Patent- und Markenrecht

Designbeschwerdeverfahren – Nichtigkeitsverfahren – “Heizkörper” – Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit nach Verzicht – Neuheit – Eigenart

Aktenzeichen  30 W (pat) 802/18

Datum:
17.9.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2020:170920B30Wpat802.18.0
Normen:
§ 33 Abs 4 GeschmMG 2004
§ 33 Abs 5 GeschmMG 2004
§ 2 Abs 1 GeschmMG 2004
§ 256 Abs 1 ZPO
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Design 40 2013 004 752 – 0002
(hier: Nichtigkeitsverfahren N 49/15)
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 17. September 2020 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser
beschlossen:
I. Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
III. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 35.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Das am 30. Oktober 2013 mit folgender einziger Darstellung
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
2
angemeldete Design wurde am 04. August 2014 für die Designinhaberin und Antragsgegnerin unter der Nr. 40 2013 004 752-0002 in das Designregister eingetragen. Als Erzeugnis ist „Heizkörper“ erfasst.
3
Gegen dieses eingetragene Design hat die Antragstellerin mit einem am 15. Oktober 2015 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eingegangenen Schriftsatz einen auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Neuheit/Eigenart (§ 2 Abs. 2, 3 DesignG) gestützten Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit gestellt.
4
Zur Begründung ihres Nichtigkeitsantrages hat sie vorgetragen, dass die Firma T… LTD CO. (nachfolgend: Firma T…) bereits vor dem Anmeldetag unter der Produktbezeichnung „DIFTA“ designgemäße Heizkörper an verschiedene Firmen geliefert habe, so dass das angegriffene Design den Fachkreisen bereits bekannt gewesen sei.
5
Belegt werde dies durch eine technische Zeichnung eines Heizkörpers DIFTA der Firma T… vom April 2013 (Anlage MD 1), eine E-Mail dieser Firma an die Firma H… GmbH & Co. KG vom 23.08.2013, mit der technische Spezifikationen zum Heizkörper „DIFTA“ übermittelt worden sein (Anlage MD 2) sowie Rechnungen der Fa. T… über Lieferungen des Heizkörpers „DIFTA“ an die Firma H… GmbH & Co. KG in L… vom 05.07.2013 sowie an die Firma M… in S… vom 21. Dezember 2012, 20. April 2013 und 6. August 2013 (Anlage MD 3).
6
Sie hat weiter geltend gemacht, dass die Designinhaberin selbst von der Firma T… hergestellte und der Erscheinungsform des angegriffenen Designs ent- sprechende Heizkörper unter der Produktbezeichnung „BELLUNA“ vertrieben habe – wie die als Anlage MD 4 eingereichte Katalogabbildung dieses Heizkörpers belege – und Radiatoren dieses Typs ausweislich der in Anlage MD 5 vorgelegten Rechnungen der Firma T… an die Designinhaberin bereits vor dem Anmelde- datum an diese geliefert worden seien. Zudem sei auch aus der als Anlage MD 6 vorgelegten E-Mail der Firma T… an die Designinhaberin vom 24. Juli 2012 mit technischen Spezifikationen zum Heizkörper „BELLUNA“ ersichtlich, dass dieses Produkt bereits vor dem Anmeldetag des angegriffenen Designs bekannt gewesen sei.
7
Darüber hinaus stimme das angegriffene Design im Gesamteindruck auch mit den an seinem Anmeldetag bereits bekannten Gemeinschaftsgeschmacksmustern 000645288-0020, 000426374-0099 und 000426374-0094 sowie dem Internationalen Design IR00067046-0022 überein.
8
Der Nichtigkeitsantrag wurde der Designinhaberin durch Übergabeeinschreiben vom 19. Oktober 2015 zugestellt. Sie hat daraufhin mit Schriftsatz vom 10. November 2015, eingegangen per Fax am selben Tag, für die Zukunft auf das Design verzichtet und zugleich dem Nichtigkeitsantrag für die Zeit vor dem Verzicht widersprochen.
9
Sie hat geltend gemacht, ihr Geschäftsführer, Herr M…, habe das angegriffene Design im Juli 2012 persönlich entwickelt und die Heizkörper mit dem angegriffenen Design von der Firma T… in der Türkei herstellen und nach Deutsch- land liefern lassen. Die erste Lieferung sei zwar bereits am 19. Oktober 2012 erfolgt, jedoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Erst im November 2012 sei der Heizkörper mit dem angegriffenen Design erstmals an Kunden in Deutschland weiterverkauft worden. Bereits kurz danach habe es Produktnachahmer gegeben, darunter auch die Firma H… GmbH & Co. KG und die Antragstellerin. Letztere sei eine deutsche Tochter der Firma T…. Man könne daher davon ausgehen, dass die Firma T… das Design unter Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an ihr Tochterunternehmen, die Antragstellerin, sowie an die Firma H… GmbH & Co. KG weitergegeben habe.
10
Mit Schriftsatz vom 20. November 2015 hat die Antragstellerin mitgeteilt, sie habe ein Interesse an der rückwirkenden Feststellung der Nichtigkeit des angegriffenen Designs. Sie sei nämlich regresspflichtig geworden gegenüber einem ihrer Kunden, der H… GmbH & Co. KG, da diese von der Designinhaberin am 26. Juni 2015 aus dem angegriffenen Design abgemahnt worden sei.
11
Die Designabteilung 3.5 hat nach Durchführung des Nichtigkeitsverfahrens mit Beschluss vom 30. November 2017 den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des angegriffenen Designs zurückgewiesen.
12
Die Designinhaberin habe dem sämtliche nach § 34a Abs. 1 DesignG i.V.m. § 21 Abs. 2 DesignV erforderlichen Angaben enthaltenden Nichtigkeitsantrag rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 34a Abs. 2 DesignG widersprochen.
13
Die Antragstellerin habe aufgrund der gegenüber einem ihrer Kunden mit Schreiben vom 26. Juni 2015 erfolgten Abmahnung aus dem angegriffenen Design gemäß § 33 Abs. 5 DesignG und i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO analog ein berechtigtes Interesse daran, die Nichtigkeit des angegriffenen Designs für den vor dem Designverzicht liegenden Zeitraum feststellen zu lassen.
14
In der Sache sei der Nichtigkeitsantrag jedoch unbegründet, da das angegriffene Design zum Zeitpunkt seiner Anmeldung neu und eigenartig im Sinne von § 33 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 und 3 DesignG gewesen sei.
15
Die Firma T… habe das streitgegenständliche Design vor dem Anmeldetag nicht neuheitsschädlich offenbart i.S.v. § 5 DesignG.
16
Die technische Zeichnung zum Heizkörper „DIFTA“ vom 02.04.2013 zeige zwar das angegriffene Design noch vor dessen Anmeldetag, sie sei jedoch nach dem Vortrag der Antragstellerin nur an eine einzige Firma, nämlich die H… GmbH & Co. KG geschickt worden; ferner wiesen die von der Antragstellerin vorgelegten Rechnungen über die Lieferung des Heizkörpers „DIFTA“ nur zwei Firmen als Empfänger aus. Offenbarungshandlungen nur gegenüber zwei Firmen entfalteten aber nicht die für eine Offenbarung iS von § 5 DesingG erforderliche Breitenwirkung, denn auf dem Gebiet der Heiztechnik seien bekanntlich außerordentlich viele Firmen tätig.
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Gegenüber den entgegengehaltenen Designschutzrechten besitze das angegriffene Design Eigenart und sei infolgedessen auch neu.
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Vorliegend wisse der informierte Benutzer als Hersteller, Händler oder Endverbraucher, dass es flächenförmige und röhrenförmige Heizkörper gebe und dass letztere vor allem auch hinsichtlich der Heizrohre in den unterschiedlichsten Ausgestaltungen auf dem Markt seien. Der informierte Benutzer wisse insbesondere auch, dass Heizkörper zum Ablegen und Trocknen von Handtüchern benutzt würden.
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Bei einem Röhrenheizkörper sei nicht nur ein Zu- und ein Abflussrohr technisch vorgegeben, sondern auch, dass die Heizrohre waagerecht verliefen. Die Musterdichte sei zum Anmeldetag des angegriffenen Designs eher groß gewesen, weil bereits zahlreiche Heizkörper bekannt gewesen seien, deren Heizrohre in Gruppen angeordnet und unterschiedlich lang seien und auf die ein Handtuch aufgeschoben werden könne. Insgesamt liege daher die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers vorliegend im normalen bis eher niedrigen Bereich.
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Das angegriffene Design verfüge über folgende Merkmale:
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1. Es bestehe
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1.1. aus einem Zuflussrohr,
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1.2. einem Abflussrohr und
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1.3. mehreren Heizrohren,
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1.4. jeweils in weißer Farbe.
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2. Zufluss- und Abflussrohr verliefen
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2.1. senkrecht und
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2.2. auf ein- und derselben Seite des Heizkörpers.
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3. Die Heizrohre
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3.1. verliefen waagrecht,
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3.2. reichten links nicht über das äußerste Zu- oder Abflussrohr hinaus,
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3.3. seien in Vierergruppen angeordnet,
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3.4. stiegen innerhalb jeder Vierergruppe in ihrer Länge gleichmäßig und in einem Winkel von ca. 45° zur Senkrechten von oben nach unten an,
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3.5. hätten innerhalb jeder Vierergruppe einen gleichmäßigen, etwa rohrbreiten Heizrohrabstand,
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3.6. hätten zwischen den Vierergruppen einen rohrfreien Raum, der bei entsprechend gleichmäßigem Heizrohrabstand Platz bieten würde für etwa zwei Heizrohre.
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Besonders prägend sei, dass sich das Zufluss- und das Abflussrohr auf ein- und derselben Heizkörperseite befänden (Merkmal 2.2.). Durch dieses Merkmal werde der Heizkörper nämlich auf einer Seite offen für das Aufschieben eines Handtuchs, was der informierte Benutzer als besonders praktisch bemerken werde. Gleichfalls besonders prägend sei, dass die Heizrohre in Vierergruppen gruppiert seien (Merkmal 3.3.) und dass die Länge der Heizrohre in jeder Gruppe von unten nach oben gleichmäßig abnehme (Merkmal 3.4.), da diese Merkmale die äußere Kontur des Heizkörpers beträfen und daher besonders ins Auge fielen. Dass der Abstand zwischen den Gruppen etwa halb so hoch sei wie eine Gruppe (Merkmal 3.6.) und damit relativ groß sei, präge das Design ebenfalls.
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Insgesamt erwecke das angegriffene Design den Gesamteindruck eines offenen, stufigen und sehr luftigen Heizkörpers.
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In diesem Gesamteindruck unterscheide sich das angegriffene Design unter Berücksichtigung des normalen bis eher niedrigen Gestaltungsspielraums von allen Entgegenhaltungen.
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(1) Internationale Eintragung
IR
0
0067046-0022
40
Das am 31. März 2006 und damit vorveröffentlichte international registrierte Design DM/067046 habe zwar wie das angegriffene Design gruppierte Heizrohre von unterschiedlicher Länge, jedoch erzeuge die Gruppierung keine Stufenbildung. Die Länge der Heizrohre falle nämlich nicht in allen Gruppen von unten nach oben ab, sondern nur in jeder zweiten Gruppe, während sie in den dazwischenliegenden Gruppen umgekehrt von unten nach oben zunehme. Zudem seien die Heizrohre der Entgegenhaltung – anders als im angegriffenen Design – nicht in Vierer-, sondern in Fünfergruppen zusammengefasst. Zusätzlich seien – ebenfalls anders als im angegriffenen Design – drei aufeinanderfolgende Heizrohre einer Gruppe gleich lang.
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Auch sei in der Entgegenhaltung der Abstand zwischen den Gruppen relativ klein, denn es „fehle“ lediglich ein Heizrohr, während im angegriffenen Design zwei Heizrohre „fehlten“. Insgesamt wirke die internationale Eintragung DM/067046 im Gesamteindruck nicht luftig und gestuft wie das angegriffene Design, sondern kompakt und in der Kontur unruhig und unterscheide sich dadurch deutlich vom angegriffenen Design.
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(2) GGM 000645288-0020
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Das am 29. Dezember 2006 eingetragene und somit ebenfalls vorveröffentlichte Gemeinschaftsgeschmacksmuster 000645288-0020 zeige zwar wie das angegriffene Design eine offene Vierergruppierung mit Abstand zwischen den Gruppen, jedoch ohne Stufenbildung, da alle Heizrohre gleich lang seien. Zudem „fehle“ auch in dieser Entgegenhaltung zwischen den Gruppen lediglich ein Heizrohr. Insgesamt wirke diese Entgegenhaltung sowohl in ihrer Kontur als auch in ihrem Inneren nicht luftig und stufig wie das angegriffene Design, sondern vielmehr kompakt und rechteckig. Beide Designs unterschieden sich daher im jeweiligen Gesamteindruck deutlich voneinander.
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(3) GGM 000426374-0099
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Das am 31. Oktober 2005 eingetragene und damit ebenfalls vorveröffentlichte Gemeinschaftsgeschmacksmuster 000426374-0099 habe außer der offenen Seite und der unterschiedlichen Länge der Heizrohre mit dem angegriffenen Design in dessen prägenden Merkmalen keine Gemeinsamkeiten. Insbesondere zeige es keine Stufung. Auch bildeten in dieser Entgegenhaltung nicht vier, sondern sechs Heizrohre eine Gruppe, und der Gruppenabstand betrage wiederum nur ein Heizrohr. Im Gesamteindruck wirke die Entgegenhaltung daher sehr kompakt und mit wellenförmiger Kontur auf der offenen Seite des Heizkörpers, nicht aber luftig und mit stufenförmiger Kontur wie das angegriffene Design.
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(4) GGM 000426374-0094
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Bei dem am 31. Oktober 2005 eingetragenen und damit ebenfalls vorveröffentlichten Gemeinschaftsgeschmacksmuster 000426374-0094 seien die Heizrohre zwar wie im angegriffenen Design in Vierergruppen gruppiert, die Gruppen seien jedoch abwechselnd links und rechts von den Zu- und Abflussrohren angeordnet. Die Kontur dieser Entgegenhaltung sei daher nicht nur auf einer Seite, sondern auf beiden Seiten offen. Dies führe zu einem gänzlich anderen Gesamteindruck, weshalb auch diese Entgegenhaltung der Eigenart des angegriffenen Designs nicht im Wege stehe.
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Das angegriffene Design sei gegenüber allen vier Entgegenhaltungen im Übrigen auch neu, denn die bei der Prüfung der Eigenart des angegriffenen Designs festgestellten Unterschiede in prägenden, also charakteristischen und im Vordergrund stehenden Merkmalen, seien notwendigerweise auch Unterschiede in wesentlichen Einzelheiten seiner Merkmale im Sinne des Neuheitsbegriffs nach § 2 Abs. 2 DesignG.
49
Die Antragstellerin hat Beschwerde eingelegt, zu der sie jedoch weder einen Antrag gestellt noch eine Begründung eingereicht hat.
50
Die Inhaberin des angegriffenen Designs beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
52
Sie hat sich im Beschwerdeverfahren ebenfalls nicht zur Sache geäußert.
53
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
54
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig nach § 23 Abs. 4 DesignG. Ein konkreter Antrag ist ebenso wenig erforderlich wie eine Beschwerdebegründung (vgl. Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, 6. Aufl., § 23 Rdnr. 31). Fehlt – wie vorliegend – ein Antrag, ist von einer Anfechtung des Beschlusses in vollem Umfang auszugehen.
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In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Denn der auf die absoluten Nichtigkeitsgründe der fehlenden Neuheit bzw. Eigenart (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2, 3 DesignG) gestützte Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des eingetragenen Designs ist zwar zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
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A. Der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit ist zulässig; zutreffend hat die Designabteilung ausgeführt, dass der Antrag beim DPMA schriftlich eingereicht worden ist und sämtliche nach § 34a Abs. 1 DesignG iVm § 21 Abs. 2 DesignV erforderlichen Angaben enthält.
57
Daran ändert auch der seitens der Inhaberin des angegriffenen Designs im Verfahren vor der Designabteilung mit Schriftsatz vom 10. November 2015 erklärte Verzicht nichts. Nach § 33 Abs. 5 DesignG kann die Nichtigkeit eines eingetragenen Designs wegen absoluter Nichtigkeitsgründe nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 – 3 DesignG auch nach einem – nur für die Zukunft wirkenden, damit Ansprüche für die Vergangenheit unberührt lassenden – Verzicht auf das eingetragene Design festgestellt werden mit der Folge, dass die Schutzwirkungen der Eintragung des angegriffenen Designs ab Unanfechtbarkeit des Beschlusses, mit der die Nichtigkeit des angegriffenen Designs festgestellt wird, als von Anfang an nicht eingetreten gelten (§ 33 Abs. 4 DesignG).
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Da das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten, nicht schutzfähigen Designs jedoch nur solange besteht, als das Recht noch wirksam und in Kraft ist, bedarf es aber eines Feststellungs- bzw. Rechtschutzinteresses der Antragstellerin entsprechend § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. Eichmann/Jestaedt/ Fink/Meiser, Designgesetz, 6. Aufl., § 33 Rdnr. 34).
59
Die Frage, ob ein eigenes Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin vorliegt, darf jedoch nicht nach allzu strengen Maßstäben beurteilt werden. Hinreichender Anlass, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, besteht danach schon dann, wenn der Antragsteller Anlass zu der Besorgnis hat, er könne auch nach Ablauf der Schutzdauer noch Ansprüchen wegen zurückliegender Handlungen ausgesetzt sein. Ein Rechtsschutzinteresse darf in solchen Fällen nur dann verneint werden, wenn eine solche Inanspruchnahme ernstlich nicht mehr in Betracht kommt (vgl. BGH v. 13.7.2020 – X ZR 90/18, GRUR-RS 2020, 20329 – „Signalübertragungssystem“ betreffend das Rechtsschutzinteresse des Nichtigkeitsklägers in einer Patentnichtigkeitsklage nach Erlöschen des Streitpatents). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
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Zwar hat die Designinhaberin auf die mit Schreiben vom 26. Juni 2015 gegenüber einem Kunden der Antragstellerin geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Vernichtung rechtswidrig hergestellter Erzeugnisse ausweislich des von der Antragstellerin als Anlage GS4 zum Schriftsatz vom 13. Oktober 2017 eingereichten Schreibens der Designinhaberin vom 10. November 2015 verzichtet, so dass jedenfalls insoweit auch eine Regresspflicht der Antragstellerin gegenüber ihrem Kunden nicht mehr in Betracht kommt.
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Dennoch verbleibt für die Antragstellerin insoweit ein gewisses Maß an Unsicherheit, als zum einen der seitens der Designinhaberin erklärte Verzicht gegenüber dem Kunden sich nur auf die geltend gemachten Unterlassungs- und Auskunftsansprüche beschränkte, nicht jedoch Schadensersatzansprüche umfasste, und zum anderen seitens der Designinhaberin entsprechende Verzichts- und/oder Freistellungserklärungen gegenüber der Antragstellerin nicht abgegeben worden sind, so dass der Designinhaberin weiter vorbehalten bleibt, ihr innerhalb der zehnjährigen absoluten Verjährungsfrist des § 49 Satz 1 DesignG i.V.m. § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB zur Kenntnis gelangende Verletzungshandlungen aus der Zeit bis zum Erlöschen des Designs gegenüber der Antragstellerin oder deren Kunden geltend zu machen. Zudem hat die Designinhaberin in dem vorgenannten Schreiben vom 10. November 2015 gegenüber dem Kunden der Antragstellerin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihrer Auffassung nach das angegriffene Design bis zum Verzicht rechtswirksam gewesen sei und die Ansprüche daher grundsätzlich bestanden hätten, so dass auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie von einer Geltendmachung von Ansprüchen aus dem angegriffenen Design für die Zeit bis zu dessen Erlöschen endgültig Abstand genommen hat. Angesichts der sich daraus ergebenden Unsicherheit besteht dann aber ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin daran, das im Zeitpunkt des Erlöschens des Designs anhängige Nichtigkeitsverfahren weiterzuführen.
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B. Über die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der fehlenden Neuheit/Eigenart gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 DesignG ist in der Sache zu befinden, nachdem die Antragsgegnerin dem zulässigen Nichtigkeitsantrag innerhalb der Monatsfrist des § 34a Abs. 2 DesignG widersprochen hat.
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C. In der Sache hat der Antrag jedoch keinen Erfolg, da es dem angegriffenen Design weder gegenüber den als Entgegenhaltungen in das Verfahren eingeführten Heizkörpern mit den Produktbezeichnungen „DIFTA“ und „BELLUNA“ noch gegenüber den weiteren entgegengehaltenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern 000645288-0020, 000426374-0099, 000426374-0094 sowie dem Internationalen Design IR00067046-0022 an Neuheit und Eigenart fehlt.
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Gemäß § 2 Abs. 2 DesignG gilt ein Design als neu, wenn vor dem Anmeldetag kein identisches Design offenbart worden ist. Gemäß § 2 Abs. 3 DesignG hat ein Design Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Design bei diesem Benutzer hervorruft, das vor dem Anmeldetag offenbart worden ist. Bei der Beurteilung der Eigenart wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Designs berücksichtigt.
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1. Ausgehend davon können die entgegengehaltenen Heizkörper mit den Produktbezeichnungen „DIFTA“ und „BELLUNA“ Neuheit und Eigenart des angegriffenen Designs bereits deshalb nicht in Frage stellen, weil nicht festgestellt werden kann, dass diese Produkte und damit das in diese Erzeugnisse aufgenommene und der Neuheit und Eigenart des angegriffenen Designs uU entgegenstehende Design vor dem Anmeldetag des angegriffenen Designs in neuheitsschädlicher oder zumindest die Eigenart ausschließender Weise offenbart worden sind und damit zum vorbekannten Formenschatz gehören.
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a. Ob ein entgegengehaltenes Design zum vorbekannten Formenschatz gehört, bestimmt sich nach den §§ 5 und 6 DesignG. Nach § 5 Satz 1 DesignG ist ein Design offenbart, wenn es bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, es sei denn, dass dies den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Sektors im normalen Geschäftsverlauf vor dem Anmeldetag des Designs nicht bekannt sein konnte. Allerdings bleibt nach § 6 Satz 1 DesignG eine Offenbarung bei der Anwendung des § 2 Abs. 2, 3 DesignG unberücksichtigt, wenn ein Design während der zwölf Monate vor dem Anmeldetag durch den Entwerfer oder seinen Rechtsnachfolger oder durch einen Dritten als Folge von Informationen oder Handlungen des Entwerfers oder seines Rechtsnachfolgers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
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Unter Beachtung dieser gesetzlichen Voraussetzungen können die beiden vorgenannten Entgegenhaltungen dem angegriffenen Design nicht als vorbekannter Formenschatz entgegengehalten werden.
68
b. Dabei kann hinsichtlich der Entgegenhaltung „DIFTA“ zugunsten der Antragstellerin ohne nähere Sachprüfung unterstellt werden, dass dieses Produkt und damit die mit ihm verbundene Erscheinungsform bereits vor dem Anmeldetag aufgrund von Lieferungen dieses Produkts seitens der Herstellerfirma T… an die Firmen H… GmbH & Co. KG, L…, und M…, S…, gemäß den von der Antragstellerin dazu vorgelegten Rechnungen vom 21. Dezember 2012, 20. April 2013, 05. Juli 2013 und 6. August 2013 (Anlage MD 3) sowie durch die an die Firma H… GmbH & Co. KG übermittelte E-Mail vom 23. August 2013 (Anlage MD 2) als auch der als Anlage MD 1 vorgelegten technischen Zeichnung vom April 2013 der Öffentlichkeit zugänglich und damit offenbart wurde iS von § 5 DesignG.
69
Denn diese Offenbarungen können nach § 6 Satz 1 DesignG nicht berücksichtigt werden, da die in den vorgenannten Rechnungen ausgewiesenen Lieferungen wie auch die Übermittlung der E-Mail an die Firma H… GmbH & Co. KG oder ggf. auch der technischen Zeichnung gemäß Anlage MD 1 ausnahmslos zwischen Dezember 2012 und August 2013 und damit weniger als ein Jahr vor Anmeldung des angegriffenen Designs erfolgten. Da die Firma T… den Heizkörper „DIFTA“ nach dem unbestrittenen Vortrag der Designinhaberin in deren Auftrag unter Verwendung des von dem Geschäftsführer der Designinhaberin entworfenen Designs hergestellt hat, beruht die Offenbarung durch die Firma T… weiterhin auch auf Informationen des Entwerfers bzw. der Designinhaberin als dessen Rechtsnachfolgerin. Ob die Firma T… dazu im Verhältnis zur Designinhaberin berechtigt war, ist unerheblich, da nach § 6 Satz 2 DesignG eine Offenbarung durch einen Dritten als Folge von Informationen oder Handlungen des Entwerfers auch dann nicht zu berücksichtigen ist, wenn das Design als Folge einer missbräuchlichen Handlung gegen den Entwerfer offenbart wurde.
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Offenbarungshandlungen seitens der Firma T… außerhalb der Neuheitsschonfrist des § 6 Satz 1 DesignG sind hingegen nicht ersichtlich; dazu hat die Antragstellerin auch nichts vorgetragen.
71
c. Auch hinsichtlich der weiteren Entgegenhaltung „BELLUNA“ lässt sich nicht feststellen, dass diese vor dem Anmeldetag des angegriffenen Designs in neuheitsschädlicher oder zumindest die Eigenart ausschließender Weise offenbart worden ist.
72
aa. Zu keiner Offenbarung iS des § 5 DesignG führten dabei zunächst die im Auftrag der Designinhaberin durchgeführte Herstellung und bis zum Anmeldetag vorgenommenen Lieferungen des Heizkörpers „BELLUNA“ durch die Firma T… an die Designinhaberin gemäß den mit Anlage MD 5 vorgelegten Rechnungen vom 18. Juli 2012, 19. Oktober 2012, 22. Februar 2013 und 28. Juni 2013, und zwar auch, soweit sie außerhalb der Neuheitsschonfrist des § 6 DesignG erfolgt sind, was auf die den Rechnungen vom 18. Juli 2012 und 19. Oktober 2012 zutreffen dürfte.
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Soweit die Designinhaberin entsprechend ihrem Vorbringen das angegriffene Design der Firma T… im Rahmen des den Lieferungen zugrundeliegenden Auftrags zur Kenntnis gegeben habe sollte, handelte es sich um eine zur Durchführung des Auftrags notwendige Mitteilung des Designs.Mitteilungen im Rahmen von Geschäftsbeziehungen sind jedoch als vertraulich anzusehen iS von § 5 Satz 2 DesignG und ziehen keine für eine Offenbarung nach § 5 DesignG notwendige Kenntnismöglichkeit der Fachkreise nach sich (vgl. Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, aaO, § 5 Rdnr. 34).
74
Aber auch wenn man zugunsten der Antragstellerin davon ausgeht, dass die Firma T… selbst diesen Heizkörper entworfen und entwickelt hat, war mit den bis zum Anmeldetag vorgenommenen Lieferungen des Heizkörpers „BELLUNA“ an die Designinhaberin keine Offenbarung iS des § 5 DesignG verbunden. Zwar hätte in diesem Fall die Designinhaberin bereits vor dem Anmeldetag Kenntnis von dem angegriffenen Design erlangt. Jedoch führt eine im Rahmen einer Geschäftsbeziehung erfolgte Mitteilung bzw. Offenlegung eines Designs durch einen Entwerfer gegenüber einem (ggf. zu Unrecht eingetragenen) Designinhaber zu keiner Offenbarung; vielmehr kann der Entwerfer in diesem Fall als Berechtigter iS des § 7 Abs. 1 DesignG von dem eingetragenen Designinhaber entweder die Übertragung des eingetragenen Designs oder die Einwilligung in die Löschung verlangen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 DesignG).
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bb. Soweit die Designinhaberin nach ihrem eigenen Vorbringen dieses Produkt ab November 2012 und damit vor dem Anmeldetag des eingetragenen Designs an Dritte veräußert hat, handelte es um eine nach § 6 Satz 1 DesignG nicht zu berücksichtigende Offenbarung durch den Designinhaber innerhalb der zwölfmonatigen Neuheitsschonfrist.
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cc
. Eine Offenbarung des angegriffenen Designs durch die Designinhaberin gegenüber Dritten außerhalb der Neuheitsschonfrist des § 6 DesignG lässt sich auf Grundlage der dazu seitens der Antragstellerin eingereichten Unterlagen ebenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen.
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Dies gilt zunächst hinsichtlich des als Anlage MD 4 vorgelegten Katalogauszugs mit einer Abbildung des Produkts „BELLUNA“, da weder vorgetragen worden ist noch dem Auszug selbst entnommen werden kann, dass dieser vor Beginn der zwölfmonatigen Neuheitsschonfrist in Verkehr gelangt und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Ebenso wenig erlaubt die als Anlage MD 6 vorgelegte E-Mail der Firma T… an die Designinhaberin vom 24. Juli 2012 mit techni- schen Spezifikationen zum Heizkörper „BELLUNA“ Rückschlüsse auf eine Offenbarung des angegriffenen Designs vor Beginn der Neuheitsschonfrist des § 6 DesignG.
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Auch soweit jedenfalls die mit Anlage MD 5 vorgelegten Rechnungen vom 18. Juli 2012 und 19. Oktober 2012 Lieferungen des Produkts „BELLUNA“ durch die Firma T… an die Designinhaberin außerhalb der Neuheitsschonfrist des § 6 DesignG ausweisen, was seitens der Designinhaberin für die Lieferung vom 19. Oktober 2012 auch nicht in Abrede gestellt wird, erlaubt dies nicht die Feststellung, dass die Designinhaberin ihrerseits diese Produkte an Dritte vor der am 31. Oktober 2012 beginnenden Neuheitsschonfrist des § 6 DesignG weitervertrieben bzw. in sonstiger Weise offenbart hat iS von § 5 DesignG. Allein eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür reicht insoweit angesichts der Vermutung der Rechtsgültigkeit eines eingetragenen Designs (§ 39 DesignG) nicht aus, zumal die Designinhaberin selbst konkret vorgetragen hat, dass eine Auslieferung des Produktes „BELLUNA“ erst ab November 2012 und damit explizit innerhalb der einjährigen Frist des § 6 DesignG stattgefunden hat (vgl. Schriftsatz vom 10. November 2015). Es hätte daher der für eine Offenbarung des Designs außerhalb der Neuheitsschonfrist darlegungs- und beweispflichtigen Antragstellerin obgelegen, konkrete Lieferungen und damit verbundene Offenbarungshandlungen seitens der Designinhaberin an ihre Abnehmer vor diesem Zeitpunkt vorzutragen und unter Beweis zu stellen. Dazu fehlt aber jeder Vortrag.
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d. Die unter den Produktbezeichnungen „DIFTA“ und „BELLUNA“ hergestellten und vertriebenen Heizkörper können daher dem angegriffenen Design nicht als vorbekannter Formenschatz entgegengehalten werden.
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2. Von den entgegengehaltenen Designschutzrechten unterscheidet sich das angegriffene Design in seinem von der Designabteilung zutreffend bestimmten Gesamteindruck selbst dann, wenn man zugunsten der Antragstellerin von einem eher weiten Gestaltungsspielraum eines Entwerfers ausgeht, so deutlich, dass ihm Eigenart und damit Neuheit iS von § 2 Abs. 2, 3 DesignG nicht abgesprochen werden kann. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen und zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses in vollem Umfang Bezug.
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D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23 Abs. 4 Satz 5 DesignG i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO.
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E. Der nach freiem Ermessen zu bestimmende Gegenstandswert (§ 34a Abs. 5 Satz 2 DesignG i. V. m. §§ 23 Abs. 3 Satz 2, 33 Abs. 1 RVG) ist in Anbetracht der geringen Laufzeit des eingetragenen Designs abweichend von dem im Regelfall angemessenen Wert von 50.000 € (vgl. BGH I ZB 25/18 v. 28. Mai 2020, veröffentlicht in GRUR 2020, 1016, Tz. 9, 11) vorliegend mit
83
35.000 €
84
zu bemessen.


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