe der Füllmaschine in das Füllrohr gepresst, tritt aus der Mündung aus und füllt die einseitig verschlossene Wursthülle. Während des Befüllens wird weitere Wursthülle abgezogen. Diesem Abziehen wirkt die Darmbremse entgegen. Ist ein Abschnitt einer Wursthülle ausreichend befüllt, greifen die beiden Verdrängerscheren des Spreizverdrängers seitlich in die Wursthülle hinein und schnüren diese ein. Nach dem Einschnüren werden die Verdrängerscheren auseinander bewegt und erzeugen so einen füllgutfreien Zopf, der mit zwei Verschlussklammern verschlossen wird (vgl. D1 Sp. 2 Z. 22 bis 23, Sp. 10 Z. 36 bis 41, Sp. 10 Z. 42 bis Sp. 11 Z. 11).
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Bei der Fülllinie der D1 ist zwischen der Füllmaschine und der Verschließmaschine eine Daten- oder Signalleitung zur Übernahme von Betriebsparametern von der Füllmaschine in die Verschließmaschine oder umgekehrt vorgesehen. Diese Datenleitung ermöglicht bei einer Änderung der Betriebsparameter während der Produktion von Würsten diese Änderungen gleichzeitig für beide Maschinen wirksam zu machen. Die Datenleitung erleichtert zudem das Einrichten der Maschinen zu Beginn der Produktion, da die Betriebsparameter nur ein einziges Mal eingegeben werden müssen (vgl. D1 Patentanspruch 2, [0017]).
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Darüber hinaus verfügt die Vorrichtung gemäß D1 über eine Steuereinrichtung, die sowohl an die Füllmaschine als auch an die Verschließmaschine angeschlossen ist und die so ausgeführt ist, dass sie im Falle einer Abweichung eines oder mehrerer der von einer Überwachungseinheit erfassten Parameter von entsprechenden Sollwerten automatisch eine Veränderung eines oder mehrerer Betriebsparameter von Füll- und/oder Verschließmaschine sowie der Darmbremse bewirkt (vgl. D1 [0019] bis [0021]). Zur Optimierung des Produktionsprozesses ist auch entsprechend den streitpatentgemäßen Merkmalen 1.1 und 1.2 eine Feinabstimmung der Bewegungsabläufe der Füllmaschine und der Verschließmaschine vorgesehen, wobei die Bewegungen des Spreizverdrängers und der Clipeinrichtung in Abhängigkeit der von der Füllmaschine übernommenen Betriebsparameter einzeln steuerbar sind (vgl. D1 [0018], [0035]; vgl. D2 Patentanspruch 1). Unter dem Bewegungsablauf der Verschließmaschine ist gemäß D2, die aufgrund des ausdrücklichen Verweises in der D1 einen einheitlichen Offenbarungsgehalt mit dieser bildet, das Ausmaß der Bewegung der Verdrängerscherenpaare und der Verschließzylinder sowie der Matrizen während eines vorgegebenen Zeitintervalls zu verstehen (vgl. D1 [0035]; D2 Sp. 2 Z. 52 bis Sp. 4 Z. 39, Fig. 2 bis 4).
75
Der zeitabhängige Bewegungsablauf der Verdrängerscherenpaare entspricht somit dem Bewegungsprofil von gegenüberliegenden Clipperscheren gemäß Merkmal 1.3. Der Bewegungsablauf der Verschließmaschine und somit auch der zeitabhängige Bewegungsablauf der Verdrängerscherenpaare wird gemäß D1 auf die Betriebsparameter der Füllmaschine, wie Füllgeschwindigkeit und Taktzeit, abgestimmt (vgl. D1 Patentansprüche 2 und 3, [0035]). Nachdem das streitpatentgemäße Geschwindigkeitsprofil gemäß Merkmal 1.3 den zeitlichen Verlauf der Füllgeschwindigkeit der Füllmaschine darstellt und bei D1 die Füllgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Taktzeit berücksichtigt wird, geht D1 gleichfalls von einem Geschwindigkeitsprofil der Füllmaschine aus. Folglich wird bei der Feinabstimmung der Bewegungsabläufe der Füllmaschine und der Verschließmaschine gemäß D1 eine automatische Anpassung des Geschwindigkeitsprofils der Füllmaschine und des Bewegungsprofils der Verschließmaschine im Sinne des patentgemäßen Merkmals 1.3 vorgenommen.
76
Das Geschwindigkeitsprofil der Füllmaschine gemäß D1 wird entsprechend dem patentgemäßen Merkmal 1.4 in Förderwerkszyklen periodisch wiederholt, da die Vorrichtung, wie zuvor ausgeführt, zyklisch arbeitet.
77
Aus der Druckschrift D1 ist somit ein Verfahren zum Steuern einer Füllmaschine mit einer Clipmaschine mit den patentgemäßen Merkmalen 1.1 bis 1.4 bekannt. Einzig die Merkmale 1.5 bis 1.7, die festlegen, dass die Startzeit des Förderwerks in Abhängigkeit von der Position der Clipperscheren bestimmt wird und die Steuereinrichtung frühestens ein Startsignal an das Förderwerk sendet, wenn der Abstand der Clipperscheren zueinander ausreichend groß ist, dass ein erzeugtes Wurstkaliber durch die Öffnung der Clipperscheren passt, sind der D1 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.
78
Eine solche Steuerung der Fülllinie ist aber für den Fachmann naheliegend. Denn es gehört zum fachmännischen Handeln, die Bewegungsabläufe der einzelnen Komponenten einer Füllmaschine derart zu synchronisieren, dass keine Wurstplatzer auftreten, die dadurch entstehen, dass der Füllgutausstoß auf geschlossene bzw. teilweise geöffnete Verdrängerscheren trifft (vgl. D5, [0042]; D9, S. 4, erster Abs.). Der Fachmann wird damit eine Steuerung vor Augen haben, die erst ein Startsignal an die Füllmaschine sendet, wenn die Verdrängerscheren sich wieder in ihrer Ausgangposition befinden, d.h. bei maximalen Hub, geöffnet sind. Eine solche Verfahrenssteuerung ist zum Prioritätszeitpunkt in der Praxis allgemein üblich gewesen, wie auch die Offenbarung der D2 unterstreicht, die eine Anpassung der Bewegungsabläufe bekannter Fülllinien dahingehend beschreibt, dass nach dem Verschließvorgang die Verdrängerscherenpaare erst wieder in die Ausgangslage zurückgefahren werden, bevor ein neuer Füllzyklus beginnt (vgl. D2 Sp. 1 Z. 40 bis 43). Dass die Steuerung für den Start des Förderwerks ein Startsignal sendet, gebietet bereits die in der in D1 verwendete elektronische Steuerung (vgl. D1 [0035]). Nachdem der Wortlaut von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags auch eine Verfahrensvariante umfasst, bei der der Start des Förderwerks erst geschieht, wenn die Clipperscheren vollständig geöffnet sind (vgl. Abs. II. 1.3), erweist sich das Verfahren zum Steuern einer Füllmaschine mit einer Füllmaschine gemäß Patentanspruch 1 als Ergebnis fachmännischen Handelns und beruht damit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
79
2. Die von den Beklagten vorgetragenen Argumente, die aus ihrer Sicht für eine erfinderische Tätigkeit der streitpatentgemäßen Lehre sprechen, führen aus den zu keinem anderen Ergebnis:
80
Das Argument, in D1 werde, wie auch in der D5, von der das Streitpatent ausgeht, das Problem der Wurstplatzer über eine Darmbremse gelöst, indem mehr Haut freigegeben werde, sodass der Stand der Technik keinen Hinweis in Richtung einer Synchronisation des Förderwerksgeschwindigkeitsprofils mit dem Bewegungsprofil der Clipperscheren liefere, vermag nicht zu überzeugen. Denn sowohl in der D1 als auch in der D5 wird zur Vermeidung von Wurstplatzern nicht nur die Darmbremse reguliert, sondern es werden auch die Bewegungen der Füll- und Verschließmaschine aufeinander abgestimmt (vgl. D1 [0018], [0037]; D5 [0023], [0024], [0042], [0048], [0049]), sodass die Darmbremse nur ein zusätzliches zu synchronisierendes Förderelement darstellt, welches im Übrigen vom Streitpatent nicht ausgeschlossen wird (vgl. A1 [0036]).
81
Ferner haben die Beklagten geltend gemacht, dass auch die D9 keinen Hinweis in Richtung von Merkmal 1.7 liefern könne, da in D9 die Drehzahl in Abhängigkeit von der Zeit ausschlaggebend für die Kopplung von Füllvorgang und Abdrehvorgang sei. Auch werde in D9 keine Überlagerung des Abdrehvorgangs mit dem Füllvorgang, wie sie der in den Figuren 1 und 2 eingezeichnete rote Pfeil vermeintlich indiziere, beschrieben. Zwar trifft es zu, dass als die D9 für die in den Figuren 1 und 2 dargestellten Verfahrensabläufe die geltend gemachte Überlagerung nicht lehrt. Allerdings vermittelt die D9 die allgemeine Lehre, dass es im Stand der Technik bereits Verfahren gab, bei denen für eine Leistungssteigerung, d.h. für eine Verringerung der Verlustzeiten, der Start der Verschließmaschine kurz vor Abschluss des Füllvorgangs erfolgt, wobei zur Vermeidung von Wurstplatzern sicherzustellen ist, dass die bereits den Einschnürvorgang durchführenden Verdrängerscherenpaare nicht auf die sich noch füllende Wurst treffen (vgl. D9 S. 3/4 übergr. Abs.). Der Fachmann entnimmt der D9 zudem die Lehre, dass für eine Ausstoßsteigerung die Verdrängerscherenpaare nicht mehr gestoppt, sondern nur noch abgebremst werden (vgl. D9 S. 4 vorletzt. Abs. bis S. 5 erster Abs.). Somit kommt es zu einer Überlagerung des Schließvorgangs- mit dem Füllvorgang. Von diesem Sachstand geht im Übrigen auch das Streitpatent aus (vgl. A1 [0008]).
82
3. Die weiteren Patentansprüche des Hauptantrags bedürfen keiner isolierten Prüfung, weil die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass sie den Hauptantrag und den Hilfsantrag als in sich geschlossene Anspruchssätze versteht (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).
III.
83
Auch in der Fassung des Hilfsantrags können die Beklagten ihr Patent nicht erfolgreich verteidigen, da auch dieser Fassung zumindest der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit entgegensteht, so dass die weitere Frage, ob die klägerseits beanstandete unzulässige Schutzbereichserweiterung vorliegt, dahingestellt bleiben kann.
84
1. Die Patentansprüche 1 und 11 nach Hilfsantrag 1 unterscheiden sich von den Patentansprüchen 1 und 12 in der erteilten Fassung dadurch, dass sie jeweils folgende zusätzliche Merkmale aufweisen:
85
1.8 wobei das Bewegungsprofil der Clipperscheren das Ausmaß der Bewegung der Clipperscheren in Abhängigkeit der Zeit darstellt und
86
1.9 während einer Portionszeit (tPortion) des Förderwerks, in der das Förderwerk Füllgut ausstößt, sich die Clipperscheren auseinander bewegen bis zu einem maximalen Abstand voneinander und sich dann wieder aufeinander zu bewegen,
87
1.10 wobei die Scheren während der Portionszeit (tPortion) des Förderwerks einen Abstand zueinander aufweisen derart, dass das erzeugte Wurstkaliber durch die Öffnung zwischen den Scheren passt.
88
2. Die zusätzlichen Merkmale bedürfen einer Erläuterung:
89
Mit Merkmal 1.8 wird das Bewegungsprofil der Clipperscheren dahingehend definiert, dass es sich dabei um das Ausmaß der Bewegung der Clipperscheren pro Zeit handelt. Diese Konkretisierung führt jedoch zu keiner Beschränkung des Anspruchsgegenstands, da mit Merkmal 1.8 lediglich der Sinngehalt des Teilmerkmals „Bewegungsprofil der Clipperscheren“ von Merkmal 1.3 wiedergegeben wird.
90
Mit Merkmal 1.9 wird nunmehr festgelegt, dass während des Zeitraums der Portionszeit (tPortion) des Förderwerks, d.h. in der Zeit, in der das Förderwerk von einer minimalen Füllgeschwindigkeit Vmin auf eine maximale Füllgeschwindigkeit VFüll beschleunigt wird und für eine Füllzeit tFüll auf VFüll gehalten wird, um dann wieder auf Vmin abgebremst zu werden (vgl. A1 [0029]), sich die Clipperscheren bis zu einem maximalen Abstand auseinander bewegen und sich dann wieder aufeinander zu bewegen (vgl. A1 [0032], [0054]).
91
Der minimale Abstand der Clipperscheren zueinander während der Portionszeit (tPortion) des Förderwerks wird durch Merkmal 1.10 auf einen Abstand festgelegt, der so groß ist, dass das erzeugte Wurstkaliber durch die Scherenöffnung passt. Dieser Abstand entspricht konkret dem Wurstdurchmesser d0 bzw. d1. Wie schon unter Abschnitt II.1.3 ausgeführt, handelt es sich bei dem erzeugten Wurstkaliber um den Wurstdurchmesser d0 im Mittelbereich der Wurstportion bzw. den Durchmesser d1 der Wurstportion im Wurstkappenbereich (vgl. A1 [0026] i.V.m. Fig. 8). Damit schließt Merkmal 1.10 einen Abstand von Null, d.h. geschlossene Clipperscheren aus. Nachdem das Streitpatent keinen konkreten Wert für d1 angibt, kann der minimale Abstand der Clipperscheren nach fachmännischen Verständnis einen Wert im Bereich von größer Null bzw. größer einem Abstand, der der zusammengerafften Wursthülle entspricht, bis zum maximalen Hub der Clipperscheren annehmen (vgl. A1 Sp. 16 Z. 2 bis 5; vgl. Abs. II. 1.3).
92
Durch die Kombination der Merkmale 1.9 und 1.10 wird nunmehr eine Bewegungsüberlagerung der Bewegungen der Clipperscheren und des Förderwerks definiert, sodass ein Start des Förderwerks bei vollständig geöffneten Clipperscheren von dem Wortlaut des jeweiligen Anspruchs 1 bzw. 11 nicht mehr umfasst wird.
93
3. Diese Änderungen sind aber nicht geeignet, eine erfinderische Tätigkeit des Erfindungsgegenstands zu begründen.
94
Das Streitpatent betont einleitend selbst, dass in der industriellen Wurstherstellung bereits vor dem Anmeldetag für eine hohe Portioniergenauigkeit bei gleichzeitig hohem Portioniertakt eine Überlappung der Bewegung der Verdrängerscheren und der Bewegung des Förderwerks erforderlich war (vgl. A1 [0008]). Dieses Fachwissen spiegelt auch der vorgelegte Stand der Technik nach dem D3, D5 und D9 wieder. Sämtliche Druckschriften geben an, dass ein Überlapp der Bewegungen des Füllwerks und der Verdrängerscheren die Geschwindigkeit der Wurstproduktion optimiert, wobei der Füllprozess nach dem Verschließen nicht zu früh gestartet werden darf, da ansonsten die Gefahr besteht, dass die Verpackungshülle platzt, weil das Füllgut gegen die (teilweise) verschlossenen Clipperscheren gedrückt wird (vgl. D3 [0047], D5, [0042], D9 S. 3/4 übergr. Abs.). Der Fachmann hatte somit Anlass, dieses Fachwissen in seine von der D1 ausgehenden Überlegungen mit einzubeziehen. Bereits in der D1 ist die Möglichkeit beschrieben, dass eine Feinabstimmung der Bewegungen der Verschließmaschine in Abhängigkeit von der Füllmaschine zur Optimierung des Produktionsprozesses führt (vgl. D1 [0018], [0035]). Dem Fachmann war kraft seines allgemeinen Fachwissens bekannt, dass bei der Feinabstimmung der Bewegung des Förderwerks und der Clipmaschine zwei Randbedingungen zu beachten sind: a) die Füllmasse darf nach Start des Füllwerks nicht gegen geschlossene Clipperscheren laufen und b) für eine Beschleunigung des Produktionsprozesses wird ein Überlapp der Bewegungsabläufe der Füll- und Verschließmaschine angestrebt, um den Trägheitsmoment des Füllwerks und der Clipperscheren Rechnung zu tragen. Demzufolge wird er die Bewegungsabläufe des Förderwerks und der Clipmaschine derart abstimmen, dass die Clipmaschine vor Beendigung des Füllvorgangs und das Förderwerk bei noch nicht vollständig geöffneten Clipperscheren jeweils starten. Die Festlegung des frühestmöglichen Zeitpunkts für den Start des Füllwerks wird er jeweils so wählen, dass der Clipperscherenabstand hinreichend groß ist, dass gerade kein Wurstplatzer auftritt, d.h. bei zumindest teilweise geöffneten Clipperscheren. Die Ermittlung des konkreten Abstandes der Scheren wird der Fachmann in Abhängigkeit von dem herzustellenden Produkt und dessen Kaliber im Rahmen von Routineversuchen ohne erfinderisches Zutun bestimmen.
95
Die Einwände der Beklagten, in D9 werde die Drehzahl und nicht die Bewegung der Clipper berücksichtigt und die D1 gebe keinen Hinweis auf eine Abstimmung des Füllgeschwindigkeitsprofils mit dem Clipperprofil, sondern nur auf eine zeitliche Abstimmung, können aus den schon beim Hauptantrag genannten Gründen nicht durchgreifen (vgl. Abs. II. 3.).
96
Auch der weitere Vortrag, dass das Streitpatent, wie in Figur 5 visualisiert, einen höheren Ausstoß ermögliche, da Portionszeit durch ein früheres Öffnen der Clipperscheren eingespart werde, führt nicht dazu, dass das Verfahren nach Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags nicht nahegelegen hat. Eine Überlagerung der Bewegungen der Füllmaschine und der Clipmaschine ist zur Effizienzsteigerung der Produktion fachüblich, weil dadurch eine Verkürzung der Verlustzeiten bewirkt wird und somit mehr Würste pro Arbeitstakt produziert werden können (vgl. D9 S. 3, zweiter Abs.; vgl. A1 [0008]).
97
4. Dass sich aus einer Kombination der Merkmale des Verfahrensanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag mit einem oder mehreren, kennzeichnenden Merkmalen aus den darauf mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Patentansprüchen ein patentfähiger Gegenstand ergäbe, ist weder geltend gemacht noch für den Senat ersichtlich. Die jeweils unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche haben daher mangels Patentfähigkeit ihres Gegenstands ebenfalls keinen Bestand. Dies gilt auch für den nebengeordneten Patentanspruch 11, der auf eine Vorrichtung zum Durchführen des Verfahrens nach den jeweils vorausgehenden Patentansprüchen gerichtet ist und damit sachlich keine unterschiedliche Lösung enthält.
IV.
98
Da sich der Erfindungsgegenstand mithin in der erteilten Fassung als nicht patentfähig erweist und auch die Anspruchsfassung nach Hilfsantrag nicht geeignet ist, diesen Mangel zu beseitigen, ist das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
V.
99
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91, 100 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.


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