Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Innovation Scrum” – fehlende Unterscheidungskraft

Aktenzeichen  30 W (pat) 6/17

Datum:
9.5.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:090519B30Wpat6.17.0
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Das Wortzeichen
2
Innovation Scrum
3
ist am 23. September 2015 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register angemeldet worden für folgende Waren und Dienstleistungen:
4
„Klasse 9: Software für grafische Benutzerschnittstelle; Softwarepakete; Software zum Verarbeiten von Bildern, Grafik und Text; aufgezeichnete Dateien; bespielte Medien; Datenbanken [elektronische]; Software; auf Computermedien gespeicherte elektronische Veröffentlichungen; auf Computermedien gespeicherte elektronische Datenbanken; aus dem Internet herunterladbare digitale Bücher; Bedienungshandbücher in elektronischem Format; bespielte CD-ROMs; Computerdokumentation in elektronischer Form; Bilddateien zum Herunterladen; E-Books; elektronische Publikationen; herunterladbare elektronische Publikationen; herunterladbare elektronische Veröffentlichungen; herunterladbare Veröffentlichungen; interaktive DVDs; Schulungshandbücher in Form von Computerprogrammen; Schulungshandbücher in elektronischer Form
5
Klasse 16: Druckereierzeugnisse; Broschüren; Benutzerhandbücher; gedruckte Führer für den Lehrbetrieb; Diagramme; Handbücher für Anleitungszwecke; Schaubilder; Unterrichtsmaterialien in Papierform; Tagesordnungen [Druckereierzeugnisse]; Flussdiagramme [Druckereierzeugnisse]; gedruckte Computerprogramme [Druckereierzeugnisse]; Druckereierzeugnisse für Unterrichtszwecke
6
Klasse 35: Marketingberatungsdienste für Unternehmer; Unternehmensberatungsdienste in Bezug auf das Marketing; Unternehmensberatung in Bezug auf Produktentwicklung; Analyse betriebswirtschaftlicher Systeme; Analyse von Betriebsführung; Analyse von Geschäftsdaten; Analyse von Unternehmensstatistiken; Aufstellung von Kosten-Preisanalysen; Durchführung von betriebswirtschaftlichen Projektstudien für Unternehmen; Durchführung von Projektstudien für Unternehmen; Erstellen von betriebswirtschaftlichen Machbarkeitsstudien; Erstellen von Wirtschaftlichkeitsstudien bezogen auf Unternehmen; Erstellung von Kostenanalysen; Erstellung von betriebswirtschaftlichen Projektstudien; Sammeln von statistischen Daten zur Verwendung in der wissenschaftlichen Forschung
7
Klasse 42: Beratung auf dem Gebiet der Informationstechnologie; Softwareentwicklungsleistungen; Softwaredesign; Kundenspezifische Softwareanpassung; Installation von Software; Softwareengineering für Datenverarbeitungsprogramme; Entwicklung von Software für Computer; Durchführung von Projektstudien bezüglich Software; Beratung auf dem Gebiet des Softwaredesigns; Beratung in Bezug auf Computer und Software; Dienstleistungen für die Gestaltung von Computer-Software; fachliche Beratung in Bezug auf die Softwareerstellung; Produktentwicklung für Dritte; Beratungsdienstleistungen bezüglich Produktentwicklung; Evaluation und Analyse von Produktentwicklung; Bereitstellung von Informationen im Bereich Produktentwicklung; technische Beratung in Bezug auf Produktentwicklung; ingenieurtechnische Forschung; Durchführung von Projektstudien auf dem Gebiet der IT“.
8
Die Markenstelle für Klasse 9 hat die Anmeldung mit Beschlüssen vom 11. März 2016 und vom 24. November 2016 wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) zurückgewiesen.
9
Zur Begründung ist ausgeführt, der Sachbegriff „Innovation“ bedeute im Englischen wie auch im Deutschen „Neuerung, Erneuerung, Neuheit“ und stelle – allgemein verständlich sowie betriebswirtschaftlich und managementbezogen – eine Zielvorgabe unternehmerischer Aktivitäten dar. Ob die ursprüngliche Bedeutung des englischen Wortes „Scrum“ im Sinn von „Gedränge” den inländischen Kreisen bekannt sei, könne dahinstehen. Denn das Element „Scrum“ habe nachweislich über diese ursprüngliche Bedeutung hinaus einen eigenen Sinngehalt im Bereich der Softwareentwicklung wie auch des Projektmanagements erhalten. Hier werde der Begriff zur Bezeichnung eines „agilen Prozesses“ eingesetzt, bei dem unter Ansatz der Grundhypothese, dass Fertigungs- und Entwicklungsprozesse vielfach so komplex seien, dass sich die einzelnen Phasen und Arbeitsschritte im Vorfeld nicht genau planen ließen, Entwicklerteams gebildet würden, die zusammen mit einem „Product Owner“ und einem „Scrum Master“ Zwischenergebnisse (Sprint Backlogs) definierten und im Rahmen von sog. Sprints abarbeiteten. Anhand dieser Zwischenergebnisse ließen sich die in Bezug auf den langfristigen Plan (Product Backlog) fehlenden Anforderungen und Lösungstechniken effizienter finden als durch eine abstrakte Klärungsphase. „Scrum“ betone dabei besonders das selbstorganisierte Entwicklerteam, welches während der Sprints ungestört von äußeren Einflüssen und eigenverantwortlich an den für diesen Zeitraum geplanten Anforderungen arbeiten könne, was häufig zu einer deutlichen Steigerung der Mitarbeitermotivation führe. Ausweislich der – auch vor dem Anmeldezeitpunkt datierenden – amtsseitigen Fundstellen beschränke sich das Thema der Agilität im Sinne von „Scrum“ dabei nicht auf die Bereiche Softwareentwicklung und/oder Projektmanagement, sondern sei als allgemeiner Trend auch im übergreifenden Bereich der Unternehmensführung angelangt.
10
Ausgehend hiervon beschreibe das Anmeldezeichen in seiner Gesamtheit einen auf Innovation ausgerichteten agilen Prozess unter Anwendung der „Scrum“-Methode. Dabei könne der agile Prozess als solcher bereits Innovation sein und/oder die agile Methode solle die (weitere) Innovation unterstützen, begleiten und fördern. Mit diesem Bedeutungsgehalt sei das Anmeldezeichen aber für alle beanspruchten Waren und Dienstleistungen beschreibend bzw. stehe zumindest in einem engen beschreibenden Bezug hierzu. Sämtliche in den Klassen 9 und 16 beanspruchten Waren seien neben ihrem Charakter als handelbare Güter einem gedanklichen Inhalt zugänglich und könnten sich inhaltlich-thematisch auf die Darstellung und Beschreibung eines „Innovation Scrum“ (bzw. eines solchen Scrum-Prozesses zur Verwirklichung von Innovation) beziehen. Für die Beratungs-, Entwicklungs- und Analysedienstleistungen der Klassen 35 und 42 bestehe ein enger sachlicher Zusammenhang mit dem Anmeldezeichen, weil sie den „Scrum“-Prozess begleiten, unterstützen und absichern oder auch Gegenstand eines Scrum-Innovationsprozesses sein könnten.
11
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
12
Sie trägt vor, zwar sei es zutreffend, dass „Innovation“ sowohl im Wirtschaftsverkehr als auch in der Werbesprache schon seit Jahren als Wertversprechen verwendet werde. Jedoch sei hinsichtlich des Bestandteils „Scrum“ fraglich, ob den beteiligten inländischen Verkehrskreisen die unmittelbare und im Vordergrund stehende Übersetzung des Wortes „Scrum“ im Sinne von „Gedränge“ überhaupt bekannt sei. Soweit die Markenstelle die Auffassung vertrete, dass der Begriff „Scrum“ bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung einen eigenen Sinngehalt im Bereich der Softwareentwicklung wie auch des Projektmanagements erhalten habe und zur Bezeichnung eines „agilen Prozesses“ eingesetzt werde, könne ein Bezug zu den einzelnen beanspruchten Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 35 und 42 allenfalls im Wege einer analysierenden Betrachtungsweise hergestellt werden. So müsse der Verkehr zunächst konkrete Vorstellungen darüber entwickeln, wie die Produktentwicklung von Waren und/oder Dienstleistungen tatsächlich in einem Unternehmen ablaufe und welche herkömmlichen Methoden dabei angewandt würden. Des Weiteren müssten die Verkehrskreise Schlussfolgerungen dahingehend ableiten, welche positiven Eigenschaften ein „Scrum Organisationsrahmen“ gegenüber der herkömmlichen Befehls- und Kontrollorganisation habe und welche besondere Wirkungsweise den so gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zukomme. Es seien daher hinsichtlich der einzelnen Waren und Dienstleistungen, mit denen sich die Markenstelle auch nicht hinreichend auseinandergesetzt habe, jeweils mehrere Gedankenschritte notwendig, was aber bereits die Unterscheidungskraft begründe.
13
Hilfsweise sei die Marke zumindest für die Dienstleistungen der Klasse 35 „Marketingberatungsdienste für Unternehmer; Unternehmensberatungsdienste in Bezug auf das Marketing; Analyse von Unternehmensstatistiken; Aufstellung von Kosten-Preisanalysen, Erstellung von Kostenanalysen“ und in Klasse 42 für „Ingenieurtechnische Forschung“ einzutragen, da der Gesamtbegriff Innovation Scrum in keinem unmittelbaren Sachbezug zu diesen Dienstleistungen stehe und sich eine beschreibende Bedeutung allenfalls im Rahmen einer analysierenden Betrachtung und im Wege mehrerer gedanklicher Zwischenschritte erschließe.
14
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
15
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 9 vom 11. März 2016 und vom 24. November 2016 aufzuheben.
16
Der Senat hat der Anmelderin mit der Terminsladung Rechercheergebnisse übersandt. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2019, welcher auf den von ihr hilfsweise gestellten Antrag anberaumt worden war, ist die Anmelderin, wie zuvor schriftlich angekündigt, nicht erschienen.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
18
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die angemeldete Marke ist für sämtliche beanspruchten Waren und Dienstleistungen wegen fehlender Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen; die Markenstelle hat die Anmeldung daher zu Recht zurückgewiesen (§ 37 Abs. 1 MarkenG).
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1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. EuGH GRUR 2015, 1198 (Nr. 59) – Kit Kat; GRUR 2012, 610 (Nr. 42) – Freixenet; GRUR 2008, 608 (Nr. 66) – EUROHYPO; BGH GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) – Sparkassen-Rot; GRUR 2015, 581 (Nr. 16) – Langenscheidt-Gelb; GRUR 2015, 173 (Nr. 15) – for you; GRUR 2014, 565 (Nr. 12) – smartbook; GRUR 2013, 731 (Nr. 11) – Kaleido; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) – Starsat, jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa EuGH GRUR 2015, 1198 (Nr. 59) – Kit Kat; GRUR 2014, 373 (Nr. 20) – KORNSPITZ; 2010, 1008, 1009 (Nr. 38) – Lego; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) – EUROHYPO; GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 – Standbeutel; BGH GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) – Sparkassen-Rot; GRUR 2016, 934 (Nr. 9) – OUI; GRUR 2015, 581 (Nr. 16) – Langenscheidt-Gelb; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2009, 949 (Nr. 10) – My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 29) – Stadtwerke Bremen; GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) – Sparkassen-Rot; GRUR 2015, 581 (Nr. 9) – Langenscheidt-Gelb; GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) – smartbook; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) – Starsat; GRUR 2012, 270 (Nr. 8) – Link economy). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 (Nr. 24) – Matratzen Concord/Hukla).
20
Hiervon ausgehend besitzen Marken insbesondere dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Nr. 15 – Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2013, 519 (Nr. 46) – Deichmann; GRUR 2004, 674 (Nr. 86) – Postkantoor; BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 30, 32) – Stadtwerke Bremen; 2014, 1204 (Nr. 12) – DüsseldorfCongress; GRUR 2012, 270 (Nr. 11) – Link economy; GRUR 2009, 952 (Nr. 10) – DeutschlandCard). Darüber hinaus kommt nach ständiger Rechtsprechung auch solchen Zeichen keine Unterscheidungskraft zu, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 32) – Stadtwerke Bremen; GRUR 2014, 1204 (Nr. 12) – DüsseldorfCongress; GRUR 2012, 1143 (Nr. 9) – Starsat; GRUR 2010, 1100 (Nr. 23) – TOOOR!; GRUR 2006, 850 (Nr. 28 f.) – FUSSBALL WM 2006).
21
2. Nach diesen Grundsätzen fehlt es dem Anmeldezeichen in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen an jeglicher Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Wie bereits die Markenstelle zutreffend dargelegt hat, hat die Wortfolge Innovation Scrum im vorliegenden Waren- und Dienstleistungszusammenhang einen unmittelbar erkennbaren beschreibenden Begriffsinhalt.
22
a) Dass der Begriff „Innovation“ im inländischen Wirtschaftsverkehr für die „Realisierung einer neuartigen technischen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders für die Einführung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Verfahrens“ steht und dass der Begriff in der Werbesprache schon seit vielen Jahren als Wertversprechen für „Erneuerung“ „Fortschritt“, „Revolution“ und zur Bewerbung „innovativer“ Produkte verwendet wird (vgl. schon BPatG PAVIS PROMA 24 W (pat) 17/10 – „Automatisierung als Innovation begreifen“), gesteht die Anmelderin selbst ausdrücklich zu.
23
b) Mit der Markenstelle kann es ferner dahingestellt bleiben, ob den beteiligten Verkehrskreisen die unmittelbare Bedeutung des englischen Wortes „Scrum“ (im Sinne von „Gedränge“) bekannt ist. Denn im Hinblick auf die hier relevanten Waren und Dienstleistungen wird sich dem angesprochenen Verkehr „Scrum“ unmittelbar und ohne Unklarheiten als bekannter und gebräuchlicher Fachbegriff zur Bezeichnung eines „agilen Arbeitsprozesses“ erschließen, vgl. hierzu etwa den der Anmelderin mit der Terminsladung übersandten Wikipedia-Eintrag zu „Scrum“:
24
„Scrum (aus englisch scrum für „[das] Gedränge“) ist ein Vorgehensmodell des Projekt- und Produktmanagements, insbesondere zur agilen Softwareentwicklung. Es wurde ursprünglich in der Softwaretechnik entwickelt, ist aber davon unabhängig. Scrum wird inzwischen in vielen anderen Bereichen eingesetzt. Es ist eine Umsetzung von Lean Development für das Projektmanagement.
25
Scrum besteht aus nur wenigen Regeln. Diese beschreiben vier Ereignisse, drei Artefakte und drei Rollen, die den Kern (oder englisch core) ausmachen. Die Regeln sind im Scrum Guide beschrieben, es gibt eine weitere Kurzdarstellung im Agile Atlas. Das Scrum-Framework muss durch Techniken für die Umsetzung der Ereignisse, Artefakte und Rollen konkretisiert werden, um Scrum tatsächlich umsetzen zu können. Der Kern von Scrum wurde von den Umsetzungstechniken getrennt, um einerseits die zentralen Elemente und Wirkungsmechanismen klar zu definieren, andererseits um große Freiheiten bei der individuellen Ausgestaltung zu lassen.
26
Der Ansatz von Scrum ist empirisch, inkrementell und iterativ. Er beruht auf der Erfahrung, dass viele Entwicklungsprojekte zu komplex sind, um in einen vollumfänglichen Plan gefasst werden zu können. Ein wesentlicher Teil der Anforderungen und der Lösungsansätze ist zu Beginn unklar. Diese Unklarheit lässt sich beseitigen, indem Zwischenergebnisse geschafft werden. Anhand dieser Zwischenergebnisse lassen sich die fehlenden Anforderungen und Lösungstechniken effizienter finden als durch eine abstrakte Klärungsphase. In Scrum wird neben dem Produkt auch die Planung iterativ und inkrementell entwickelt. Der langfristige Plan (das Product Backlog) wird kontinuierlich verfeinert und verbessert. Der Detailplan (das Sprint Backlog) wird nur für den jeweils nächsten Zyklus (den Sprint) erstellt. Damit wird die Projektplanung auf das Wesentliche fokussiert.“
27
Die weite Verbreitung und gängige Verwendung von „Scrum“ als Fachbegriff sowohl im Bereich der Informatik als auch in den Bereichen Unternehmensberatung, Consulting und Projektmanagement belegen die weiteren Rechercheergebnisse der Markenstelle und des Senats, die der Anmelderin zur Verfügung gestellt worden sind. Aus dem vorzitierten Wikipedia-Eintrag geht darüber hinaus hervor, dass die „Scrum“-Methodik bereits Anfang der 2000er Jahre entwickelt wurde, inländische Literatur hierzu datiert bereits auf 2007 (vgl. etwa Ken Schwaber: „Agiles Projektmanagement mit Scrum“, Microsoft Press Deutschland, 2007, zitiert nach Wikipedia, „Scrum“).
28
Ausweislich der weiteren Rechercheergebnisse des Senats wurde die „Scrum“-Methode dabei bereits seit langem – und deutlich vor dem Anmeldezeitpunkt – ausdrücklich als Methode der „Innovation“ beworben (vgl. die Google-Recherche zu den Stichworten „Scrum Innovation“, z. B.: „Scrum – Mögliche Anwendung als Innovationsprozess-Modell [6. November 2010]“; „Scrum – ein neuer Ansatz für Innovationsprozesse [20. Mai 2010]“, „Scrum in der Schule – Innovative Konzepte für Pädagogen [26. April 2015])“.
29
Ausgehend hiervon erschließt sich das Anmeldezeichen Innovation Scrum in seiner Gesamtheit den angesprochenen Verkehrskreisen unmittelbar in der von der Markenstelle festgestellten Bedeutung, nämlich im Sinne eines Sachhinweises auf einen auf Innovation ausgerichteten, agilen Prozess unter Anwendung der „Scrum Methode“ bzw. einen „Innovationsprozess Scrum“.
30
c) Daraus folgt, dass das Anmeldezeichen in der Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise und im vorliegenden Waren- und Dienstleistungszusammenhang in naheliegender und im Vordergrund stehender Weise als Sachhinweis bzw. als allgemeine Angabe mit engem beschreibendem Bezug verstanden wird.
31
Bei der in Klasse 9 beanspruchten Software („Software für grafische Benutzerschnittstelle; Softwarepakete; Software zum Verarbeiten von Bildern, Grafik und Text; Software“) kann es sich um spezifische (Projektmanagement-)Software zur Durchführung von Scrum-Projekten handeln (vgl. hierzu die Ergebnisse der Google-Recherche „Software für Scrum“, u. a.: „Scrum – Projektmanagement-Software [18. September 2014]“: „In Projectron BCS pflegen Sie ihre Scrum-Projekte digital und profitieren gleichzeitig vom kompletten Werkzeugkasten unserer Projektmanagement-Software“; „Scrum Software: Das sind die besten Tools [25. Juni 2015]“), so dass sich das Anmeldezeichen in einer Beschaffenheits- und Bestimmungsangabe erschöpft.
32
Die weiterhin in Klasse 9 beanspruchten Waren
33
„Aufgezeichnete Dateien; bespielte Medien; Datenbanken [elektronische]; auf Computermedien gespeicherte elektronische Veröffentlichungen; auf Computermedien gespeicherte elektronische Datenbanken; aus dem Internet herunterladbare digitale Bücher; Bedienungshandbücher in elektronischem Format; Bespielte CD-ROMs; Computerdokumentation in elektronischer Form; Bilddateien zum Herunterladen; E-Books; Elektronische Publikationen; herunterladbare elektronische Publikationen; herunterladbare elektronische Veröffentlichungen; herunterladbare Veröffentlichungen; interaktive DVDs; Schulungshandbücher in Form von Computerprogrammen; Schulungshandbücher in elektronischer Form“
34
sowie die Waren der Klasse 16
35
„Druckereierzeugnisse; Broschüren; Benutzerhandbücher; gedruckte Führer für den Lehrbetrieb; Diagramme; Handbücher für Anleitungszwecke; Schaubilder; Unterrichtsmaterialien in Papierform; Tagesordnungen [Druckereierzeugnisse]; Flussdiagramme [Druckereierzeugnisse]; gedruckte Computerprogramme [Druckereierzeugnisse]; Druckereierzeugnisse für Unterrichtszwecke“
36
weisen, wie bereits die Markenstelle zutreffend ausgeführt hat, neben ihrem Charakter als handelbare Güter auch einen bezeichnungsfähigen gedanklichen Inhalt auf und können sich inhaltlich-thematisch auf einen „Scrum Innovationsprozess“ beziehen (und zudem teilweise auch, wie z. B. Tagesordnungen, Diagramme etc., bei der Durchführung von Scrum-Projekten eingesetzt werden). Das Anmeldezeichen ist daher nach Art eines Sachtitels geeignet, diesen (möglichen) gedanklichen Inhalt der Waren und Dienstleistungen zu beschreiben, so dass ihm jegliche Unterscheidungskraft fehlt (vgl. BGH GRUR 2000, 882 – Bücher für eine bessere Welt; GRUR 2001, 1042 – REICH UND SCHOEN; 1043 – Gute Zeiten – Schlechte Zeiten; GRUR 2002, 1070 – Bar jeder Vernunft; GRUR 2003, 342 – Winnetou; siehe auch BPatG PAVIS PROMA 32 W (pat) 155/07 – Freizeit Revue).
37
Jegliche Unterscheidungskraft fehlt dem Anmeldezeichen ferner für die Dienstleistungen der Klasse 35
38
„Unternehmensberatung in Bezug auf Produktentwicklung; Analyse betriebswirtschaftlicher Systeme; Analyse von Betriebsführung; Analyse von Geschäftsdaten; Durchführung von betriebswirtschaftlichen Projektstudien für Unternehmen; Durchführung von Projektstudien für Unternehmen; Erstellen von betriebswirtschaftlichen Machbarkeitsstudien; Erstellen von Wirtschaftlichkeitsstudien bezogen auf Unternehmen; Erstellung von betriebswirtschaftlichen Projektstudien; Sammeln von statistischen Daten zur Verwendung in der wissenschaftlichen Forschung“
39
zumal es sich nach den Fundstellen der Markenstelle bei „Scrum“ gerade um einen im Bereich der Unternehmensberatung und Produktentwicklung weit verbreiteten Begriff zur Bezeichnung eines agilen Innovationsprozesses handelt. So werben beispielsweise Unternehmensberater/Consultingunternehmen ausdrücklich damit, dass sie „Scrum-Wissensvermittler“ seien (vgl. hierzu etwa Anlage 6 in der Amtsakte: „(…) mit agilen Methoden kommen Sie weiter, wir machen Sie und Ihr Unternehmen fit für Scrum“; „Scrum Coaching“).
40
Entgegen dem Vorbringen der Anmelderin, wonach das Anmeldezeichen „hilfsweise“ zumindest für die weiteren Dienstleistungen der Klasse 35 („Marketingberatungsdienste für Unternehmer; Unternehmensberatungsdienste in Bezug auf das Marketing“ sowie „Analyse von Unternehmensstatistiken, Aufstellung von Kosten-Preisanalysen, Erstellung von Kostenanalysen“) eintragungsfähig sei, bedarf es auch insoweit keiner analysierenden, mehrere differenzierende Gedankenschritte erfordernden Betrachtungsweise noch eines vertieften Nachdenkens, um den rein sachlichen Bezug zwischen dem angemeldeten Zeichen und den genannten Dienstleistungen zu erkennen und zu erfassen; vielmehr drängt sich auch insoweit ein Sachhinweis unmittelbar auf. Denn die „Analyse von Unternehmensstatistiken“ sowie die „Aufstellung von Kosten-Preisanalysen“ bzw. die „Erstellung von Kostenanalysen“ sind Teil der Unternehmensberatung und können jeweils im Rahmen eines innovativen Scrum-Prozesses sowie unter Verarbeitung von ihm Rahmen eines solchen Prozesses gewonnener Daten erfolgen. Ferner spielt ausweislich der der Anmelderin übersandten Rechercheergebnisse des Senats „Scrum“ als Innovationsmethode gerade auch im (digitalen) Marketing seit längerem eine Rolle (vgl. etwa die Fundstellen „Scrum im Marketing“ [24. Oktober 2013]; „Scrum – Digitales Marketing Wiki [26. Mai 2014]; „5 Methoden für agiles Projektmanagement im Marketing“), so dass das Anmeldezeichen auch für die auf Marketingberatung bezogenen Dienstleistungen der Klasse 35 keinen Herkunftshinweis beinhaltet, sondern ausschließlich beschreibend verstanden wird.
41
Die Dienstleistungen der Klasse 42
42
„Beratung auf dem Gebiet der Informationstechnologie; Softwareentwicklungsleistungen; Softwaredesign; kundenspezifische Softwareanpassung; Installation von Software; Softwareengineering für Datenverarbeitungsprogramme; Entwicklung von Software für Computer; Durchführung von Projektstudien bezüglich Software; Beratung auf dem Gebiet des Softwaredesigns; Beratung in Bezug auf Computer und Software; Dienstleistungen für die Gestaltung von Computer-Software; fachliche Beratung in Bezug auf die Softwareerstellung; Produktentwicklung für Dritte; Beratungsdienstleistungen bezüglich Produktentwicklung; Evaluation und Analyse von Produktentwicklung; Bereitstellung von Informationen im Bereich Produktentwicklung; technische Beratung in Bezug auf Produktentwicklung; ingenieurtechnische Forschung; Durchführung von Projektstudien auf dem Gebiet der IT“
43
beziehen sich wiederum exakt auf diejenigen Bereiche (Informationstechnologien, Software und Produktentwicklung), in denen die „Scrum“-Methode im Sinne eines agilen Innovationsprozesses zum Einsatz kommen kann. Soweit die Anmelderin in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, dass das Anmeldezeichen zumindest für die Dienstleistung „ingenieurtechnische Forschung“ eintragungsfähig sein müsse, übersieht ihr Vorbringen, dass auch Ingenieure – zumal darunter zu subsumierende „Software-Ingenieure“ – im Rahmen ihrer Forschung mit dem Entwurf und der Entwicklung spezieller Computersoftware befasst sein können (vgl. BPatG PAVIS PROMA 30 W (pat) 8/17 – COUVERT/COVERITY). Der weite Oberbegriff der „ingenieurtechnischen Forschung“ umfasst daher ohne Weiteres auch die Entwicklung spezifischer Technologie, insbesondere von spezieller Software, für einen „Scrum“-Innovationsprozess, so dass sich das Anmeldezeichen auch insoweit in einem Hinweis auf die Art und Bestimmung dieser Dienstleistung erschöpft.
44
3. Die Marke Innovation Scrum kann damit hinsichtlich sämtlicher beanspruchter Waren und Dienstleistungen ihre Hauptfunktion, nämlich den Verkehrskreisen die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu garantieren, nicht erfüllen. Sie ist deshalb nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen.
45
4. Demnach ist die Beschwerde zurückzuweisen.


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