Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Stadtwerke Braunschweig” – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis – keine Täuschungsgefahr

Aktenzeichen  26 W (pat) 540/12

Datum:
12.2.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG
§ 8 Abs 2 Nr 4 MarkenG
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2012 009 867.3
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 12. Februar 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie der Richter Reker und Dr. Himmelmann
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Mai 2012 aufgehoben.

Gründe

I
1
Die Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung der für die Waren und Dienstleistungen
2
Klasse 35: Erfassung des Energieverbrauchs von Nutzern von Energieversorgungseinrichtungen und -anlagen
3
Klasse 36: Abrechnung des Energieverbrauchs von Nutzern von Energieversorgungseinrichtungen und -anlagen
4
Klasse 37: Bau, Installation. Wartung und Reparatur von Energieversorgungseinrichtungen und -anlagen
5
Klasse 39: Transport und Verteilung von Elektrizität. Gas. Heizwärme (Nah- und Fernwärme), Wasser. insbesondere Trinkwasser und Abwasser, Versorgung von öffentlichen Einrichtungen. Gewerbebetrieben. Kommunen und privaten Haushalten mit Energie. insbesondere Elektrizität. Gas, Heizwärme (Nah- und Fernwärme) und Wasser
6
Klasse 40: Erzeugung von Energie. insbesondere Elektrizität. Gas. Heizwärme (Nah- und Fernwärme) und Wasser; Wasserbehandlung. insbesondere Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser
7
Klasse 42: technische Beratungsdienstleistungen im Energiebereich; technische Planung und Konstruktionsplanung von Energieversorgungseinrichtungen und -anlagen
8
bestimmten Marke
9
Stadtwerke Braunschweig
10
mit Beschluss vom 15. Mai 2012 wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen (§ 37 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).
11
Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, der angemeldeten Marke fehle für die in der Anmeldung beanspruchten Dienstleistungen die Eignung, im Verkehr als betriebliches Unterscheidungskennzeichen zu dienen, weil sie in unmittelbar beschreibender Weise nur auf die Herkunft dieser Dienstleistungen aus einem Versorgungsunternehmen hinweise, dessen Sitz die Stadt Braunschweig sei bzw. dessen Geschäftstätigkeit auf die Stadt Braunschweig konzentriert sei. Angesichts dieses deutlich erkennbaren beschreibenden Begriffsgehalts werde der Verkehr in der Angabe “Stadtwerke Braunschweig” nur eine beschreibende Sachaussage im zuvor genannten Sinne sehen. Die Beurteilung der Unterscheidungskraft hänge nicht von der Person der Markenanmelderin ab, so dass deren mögliche Monopolstellung in diesem Zusammenhang unerheblich sei. Ebenso wenig könne die Unterscheidungskraft mit dem Argument begründet werden, der Verkehr habe sich im Hinblick auf die bisherige Benutzung der angemeldeten Marke daran gewöhnt, in dieser Marke einen betrieblichen Herkunftshinweis zu sehen. Solche Entwicklungen bei der Wahrnehmung eines von Haus aus nicht unterscheidungskräftigen Zeichens seien vielmehr ausschließlich unter den Voraussetzungen der Verkehrsdurchsetzung gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG zu würdigen und zu berücksichtigen. Auch aus der Eintragung anderer ähnlicher Marken, wie der Marke “Stadtwerke Dachau” (BPatG PAVIS PROMA 27 W (pat) 166/09), könne die Anmelderin keinen Anspruch auf Eintragung ableiten, zumal die Schutzfähigkeit von Marken, die aus dem Begriff “Stadtwerke” und einer geographischen Angabe gebildet seien, durch die Senate des Bundespatentgerichts unterschiedlich beurteilt werde und diesbezüglich eine höchstrichterliche Entscheidung nicht vorliege.
12
Dagegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde, zu deren Begründung sie sich auf ihre Ausführungen gegenüber der Markenstelle sowie auf den Beschluss des 27. Senats des BPatG zu der Markenanmeldung “Stadtwerke Augsburg” (PAVIS PROMA 27 W (pat) 83/12) bezieht. Gegenüber der Markenstelle hat die Anmelderin die Auffassung vertreten, dass bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft einer Marke gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ein großzügiger Maßstab anzulegen sei und die angemeldete Marke nur dann zurückzuweisen sei, wenn sie in ihrer Gesamtheit und nicht etwa in Bezug auf ihre Einzelbestandteile schutzunfähig sei. Bei Anlegung dieses Maßstabs weise die angemeldete Marke die erforderliche Unterscheidungskraft für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen auf. Der Begriff “Stadtwerke” stelle zwar einen gebräuchlichen Begriff dar, der üblicherweise ein kommunales Unternehmen oder einen gemeindenahen Betrieb bezeichne. Die Kombination dieses Begriffes mit einer geographischen Angabe werde allerdings im Kontext mit einer geographischen Angabe als ein betriebliches Unterscheidungsmittel verstanden. Dem Verkehr sei bekannt, dass der Begriff “Stadtwerke Braunschweig” nicht irgendeinen beliebigen Anbieter im Bereich der Grundversorgung mit Strom, Wasser, Gas und Abwasserversorgung bezeichne, sondern einen ganz bestimmten Anbieter. Dieses Verkehrsverständnis sei darauf zurückzuführen, dass es in jedem Ort, der über ein “Stadtwerk” verfüge, jeweils nur ein solches gebe, auch wenn es daneben in der Wahrnehmung des Verkehrs durchaus auch privatwirtschaftliche Betriebe geben könne.
13
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
14
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Mai 2012 aufzuheben.
II
15
Die gemäß § 64 Abs. 6 S. 1 i. V. m. § 66 Abs. 1 u. 2 MarkenG zulässige Beschwerde der Anmelderin ist begründet. Der Eintragung der angemeldeten Marke für die mit der Anmeldung beanspruchten Dienstleistungen steht das von der Markenstelle im angegriffenen Beschluss angenommene Schutzhindernis fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) nicht entgegen.
16
Unterscheidungskraft im Sinne dieser Bestimmung ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, als betriebliches Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen der Anmeldung zu dienen und die betreffenden Waren und Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die Unterscheidungskraft ist im Hinblick auf die beteiligten Verkehrskreise zu beurteilen. Dabei ist auf die Wahrnehmung der Marke durch einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen (EuGH GRUR 2004, 428 – Henkel; BGH GRUR 2006, 850 – FUSSBALL WM 2006).
17
Hiervon ausgehend ist die Wortabfolge “Stadtwerke Braunschweig” dazu geeignet, einen einzelnen Betrieb zu spezifizieren und damit zur Kennzeichnung der Herkunft von Waren und Dienstleistungen aus einem einzelnen Betrieb zu dienen. Ihr Bestandteil “Stadtwerke” ist zwar ein gebräuchlicher und im Allgemeinverkehr bekannter Begriff, mit dem ein Wirtschaftsbetrieb bezeichnet wird, der sich in kommunaler Trägerschaft befindet und sich um die Versorgung der Bevölkerung, insbesondere mit Strom, Wasser und Gas, und/oder um die Abfall- und Abwasserentsorgung kümmert. Für sich genommen fehlt es diesem Begriff an der Eignung auf ein bestimmtes, einzelnes Unternehmen hinzuweisen und damit an der erforderlichen Unterscheidungskraft, da es eine Vielzahl von Stadtwerken in verschiedenen deutschen Städten gibt. Das Gleiche gilt für das Wort “Braunschweig” allein, das im Verkehr als Herkunfts- und Erbringungsort von Waren und Dienstleistungen verstanden wird. Bei einer mehrteiligen Kombinationsmarke kommt es jedoch nicht auf die Schutzfähigkeit der einzelnen Markenteile, sondern auf die Schutzfähigkeit der Marke in ihrer Gesamtheit an. Deshalb darf aus der fehlenden Unterscheidungskraft der einzelnen Bestandteile einer Marke nicht ohne weiteres auch für die Kombinationsmarke ein Schutzhindernis i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG hergeleitet werden (EuGH GRUR 2004, 943 – SAT.2; BGH GRUR 2008, 1002 – Schuhpark). Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft einer aus mehreren Bestandteilen bestehenden Marke stellt sich vielmehr stets die Frage, ob sich aus der – möglicherweise subjektiven – Sicht der angesprochenen Verkehrskreise die Kombinationsmarke in der bloßen Aneinanderreihung nicht unterscheidungskräftiger Angaben erschöpft oder einen darüber hinausgehenden, herkunftshinweisenden Gesamteindruck vermittelt (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Auflage, § 8 Rdn. 150). Letzteres ist bei der angemeldeten Marke der Fall.
18
Die Verbindung des Begriffs “Stadtwerke” mit einem Städtenamen – hier Braunschweig – wird von den angesprochenen Verkehrskreisen als betriebliches Unterscheidungskennzeichen verstanden (ebenso bereits: BPatG PAVIS PROMA 27 W (pat) 166/09 – Stadtwerke Dachau; 27 W (pat) 83/12 – Stadtwerke Augsburg); denn der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher weiß auf Grund einer langjährigen Verkehrsübung, dass Stadtwerke in kommunaler Trägerschaft bzw. Verantwortung stehen und es in jeder deutschen Stadt nur ein einziges Unternehmen mit der Bezeichnung “Stadtwerke” in kommunaler Trägerschaft gibt, das unter dieser Bezeichnung in Verbindung mit dem Namen der betreffenden Stadt firmiert und im geschäftlichen Verkehr auftritt. Wegen dieser Besonderheit kann die Kombination des Begriffs “Stadtwerke” mit einem Städtenamen auch nicht mit Kombinationsmarken gleichgesetzt werden, die aus Bezeichnungen wie “Wasserwerk” oder “Elektrizitätswerk” und dem Namen einer Stadt bestehen, da solche Werke – anders als Stadtwerke – auch in anderer als städtischer Trägerschaft stehen können und es folglich an ein und demselben Ort mehrere solcher Unternehmen geben kann.
19
Für die Beurteilung der Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG kommt es entgegen der Begründung des angegriffenen Beschlusses der Markenstelle auch nicht darauf an, ob die Anmelderin in Braunschweig gegenwärtig eine Monopolstellung hat. Zwar ist es angesichts der Privatisierungstendenzen im kommunalen Bereich und angesichts der Liberalisierung des Energiemarkts nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft in Braunschweig weitere Anbieter von Daseinsvorsorge-Leistungen auf dem Markt auftreten. Stadtwerke kommunaler Träger stehen dazu jedoch nur wirtschaftlich, nicht jedoch in der Namensgebung in Konkurrenz, weil die Bezeichnung “Stadtwerke” die kommunale Trägerschaft zum Ausdruck bringt (BPatG a. a. O. – Stadtwerke Dachau bzw. Stadtwerke Augsburg) und es nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen (BGH GRUR 2007, 1079 – Bundesdruckerei) zudem wettbewerbswidrig wäre, die Bezeichnung “Stadtwerke” ohne eine Trägerschaft durch eine Kommune zu verwenden.
20
Auch der inländische Verkehr wird den Begriff “Stadtwerke” – unabhängig von gesetzlichen Vorschriften – stets nur so verstehen, dass der Träger eines so bezeichneten Unternehmens eine Stadt ist. Dass Stadtwerke ihre Leistungen unterdessen auch in verschiedenen Gebietskörperschaften anbieten, hindert die Verbraucher ebenfalls nicht daran, den Begriff “Stadtwerke”, sofern er mit einer bestimmten geographischen Angabe benutzt wird, einem einzelnen kommunalen Unternehmen zuzuordnen, weil sie annehmen werden, das so bezeichnete Unternehmen (etwa einer benachbarten Stadt) übernehme auch die Versorgung in Hoheitsgebieten anderer Kommunen und trage insoweit die Verantwortung. Die Zurückweisung der angemeldeten Marke wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) kann daher rechtlich keinen Bestand haben.
21
Wegen weiterer Eintragungshindernisse hat die Markenstelle die angemeldete Marke weder zurückgewiesen noch beanstandet. Insoweit hat auch der Senat keinen Anlass für eine Nachbeanstandung der Anmeldung gesehen, da es sich bei dem Bestandteil “Stadtwerke” der angemeldeten Marke und damit auch bei der angemeldeten Marke insgesamt nicht um eine Angabe handelt, die zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Bestimmung, der geographischen Herkunft oder sonstiger Eigenschaften der beanspruchten Dienstleistungen dienen kann (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG), sondern die die Art eines Unternehmens bezeichnet, und die angemeldete Marke auch nicht ersichtlich zur Täuschung des Verkehrs geeignet ist (§§ 8 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 3 MarkenG), da es sich bei der Anmelderin um ein in der Stadt Braunschweig ansässiges Versorgungsunternehmen handelt, das ganz oder mehrheitlich im Eigentum der Stadt Braunschweig stehen und in privatrechtlicher Form, aber unter der Einwirkungsmöglichkeit und – zumindest mittelbaren – Verantwortung der Stadt Braunschweig die mit der Markenanmeldung beanspruchten Versorgungsdienstleistungen erbringen kann, so dass die Möglichkeit einer nicht irreführenden Benutzung der Marke besteht.


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