Patent- und Markenrecht

3 Ni 27/19 (EP)

Aktenzeichen  3 Ni 27/19 (EP)

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:280721U3Ni27.19EP.0
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

„Mehrschichtiges Trägerelement“
“Stellt eine Zweckangabe, wie „zum Aufbringen von Farbschichten“, aufgrund der im Streitpatent offenbarten Lehre keine Alternative für zahlreiche Verwendungsmöglichkeiten dar, sondern die aus technischer Sicht einzig mögliche funktionale Eignung, dann ist die Zweckangabe als konkrete räumlich-körperliche Ausgestaltung zu werten. Der Neuheit eines darauf basierenden Gegenstands steht eine Lehre demzufolge nur dann entgegen, wenn sie die beanspruchte Eignung sicher und objektiv aufweist (in Fortführung von BGH, Urteil vom 24. September 2019 – X ZR 62/17 – Lenkergetriebe; BGH, Urteil vom 24. April 2018 – X ZR 50/16 – Gurtstraffer).“

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2021 durch den Vorsitzenden Richter Schramm, den Richter Schwarz, die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg und die Richter Dipl.-Chem. Dr. Wismeth und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 677 974 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise mit der Maßgabe für nichtig erklärt, dass es folgenden Wortlaut erhält.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des international am 2. November 2004 unter Inanspruchnahme der Priorität aus einem deutschen Gebrauchsmuster vom 31. Oktober 2003 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in deutscher Verfahrenssprache erteilten europäischen Patents 1 677 974 (Streitpatent; im Folgenden SP) mit der Bezeichnung „Trägerelement für die Herstellung von Werbematerialien“. Das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Patentnummer 50 2004 010 012 geführte Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung den unabhängigen Sachanspruch 1, auf den die Patentansprüche 2 bis 23 zurückbezogen sind, und den nebengeordneten Verwendungsanspruch 24, auf den Patentanspruch 25 zurückbezogen ist.
2
Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 24 lauten:
3
Mit ihrer Nichtigkeitsklage begehrt die Klägerin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents, weil dessen Gegenstand nicht patentfähig sei. Der Beklagte verteidigt demgegenüber sein Patent in geänderter Fassung (Hauptantrag) sowie jeweils als geschlossener Anspruchssatz in den Fassungen der Hilfsanträge I und II, wegen deren genauen Wortlauts auf die Anlagen zum Schriftsatz vom 23. April 2021 verwiesen wird.
4
Die Parteien haben zur Stützung ihres jeweiligen Vortrags u. a. folgende Druckschriften eingereicht (Kurzbezeichnungen von den Parteien):
5
D1 JP 2001-317171 A
6
D1a Computerübersetzung des Japan Platform for Patent Information zu JP 2001-317171 A (D1) vom 10. April 2018
7
D1b Beglaubigte Übersetzung zu JP 2001-317171 A vom 29. März 2021
8
D2 DE 699 02 236 T2
9
D3 DE 41 35 097 A1
10
D4 NENTWIG, Joachim: Kunststoff-Folien. Herstellung – Eigenschaften – Anwendung. 2., überarbeitete Auflage. München: Hanser, 2000. S. IX-XI, S. 97-106, 115-117, 134-137, 157-160, 170-173, 185, 186. – ISBN 3-446-21420-8
11
D6 US 6 632 506 B1
12
MFG1 Norm JIS R 6001-1 : 2017. S. 5, Table 3, Grain size distributions of macrogrits
13
MFG2 CROWN: Tabelle 1. URL: https://crownab.com/qa_list/qa/ index_q01.htm [abgerufen unbekannt]. Mit Übersetzung der Zeilen 1 und 2 aus dem Japanischen. 2 Seiten
14
MFG3 Metallvertrieb ds GmbH (www.metallvertrieb.com): Oberflächenrauheit. Ohne Ort, ohne Jahr. 1 Seite. – Firmenschrift
15
Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Patentgegenstand bereits infolge der Einfügung des Merkmals „ohne zusätzliche transparente Folienschicht über den Farbschichten“ im neuen Hauptantrag unzulässig erweitert sei. Zudem sei der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber der D1/D1b, der D2 sowie einer von ihr behaupteten offenkundigen Vorbenutzung, zu deren – schriftsätzlich von ihr nicht näher dargelegten – Einzelheiten sie sich auf das Zeugnis von Herrn A… beruft, jeweils nicht neu. Darüber hinaus beruhe er auch gegenüber der D1/D1b oder der D2, jeweils in Verbindung mit der D3, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Soweit der Beklagte dem entgegenhalte, der neue Hauptantrag fordere bestimmte Eigenschaften der Schichten wie die Bedruckbarkeit der patentgemäßen obersten Schicht, sei dies in Wahrheit mit der Fassung des Hauptantrags ebenso wenig wie eine bestimmte Anzahl der Schichten beansprucht. Die D1/D1b beschreibe zwei unterschiedliche Optionen, nämlich zum einen ein Antirutschband ohne bedruckte Schicht, daneben aber zum anderen auch eine bedruckte Schicht mit einer darüber liegenden aufgerauten transparenten Harzschicht. Dass auch die aufgeraute obere Schicht grundsätzlich bedruckt werden könne, erschließe sich dem Fachmann schon aus der D3 und der D4, wobei die D3 auch beschreibe, wie sie bedruckt werde. Da es eine der Optionen der D1/D1b sei, dass die oberste Harzschicht nicht transparent sei, würde der Fachmann, wenn er sie entsprechend der D3 mit einer Farbeschicht versehe, zu den Merkmalen des Patentanspruchs 1 ohne erfinderisches Zutun gelangen. Der Einwand des Beklagten, die D3 sehe zwingend eine trübe oberste Schicht vor, während diese in der D1/D1b für eine Sichtbarkeit des darunter liegenden Druckbildes transparent sein müsse, gehe fehl, denn bei einer Kombination der D1/D1b mit der D3 gehe es darum, die oberste Schicht nach der D1/D1b entsprechend der technischen Lehre der D3 zu bedrucken. Eine solche Vorgehensweise schließe die D1/D1b nicht aus, auch wenn sie sich aufgrund ihrer Zielsetzung auf die nähere Beschreibung der transparenten obersten Schicht beschränke. Den entscheidenden Hinweis auf die Bedruckung der obersten Schicht nach der D1/D1b könne der Fachmann aber der D3 entnehmen.
16
Auch der nebengeordnete Verwendungsanspruch sowie die abhängigen Patentansprüche enthielten nichts, was eine Erfindung begründen könnte. Dasselbe gelte auch für die Fassungen der Hilfsanträge, mit denen das Streitpatent keinen Bestand haben könne, da diese zum einen infolge der zusätzlichen Merkmale unzulässig erweitert und zum anderen die neuen Merkmale trivial und beispielsweise aus den Druckschriften D2 und D4 vorbekannt seien.
17
Die Klägerin beantragt,
18
das europäische Patent 1 677 974 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
19
Der Beklagte beantragt,
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die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hauptantrags, hilfsweise die Fassung eines der Hilfsanträge I oder II, jeweils gemäß Schriftsatz vom 23. April 2021 erhält.
21
Der Beklagte ist der Auffassung, der Gegenstand in der Fassung des Hauptantrags sei nicht dadurch unzulässig erweitert, dass die in Abs. [0027] bis [0029] geschilderten Maßnahmen nicht in den Patentanspruch aufgenommen seien; denn für die beanspruchte bloße Eignung bedürfe es nicht der Angabe von hierzu erforderlichen Maßnahmen.
22
Auch nähmen weder D1 noch D2 den Erfindungsgegenstand des Streitpatents in der Fassung des Hauptantrags neuheitsschädlich vorweg. Die D1 beschreibe zwar eine aus fünf Schichten aufgebaute Klebebeschichtung, die erfindungsgemäße Rauigkeit der obersten Schicht sei aber nicht angegeben; auch sei diese Schicht nicht zum Bedrucken vorgesehen. Damit gehe die D1 über den Stand der Technik, von dem auch das Streitpatent ausgehe, nicht hinaus. Auch die genannte D2 lehre nicht die streitpatentgemäße Ausgestaltung eines mehrschichtigen Trägerelements für die Herstellung von Werbematerialien, vielmehr gehe auch das in der D2 beschriebene Zweikomponentensystem nicht über den Stand der Technik hinaus, von dem das Streitpatent ausgehe. Insbesondere offenbare die D2 weder die erfindungsgemäße Doppelfunktion der Oberfläche der Folie noch die Rautiefe der erfindungsgemäß hergestellten Oberfläche, noch sei die Basiskomponente wie der Gegenstand des Streitpatents aus einer Folie und einer nicht elastischen Schicht aufgebaut. Die klägerseits behauptete angebliche offenkundige Vorbenutzung sei schließlich nicht substantiiert dargelegt.
23
Der Erfindungsgegenstand des Streitpatents beruhe auch gegenüber dem klägerseits hierzu genannten Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit. Selbst wenn mit der Klägerin fehlerhaft unterstellt würde, dass sich die D1/D1b von der streitpatentgemäßen Lösung allenfalls hinsichtlich der in der D1/D1b nicht explizit genannten Rautiefe unterscheide, könne der Fachmann in Verbindung mit der D3 nicht zum Erfindungsgegenstand gelangen. Anders als das Streitpatent beschreibe die D1/D1b kein Trägerelement mit einer oben liegenden Druckschicht, die zugleich rutschfest sei. Vielmehr werde die Rutschfestigkeit bei der D1/D1b erst durch die in einem zusätzlichen Arbeitsgang aufgebrachte oberste Harzschicht erreicht, die im Falle der in der D1/D1b allein vorgesehenen Bedruckung der darunter liegenden Schicht zwingend transparent sein müsse. Allein hierdurch unterscheide sich die Fassung des Streitpatents nach dem Hauptantrag schon von diesem Stand der Technik. Auch in der Kombination der D1/D1b mit der D3 gelange der Fachmann nicht zum Erfindungsgegenstand. Die D3 betreffe eine nicht siegelbare, matte, trübe und biaxial orientierte Polyolefin-Mehrschichtfolie. Auch wenn dies in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt werde, ergebe sich aus den Verwendungsansprüchen der D3, dass die entsprechend ihren Vorgaben hergestellte Folie vorrangig als Verpackung verwendet werde; damit sei sie aber als Trägerelement für die Herstellung von Werbematerialien nicht geeignet. Zudem werde der Fachmann das in ihr beschriebene technische Verfahren, insbesondere wegen der auf S. 4, Z. 14/15 geforderten „maximalen Trübung“ der bedruckten Schicht, nicht bei einer Folie nach der D1/D1b zur Anwendung bringen, weil dann das in der D1/D1b nur unter die oberste Harzschicht aufzubringende Druckbild wegen der matten und trüben Erscheinung nicht mehr sichtbar wäre.
24
Auch eine Kombination der D2 und der D3 werde der Fachmann nicht in Erwägung ziehen. Denn bei einer solchen Kombination läge immer noch ein Zweikomponentensystem vor, bei dem eine Basisschicht, gegebenenfalls nach Aufbringen der Bedruckung, in einem weiteren zusätzlichen Arbeitsgang mit einer Oberflächenschutzschicht versehen werden müsse. Auch hier stehe die nicht transparente Ausgestaltung der Oberflächenfolie einer Kombination entgegen.
25
Auf jeden Fall sei der streitpatentgemäße Gegenstand in der Fassung der Hilfsanträge patentfähig, denn eine durch die einschränkenden Merkmale erfolgte Ausgestaltung sei aus dem von der Klägerin genannten Stand der Technik weder bekannt noch nahegelegt.

Entscheidungsgründe

A.
26
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Soweit der Beklagte das Streitpatent nicht mehr in der erteilten Fassung verteidigt, ist es ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären. Demgegenüber ist die Klage teilweise abzuweisen, soweit sie sich auch gegen die Fassung des neuen Hauptantrags richtet. Auf die Frage, inwieweit das Streitpatent in den Fassungen der Hilfsanträge schutzfähig ist, kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an.
I.
27
1. Die Erfindung betrifft ein Trägerelement für die Herstellung von Werbematerialien und dessen Verwendung (SP: [0001]).
28
Zum Hintergrund erläutert das Streitpatent in Abs. [0002], dass herkömmliche Werbematerialien gedruckte Papierbahnen und Folien umfassten, welche an entsprechenden Werbewänden festgelegt würden. Dabei müsse darauf geachtet werden, dass eine sichere Verbindung zwischen dem bedruckten Papier und der als Untergrund benutzten Plakatwand erreicht und beibehalten werde. Dies erfordere es im Allgemeinen, dass die Plakatwand dem unmittelbaren Zugriff von Passanten entzogen sei, zumindest aber ein solcher Zugriff nur mit bewusster Zerstörungsabsicht erfolgen könne. Aus diesem Grunde müssten als Untergrund benutzte Plakatwände an entsprechend geschützten Orten aufgestellt sein. Im Hinblick auf diese Probleme sei vorgeschlagen worden, besondere Werbematerialien einzusetzen, welche auch auf frei zugänglichen Untergrundbereichen, wie etwa auf Wegen, Straßen oder dergleichen aufgebracht werden könnten. Im Hinblick auf die dabei hervortretenden Probleme hinsichtlich des unvermeidlichen Abriebs des Werbemotivs sollten Werbematerialien mit einer Laminatstruktur eingesetzt werden, bei denen das Werbemotiv von einer Schutzschicht abgedeckt sei. Allerdings sei die Herstellung solcher Werbematerialien mit hohen Kosten verbunden.
29
Unter Darlegung der Lehren der Patentschriften EP 0 569 921 B1, an welcher das Streitpatent als Nachteil beschreibt, dass die dort genannte Verwendung eines selbstklebenden Oberflächenbelagmaterials die Möglichkeit der Aufbringung auf Untergrundbereichen, z. B. auf Wegen oder Straßen, und damit auch die mit dem Aufbringen auf die genannten Untergrundmaterialien verbundenen Probleme nicht anspricht (SP: [0003]), und DE 4 129 262 A1, die folienförmige Wechseldekorelemente beschreibt, welche diese Probleme aber ebenfalls nicht lösen könnten, weil sie nur für die Schaufensteraußengestaltung ausgelegt seien (SP: [0004]), stellt sich das Streitpatent die Aufgabe, Trägerelemente für die Herstellung von Werbematerialien bereit zu stellen, welche unter Gewährleistung einer hohen Abriebbeständigkeit des Werbemotivs auf Untergründe wie Straßen, Wege und dergleichen aufbringbar sind. Aufgabengemäß sollten die Elemente unter den üblichen Umwelteinflüssen, insbesondere Temperaturbedingungen einerseits haltbar und andererseits ohne Beschädigung des Untergrunds wieder abziehbar sein (SP: [0005]).
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Erfindungsgemäß soll diese Aufgabe durch ein mehrschichtiges Trägerelement für die Herstellung von Werbematerialien gelöst werden, welches folgende Schichten umfasse: a) Eine Folie mit einer Oberfläche, welche eine Rautiefe von mindestens 10 μm aufweist, b) eine nicht-elastische Schicht und c) eine Haftvermittlerschicht.
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2. Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lässt sich wie folgt gliedern (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind kursiv gesetzt und in der Gliederungsziffer mit einem hochgestellten „H“ gekennzeichnet):
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1 Mehrschichtiges Trägerelement
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1.1 für die Herstellung von Werbematerialien umfassend
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2 a) eine Folie (1)
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2.1 mit einer Oberfläche (2), welche eine Rautiefe von mindestens 10 µm aufweist,
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wobei die Oberfläche (2) der Folie (1) zum Aufbringen von Farbschichten (6) zur Ausgestaltung eines beliebigen Werbemotivs ohne zusätzliche transparente Folienschicht über den Farbschichten (6) geeignet ist,
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3 b) eine nicht-elastische Schicht (3) und
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4 c) eine Haftvermittlerschicht (4).
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3. Ein Teil der Begriffe bedarf der Auslegung. Der zuständige Fachmann, ein Diplom-Ingenieur oder Master of Engineering der Fachrichtung Verfahrenstechnik oder Materialwissenschaften mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung und der Anwendung von Klebefolien und Laminatprodukten, insbesondere auf dem Gebiet bedruckter Dekorfolien, wird sie wie folgt verstehen:
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3.1 Der Patentanspruch 1 lässt offen, ob neben der nichtelastischen Schicht von Merkmal 3 weitere Zwischenschichten vorhanden sein können. Dementsprechend wird in der Beschreibung des Streitpatents auch eine zwischen der Haftvermittlerschicht und der nichtelastischen Schicht angeordnete Verstärkungsschicht genannt (SP: [0025]).
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3.2 Auch wenn die Folie von Merkmal 2 eine äußere (obere) Schicht des Trägerelements bildet, kann darauf noch eine Farbschicht 6 aufgetragen sein (SP: Patentanspruch 8; [0012]). Da die Farbschicht eine Bedruckung sein kann, ist sie nicht zwingend vollflächig aufgetragen (SP: [0027]; Fig., Bz. 6, unterbrochene Struktur). Ebenso kann auf die (untere) Haftvermittlerschicht ein abziehbares Trägermaterial 5 zu deren Schutz aufgebracht sein (SP: [0026]).
42
3.3 Mit Merkmal 2.2 wird nicht nur beschrieben, dass eine theoretische Möglichkeit zur Aufbringung einer Farbschicht auf die raue Oberfläche der Folie besteht. Vielmehr wird damit der Ort des Farbauftrags bestimmt und damit der Farbauftrag für ein Werbemotiv gegenständlich als Merkmal des Patentanspruchs ausgestaltet. Der Farbauftrag bleibt insoweit nicht in seiner theoretischen Möglichkeit verhaftet, sondern die damit zum Ausdruck kommende Eignungs- bzw. Zweckangabe stellt einen Vorgriff auf die spätere Verwirklichung der damit verbundenen technischen Lehre dar, welche sich dem Fachmann unmittelbar daraus erschließt. Denn das Streitpatent lehrt keinen anderen Ort des Farbauftrags als die raue Oberfläche der Folie, um zu der streitpatentgemäß gewünschten Werbewirksamkeit gemäß Merkmal 1.1 zu gelangen. Zudem ist das Trägerelement so ausgestaltet, dass keine weitere transparente Folienschicht über der Farbschicht aufgetragen wird. Insoweit ist der Aufbau des Trägerelements auf seiner Oberfläche mit der Farbschicht abschließend beschrieben.
43
3.4 Die Rauigkeit oder Rauheit der Oberfläche der Folie wird durch ihre Rautiefe gemäß Merkmal 2.1 charakterisiert, wobei die Rautiefe im Streitpatent nicht näher definiert wird. Die Rautiefe bezeichnet fachüblicherweise die Differenz aus maximalem und minimalem Wert eines (Oberflächen-) Profils bezogen auf eine definierte (Gesamt-) Messstrecke. Insoweit die Gesamtmessstrecke und auch die Frage offenbleibt, ob es sich um die gemittelte Rautiefe mehrerer Einzelmessungen handelt, ist der in Merkmal 2.1 angegebene numerische Wert von 10 µm offensichtlich lediglich eine ungefähre Angabe und weist eine gewisse Schwankungsbreite auf.
44
Zudem ist dem Streitpatent nicht zu entnehmen, mit welchen Mitteln die erforderliche Rauheit der Oberfläche der Folie erzielt wird. Die Figur zeigt hierzu mit Bezugszeichen 1 (in der Beschreibung Bezugszeichen 2; vgl. SP: [0037]) die Oberfläche der Folie, auf der lediglich elipsenförmige Elemente zu sehen sind.
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45
3.5 Die nicht-elastische Schicht gemäß Merkmal 3 dient funktionell dazu, dass beim Aufbringen des Trägerelements auf einen Untergrund eine Anpassung an Unebenheiten erreicht wird und der Gesamtverbund des Trägerelements in der an die Untergrundform angepassten Formgestaltung verbleibt. Das Trägerelement kann demgemäß durch Ausüben eines leichten Drucks an die jeweiligen Untergrundflächen angepasst werden (SP: [0015]). Dementsprechend fällt jede Schicht, die diese Funktion erfüllt, unter das streitpatentgemäße Merkmal 3. Insbesondere verweist das Streitpatent auf aus Metall bestehende oder Metall aufweisende Schichten, wie solche aus Aluminium (SP: [0017]).
46
4. Insbesondere steht der Schutzfähigkeit des Patentgegenstandes in der Fassung des Hauptantrags der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung nicht entgegen.
47
Der gegenteiligen Auffassung der Klägerin, die hierzu geltend gemacht hat, dass eine Eignung zum Weglassen der Folienschicht, wie vom neuen Merkmal 2.2 gefordert, erst durch eine besonders innige Haftung gegeben sei, so dass der Patentanspruch unzulässig erweitert sei, weil die in Abs. [0027] bis [0029] des Streitpatents geschilderten Maßnahmen nicht in den Patentanspruch 1 aufgenommen worden seien, vermag der Senat nicht zu folgen. Denn die bloße, aus der Beschreibung zulässigerweise ableitbare Eignung zum Bedrucken ist – wie bereits zur Auslegung des neuen Merkmals 2.2 ausgeführt – unabhängig von ggf. hierzu zusätzlich zu treffenden Maßnahmen. Ob das Weglassen der Folie, wie die Klägerin meint, zu Qualitätseinschränkungen des fertigen Produkts führen könne, ist patentrechtlich unerheblich, weil hierauf das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes nach dem Art. 138 EPÜ nicht gestützt werden kann.
II.
48
Das Streitpatent erweist sich in der geänderten Fassung des zulässigen Hauptantrages als bestandsfähig.
49
1. Weder die Druckschrift D1 noch die Druckschrift D2 vermögen die Neuheit des Gegenstands von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag in Frage zu stellen.
50
1.1 Die in japanischer Sprache verfasste Druckschrift D1, die im Folgenden in der beglaubigten Übersetzung D1b zitiert wird, handelt von einem Anti-Rutschband, dessen Basisfilm eine Formbarkeit aufweist und dadurch auch unebene Flächen des zu beklebenden Körpers ausgleichen kann (D1b: [0001]). Bei herkömmlichen Anti-Rutschfolien des Standes der Technik würden rutschhemmende Partikel direkt an einer Anzeigeschicht mittels eines Klebstoffs befestigt, weshalb die dafür verwendeten Klebstoffe eingeschränkt seien, da sie entsprechend transparent sein müssten (D1b: [0003], Z. 1-3), oder sie würden gar keine Anzeigeschicht aufweisen (D1b: [0004]). Davon ausgehend soll ein Anti-Rutschband zur Verfügung gestellt werden, das in Überwindung der Probleme des Standes der Technik die Auswahl der Klebstoffe nicht einschränkt, eine Anzeigeschicht aufweist und ausgezeichnete Fähigkeiten zum Ausgleich von Unebenheiten aufweist (D1b: [0006]).
51
Die Figur 3 der D1 zeigt dazu eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung (D1b: [0008]).
52
Auf einem Basisfilm 1 ist eine Harzschicht 5 mit einer rutschhemmenden Funktion angebracht, die ersichtlich eine Strukturierung aufweist (D1b: [0008], Z. 5-7 // Merkmal 2). Der Basisfilm 1 besteht aus einem Verbundmaterial aus einem Harzfilm 4, einer Klebstoffschicht 3 und einer Metallfolie 2 (D1b: [0008], Z. 7-9 // Merkmal 3). Auf die Metallfolie 2 folgt eine Klebstoffschicht 6 (Merkmal 4), auf die eine Trennfolie aufgebracht sein kann (D1b: [0008], Z. 9-14). Insoweit bildet dieses Anti-Rutschband der D1 ein streitpatentgemäßes mehrschichtiges Trägerelement gemäß Merkmal 1.
53
Solange die rutschhemmende Harzschicht 5 im Wesentlichen transparent ist, kann auf der Oberseite des Harzfilms 4 (an der Seite der rutschhemmenden Harzschicht 5, also zwischen dem Harzfilm 4 und der Harzschicht 5) eine Anzeigeschicht mit einem vorbestimmten Muster gebildet werden (D1b: [0010]; [0011], Z. 1-3 i.V.m. [0008], Z. 5-9 zu den hinzugefügten Bezugszeichen), wobei das „Muster“ der Anzeigeschicht eine vielfältige Ausgestaltung haben kann, wie z.B. Schriftzeichen, Symbole, Slogans oder Muster (D1b: [0011], Z. 4-11 // Merkmal 1.1). Derartige rutschfeste Bänder werden beispielsweise auf Bahnsteigen verwendet (D1b: [0011], Z. 12-15). Mithin wird die Oberfläche der rutschhemmenden Harzschicht 5 nicht bedruckt. Die Druckschrift D1 lehrt folglich als Ort einer Anzeigeschicht ausschließlich den Harzfilm 4, so dass eine Eignung der Oberfläche der Harzschicht 5 für einen Farbauftrag entsprechend Merkmal 2.2 nicht angesprochen ist.
54
Das Merkmal 2.1 zur Rautiefe der Oberfläche von mindestens 10 µm ist ebenfalls nicht unmittelbar und eindeutig in der D1 offenbart. Anders als die Klägerin meint, liest ein Fachmann eine Rautiefe von mindestens 10 µm auch nicht aus Absatz [0010] der D1 mit. Die Druckschrift D1 verweist hinsichtlich Figur 3 zwar darauf, dass die rutschhemmende Harzschicht hergestellt wird, indem eine Harzschicht auf einen Basisfilm aufgetragen oder darauf laminiert wird. Die Art und Größe des Musters, mittels dessen die Eigenschaft der Rutschhemmung erzielt wird, sind nicht beschränkt. Sie bleiben also dem Fachmann überlassen. Dies mögen regelmäßige „winkelförmige Vorsprünge“ sein, wie in Figur 3 gezeigt. Die Rutschhemmung kann aber auch durch eine geriffelte Oberfläche erzielt werden (D1b: [0017], Z. 4-8). Die Dicke einer rutschhemmenden Harzschicht wird mit 5 bis 300 µm, bevorzugt 10 bis 100 µm angegeben (D1b: [0022], Z. 5-7).
55
Gemäß zweier in den Fig. 4 und 5 der D1 gezeigter Ausgestaltungen können zur weiteren Verbesserung der Rutschhemmung auch rutschhemmende Teilchen 7 auf der rutschhemmenden Harzschicht 5 verteilt werden, wobei diese dann entweder auf der Harzschicht aufliegen (Fig. 4) oder in sie integriert (Fig. 5) werden (D1b: [0025]).
56
Die Größe der Partikel wird in Bezug auf einen Japanese Industrial Standard (JIS) im Bereich von # 12 bis # 120 angegeben, wobei erklärt wird, dass bei kleineren Partikeln als # 120 der Effekt der Rutschfestigkeit leidet und größere Partikel als #12 nicht sicher zu fixieren sind (D1b: [0026], Z. 9-13). Worum es sich bei diesen Angaben handelt, wird der Fachmann jedoch erst aufgrund weiterer Überlegungen ermitteln müssen, so dass auch damit eine Rautiefe von 10 µm gemäß Merkmal 2.1 in der D1 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart ist.
57
Damit sind im Ergebnis jedenfalls die Merkmale 2.1 und 2.2 in der Druckschrift D1 nicht unmittelbar und eindeutig gelehrt.
58
1.2 Die Druckschrift D2 handelt von einem mehrlagigen informativen oder dekorativen graphischen Artikel für den Außenwerbungsbereich, der auf eine Außenarbeitsfläche wie z.B. Beton oder Asphalt aufgebracht wird (D2: S. 1, Z. 10-21).
59
Gemäß der D2 besteht ein Bedarf nach einem Display oder Werbesystem, welches eine getrennte, bebilderbare Filmschicht und eine Schutzschicht aufweist, die speziell für den Einsatz in Fußgängerverkehr unterliegenden Außenbereichsanwendungen angepasst ist.
60
Hierzu schlägt die D2 vor, eine bebilderbare Basisschicht (bzw. Basiskomponente 12) und darauf eine Bildschutzschicht (bzw. Bildschutzkomponente 30) zu verwenden (D2: S. 6, Z. 16-20 i. V. m. Fig. 1 und 2), wobei die Besonderheit darin liegt, dass die Basisschicht unter Einsatz herkömmlicher Drucktechnik von einem Kunden bebildert und anschließend mit der Bildschutzschicht laminiert werden kann (D2: Fig. 3 i. V. m. S. 21, Z. 11-23 // Merkmale 1, 1.1).
61
Die D2 beschreibt mit den Figuren 1 und 2, die sich nur hinsichtlich der Bildschutzoberflächenschicht unterscheiden, dass entweder eine Prägung (Fig. 1) oder der Einbau abrasiver Partikel (Fig. 2) erfolgt, um die Reibungseigenschaften zu verändern (D2: S. 6, Z. 30 bis S. 7, Z. 3).
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62
Demnach umfasst der mehrlagige graphische Artikel (10, 50) eine Basiskomponente 12 und eine Bildschutzkomponente 30. Die Basiskomponente enthält eine Basisschicht 16, die bevorzugt eine Folie aus einem polymerischen Film ist, welche flexibel und an unregelmäßige Substrate anschmiegbar sein soll (D2: S. 10, Z. 13-20), was einer streitpatentgemäßen nicht elastischen Schicht gemäß Merkmal 3 entspricht. Diese Schicht kann zudem mittels einer aufgeklebten dünnen Metall- oder Folienschicht, einer Gewebe- oder Vliesbaumwollschicht oder einer Lage aus Fasermaterial verstärkt werden, um die Bereitstellung oder Entfernbarkeit des Artikels von einer Oberfläche zu erleichtern (D2: S. 11, Z. 16-26). Auf die Basisschicht 16 ist eine Basiskleberschicht 22 aufgebracht (D2: S. 12, Z. 1-8 // Merkmal 4). Die Bildschicht 24 wird auf der zweiten Hauptoberfläche 20 ausgebildet (D2: S. 13, Z. 21-26).
63
Die im Wesentlichen klare oder transparente Bildschutzkomponente 30 schützt dabei die Bildschicht 24 vor Abrieb und der Umgebung, ermöglicht aber gleichzeitig die Betrachtung der darunter liegenden Bildschicht 24 (D2: S. 15, Z. 1-11). Damit die genannte Laminierung ermöglicht werden kann, ist auf die erste Hauptoberfläche 34 eine Kleberschicht 38 aufgetragen.
64
Gemäß der Ausführungsform nach Figur 2 ist auf die Bildschutzschicht 32 eine Binderschicht 52 aufgetragen, in der kleine abrasive Partikel 54 derart eingebettet sind, dass sie über die freiliegende Oberfläche 53 der Binderschicht hinausragen (D2: S. 18, Z. 2-6 und Z. 8-16 // Merkmal 2). Die Partikelgrößen sollen im Bereich von 10 bis etwa 1000 µm liegen, wodurch implizit eine streitpatentgemäße Rautiefe von mindestens 10 µm erzielt wird (D2: S. 18, Z. 30 bis S. 19, Z. 1 // Merkmal 2.1).
65
Der Aufbau des in der D2 beschriebenen graphischen Artikels entspricht damit einem herkömmlichen mehrschichtigen Trägerelement, bei dem über der Bildschicht 24 eine transparente Bildschutzkomponente 30 aufgetragen wird. Nicht beschrieben ist jedoch die Eignung der Oberfläche der Bildschutzschicht 32 bzw. Binderschicht 58 zum Aufbringen weiterer Schichten, insbesondere zum Aufbringen von Farbschichten gemäß Merkmal 2.2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist daher gegenüber der Druckschrift D2 neu.
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2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
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2.1 Ein Fachmann, der das in der Druckschrift D1 gelehrte rutschhemmende Band zur Verfügung stellen möchte, wird sich zwar Gedanken hinsichtlich der geeigneten Oberflächenrauigkeit machen, welche streitpatentgemäß durch die Rautiefe charakterisiert wird. Wie von der Klägerin mittels den undatierten oder nachveröffentlichten Druckschriften MFG1, MFG2 und MFG3 dargelegt, verweisen den Fachmann insoweit die Angaben # 12 bis # 120 auf Partikelgrößen im Bereich zwischen 106 µm und 1700 µm, so dass ausgehend von der D1 eine Rautiefe von mindestens 10 µm entsprechend Merkmal 2.1 nahegelegen haben mag.
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Dem Fachmann wird aber weder aus der Druckschrift D1 noch aus der Druckschrift D2 eine Anregung gegeben, die dortigen rauen Oberflächen des jeweiligen mehrschichtigen Trägerelements gemäß Merkmal 2.2 zum Aufbringen von Farbschichten zur Ausgestaltung eines Werbemotivs ohne zusätzliche transparente Folienschicht über den Farbschichten vorzusehen.
69
Denn vorliegend geht für den Fachmann aufgrund der im Streitpatent offenbarten Lehre die Eignungs- bzw. Zweckangabe gemäß Merkmal 2.2 über die bloße grundsätzliche theoretische Möglichkeit einer Bedruckung hinaus. Sie stellt daher keine Alternative für zahlreiche Verwendungsmöglichkeiten dar, sondern die aus technischer Sicht einzig mögliche funktionale Eignung, da das Streitpatent keinen anderen Ort der Bedruckung als die raue Oberfläche nennt (SP: [0012]; [0014]; [0027]; [0037]). Die Eignungs- bzw. Zweckangabe ist daher ein in der Verwendung des mehrschichtigen Trägerelements objektiv zu verwirklichendes räumlich-körperliches Merkmal, das als konkrete räumlich-körperliche Ausgestaltung zu werten ist. Demzufolge unterscheidet sich ein insoweit zur Bedruckung vorbereitetes mehrschichtiges Trägerelement von nicht dafür vorgesehenen, nur theoretisch bedruckbaren Trägerelementen des Standes der Technik. In Betracht kommen daher für den Fachmann ausschließlich mehrschichtige Trägerelemente, deren Folienoberfläche die mit Merkmal 2.2 genannte Eignung sicher und objektiv aufweisen. Diese Eignung erreicht das Streitpatent objektiv mittels der in Merkmal 2.1 angegebenen Rautiefe, wodurch, wie in Abs. [0012] des Streitpatents dargelegt, eine Verzahnung der Oberfläche mit der jeweiligen Farbschicht erzielt wird (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 28. Mai 2009 – Xa ZR 140/05 –, GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze; BGH, Urteil vom 24. September 2019 – X ZR 62/17 –, GRUR 2020, 159 – Lenkergetriebe; BGH, Urteil vom 24. April 2018 – X ZR 50/16 –, GRUR 2018, 1128 – Gurtstraffer).
70
Die Möglichkeit eines gezielten Auftrags von Farbe auf die aufgeraute Oberfläche ist aber – wie gezeigt – weder in der Druckschrift D1 noch in der Druckschrift D2 offenbart oder nahegelegt. Vielmehr wird in beiden Druckschriften in herkömmlicher Weise auf eine Anzeigeschicht bzw. bebilderbare Basisschicht eine transparente Harzschicht bzw. transparente Bildschutzkomponente aufgetragen.
71
2.2 Auch die Druckschrift D3 regt den Fachmann ausgehend von der Druckschrift D1 oder D2 nicht an, die raue Oberfläche zu bedrucken.
72
Die Druckschrift D3, die ebenfalls mehrschichtige Folien offenbart, nennt zwar grundsätzlich die Möglichkeit der Bedruckbarkeit auch einer rauen Oberfläche. Diese Lehre beinhaltet aber nur die Selbstverständlichkeit, dass auch eine raue Oberfläche grundsätzlich bedruckbar ist und überraschenderweise gefunden wurde, dass diese – durch Coronabehandlung zudem verbesserbare – Bedruckbarkeit auch nach mehrmonatiger Lagerung nur unerheblich abfällt (D3: S. 4, Z. 19-25). Anders als vom Streitpatent gefordert, geht diese Eigenschaft aber mit dem in der D3 geforderten Schichtaufbau und der Wahl spezieller Materialien einher (D3: S. 2, Z. 29-39). Darüber hinaus lehrt die D3 dem Fachmann, dass Rauigkeiten im Bereich von 3,4 bis 4,4 µm ausreichend sind (D3: S. 7, Spalte „Rauhigkeit“), um die dort gewünschten Eigenschaften einer ausreichend matten und trüben Mehrschichtfolie zu erzielen (D3: S. 2, Z. 3-4 i. V. m. S. 4, Z. 14-15 und S. 6, Z. 40-44). Die Lehre der D3 bleibt damit auch deutlich unterhalb des vom Streitpatent geforderten Wertes einer Rautiefe von 10 µm. An keiner Stelle der D3 entnimmt der Fachmann zudem die Information, dass die Rauigkeit hinsichtlich der Bedruckbarkeit eine entscheidende Rolle spielt. Die Kurz- und Langzeitbedruckbarkeit wird lediglich als überraschend gut bezeichnet (D3: S. 4, Z. 19-21 i. V. m. Z. 40-41). Damit stellt sich aber dem Fachmann ausgehend von der D1 oder D2 die Bedruckbarkeit der Oberfläche auch in Kenntnis der D3 nicht objektiv als zweckmäßig zu Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe dar.
73
2.3 Zu keinem anderen Ergebnis gelangt der Fachmann, wenn er berücksichtigt, dass (auch raue) Oberflächen grundsätzlich bedruckbar sind und diese Kenntnis zu seinem allgemeinen Fachwissen zählt (vgl. D4: S. 157, letzter Abs., Z. 6-11 // D6: Abstract, Z. 5-7, „coating […] with a reflective ink“). Die generelle Eignung eines zum allgemeinen Fachwissen zählenden Lösungsmittels, hier die Bedruckbarkeit einer rauen Oberfläche, kann aber nur dann als Veranlassung zu ihrer Heranziehung genügen, wenn für den Fachmann ohne Weiteres erkennbar ist, dass eine technische Ausgangslage besteht, in der sich der Einsatz des betreffenden Lösungsmittels als objektiv zweckmäßig darstellt (BGH, Urteil vom 27. März 2018 – X ZR 59/16 –, GRUR 2018, 716 – Kinderbett). Da aber die Werbebotschaften ausgehend von der D1 oder D2 auf einer Bildschicht mit einer darauf aufgebrachten Schutzschicht aufgedruckt werden und nicht auf der Oberfläche der jeweils dort beschriebenen Laminate, bestand für den Fachmann auch kein Anlass, davon abzuweichen und nun die raue Oberfläche zu bedrucken.
74
Dieser Anlass ergibt sich auch nicht daraus, dass die obere Schicht der D1 semitransparent oder intransparent sein kann (D1b: [0018], Z. 1-3). Denn die D1 liefert keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine Werbebotschaft auch in diesem Fall aufgebracht werden soll. Vielmehr lehrt die D1 ausschließlich, dass das Aufbringen einer Werbebotschaft nur im Fall einer transparenten Oberflächenschicht möglich ist (D1b: [0010]; [0011], Z. 1-6; [0018], Z. 1-3).
75
Damit ist aber die streitpatentgemäße Möglichkeit eines gezielten Farbauftrags auf die Oberfläche der Folie gemäß Merkmal 2.2 weder in der Druckschrift D1 noch in der Druckschrift D2 offenbart und auch nicht in Verbindung mit der Druckschrift D3 oder durch das allgemeine fachmännische Handeln angeregt.
76
2.4 Auch die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften vermögen die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nicht in Frage zu stellen. Sie liegen weiter ab und bilden für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit keinen geeigneten Ausgangspunkt für ein Naheliegen der streitpatentgemäßen Lösung. Auf die entsprechenden Ausführungen im qualifizierten Hinweis des Senats vom 24. März 2021 wird Bezug genommen, gegen welche die Klägerin im weiteren Verfahren keine Einwände erhoben hat.
77
2.5 Die klägerseits vorgetragene offenkundige Vorbenutzung ist lediglich behauptet, aber nicht näher dargelegt worden. Wegen der fehlenden Substantiierung bestand daher keine Veranlassung, dem auf die Erhebung eines auch nach § 87 PatG nicht zulässigen Ausforschungsbeweises hinauslaufenden Angebot zur Vernehmung des benannten Zeugen nachzugehen.
78
2.6 Mit dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag haben auch die auf ihn rückbezogenen Untersprüche 2 bis 23 und der den Gegenstand von Patentanspruch 1 einbeziehende nebengeordnete Patentansprüche 24 sowie der darauf rückbezogene Unteranspruch 25 Bestand.
B.
79
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative, Satz 2 ZPO. Dabei ist der Senat davon ausgegangen, dass der infolge der nur noch beschränkten Verteidigung als schutzfähig verbleibende Patentgegenstand gegenüber demjenigen der erteilten Fassung technisch und wirtschaftlich etwa um die Hälfte reduziert ist, so dass die Rechtsstreitkosten zwischen den Parteien gegeneinander aufzuheben sind.
80
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
C.
81
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.


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