Patent- und Markenrecht

35 W (pat) 411/20

Aktenzeichen  35 W (pat) 411/20

Datum:
12.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:121021B35Wpat411.20.0
Spruchkörper:
35. Senat

Tenor

hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Metternich sowie der Richter Wiegele und Dr. Schwenke
beschlossen:
1. Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über den Bestand des Gebrauchsmusters 20 2015 104 004 (i.F.: Streitgebrauchsmuster).
2
Das am 31. Juli 2015 angemeldete Streitgebrauchsmuster beansprucht die ausländische Priorität 18. August 2014, AT, GM50130/2014. Es ist am 11. September 2015 mit den Schutzansprüchen 1 – 3 und der Bezeichnung „Kleiderbügel“ eingetragen, am 22. Oktober 2015 veröffentlicht worden und ist in Kraft, nachdem Verlängerungsgebühren bis einschließlich des 8. Schutzjahres bezahlt worden sind.
3
Das Streitgebrauchsmuster betrifft einen Kleiderbügel mit einem Drahtgestell, das beidseits eines Hakens vorgesehene, an ihren Enden durch einen Steg verbundene Bügelschenkel und an den Bügelschenkeln durch Punktschweißungen befestigte, verbreiterte Schulterauflagen aufweist. Wegen des Wortlauts der eingetragenen Schutzansprüche wird auf die Gebrauchsmusterschrift (i.F.: GS.) verwiesen.
4
Gegen das Streitgebrauchsmuster hat die Antragstellerin den Löschungsantrag v. 9. Juli 2018 erhoben, gerichtet auf Löschung des Streitgebrauchsmusters in vollem Umfang. Sie hat zum Stand der Technik mehrere Druckschriften, bezeichnet als D1 – D5 in das Verfahren eingeführt und den Löschungsantrag darauf gestützt, dass der Gegenstand des eingetragenen Schutzanspruchs 1 durch die D1 = US 2 591 163 i.V.m. mit der D2 = DE 88 14 699 nahegelegt sei. Außerdem sei er auch durch die weiteren Entgegenhaltungen D3 – D5 nahegelegt.
5
Der Löschungsantrag ist dem Antragsgegner am 30. Juli 2018 zugestellt worden. Er hat dem Löschungsantrag mit SS. v. 27. August 2018, eingegangen per Fax am selben Tag widersprochen und die Auffassung vertreten, dass die Entgegenhaltungen D1 – D5 jeweils nicht neuheitsschädlich seien und der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik auch nicht nahegelegt sei.
6
Mit Zwischenbescheid vom 20. Dezember 2018 hat die Gebrauchsmusterabteilung als weitere Entgegenhaltung die D6 = US 2 639 066 A in das Verfahren eingeführt. Als vorläufige Auffassung hat sie den Beteiligten mitgeteilt, dass der Löschungsantrag voraussichtlich erfolgreich sein werde, da die D6 den Gegenstand des Schutzanspruchs 1 neuheitsschädlich vorweggenommen habe.
7
Mit Schriftsatz vom 6. November 2019 hat der Antragsgegner geänderte Schutzansprüche 1 und 2 eingereicht, die dem weiteren Verfahren zugrunde gelegt werden sollten. Zum Wortlaut dieser Anspruchsfassung wird auf die patentamtlichen Akten verwiesen.
8
In der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung am 28. November 2019 hat der Antragsgegner als Hilfsantrag weiter geänderte Schutzansprüche 1 und 2 vorgelegt.
9
Schutzanspruch 1 in der Fassung vom 28. November 2019 lautet (mit einer vom Senat verwendeten und den Beteiligten übergebenen Merkmalsgliederung) wie folgt:
10
M0 Kleiderbügel mit einem Drahtgestell (1),
11
M1 das beidseits eines Hakens (2) vorgesehene, an ihren Enden durch einen Steg (4) verbundene Bügelschenkel (3) und
12
M2 an den Bügelschenkeln (3) durch Punktschweißungen befestigte, verbreiterte Schulterauflagen (5) aus einer den jeweiligen Bügelschenkel (3) beidseitig umfassenden Blechschale aufweist,
13
dadurch gekennzeichnet, dass
14
M3 die Schulterauflagen (5) im Übergangsbereich von den Bügelschenkeln (3) zum Steg (4) einen vom Bügelschenkel (3) in einer Durchtrittsöffnung (7) durchsetzten Lageransatz (6) bilden,
15
M4 dass die Lageransätze (6) der Schulterauflagen (5) die in die Durchtrittsöffnungen (7) eingefädelten Bügelschenkel (3) innerhalb der Durchtrittsöffnungen (7) unter einer Verkantung aufnehmen und
16
M5 dass die Schulterauflagen (5) an ihrem dem Lageransatz (6) gegenüberliegenden Ende mit dem Bügelschenkel (3) durch eine Punktschweißung verbunden sind,
17
M6 wobei die Schulterauflage (5) vor dem Schließen des Drahtgestelles (1) auf die Bügelschenkel (3) aufgeschoben ausgebildet sind.
18
Schutzanspruch 2 vom 28. November 2019 ist ein auf den vorgenannten Schutzanspruch 1 rückbezogener Unteranspruch, zu dessen Wortlaut auf die patentamtlichen Akten (Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung v. 28. November 2019) verwiesen wird.
19
In der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2019 hat die Antragstellerin die Löschung des Streitgebrauchsmusters in vollem Umfang beantragt. Der Antragsgegner das Streitgebrauchsmuster im Umfang der Anspruchsfassung vom 6. November 2019 (Hauptantrag) und hilfsweise im Umfang des Hilfsantrags vom 28. November 2019 verteidigt.
20
Mit in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2019 verkündetem Beschluss hat die Gebrauchsmusterabteilung das Streitgebrauchsmuster teilgelöscht, soweit es über die in der mündlichen Verhandlung eingereichten, neuen Schutzansprüche hinausgeht, im Übrigen „das Streitgebrauchsmuster aufrechterhalten“ und die Kosten den Beteiligten je zur Hälfte auferlegt. Zur Begründung hat die Gebrauchsmusterabteilung im Wesentlichen ausgeführt:
21
Die Anspruchsfassung nach Hauptantrag vom 6. November 2019 sei zwar zulässig aber schutzunfähig, weil ihr Gegenstand von der D6 neuheitsschädlich vorweggenommen worden sei. Die Anspruchsfassung nach Hilfsantrag v. 28. November 2019 sei ebenfalls zulässig, insbesondere ursprungsoffenbart. Ihr Gegenstand sei auch schutzfähig, weil das Merkmal M6 vom Stand der Technik, insbesondere der D6 nicht vorweggenommen und auch nicht nahegelegt sei.
22
Der Beschluss ist der Antragstellerin am 18. Februar 2020 und dem Antragsgegner am 17. Februar 2020 zugestellt worden.
23
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 9. März 2020, eingereicht am selben Tag, mit der sie die vollständige Löschung des Streitgebrauchsmusters weiterverfolgt.
24
Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Merkmale M1 – M5 seien aus der D6 vorbekannt. Das Merkmal M6 stelle eine „Montageanweisung“ dar, wobei es sich um ein nach § 2 Nr. 3 GebrMG ausgeschlossenes Arbeitsverfahren handele und dieses Merkmal zur Schutzfähigkeit nichts beitragen könne. Die Formulierung, dass „die Schulterauflagen vor dem Schließen des Drahtgestells auf die Bügelschenkel aufgeschoben ausgebildet sind“ enthalte keine klare technische Anweisung, wie die Schulterauflagen ausgebildet sein sollen. Soweit Schulterauflagen vor dem Schließen des Drahtgestells aufzuschieben seien, stelle dies keine erfinderische Überlegung dar, weil Aufschieben nach Schließen des Drahtgestells technisch unmöglich sei. Im Übrigen wiederhole das Merkmal M6 nur mit anderen Worten das aus D6 vorbekannte Merkmal M4.
25
Die Antragstellerin beantragt,
26
den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung des DPMA vom 28. November 2019 aufzuheben und das Streitgebrauchsmuster 20 015 104 004 in vollem Umfang zu löschen.
27
Der Antragsgegner beantragt,
28
die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
29
Aus Sicht des Antragsgegners seien sowohl das Merkmal M6, als auch die Merkmale M2 und M4 neu gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik. Nächstliegender Stand der Technik sei nicht die D6, sondern ein vielfach in der Praxis verwendeter Kleiderbügel, welcher die Merkmale des Oberbegriffs des Schutzanspruchs 1 – also M1 und M2 – aufweise. Hiervon hebe sich das Streitgebrauchsmuster durch die Merkmale M3 – M6 ab, die vom Stand der Technik, insbesondere der D6, auch nicht nahegelegt seien.
30
In das Verfahren sind die nachfolgend genannten Entgegenhaltungen eingeführt worden:
31
D1 US 2 591 163 A,
32
D2 DE 88 14 699 U1,
33
D3 US 2 601 442 A,
34
D4 US 3 680 748 A,
35
D5 US 2 481 737 A und
36
D6 US 2 639 066 A.
37
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung, die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
II.
38
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht unter Bezahlung der Beschwerdegebühr eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet, da der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters in der hier maßgeblichen, zulässigen Fassung vom 28. November 2019 schutzfähig ist (§§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 1 – 3 GebrMG).
39
1. Der Antragsgegner hat dem Löschungsantrag rechtzeitig und zunächst vollumfänglich widersprochen, so dass das Löschungsverfahren mit inhaltlicher Überprüfung des von der Antragstellerin geltend gemachten Löschungsgrunds, hier: fehlende Schutzfähigkeit gemäß §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 1 – 3 GebrMG, durchzuführen war (§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GebrMG).
40
2. Da der Antragsgegner das Streitgebrauchsmuster in der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung v. 28. November 2019 gemäß seinem dort gestellten Hauptantrag jedoch nur noch eingeschränkt, nämlich im Umfang der Anspruchsfassung v. 6. November 2019 verteidigt hat, gilt sein ursprünglich uneingeschränkt erhobener Widerspruch gegen den streitgegenständlichen Löschungsantrag im über diese Anspruchsfassung hinausgehenden Umfang als zurückgenommen (vgl. BGH GRUR 1995, 210 – Lüfterkappe; GRUR 1998, 910 – Scherbeneis), so dass das Streitgebrauchsmuster in diesem Umfang bereits ohne weitere Sachprüfung zu löschen war (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GebrMG).
41
Die Gebrauchsmusterabteilung hat diesen Aspekt im angefochtenen Beschluss übersehen. Dies gibt jedoch keinen Anlass für eine Zurückverweisung an das DPMA nach § 18 Abs. 2 Satz 1 GebrMG, 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PatG, da es sich nicht um einen wesentlichen Mangel handelt. Denn nachdem ausschließlich die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und der Antragsgegner keine weiteren Anspruchsfassungen in das Verfahren eingeführt hat, ist auch nur die Antragsfassung gemäß erstinstanzlichem Hilfsantrag v. 28. November 2019, die die Gebrauchsmusterabteilung als schutzfähig erachtet hat, Gegenstand des Verfahrens. Für deren Beurteilung ist das Übersehen der teilweisen Rücknahme des Widerspruchs des Antragsgegners letztlich nicht erheblich. Ebenso unerheblich ist, dass im Tenor des angefochtenen Beschlusses das Streitgebrauchsmuster teilweise „aufrechterhalten“ wurde, da dieser Tenor in eine teilweise Zurückweisung des Löschungsantrags (vgl. § 15 Abs. 3 GebrMG) umgedeutet werden kann.
42
3. Da nur die Antragstellerin Beschwerde gegen den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung vom 28. November 2019 eingelegt hat, ist auch nur die am selben Tag eingereichte und von der Gebrauchsmusterabteilung als schutzfähig erachtete Anspruchsfassung im vorliegenden Beschwerdeverfahren Prüfungsgegenstand.
43
4. Die Fassung der Schutzansprüche 1 und 2 vom 28. November 2019 ist zulässig, insbesondere ursprungsoffenbart.
44
Die Merkmale M1 – M6 des Schutzanspruchs 1 ergeben sich aus den eingetragenen Schutzansprüchen 1 und 2 sowie den Abs. [0006] und [0012] der GS. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 2 vom 28. November 2019 beruht auf dem eingetragenen Schutzanspruch 3.
45
5. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 v. 28. November 2019 ist schutzfähig (§§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 1 – 3 GebrMG).
46
5.1 Das Streitgebrauchsmuster betrifft einen Kleiderbügel mit einem Drahtgestell, das beidseits eines Hakens vorgesehene, an ihren Enden durch einen Steg verbundene Bügelschenkel und an den Bügelschenkeln durch Punktschweißungen befestigte, verbreiterte Schulterauflagen aufweist.
47
Gemäß Abs. [0002] GS. hätten Kleiderbügel aus einem Drahtgestell mit beidseits eines Hakens vorgesehenen, durch einen Steg miteinander verbundenen Bügelschenkeln den Nachteil, dass sich die Bügelschenkel aufgrund der durch das Drahtgestell bedingten, vergleichsweise geringen Auflagefläche in die aufgehängten Kleider oder Wäschestücke eindrückten. Aus diesem Grunde werden auf den Bügelschenkeln des Drahtgestells verbreiterte Schulterauflagen vorgesehen, die bei einer Fertigung aus einem Blechzuschnitt durch einen Prägevorgang schalenartig geformt werden, sodass sie nach einer Befestigung an den Bügelschenkeln durch ein Punktschweißen die Bügelschenkel beidseitig umgriffen. Trotz der Punktschweißung an den Enden der Schulterauflagen bestehe jedoch die Gefahr, dass sich die Befestigung der Schulterauflagen an den Bügelschenkeln aufgrund der Bügelbeanspruchungen in einer Reinigungsanlage löse, wodurch der Kleiderbügel unbrauchbar werde.
48
Der streitgebrauchsmustergemäßen Erfindung liege somit die Aufgabe zugrunde, einen Kleiderbügel mit angeschweißten Schulterauflagen so auszugestalten, dass die Gefahr eines Bruchs der Befestigung der Schulterauflagen bei den in Reinigungsanlagen unvermeidbaren Bügelbelastungen weitgehend vermieden werden könne (vgl. Abs. [0003] GS.).
49
5.2 Als der mit dieser Aufgabe befasste Fachmann ist ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Kleiderbügeln anzusehen.
50
5.3 Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 i.d.F. 28. November 2019 ist nicht auf ein Verfahren gerichtet, so dass das Schutzhindernis des § 2 Nr. 3 GebrMG nicht gegeben ist.
51
Der Ausschlusstatbestand des § 2 Nr. 3 GebrMG, der als solcher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BGH GRUR 2018, 605 – Feldmausbekämpfung), ist eine Ausnahmebestimmung. Ausnahmebestimmungen sind allerdings eng auszulegen, so auch diese. Sie ist insbesondere dann erfüllt, wenn der betr. Schutzanspruch auf ein Arbeits- oder Herstellungsverfahren gerichtet ist. Jedoch machen Verfahrensmerkmale in einem Schutzanspruch diesen nicht zwingend zu einem vom Gebrauchsmusterschutz ausgeschlossenen Verfahrensanspruch, insbesondere dann nicht, wenn Verfahrensangaben als Umschreibung bestimmter gegenständlicher Merkmale zu verstehen sind, die sich aufgrund der Herstellung ergeben (vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl., § 2 GebrMG, Rn. 6; Bühring/Braitmayer/Haberl, GebrMG, 9. Aufl., § 2, Rn. 38). Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn es sich um einfache und konkrete Angaben z.B. zu Beschaffenheitsmerkmalen handelt, die an dem Gegenstand ohne weiteres feststellbar sind, wie z.B. geschweißt, verleimt, genietet, beschichtet, vernickelt (Bühring/Braitmayer/Haberl, GebrMG, 9. Aufl., § 2, Rn. 59).
52
Ausgehend von diesen Grundsätzen teilt der Senat die Auffassung der Antragstellerin, das Merkmal M6 sei auf ein vom Gebrauchsmusterschutz ausgeschlossenes Verfahren gerichtet, nicht. Zwar betrifft dieses Merkmal einen Zustand während der Montage des Kleiderbügels (vor dem Schließen des Drahtgestells). Durch die weitere Angabe, dass die Schulterauflagen auf die Bügelschenkel aufgeschoben ausgebildet sind, wird das Merkmal M3 weiter ausgebildet. Dieses definiert, dass der Bügelschenkel die Durchtrittsöffnung im Lageransatz durchsetzt. Es handelt sich daher bei dem Merkmal M6 um eine die körperlich-gegenständlichen Eigenschaften des Gegenstands des Streitgebrauchsmusters umschreibende Beschaffenheitsangabe – ähnlich einem dem Gebrauchsmusterschutz zugänglichen „product-by-process“-Anspruch (vgl. Busse/Keukenschrijver, a.a.O.) -, der auf eine hierdurch definierte Vorrichtung und nicht auf ein Herstellungs- oder Arbeitsverfahren gerichtet ist.
53
5.4 Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 i.d.F. vom 28. November 2019 ist so hinreichend offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen kann.
54
Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Formulierung, dass die Schulterauflagen „auf die Bügelschenkel aufgeschoben ausgebildet sind“ (Merkmal M6), sei sprachlich nicht verständlich. Falls damit gemeint sein solle, dass die Schulterauflagen so ausgebildet sein müssten, dass sie auf die Bügelschenkel aufgeschoben werden könnten, werde dadurch keine klare technische Anweisung vermittelt, wie die Schulterauflagen zu diesem Zweck ausgebildet sein sollten.
55
Aus der offenbarten technischen Lehre des Streitgebrauchsmusters erschließt sich dem Fachmann, dass es sich bei der Durchtrittsöffnung des Lageransatzes um eine Bohrung/Öffnung in der Schulterauflage handelt. Dies ist in der Figur 2 dargestellt und auch im Absatz [0012] GS. beschrieben. Nur mit einer Bohrung/Öffnung als Lageransatz ist das Einfädeln vor dem dort beschriebenen Schließen des Drahtgestells möglich. Die Antragstellerin selbst geht bei dem Merkmal „Durchtrittsöffnung“, wie von ihr in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, ebenfalls von einem Loch in der Schulterauflage aus. Die Schulterauflagen sind durch diese Öffnung somit so ausgebildet, dass sie vor dem Schließen des Drahtgestells auf die Bügelschenkel aufgeschoben werden können, vgl. den Absatz [0012] GS. Der Fachmann erhält somit aus der technischen Lehre eine klare Handlungsanweisung, wie er den Kleiderbügel mit seinen Schulterauflage(n) auszubilden hat, um Merkmal M6 auszuführen.
56
5.5 Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 i.d.F. vom 28. November 2019 ist neu, da keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen alle Merkmale dieses Schutzanspruchs vorweggenommen hat.
57
Die in den Druckschriften D1 bis D6 offenbarten Kleiderbügel mit einem Drahtgestell zeigen und beschreiben keine an den Bügelschenkeln durch Punktschweißungen befestigte, verbreiterte Schulterauflagen aus einer den jeweiligen Bügelschenkel beidseitig umfassenden Blechschale (Merkmale M2 und M5).
58
Die Druckschrift D1 offenbart einen Kleiderbügel mit Schulterauflagen aus Plastik, vgl. die Sp. 3, Z. 59 bis Sp. 4, Z. 4 und Fig. 1, 4 und 7. An ihren nach unten gerichteten Flächen weisen die Schulterauflagen Ohren (ears 38, 40, 44, 46) auf, in die der Bügel eingeklemmt (cliped Anspruch 1) ist. Zwar könnte als Material auch anderes Material benutzt werden, unter Umständen auch Metall, jedoch muss unabhängig von der Materialwahl sichergestellt sein, dass das Einklipsen des Bügeldrahts der Schulterauflagen sichergestellt ist. Eine Punktschweißung ist somit nicht offenbart (Merkmale M2 und M5).
59
Die Druckschrift D2 zeigt schon keine Schulterauflagen aus einem Metallblech (Merkmal M2). Vielmehr werden die Schulterauflagen aus entsprechend geformten Metalldrähten gebildet, vgl. die Fig. 1 bis 4.
60
Schulterauflagen aus einem rostfreien Metallblech sind in der Druckschrift D3, Sp. 2, Z. 14 bis 19 offenbart. Als Befestigung ist jedoch keine Punktschweißung vorgesehen. An dem einen Ende der Schulterauflage ist im Übergangsbereich von den Bügelschenkeln 7 zum Steg 6 an der Unterseite der Schulterauflage eine Drahtklammer angebracht, in die der Bügelschenkeldraht 7 und der Stegdraht 6 geklemmt sind. Am anderen Ende der Schulterauflage ist eine Durchtrittsöffnung in Form eines Schlitzes (slot 10) ausgebildet, die der Bügelschenkel durchsetzt und einen Lageransatz bildet, vgl. Fig. 5 und Sp. 2, Z. 4 bis 8. Eine Punktschweißung an einem der beiden Enden der Schulterauflage ist nicht vorgesehen (Merkmale M2 und M5).
61
Die Druckschrift D4 offenbart Schulterauflagen aus Metall für einen Kleiderbügel, vgl. Anspruch 1 der D4. Die Schulterauflagen sind aus einem Metallblech ausgestanzt, Sp. 3, Z. 3 bis 8 und Z. 27 bis 51 sowie Fig. 6, und so gebogen, dass sie
62
Befestigungsmittel 33 und 39 an beiden Seiten aufweisen, in die der Bügeldraht eingeklemmt wird. Die Schulterauflagen werden somit nicht punktgeschweißt (Merkmale M2 und M5).
63
Die Druckschrift D5 zeigt in den Figuren 1 bis 5 einen Kleiderbügel mit Schulterauflagen, die aus einer Metallschale gebildet sind. Aus der Schale sind Zungen (tongues 10) ausgestanzt, die entlang des Bügeldrahts um diesen herumgebogen werden, um die Schulterauflage zu befestigen. Eine Punktschweißung ist nicht offenbart (Merkmale M2 und M5).
64
In der Druckschrift D6 werden 2 Ausführungsformen eines Kleiderbügels offenbart. Die Figuren 6 bis 12, 19 und 25 und deren zugehörige Beschreibung betreffen Kleiderbügel aus einem Plastikkörper und somit schon keinen Kleiderbügel gemäß Merkmal M0. Die Figuren 1 bis 5, 13 bis 18 sowie 20 bis 24 und ihre entsprechenden Beschreibungsteile betreffen einen Kleiderbügel mit einem Drahtgestell (Merkmal M0 des Streitgebrauchsmusters). Für diese Ausführungsform sieht die Druckschrift D6 vor, eine Schulterauflage (shoulder pad supporting member or loop 16) auszubilden, die am oberen Ende mit einer Punktschweißung (spot welding 29) an dem Bügeldraht befestigt wird, vgl. Sp. 3, Z. 48 bis 50 und Sp. 4, Z. 39 bis 43. Jedoch sind die Schulterauflagen aus einem Draht gebildet, denn wie in Sp. 4, Z. 29 bis 39 beschrieben, ist die Schulterauflage 16 aus einem Drahtrahmen (wire bent) hergestellt und besteht aus den Teilen 18, 20 und 22. Eine Blechschale als Schulterauflage, die gemäß Merkmal M2 bzw. M5 mit einer Punktschweißung an dem Bügelschenkel befestigt ist, ist in der Druckschrift D6 nicht offenbart.
65
5.6 Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 i.d.F. vom 28. November 2019 beruht auch auf einem erfinderischen Schritt.
66
Wie der Fachmann ausgehend von dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
67
Von diesem Stand der Technik sind die Druckschriften D2 und D6 die einzigen, die eine Punktschweißung der Schulterauflagen vorsehen, vgl. die D2, S. 6, 2. Absatz und die D6, Sp. 4, Z. 39 bis 43. Demnach sind zur Befestigung der jeweiligen Schulterauflage Punktschweißungen an dem oberen Ende der jeweiligen Schulterauflage, zum Haken des Kleiderbügels hin gerichtet, vorgesehen. Die Schulterauflagen bestehen jeweils aus einem entsprechend geformten Drahtrahmen und nicht, wie anspruchsgemäß gefordert, aus einer Blechschale.
68
Aus den Druckschriften D1, D3, D4 und D5 sind Schulterauflagen für einen Kleiderbügel in Schalenform bekannt, die an ihren beiden Enden Befestigungen an dem Bügelschenkel aufweisen. Der Antragstellerin mag beigepflichtet werden, dass der Fachmann das Punktschweißen, wie in den Druckschriften D2 oder D6 beschrieben, als Alternative zu den in den Druckschriften D1 und D3 bis D5 beschriebenen Befestigungsmethoden erkennt und diese Anregung aufnimmt. Entweder wird er dabei eine Punktschweißung am oberen Ende der Schulterauflagen vorsehen, wie es die D2 bzw. die D6 beschreibt, und die Befestigungen im Übergangsbereich von dem Bügelschenkel zum Steg durch die Klemmmittel vorsehen, wie in den Druckschriften D1 bzw. D3 bis D5 beschrieben. Oder der Fachmann ersetzt die Klemmmittel an beiden Seiten der Schulterauflage jeweils durch eine Punktschweißung, womit er zu einem Kleiderbügel gelangen würde, von dem die GS in ihrer einleitenden Beschreibung als bekannter Stand der Technik ausgeht.
69
Warum der Fachmann diese beiden Alternativen darüber hinaus so weiterbilden sollte, dass die Schulterauflagen im Übergangsbereich von den Bügelschenkeln zum Steg einen vom Bügelschenkel in einer Durchtrittsöffnung durchsetzten Lageransatz bilden (Merkmal M3) und die Lageransätze der Schulterauflagen die in die Durchtrittsöffnungen eingefädelten Bügelschenkel innerhalb der Durchtrittsöffnungen unter einer Verkantung aufnehmen (Merkmal M4), erschließt sich nicht.
70
Die Druckschrift D3 zeigt als einzige der im Verfahren befindlichen Druckschriften eine Durchtrittsöffnung (slot 10) in Fig. 4 in der Blechschale einer Schulterauflage eines Kleiderbügels. Diese dient, wie in Sp. 2, Z. 4 bis 8 ausgeführt, der Befestigung in einem eingefädelten Zustand („… fitting in straddle condition…“) um die Schulterauflage besser in der Gebrauchsposition halten zu können. Die Öffnung ist an dem oberen Ende, zum Haken des Kleiderbügels hin angeordnet. Am unteren Ende, im Übergangsbereich von den Bügelschenkeln zum Steg, ist die Blechschale durch zwei Klammern 3 und 5 gehalten, in die der Steg 6 bzw. der Bügelschenkel 7 eingefädelt ist, vgl. die Fig. 6 und Sp. 1, Z. 43 bis Sp. 2, Z. 1. Selbst unterstellt, bei der in der Fig. 4 der Druckschrift D3 dargestellten Durchtrittsöffnung 10 handle es sich um eine anspruchsgemäße Durchtrittsöffnung, da der Draht 6 als eingefädelt („straddled“) in der Öffnung 10 bezeichnet ist, führt dies den Fachmann nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1. Denn hierzu müsste er die Durchtrittsöffnung an Stelle der Klammern im Übergangsbereich von den Bügelschenkeln zum Steg anordnen (Merkmale M3 und M4). Hiervon wird er aber durch die technische Lehre der Druckschrift D3 abgehalten. Erkennbar verhindern die beiden in den Fig. 2, 4 und 6 dargestellten Klammern 3 und 5 eine seitliche Verdrehung der Blechschale. Die Anordnung eines Durchtrittsloches 10 anstelle der Klammern in diesem Bereich würde eine Verdrehung der Blechschale ermöglichen. Der Fachmann ist aufgrund dieses Nachteils abgehalten von einer Positionierung der Durchtrittsöffnung 10 im Übergangsbereich von den Bügelschenkeln zum Steg.
71
Da in keiner der Druckschriften D1 bis D6 eine Blechschale offenbart ist, die eine Durchtrittsöffnung in Form eines Lochs aufweist, in das der Bügelschenkel eingefädelt ist, und einen Lageransatz im Übergangsbereich von dem Bügelschenkel zu dem Steg bildet, fehlt dem Fachmann somit zu dieser Ausgestaltung die konkrete Anregung.
72
6. Der Schutzanspruch 2 vom 28. November 2019 stellt einen auf den Schutzanspruch 1 rückbezogenen Unteranspruch dar, der auf eine vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausgestaltung des Kleiderbügels gemäß Schutzanspruch 1 gerichtet ist. Sein Gegenstand ist daher ebenfalls schutzfähig.
73
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 18 Abs. 2 Satz 2, 84 Abs. 2 PatG i.V.m. §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO. Billigkeitsgründe, die eine anderweitige Kostenentscheidung als geboten erscheinen lassen könnten, sind nicht gegeben.


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