Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “SELECTIVE/LINE (IR-Marke, Wort-Bild-Marke)” – keine Unterscheidungskraft

Aktenzeichen  26 W (pat) 96/12

Datum:
27.2.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 37 Abs 1 MarkenG
§ 107 MarkenG
§ 113 MarkenG
Art 5 Abs 1 MAbk Madrid
Art 6quinquies Abschn B Nr 2 PVÜ
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die IR-Marke 979 087
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 27. Februar 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie der Richter Reker und Hermann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Mit den angefochtenen Beschlüssen hat die Markenstelle für Klasse 21 IR des Deutschen Patent- und Markenamts der international registrierten Marke IR 979 087
2
für die Waren- und Dienstleistungen:
3
Class 16:
4
Printed matter, namely newspapers, periodicals, books, booklets, ledgers, catalogues, collections, manuals, instructional and teaching material (except apparatus) related to glass packaging; photographs.
5
Class 21:
6
Bottles, pots, jars, flasks, not of precious metal; glassware namely bottles, pots, jars and flasks not of precious metal; glazing materials for decoration; opaque or translucent enamelled glass, lacquered glass, glass produced by silkscreen printing, stained glass, patterned glass, unworked or semiworked glass (except building glass).
7
Class 40:
8
Treatment of materials, namely colouring of glass and screen printed packaging
9
nach vorangegangener Beanstandung den Schutz für die Bundesrepublik Deutschland verweigert.
10
Zur Begründung hat sie ausgeführt, dem Zeichen fehle das notwendige Mindestmaß an Unterscheidungskraft. Der angesprochene Verkehr werde die IR-Marke ohne analysierende Überlegungen als werbeübliche Anpreisung oder als Qualitätshinweis werten. In dem Begriff „line“ erkenne der inländische Verbraucher den werbesprachenüblichen Hinweis auf eine Produktlinie bzw. Produktreihe, dem vorangestellten Adjektiv „selective“ entnehme er die nähere Beschreibung bzw. die Konkretisierung der Produktreihe. Hierbei sei zu beachten, dass auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die Waren oder Dienstleistung selbst nicht betreffen, eine (hinreichende) Unterscheidungskraft fehle, wenn durch diese Angaben ein enger beschreibender Bezug zu den beanspruchten Waren bzw. Dienstleistungen hergestellt werde und damit die Annahme gerechtfertigt sei, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt als solchen ohne Unklarheiten erfasst und darin kein Unterscheidungsmittel für die Herkunft der beanspruchten Waren und Dienstleistungen sehe. Die Wortzusammensetzung „SELECTIVE/ LINE“ werde ohne Weiteres dahingehend verstanden, dass es sich bei den beanspruchten Waren und Dienstleistungen um solche handele, die mit einer ausgewählten Produktlinie zu tun haben oder der Herstellung solcher Produkte dienen. Der Markenbegriff enthalte keinen Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen, sondern beschreibe vielmehr Art und Thema der beanspruchten Waren und Dienstleistungen, nämlich dass sie zu einer ausgewählten Produktlinie gehören, diese thematisieren oder der Herstellung von Produkten dieser Linie dienen, wobei der angesprochene Verkehr von der für ihn naheliegenden Bedeutung ausgehe. Der Begriff treffe in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen eine sinnvolle Aussage, womit er eindeutig sei und keiner Interpretation bedürfe. Die grafische Ausgestaltung sei werbeüblich und vermöge der in Rede stehenden Marke keine Schutzfähigkeit zu verleihen.
11
Die verwendete Begriffskombination weise insgesamt eine im Vordergrund stehende Werbewirkung auf, welche einen Sachhinweis auf eine besondere, etwa gewissenhafte, Arbeitsweise enthalte. Ein neuer, über die bloße Summe der beschreibenden Bestandteile hinausgehender Begriff entstehe nicht. Die von der Markeninhaberin zitierten Schutzgewährungen in anderen europäischen Ländern ergäben kein Recht auf Schutzgewährung.
12
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Sie hält das Anmeldezeichen mit dem Argument für unterscheidungskräftig, dass der maßgebliche inländische Verkehr dem Zeichen allenfalls durch mehrere Gedankenschritte die von der Markenstelle angenommene Beschreibung entnehme. Außerdem seien die Voreintragungen zu berücksichtigen. Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
13
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 21 IR vom 6. Juli 2012 und 3. September 2012 aufzuheben.
II.
14
Die gemäß § 66 Abs. 1, 2 MarkenG zulässige Beschwerde ist unbegründet, da der angemeldeten Marke im Hinblick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG), wie die Markenstelle zutreffend ausgeführt hat.
15
Unterscheidungskraft i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG bedeutet die Eignung einer Marke, die mit ihr beanspruchten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie dadurch von denen anderer Anbieter für den Verkehr unterscheidbar zu machen (vgl. BGH GRUR 2006, 850, 854 – FUSSBALL WM 2006). Auch wenn eine Marke zusätzlich noch weitere Funktionen haben kann, wie etwa eine Werbefunktion, muss sie in jedem Fall (zumindest auch) diese Herkunftsfunktion ausüben können. Ist dies nicht der Fall, widerspricht es dem Allgemeininteresse, das Zeichen durch seine Eintragung ins Register zugunsten eines Anmelders zu monopolisieren und der Nutzung durch die Allgemeinheit dauerhaft zu entziehen (vgl. EuGH GRUR 2004, 943, 944, Rdn. 26 – SAT.2). Die Beurteilung, ob das angemeldete Zeichen eine Herkunftsfunktion erfüllen kann, erfolgt im Hinblick auf die mutmaßliche Wahrnehmung derjenigen Verkehrskreise, in denen die angemeldete Marke Verwendung finden oder Auswirkungen haben kann – im vorliegenden Fall die allgemeinen Endverbraucherkreise ebenso wie fachkundige Nachfrager und Branchenbeteiligte (vgl. hierzu Ströbele in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Aufl., § 8, Rdn. 64 ff.). Trotz Anlegung des gebotenen, großzügigen Prüfungsmaßstabs geht die höchstrichterliche Rechtsprechung insoweit davon aus, dass beschreibenden Sachangaben und produktbezogenen Anpreisungen in der Regel die erforderliche Unterscheidungskraft fehlt. Eine unmittelbar beschreibende Bedeutung eines Markenworts ist jedoch nicht der einzige mögliche Grund für das Fehlen von Unterscheidungskraft (vgl. EuGH GRUR 2004, 674 – Postkantoor; BGH WRP 2010, 891, Rdn. 13 f. – hey!). Vielmehr kann einer Anmeldemarke die Unterscheidungskraft auch aus anderen Gründen abzusprechen sein, etwa wenn die angesprochenen Verbraucher sie nur als eine allgemein verständliche, positiv besetzte Werbeaussage auffassen werden (vgl. hierzu BGH GRUR 2009, 778, Rdn. 16 – Willkommen im Leben, Ströbele/ Hacker, MarkenG, § 8 Rn. 170). Beides ist hier im Zusammenhang mit allen beanspruchten Waren und Dienstleistungen der Fall.
16
Die in Rede stehende IR-Marke besteht aus der Wortkombination „SELECTIVE/ LINE“ in weißer bzw. grauer Schrift, welche in einem schwarz gefüllten Rechteck eingebettet liegt. Die zugrunde liegenden Begriffe entstammen dem englischen Grundwortschatz und sind damit dem angesprochenen inländischen Verkehrskreis ohne weiteres verständlich. Das Wort „SELECTIVE“ als Adjektiv ist je nach Verwendung mit „wählerisch, anspruchsvoll“ (z. B. selective reader, selective shopper, Quelle: www.pons.eu – PONS Online-Wörterbuch), „ausgewählt“ oder „gezielt“ (z. B. selective agent – gezielt wirkender Wirkstoff, Quelle: www.pons.eu – PONS Online-Wörterbuch) zu übersetzen. Das zweite Wort „LINE“ ist als „Linie“ zu übersetzen und bezeichnet im geschäftlichen inländischen Verkehr durchaus eine Produkt- oder Sortimentslinie bzw. -serie. Der Anmelderin ist zuzugeben, dass Produktlinie korrekt ins Englische übersetzt „line of products“ heißen würde. Das ändert indessen nichts an der zutreffenden Auffassung der Markenstelle, dass das „LINE“ als Linie im relevanten Zusammenhang nächstliegend als „ausgewählte Linie von Waren oder Dienstleistungen“ verstanden werden wird. Aufgrund des Schrägstriches wird der Verkehr die Wortkombination als Zusammenfügung der beiden Bestandteile auffassen, ohne analysierend tätig werden zu müssen. In Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen muss daher davon ausgegangen werden, dass der angesprochene Verkehrskreis in der „ausgewählten/ gezielten Produktlinie“ bzw. der „wählerischen/anspruchsvollen Produktlinie“ produktbezogene oder dienstleistungsbezogene Qualitätseigenschaften und keine betriebskennzeichnende Angabe erkennt. Aufgrund ihrer allgemeinen und breiten Bedeutung ist die Wortkombination geeignet, die Eigenschaft einer beliebigen Ware und Dienstleistung zu kennzeichnen. Insbesondere in Bezug auf die beanspruchten Waren der Klasse 21, also im Wesentlichen diverse Glaswaren, kann die Wortkombination „SELECTIVE/LINE“ Waren von besonderer Güte erwarten lassen, also etwa Glaswaren, welche eine ausgewählte/gezielte oder anspruchsvolle Verarbeitung oder Form aufweisen. Analoges gilt für die beanspruchten Waren der Klasse 16, also im Wesentlichen Druckerzeugnisse, die besonders ausgewählt für die Zielgruppe sind oder sich an ein besonders wählerische Verbraucher wenden, sei es in Gestaltung, Inhalt etc. Für die beanspruchten Dienstleistungen der Klasse 40, also im Wesentlichen die Behandlung von Materialien, nämlich unter anderem Färben von Gläsern, wird der Verkehrskreis in der Marke eine entsprechend ausgewählte/gezielte/anspruchsvolle Verarbeitung erwarten, welche zu entsprechend hochwertigen bzw. besonderen Produkten führt, aber keinen Herkunftshinweis erkennen. Der angesprochene Verkehr ist außerdem an die Verwendung im Wege der Übersetzung gleicher oder ähnlicher Wortfolgen gewöhnt. Wie aus der Anlage zu dem Erinnerungsbeschluss ersichtlich, wird die Bezeichnung „ausgewählte Produktlinie“ als Sachhinweis auf eine besondere Produktlinie von anderen Betrieben als der Beschwerdeführerin für eine Vielzahl von Waren verwendet. Da die angesprochenen Verkehrskreise auch nicht nur ein Unternehmen erwarten, welches Waren und Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer „ausgewählten Produktlinie“ anbietet, kann die zur Eintragung erforderliche Unterscheidungskraft nicht begründet werden.
17
Auch die Auffassung der Markenstelle, dass der grafische Bestandteil des Zeichens der angemeldeten Marke in ihrer Gesamtheit nicht zur Schutzfähigkeit führt, begegnet keinen Bedenken.
18
Zwar kann einer Wortelemente enthaltenden Bildmarke unbeschadet der fehlenden Unterscheidungskraft der Wortelemente als Gesamtheit Unterscheidungskraft zugesprochen werden, wenn die grafischen Elemente ihrerseits charakteristische Merkmale aufweisen, in denen der Verkehr einen Herkunftshinweis sieht (vgl. BGH GRUR 1991, 136 – New Man). Hierzu vermögen allerdings einfache grafische Gestaltungen oder Verzierungen des Schriftbilds, an der sich der Verkehr etwa durch häufige werbemäßige Verwendung gewöhnt hat, eine fehlende Unterscheidungskraft der Wörter ebenso wenig aufzuwiegen, wie derartige einfache grafische Gestaltungselemente auch für sich wegen fehlender Unterscheidungskraft nicht als Marke eingetragen werden könnten (BGH GRUR 2000, 502 – Sankt Pauli Girl, GRUR 2001, 413 – Swatch; GRUR 2001, 1153 – anti Kalk). Daher wäre vorliegend angesichts der in den Wortelementen enthaltenen, glatt beschreibenden Angabe über das Waren- und Dienstleistungsangebot der Anmelderin ein auffallendes, werbeunübliches Hervortreten des grafischen Elementes erforderlich gewesen, um sich dem Verkehr als Herkunftshinweis einzuprägen. Eine herkunftskennzeichnende Eigenart der grafischen Elemente kann aber dem werbeüblich gestalteten Schriftbild/Layout nicht beigemessen werden. Die oben beschriebene Schrift weist keine untypischen oder originellen Ausgestaltungen auf, so dass die Ausgestaltung innerhalb der Kombinationsmarke nicht als eigenständiger betrieblicher Herkunftshinweis neben den schutzunfähigen Angaben aufgefasst werden wird. Vielmehr ist auch der Senat der Überzeugung, dass sich die bildliche Darstellung hier im Rahmen dessen hält, was gerade auf dem Gebiet der Werbung üblich ist, ohne dass eine betrieblich individualisierende Wirkungsweise dem Gesamtzeichen beigemessen werden könnte.
19
Insgesamt betrachtet kann aufgrund der obigen Ausführungen der IR-Marke keine Unterscheidungskraft i. S. v. § 8 II Nr. 1 MarkenG zugesprochen werden.
20
Soweit sich der Markeninhaber auf die Schutzgewährung anderenorts beruft, ändert dies nichts an der fehlenden Schutzfähigkeit für die hier zu beurteilende Marke. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verbietet die Markenrechtsrichtlinie es den nationalen Eintragungsbehörden und den mit der Markeneintragung befassten nationalen Gerichten, bei Bestehen eines Eintragungshindernisses dem Eintragungsbegehren allein deshalb stattzugeben, weil bereits identische oder vergleichbar gebildete Marken für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragen sind (vgl. EuGH, GRUR 2009, 667, 668 [Rz. 15 ff.] – Bild.T-Online.de). Wie die Markenstelle zutreffend ausführt ist für die Unterscheidungskraft nur die Auffassung der inländischen Verkehrskreise maßgeblich, wobei auch innerhalb der EU von Mitgliedsland zu Mitgliedsland durchaus unterschiedliche Verkehrsauffassungen zu einzelnen Angaben und Zeichen bestehen können.
21
Aus diesen Gründen war die Beschwerde zurückzuweisen.


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