Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “INNOVATION IN REALITY (IR-Marke)” – keine Unterscheidungskraft

Aktenzeichen  30 W (pat) 535/12

Datum:
16.1.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 37 Abs 1 MarkenG
§ 113 MarkenG
§ 119 MarkenG
§ 124 MarkenG
Art 5 MAbk Madrid
Art 6quinquies Abschn B Nr 2 PVÜ
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die international registrierte Marke IR 1 034 370
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie des Richters Heimen und des Richters Jacobi
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Um Schutz in der Bundesrepublik Deutschland wird nachgesucht für die international registrierte Marke IR 1 034 370
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INNOVATION IN REALITY
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Das Waren-/Dienstleistungsverzeichnis lautet:
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„Klasse 9: scientific, nautical, surveying, photographic, cinematographic, optical, weighing, measuring, signalling, checking (supervision), life-saving and teaching apparatus and instruments; apparatus and instruments for conducting, switching, transforming, accumulating, regulating or controlling electricity; apparatus for recording, transmission or reproduction of sound or images; magnetic data carriers, recording discs; automatic vending machines and mechanisms for coin-operated apparatus; cash registers, calculating machines, data processing equipment and computers; fire-extinguishing apparatus; data collection and distribution networks; computer software, namely, software for information, control, operative, administrative, business, embedded, self-service and management systems; electronic publications, namely, electronically readable technical and user manuals for computer systems; downloadable software;
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Klasse 35: advertising; business management; business administration; office functions; business consultancy relating to the administration of information technology; business advisory services relating to the use of computers and computer software; compilation and systemization of information into computer databases; computerised business information retrieval, storage, record keeping and processing services; computerised data processing, verification and file management services; data search services in computer files for others; database management services;
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Klasse 38: telecommunications; providing multiple-user access to a global and local computer information networks; providing multiple-user access to computer databases; rental of access time to a computer database; transmission of information between computers, workstations and wireless devices; providing online non-downloadable software;
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Klasse 42: scientific and technological services and research and design relating thereto; industrial analysis and research services; design and development of computer hardware and software; computer programming; maintenance and updating of computer software; computer system analysis, namely, monitoring the computer systems of others for technical purposes and providing back-up computer software and facilities; consulting services in the field of design, selection, implementation and use of computer hardware, software and related computer systems; rental of computer hardware and software; hosting computer websites; security services relating to computerised data“.
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Die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 9 – Internationale Markenregistrierung – des Deutschen Patent- und Markenamts hat der IR-Marke mit Beschluss vom 9. Mai 2012 den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland wegen fehlender Unterscheidungskraft verweigert. Zur Begründung hat sie ausgeführt, INNOVATION IN REALITY sei aus den englischen Substantiven „innovation“ und „reality“ sowie der Präposition „in“ gebildet und bedeute unmissverständlich „Neuheit/Innovation/Einführung von Neuheiten in Wirklichkeit“. In ihrem in Bezug genommenen Beanstandungsbescheid vom 9. November 2010 hatte sie der Marke die Werbeaussage beigemessen, die so gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen seien „innovativ“ und setzten „fortschrittliche Vorstellungen in die Realität um“. Auch beim deutschen Durchschnittsverbraucher dürfe die Verständnisfähigkeit fremdsprachiger Worte nicht zu gering veranschlagt werden, zumal die englischen Wörter den deutschen sehr ähnlich bzw. identisch mit ihnen seien. „Innovation“ stehe für „Neuheit, Innovation, Einführung von Neuerungen“ und werde im allgemeinen Sprachgebrauch unspezifisch im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Der Begriff „reality“ stehe für „Gegebenheit, Realität, Wirklichkeit“ und beschreibe all das, was real, messbar und nicht Schein oder Traum sei. Die Zusammenstellung „in reality“ sei ein feststehender Ausdruck für „in Wirklichkeit, tatsächlich, vielmehr“. Insgesamt ergebe sich daraus die Aussage „Innovation in Wirklichkeit“, d. h. dass die Einführung von Neuheiten tatsächlich erfolge und in die Wirklichkeit umgesetzt werde. Die sprachüblich gebildete Aussage bedürfe keiner Interpretation. Welche philosophischen oder sonstigen Überlegungen hinter den einzelnen Begriffen stünden und wie sich diese im Lauf der Zeit entwickelt und verändert hätten, sei nicht relevant. Die Marke weise lediglich darauf hin, dass sich die Waren und Dienstleistungen durch die neueste Technik auszeichneten, und sei deshalb als individuelle Herkunftsangabe nicht geeignet. Sie gehe in ihrer Gesamtheit nicht über die Zusammenfügung der beschreibenden Elemente hinaus.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der IR-Markeninhaberin. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Ausführungen der Markenstelle seien in sich widersprüchlich und belegten, dass es unmöglich sei, INNOVATION IN REALITY einen eindeutigen und unmittelbar beschreibenden Begriffsinhalt zuzuordnen. Der deutsche Verkehr nehme englische Werbeslogans so auf, wie sie ihm entgegenträten, und versuche, sie einer deutschen Übersetzung zuzuführen. Dies gelinge jedoch nur selten in sinnvoller Weise, wie die vorgelegte Endmark-Claim-Studie 2009 belege. Die Marke werde deshalb nicht in der Form verstanden, wie von der Markenstelle auf mehreren Seiten erarbeitet. Vielmehr werde die Marke bei lebensnaher Betrachtung mit „Erneuerung in der Wirklichkeit” oder „Erfindung in Wirklichkeit” oder dergleichen übersetzt werden. Dies ergebe jedoch keine wirklich sinnvolle Aussage, zumal der Begriff der „Realität“ schwer zu umreißen sei. Es gebe auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass die Marke nicht als betriebliches Unterscheidungsmittel verstanden werde. Es handele sich nicht um ein werbliches (Eigen-) Lob, eine sonstige Herausstellung eigener Leistungen oder Fähigkeiten und auch nicht um eine typische Werbeaufforderung. INNOVATION IN REALITY deute allenfalls an, dass die Waren und Dienstleistungen in irgendeiner Weise mit Erfindungen und/oder Erneuerungen und/oder Neuheiten in Beziehung zu setzen seien, lasse aber völlig offen, welcher Bezug zu den Waren und/oder Dienstleistungen bestehe, auch wenn die Marke unterschwellig die Botschaft enthalte, dass die Waren und Dienstleistungen mit Innovationen zu tun hätten, die im „Hier und Jetzt“ gebraucht werden könnten. Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, sei jedoch ein Mindestmaß an Interpretationsaufwand erforderlich, was einen Denkprozess der angesprochenen Verkehrskreise voraussetze.
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Sie beantragt sinngemäß,
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den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist in der Sache nicht begründet.
14
Der Schutzerstreckung der international registrierten Marke INNOVATION IN REALITY auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht das absolute Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen, so dass die Markenstelle zu Recht und mit zutreffender Begründung nach den §§ 119, 124, 113, 37 Abs. 1 MarkenG i. V. m. Art. 5 PMMA, Art. 6quinquies Abschnitt B Nr. 2 PVÜ den Schutz für die Bundesrepublik Deutschland verweigert hat.
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1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Marke erfassten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH GRUR 2008, 608, 611, Rn. 66 f. – EUROHYPO; BGH GRUR 2013, 731, Rn. 11 – Kaleido; GRUR 2012, 1143, Rn. 7 – Starsat; GRUR 2010, 825, 826, Rn. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2010, 935, Rn. 8 – Die Vision; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 18 – FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 233, 235, Rn. 45 – Standbeutel; GRUR 2006, 229, 230, Rn. 27 – BioID; GRUR 2008, 608, 611, Rn. 66 – EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710, Rn. 12 – VISAGE; GRUR 2009, 949, Rn. 10 – My World; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 18 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren und Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412, Rn. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, 944, Rn. 24 – SAT.2; BGH GRUR 2010, 935, Rn. 8 – Die Vision; GRUR 2010, 825, 826, Rn. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 18 – FUSSBALL WM 2006).
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Hiervon ausgehend besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678, Rn. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, 271, Rn. 11 – Link economy; GRUR 2009, 952, 953, Rn. 10 – DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard; GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch; GRUR 2001, 1153 – antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854, Rn. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 – Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 – Gute Zeiten – Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100, Rn. 23 – TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855, Rn. 28 f. – FUSSBALL WM 2006).
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An die Beurteilung der Unterscheidungskraft von Wortfolgen und Slogans sind keine strengeren Maßstäbe anzulegen als bei sonstigen Wortzeichen (EuGH GRUR Int. 2012, 914, Rn. 25 – WIR MACHEN DAS BESONDERE EINFACH; GRUR 2010, 228, Rn. 36 – Vorsprung durch Technik; GRUR 2004, 1027, Rn. 32, 44 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BGH GRUR 2009, 949, Rn. 12 – My World; BGH GRUR 2009, 778, Rn. 12 – Willkommen im Leben). Es wäre daher unzulässig, besondere Kriterien aufzustellen, die das Kriterium der Unterscheidungskraft ersetzen oder von ihm abweichen (EuGH GRUR 2010, 228, Rn. 38 – Vorsprung durch Technik; GRUR 2004, 1027, Rn. 35 und Rn. 36 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT), etwa dergestalt, dass die sloganartige Wortfolge phantasievoll sein und ein begriffliches Spannungsfeld, das einen Überraschungs- und damit Merkeffekt zur Folge habe, aufweisen müsse (EuGH GRUR 2010, 228, Rn. 39 – Vorsprung durch Technik; GRUR 2004, 1027, Rn. 31, 32 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; vgl. BGH GRUR 2002, 1070, 1071 – Bar jeder Vernunft). Auch wenn Werbeslogans keinen strengeren Schutzvoraussetzungen unterliegen, ist jedoch zu berücksichtigen, dass Wortmarken in Form von Werbeslogans vom Verkehr nicht notwendig in gleicher Weise wahrgenommen werden wie andere Markenkategorien. Insoweit ist bei Slogans, die eine im Vordergrund stehende Werbefunktion ausüben, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die angesprochenen Kreise aus solchen Slogans gewöhnlich nicht auf die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen schließen. Bei nach Art eines Slogans gebildeten Wortfolgen wird der Verkehr diese daher als eine Beschreibung oder Anpreisung des Inhalts oder Gegenstands entsprechender Waren und Dienstleistungen auffassen (vgl. EuGH GRUR 2004, 1027, 1029, Rn. 35 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BGH GRUR 2000, 882, 883 – Bücher für eine bessere Welt; BGH GRUR 2002, 1070, 1071 – Bar jeder Vernunft; EuG GRUR Int. 2003, 834, 835 f. – Best buy; GRUR Int. 2004, 944, 946 – Mehr für Ihr Geld). Nicht unterscheidungskräftig sind demzufolge spruchartige Wortfolgen, die lediglich in sprach- oder werbeüblicher Weise eine beschreibende Aussage über die von der Marke erfassten Waren und Dienstleistungen enthalten oder sich in Anpreisungen und Werbeaussagen allgemeiner Art erschöpfen (vgl. EuGH GRUR 2004, 1027, Rn. 35 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BGH GRUR 2001, 1047, 1049 – LOCAL PRESENCE, GLOBAL POWER; BGH GRUR 2001, 735, 736 – Test it.).
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2. Nach diesen Grundsätzen fehlt der IR-Marke INNOVATION IN REALITY, jegliche Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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Für die angesprochenen Verkehrskreise besteht die Marke erkennbar aus den Worten „INNOVATION“, „IN“ und „REALITY“. Angesprochen werden überwiegend Fachkreise, teilweise aber auch die Endverbraucher, an die sich die Waren der Klasse 9 „electronic publications, namely, electronically readable technical and user manuals for computer systems; downloadable software“ oder die Dienstleistungen der Klasse 38 „telecommuniations“ und „providing online non-downloadable software“ oder der Klasse 42 „maintenance and updating of computer software; monitoring the computer systems of others for technical purposes and providing back-up computer software and facilities; hosting computer websites“ richten können.
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„Innovation“ ist der lateinischen Sprache entlehnt („innovatio“ = „Erneuerung, Veränderung“, „innovare“ = „erneuern, verändern“, „novus“ = „neu“) und bedeutet nicht nur in der englischen (vgl. Langenscheidts Schulwörterbuch Englisch, 1986, S. 163), sondern auch in der deutschen Sprache „Einführung von etwas Neuem, Erneuerung, Neuerung“. Im Wirtschaftsverkehr steht „Innovation“ für die „Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders die Einführung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Verfahrens“ (Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 6. Auflage, Mannheim 2006, CD-ROM). In der Werbesprache wird „Innovation“ schon seit vielen Jahren als Wertversprechen für „Erneuerung“, „Fortschritt“, „Revolution“ oder „Umgestaltung“ verwendet, wobei auch „nicht-technische“ Produkte im Sinn von „gestalterisch“, „schöpferisch“ oder „verbessernd“ als „innovativ“ bezeichnet werden. „Reality“ bedeutet in der deutschen Sprache „Realität“ (Langenscheidts Schulwörterbuch Englisch, a. a. O., S. 249). „In reality“ ist ein feststehender – und auch dem Grundwortschatz der englischen Sprache zurechenbarer – Ausdruck für „in Wirklichkeit“ (Duden-Oxford – Großwörterbuch Englisch, 3. Auflage, Mannheim 2005, CD-ROM) „Realityshow“ bezeichnet auch in Deutschland eine „Unterhaltungssendung im Fernsehen, die tatsächlich Geschehendes live zeigt bzw. nachgestellt darbietet“. „Reality-TV“ ist die „Sparte des Fernsehens, in der Realityshows oder Ähnliches produziert werden“. „Virtual Reality“ ist der Begriff für eine „von Computern erzeugte virtuelle Realität“ (vgl. Duden – Deutsches Universalwörterbuch, a. a. O.). Welche Auffassungen in der Wissenschaft zum Begriff „Realität“ vertreten werden – die Markeninhaberin hat insoweit auf „die Realismusdebatte“ hingewiesen – ist im Zusammenhang mit den beanspruchten Produkten nicht relevant. Da der in die deutsche Sprache übernommene englische Begriff „reality“ in den genannten Wortzusammensetzungen Eingang in die deutsche Sprache gefunden hat und seiner deutschen Entsprechung „Realität“ auch sehr ähnlich ist, besteht kein Raum für Fehlinterpretationen, so dass die von der Markeninhaberin ins Feld geführten und in der „Endmark Claim Studie“ dokumentierten Fehlinterpretationen des beabsichtigten Aussagegehalts anderer englischer Slogans nicht von Bedeutung sind.
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INNOVATION IN REALITY wird demnach selbst vom normal informierten und verständigen Durchschnittsverbraucher verstanden werden als Hinweis auf „Innovation in Wirklichkeit“ oder auf „in die Lebenswirklichkeit gesetzte Innovation“, kurzgefasst als Hinweis darauf, dass es sich bei dem so Gekennzeichneten um ein „innovatives Produkt“ handelt. Entgegen der Annahme der Markeninhaberin sind philosophische Erwägungen für diese Wahrnehmung nicht notwendig. Auch die nur in Nuancen abweichenden Interpretationen der Markenstelle im angefochtenen Beschluss vom 9. Mai 2012 einerseits („Neuheit/Innovation/Einführung von Neuheiten in Wirklichkeit“) und in dem Beanstandungsbescheid vom 9. November 2010 andererseits („innovativ“/„fortschrittliche Vorstellungen in die Realität umgesetzt“) belegen entgegen der Auffassung der Markeninhaberin eine sich für die angesprochenen Verkehrskreise ergebende Mehrdeutigkeit nicht, weil sie – nur in anderen Worten – letztlich das Gleiche beschreiben.
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Im Zusammenhang mit den beanspruchten technischen Waren der Klasse 9 wird die Marke zwanglos als Hinweis auf eine technisch „innovative Ware“ verstanden werden. Die beanspruchten Dienstleistungen der Klassen 38 und 42 können sich auf eben solche Waren beziehen. Gleiches gilt für die beanspruchten Dienstleistungen der Klasse 35, soweit sie, wie „office functions; business consultancy relating to the administration of information technology; business advisory services relating to the use of computers and computer software; compilation and systemization of information into computer databases; computerised business information retrieval, storage, record keeping and processing services; computerised data processing, verification and file management services; data search services in computer files for others; database management services“ einen technischen Hintergrund oder Gegenstand haben. Aber auch eine „nicht-technische“ Dienstleistung kann „innovativ“ im Sinn von „verbessernd“ sein, wie die beanspruchten Dienstleistungen der Klasse 35 „advertising; business management; business administration“; denn auch insoweit können „neue Wege“ beschritten werden.
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Keines der vom Europäischen Gerichtshof aufgezeigten Indizien für die Annahme der Unterscheidungskraft(vgl. EuGH GRUR 2010, 228, 231, Rn. 57 – Vorsprung durch Technik) ist hier gegeben. INNOVATION IN REALITY ist den Sprachregeln der englischen Sprache gemäß gebildet und nicht prägnant, insbesondere ist die Verknüpfung der Begriffe „innovation“, „in“ und „reality“ nicht ungewöhnlich. Die Erfassung des genannten Sinngehalts erfordert keinen besonderen Interpretationsaufwand, zumal „Innovation“ ein klassisches Werbeversprechen ist. Die Markenbildung ist naheliegend und nicht originell. Das vermeintlich „Besondere“ ist allein die Verpackung des werbeüblichen Hinweises, ein „innovatives Produkt“ anzubieten, in die englische Sprache – auch das ist allerdings werbeüblich. Das zeigen die der Markeninhaberin mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Recherchebelege: So vermarktet das Unternehmen MDM aus dem Vereinigten Königreich seine Produkte mit dem Slogan „Helping turn innovation into reality“ auch in Deutschland (www.medicaldevicemanagement.com). Das auch in Deutschland tätige Unternehmen EADS wirbt mit der Wortfolge „Making innovation a reality“ (www.eads.com). In die gleiche Richtung geht es, wenn die Deutsche Telekom mit „Innovationen zum Anfassen“ (www.telekom.com) oder das Unternehmen IBM mit der Wortfolge „Innovation becomes Reality“ zu einer Betriebsbesichtigung in Mainz einlädt (www.cema.de).
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Entgegen der Auffassung der Markeninhaberin wird dem Publikum die Aussage, ein „innovatives Produkt“ anzubieten, mit der Marke nicht lediglich in suggestiver Form, sondern unmissverständlich, eindeutig und direkt nahegebracht. Insoweit liegt der Fall anders als in BPatG 30 W (pat) 501/11 – Wir machen morgen möglich, wo sich das Anmeldezeichen auch durch seine Alliteration auszeichnete („machen morgen möglich“).
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Damit erschöpft sich INNOVATION IN REALITY im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren in einer Werbeaussage produktbezogener Art für eine „innovative Ware“ oder eine „innovative Dienstleistung“. Die Marke wird in der Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise deshalb nicht als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden werden. Sie kann daher ihre Hauptfunktion, nämlich den Verkehrskreisen die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu garantieren, nicht erfüllen. Ihr steht damit das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen.
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Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.


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