Patent- und Markenrecht

Patentbeschwerdeverfahren – “Axiale Wellenabdichtung” – gemäß dem allgemeinen Teil der Beschreibung können unterschiedliche Typen von Dichtungselementen zur Bildung einer Dichtungsanordnung eingesetzt werden – keine Einschränkung der Ausbildung eines Dichtungselements bei einer Turbomaschine als Bürstendichtung durch ein exemplarisches Ausführungsbeispiel mit einer Bürstendichtung

Aktenzeichen  11 W (pat) 20/19

Datum:
9.9.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:090919B11Wpat20.19.0
Normen:
§ 38 PatG
Spruchkörper:
11. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2011 051 650.6
hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 9. September 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Höchst sowie der Richter Eisenrauch, Dipl.-Ing. Wiegele und Dipl.-Ing. Gruber
beschlossen:
Auf die Beschwerde wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F01D des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 2. Mai 2019 aufgehoben und das Patent 10 2011 051 650 mit den Patentansprüchen 1 bis 5 gemäß Schriftsatz vom 22. Februar 2019, eingegangen am 25. Februar 2019, und den Beschreibungsseiten 1 bis 8 gemäß Schriftsatz vom 2. August 2019, sowie mit den ursprünglichen, am Anmeldetag eingereichten Zeichnungen, Figuren 1 und 2, erteilt. Das Patent trägt die Bezeichnung „Turbomaschine“.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 2. Mai 2019 hat die Prüfungsstelle für Klasse F01D des Deutschen Patent- und Markenamtes den aus der am 10. Januar 2013 offengelegten Patentanmeldung vom 7. Juli 2011 mit der Bezeichnung
2
„Axiale Wellenabdichtung“
3
hervorgegangenen Hauptantrag zurückgewiesen und aufgrund des Hilfsantrags ein Patent erteilt. Die Prüfungsstelle hat ihre Entscheidung damit begründet, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht den Anforderungen des § 38 PatG genüge, d. h. unzulässige Erweiterungen über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung enthalte.
4
Gegen die Zurückweisung ihres Hauptantrages wendet sich die Beschwerde der Anmelderin.
5
Auf einen Hinweis des Senats hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 2. August 2019 eine überarbeitete Beschreibung eingereicht.
6
Konkludent beantragt sie,
7
den Beschluss der Prüfungsstelle F01D vom 2. Mai 2019 aufzuheben und das Patent mit Patentansprüchen gemäß Hauptantrag vom 22. Februar 2019, eingegangen am 25. Februar 2019, Beschreibungsseiten 1 bis 8 vom 2. August 2019 sowie den Figuren vom Anmeldetag zu erteilen.
8
Im Prüfungsverfahren wurden die in der ursprünglich eingereichten Beschreibung der Anmeldung genannten Druckschriften
9
DE 10 2004 041 439 A1
10
EP 1 281 836 B1
11
DE 10 2006 049 516 B3 sowie
12
die weiteren von der Prüfungsstelle genannten Druckschriften
13
D1 DE 10 2010 064 061 A1
14
D2 US 2010/0215506 A1
15
D3 JP 2009-236068 A
16
D4 US 5,297,928 A
17
D5 DE 20 2005 006 522 U1
18
D6 US 6,164,655 A
19
D7 US 7,252,474 B2
20
in Betracht gezogen.
21
Der nach dem zurückgewiesenen Hauptantrag geltende Patentanspruch 1 hat in einer gemäß angefochtenem Beschluss gegliederten Fassung folgenden Wortlaut:
22
M1 Turbomaschine mit einer in einem Wellengehäuse (1) gelagerten Rotorwelle (2), zumindest einem an einem Wellenende der Rotorwelle (2) in einem Laufradgehäuse (5) angeordneten Radiallaufrad (4) und mit einer Dichtungsanordnung (9) zwischen einem Strömungsquerschnitt (7) des Laufradgehäuses (5) und einem die Rotorwelle (2) innerhalb des Wellengehäuses (1) umgebenden Freiraum (8),
23
M2 wobei die Dichtungsanordnung (9) mehrere voneinander beabstandete Dichtungselemente (10A, 10B, 10C) aufweist, um den Strömungsquerschnitt (7) von dem Freiraum (8) zu trennen und um Fluidströmungen durch das Wellengehäuse (1) zu vermeiden,
24
M3 wobei die gesamte Dichtungsanordnung (9) mit ihren Dichtungselementen (10A, 10B, 10C) an einem radialen Spalt (11) angeordnet ist, wodurch axiale Abschnitte der Rotorwelle (2) frei von Dichtungen sind,
25
M4 wobei an zumindest einer zwischen den Dichtungselementen (10A, 10B, 10C) gebildeten Zwischenkammer (14) eine Anschlussöffnung zur Zuführung eines Sperrgases oder zur Abführung eines Leckagegases vorgesehen ist und
26
M5 dass die Dichtungsanordnung (9)
27
a) zumindest ein Dichtungselement (10C) in Form einer Bürstendichtung und/oder
28
b) zumindest ein Dichtungselement in Form einer Gleitringdichtung (10A) aufweist,
29
M6 wobei die einander zugeordneten Dichtflächen der Bürstendichtung (10C) bzw. der Gleitringdichtung (10A) senkrecht zu der Achse der Rotorwelle (2) ausgerichtet sind und
30
M7 wobei der radiale Spalt (11) durch eine stufenförmige Ausgestaltung in Spaltabschnitte (11A, 11B, 11C) aufgeteilt ist und an jedem Spaltabschnitt (11A, 11B, 11C) ein Dichtungselement (10A, 10B, 10C) angeordnet ist.
31
Wegen des Wortlauts der geltenden nachgeordneten Ansprüche 2 bis 5, wegen weiterer Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens wird auf die Akten verwiesen.
II.
32
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
33
1. Die beanspruchte Turbomaschine gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag vom 22. Februar 2019 ist in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart.
34
Die Patentanmeldung betrifft eine Turbomaschine mit einer in einem Wellengehäuse gelagerten Rotorwelle, zumindest einem an einem Wellenende der Rotorwelle in einem Laufradgehäuse angeordneten Radiallaufrad und mit einer Dichtungsanordnung zwischen einem Strömungsquerschnitt des Laufradgehäuses und einem die Rotorwelle innerhalb des Wellengehäuses umgebenden Freiraum, wobei die Dichtungsanordnung mehrere voneinander beabstandete Dichtungselemente aufweist, um den Strömungsquerschnitt von dem Freiraum zu trennen (vgl. Oberbegriff des ursprünglichen Patentanspruchs 1 und jeweils 1. Absatz der ursprünglichen sowie der geltenden Beschreibung).
35
Weiterhin ist in der Beschreibung (vgl. 2. Absatz der ursprünglichen sowie der geltenden Beschreibung) ausgeführt, bei Turbomaschinen sei zwischen den Strömungsquerschnitten des Laufradgehäuses einerseits und dem Freiraum innerhalb des Wellengehäuses andererseits üblicherweise eine an einem axialen Wellenabschnitt angeordnete Dichtungsanordnung vorgesehen, um u. a. unerwünschte Fluidströmungen durch das Wellengehäuse zu vermeiden. Diese Funktion der Dichtungsanordnung ist zwar im Zusammenhang mit dem Stand der Technik genannt, soll offensichtlich aber auch bei der anmeldungsgemäßen Anordnung nebst weiteren Funktionen beibehalten werden. Die Merkmale M1 und M2 ergeben sich somit inhaltlich schon aus der Einführung zum Anmeldungsgegenstand.
36
Das Merkmal M3, nämlich dass die gesamte Dichtungsanordnung mit ihren Dichtungselementen an einem radialen Spalt angeordnet ist, wodurch axiale Abschnitte der Rotorwelle frei von Dichtungen sind, findet sich identisch im kennzeichnenden Teil des ursprünglichen Patentanspruchs 1 wieder, so dass auch diesbezüglich keine Bedenken hinsichtlich einer inhaltlichen Änderung vorliegen können.
37
Aus dem ursprünglichen Patentanspruch 5, der mittelbar und unmittelbar auf den ursprünglichen Patentanspruch 1 rückbezogen ist, ergibt sich Merkmal M4, dass an zumindest einer zwischen den Dichtungselementen gebildeten Zwischenkammer eine Anschlussöffnung zur Zuführung eines Sperrgases oder zur Abführung eines Leckagegases vorgesehen ist.
38
Im angefochtenen Beschluss wird davon ausgegangen, aus der Figur 2 und dem letzten Absatz der Beschreibung gehe nicht unmittelbar und eindeutig hervor, dass dies für alle möglichen Dichtungselemente gelten solle. Lediglich für mit dem Bezugszeichen 10C versehene Bürstendichtungen sei eine Offenbarung vorhanden.
39
Dem kann so nicht gefolgt werden. Zunächst ist festzustellen, dass a. a. O. die Ausgestaltung des Dichtungselements als eine Bürstendichtung explizit als exemplarisch dargestellt wird. Daraus folgt sofort, dass auch anders gestaltete Dichtungselemente in Frage kommen. Die Figur 2 könnte – isoliert betrachtet – darauf hindeuten, dass die Zwischenkammer zwischen zwei gleich ausgebildeten Dichtungselementen angeordnet sein müsse. Im allgemeinen Teil der Beschreibung (vgl. Seite 5, 3. und 4. Absatz der ursprünglichen Beschreibung) wird die Zwischenkammer jedoch ganz allgemein als zwischen den Dichtungselementen gebildet bezeichnet, wobei zur Bildung der Dichtungsanordnung gleichartige oder unterschiedliche Typen von Dichtungselementen eingesetzt werden. Aus keiner Stelle der Anmeldung ergibt sich, dass Letzteres durch das Ausführungsbeispiel der Figur 2 eingeschränkt sein solle. Es mag auch zutreffen, dass im ursprünglichen Patentanspruch 5 ebenfalls nur das Bezugszeichen 10C in Zusammenhang mit den Dichtungselementen verwendet wurde. Bezugszeichen im Patentanspruch beschränken seinen Gegenstand nach h. M. jedoch nicht auf das Ausführungsbeispiel (vgl. BGH X ZR 17/02 – Koksofentür).
40
Auch aus den weiteren ursprünglichen Patentansprüchen 6 bis 8, die alle auf Patentanspruch 5 rückbezogen sind, ergibt sich, dass der Anmeldungsgegenstand nicht ausschließlich auf eine Turbomaschine mit einer Bürstendichtung als Dichtungselement gerichtet ist. Insbesondere ergeben sich aufgrund des Rückbezugs des ursprünglichen Patentanspruchs 7 auf Patentanspruch 6 und dessen Bezug auf Patentanspruch 5 die Varianten der Merkmale M5 und M6, dass die Dichtungsanordnung zumindest ein Dichtungselement in Form einer Bürstendichtung und/oder zumindest ein Dichtungselement in Form einer Gleitringdichtung aufweist, wobei die einander zugeordneten Dichtflächen der Bürstendichtung bzw. der Gleitringdichtung senkrecht zu der Achse der Rotorwelle ausgerichtet sind.
41
Das Merkmal M7, nach dem der radiale Spalt durch eine stufenförmige Ausgestaltung in Spaltabschnitte aufgeteilt ist und an jedem Spaltabschnitt ein Dichtungselement angeordnet ist, geht nicht aus den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen hervor. Im allgemeinen Teil der Beschreibung (vgl. Seite 4, 2. Absatz der ursprünglichen Anmeldung) ist der radiale Spalt i. S. d. Merkmals M7 definiert, nämlich dass er auch durch mehrere (axial zueinander versetzte) Spaltabschnitte gebildet sein kann, die eine Stufenform ergeben. Zudem ist erwähnt, die Dichtungselemente seien dann stets an den Spaltabschnitten, also an jedem Abschnitt (zumindest) eines angeordnet. Auch diesbezüglich kann das Ausführungsbeispiel nach Figur 2 nicht beschränkend wirken.
42
Die geltende Beschreibung geht aus der ursprünglichen Beschreibung durch inhaltliche Anpassung an die geltende Anspruchsfassung hervor.
43
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der geltenden Fassung ist patentfähig.
44
a) Die zweifelsohne gewerblich anwendbare Turbomaschine nach Anspruch 1 ist neu (§§ 1, 3 PatG), da aus keiner der berücksichtigten Druckschriften eine Turbomaschine bekannt ist, bei der ein radialer Spalt vorgesehen ist, der durch eine stufenförmige Ausgestaltung in Spaltabschnitte aufgeteilt ist und an jedem Spaltabschnitt ein Dichtungselement angeordnet ist, wobei die einander zugeordneten Dichtflächen der Dichtelemente senkrecht zu der Achse der Rotorwelle ausgerichtet sind (Merkmal M7 in Kombination mit Merkmal M6).
45
b) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der geltenden Fassung beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der §§ 1, 4 PatG.
46
In der Beschreibung der Anmeldung ist ausgeführt, beim Betrieb von Turbomaschinen ergebe sich aufgrund der hohen Drehzahlen häufig das Problem, dass die Eigenfrequenzen der Bauteile zu berücksichtigen seien. Wenn die Betriebsfrequenz in der Turbomaschine im Bereich kritischer Eigenfrequenzen liege, bestehe die Gefahr erhöhter Schwingungen, die zu einem verstärkten Verschleiß oder sogar zu einer Zerstörung der Turbomaschine führen könnten. Es soll eine Turbomaschine realisiert werden, bei der die beschriebenen Einschränkungen vermieden oder reduziert werden.
47
Der Senat schließt sich der Auffassung der Anmelderin aus ihrem Schriftsatz vom 22. Februar 2019 an, dass ein mit dem Problem befasster Fachmann, hier ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger praktischer Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Turbomaschinen, aufgrund des berücksichtigten Standes der Technik keine Veranlassung hatte, eine stufenförmige Ausgestaltung des Radialspalts vorzunehmen. Insbesondere hat auch die Prüfungsstelle dieser Sichtweise nicht widersprochen, zumal in dem dem genannten Schriftsatz vorausgehenden Prüfungsbescheid auf die Druckschrift D7 verwiesen worden war und aus dieser die Merkmale M1 bis M6 bekannt bzw. nahegelegt sind (vgl. Fig. 3 od. 5; Prüfungsbescheid vom 23. Oktober 2018, Seite 3).
48
Im angefochtenen Beschluss hat die Prüfungsstelle die Patentfähigkeit des Anmeldungsgegenstands formal dahinstehen lassen (vgl. S. 4 des angefochtenen Beschlusses, vorletzten Abs.). Gleichwohl hat sie die Patentfähigkeit des Gegenstandes jedoch auch bestätigt, indem sie auf den damaligen Hilfsantrag ein Patent erteilt hat. Der Gegenstand des Hilfsantrags war auf eine Variante der Turbomaschine mit einem Dichtungselement in Form einer Bürstendichtung beschränkt (Merkmal M5 a)), die auch Teil des geltenden Patentanspruchs 1 ist. Die beiden weiteren Varianten mit einem Dichtungselement in Form einer Gleitringdichtung (Merkmal M5 b) i. V. m. Merkmal M6) sind als nicht ursprünglich offenbart angesehen worden. Bei Unterstellung einer entsprechenden Offenbarung führt in Analogie dazu auch eine Turbomaschine mit einer Gleitringdichtung zu einem patenfähigen Gegenstand.
49
Von den weiteren Druckschriften offenbart nebst der Druckschrift D7 nur noch die Druckschrift D4 das Merkmal M4, nämlich an zumindest einer zwischen den als Labyrinthdichtungen 15 ausgebildeten Dichtungselementen gebildeten Ringkammer 6 als Zwischenkammer eine Anschlussöffnung 9 zur Zuführung eines (gekühlten) Sperrgases vorzusehen (vgl. Fig. 1, 2). Einen Hinweis auf eine stufenförmige Ausgestaltung des radialen Spalts mit den Dichtungselementen enthält die Druckschrift nicht.
50
Bei allen weiteren als bekannt vorausgesetzten Turbomaschinen fehlt sowohl das Merkmal M4 als auch das Merkmal M7. Anregungen, eine Turbomaschine entsprechend konstruktiv auszugestalten, vermitteln sie daher nicht.
51
c) Die Unteransprüche 2 bis 5 betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausgestaltungen der Turbomaschine gemäß dem Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung, und ihre Gegenstände sind daher zusammen mit dem geltenden Anspruch 1 patentfähig.


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