Patent- und Markenrecht

Patentbeschwerdeverfahren – zur Zurückweisung einer Patentanmeldung aufgrund formeller Mängel – zulässig nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Regelung bzw. gesetzlicher Ermächtigung oder Unumgänglichkeit aufgrund Gewährung des staatlichen Schutzes

Aktenzeichen  7 W (pat) 33/04

Datum:
17.3.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 6 PatG
§ 42 Abs 1 PatG
§ 42 Abs 3 PatG
§ 34 Abs 3 PatG
§ 34 Abs 6 PatG
§ 1 Abs 2 DPMAV 2004
§ 1 PatV
§ 6 PatV
Spruchkörper:
7. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 103 14 723.3-13

beschlossen:
Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F 02 B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. März 2004 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Patentanmeldung 103 14 723.3-13 an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Der Anmelder hat am 31. März 2003 die streitgegenständliche Patentanmeldung als Zusatzanmeldung zur Patentanmeldung 103 00 007.0-13 zum Patent angemeldet. Als Unterlagen hat er ursprünglich lediglich Austauschblätter zur Hauptanmeldung mit Hinweisen, in welchen Teilen des Textes der Hauptanmeldung Änderungen vorgenommen sind, sowie weitere Zeichnungen mit den neuen Figuren 19 bis 22 eingereicht. Mit am 23. Juni 2003 eingegangenem Schreiben vom 20. Juni 2003 hat er sodann neue Unterlagen, bestehend aus einer Zusammenfassung, den Zeichnungen Fig. 1 bis 3 und 8 bis 10, den bereits als Unterlage der Zusatzanmeldung eingereichten Einzelseiten, den aus der Hauptanmeldung übernommenen unveränderten Seiten der Beschreibung sowie einem als “Patentansprüche” bezeichneten Teil, vorgelegt. Auf Nachfrage der Prüfungsstelle hat der Anmelder telefonisch mitgeteilt, er bitte, die Hauptanmeldung mit der streitgegenständlichen Zusatzanmeldung und einer weiteren Zusatzanmeldung “zusammen-zuführen”.
2
Mit Zwischenbescheid vom 16. Oktober 2003 hat die Prüfungsstelle für Klasse F 02 B beanstandet, dass die Hauptanmeldung zwar vollständig, aber nicht in der erforderlichen Schriftgröße vorliege und die beiden Zusatzanmeldungen wegen der eingereichten Einzelseiten keine nachvollziehbare technische Lehre erkennen ließen. Ein “Zusammenführen” der Anmeldungen von Amts wegen sei nach dem Patentgesetz nicht zulässig, es werde aber anheimgestellt, unter Inanspruchnahme einer inneren Priorität innerhalb der Frist von 12 Monaten nach der Hauptanmeldung, vorliegend also bis 2. Januar 2004, eine vollständige Nachanmeldung einzureichen, bei der die Hauptanmeldung mit den beiden Zusatzanmeldungen in einer einheitlichen Anmeldung zusammengeführt werden könnten.
3
Nach fruchtlosem Ablauf der vorgenannten Frist hat die Prüfungsstelle für Klasse F 02 B des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluss vom 10. März 2004 die Patentanmeldung 103 14 723.3-13 nach § 42 Abs. 3 PatG aus den Gründen des Beanstandungsbescheides vom 16. Oktober 2003 zurückgewiesen.
4
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders, mit der er im wesentlichen geltend macht, dass ihm nicht verständlich sei, aus welchen Gründen die eingereichten Unterlagen nicht zureichend seien. Auf Hinweis des Senats hat der Anmelder die bereits mit Schreiben vom 20. Juni 2003 vorgelegten Unterlagen erneut zur Gerichtsakte eingereicht.
5
Der Anmelder hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.
II.
6
A. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache einen vorläufigen Erfolg. Entgegen der Ansicht des Deutschen Patent- und Markenamtes kann die streitgegenständliche Zusatzanmeldung nicht bereits aus formalen Gründen zurückgewiesen werden.
7
1. Nach § 42 Abs. 1 und 3 PatG kommt zwar eine Zurückweisung aus formellen Gründen in Betracht, wenn der Anmelder die nach § 42 Abs. 1 PatG zulässigerweise gerügten Mängel nicht beseitigt. Da § 42 Abs. 3 PatG nur auf die Nichtbeseitigung abstellt, darf die Zurückweisung nicht allein wegen Überschreitens der in § 42 Abs. 1 PatG genannten Frist erfolgen. Vielmehr sind der Zurückweisung sämtliche bis zum Eintritt der Bestandskraft des zurückweisenden Beschlusses – das ist im Falle des Beschwerdeverfahrens erst mit Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung – vorgelegten Unterlagen in die Beurteilung einzubeziehen. Der angefochtene Beschluss ist daher schon deshalb fehlerhaft, weil er allein auf die ursprünglich eingereichten Unterlagen abgestellt hat, ohne die bei Erlass des Beschlusses bereits vorliegenden, mit Schreiben des Anmelders vom 20. Juni 2003 übersandten Unterlagen, welche er im Beschwerdeverfahren erneut zur Akte gereicht hat, der Entscheidung zugrunde zu legen.
8
2. Unter Berücksichtigung dieser Unterlagen scheidet eine Zurückweisung der Patentanmeldung nach § 42 Abs. 1 und 3 PatG aber aus, weil nicht festgestellt werden kann, dass die formellen Erfordernisse des § 34 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 PatG nicht erfüllt seien.
9
a) Ein die Zurückweisung tragender formaler Mangel besteht nicht schon deshalb, weil entgegen § 34 Abs. 3 Nr. 5 PatG Zeichnungen nach wie vor nicht eingereicht wurden. Soweit die Zusammenfassung (Bl. 27 GA) Zeichnungen enthält, reichen diese hierfür zwar nicht aus, weil sich aus der Hauptanmeldungsakte ergibt, dass sie nur einen Teil der Zeichnungen wiedergeben und zudem nicht alle in der Beschreibung erwähnten und mit Bezugszeichen erfassten Teile enthalten.
10
Auf die fehlenden Zeichnungen kann die Zurückweisung der Patentanmeldung aber deshalb nicht gestützt werden, weil die fehlende Vorlage von Zeichnungen (bzw. die fehlende Erklärung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz PatG) lediglich zur Folge hat, dass nach § 35 Abs. 2 Satz 3 zweiter Halbsatz PatG die Bezugnahme auf die Zeichnungen in der Beschreibung oder in den Patentansprüchen als nicht erfolgt gilt. Dies bedeutet aber nur, dass die Zeichnungen im Prüfungsverfahren nicht zu berücksichtigen sind; zwar kann dies letztlich dazu führen, dass die angemeldete angebliche Erfindung mangels Erkennbarkeit einer technischen Lehre – worauf hat die Prüfungsstelle den Anmelder bereits zutreffend mehrfach hingewiesen hatte – und damit wegen fehlender Patentfähigkeit der angemeldeten Erfindung zurückzuweisen ist; hierbei handelt es sich dann aber um eine Zurückweisung nicht aus formalen , sondern aus sachlichen Gründen.
11
b) Der Sachprüfung steht auch nicht entgegen, dass die vom Anmelder als “Patentansprüche” bezeichneten Textteile nicht den üblichen Gepflogenheiten entsprechen. Denn ausreichend ist, wenn wenigstens im Ansatz erkennbar ist, was der Anmelder unter Schutz gestellt haben möchte; hierfür reichen die vorgelegten Ansprüche aber aus. Ob und mit welcher, im Prüfungsverfahren jederzeit – soweit hierdurch der Schutzbereich nicht unzulässig erweitert wird – korrigierbarer Formulierung der Patentansprüche dieser jedenfalls erkennbar begehrte Schutz tatsächlich gewährbar ist, ist demgegenüber eine Frage der Sach- und nicht der Formalprüfung.
12
c) Soweit die Prüfungsstelle sonstige formelle Mängel, insbesondere nach § 34 Abs. 6 i. V. m. § 1 Abs. 2 DPMAV, § 6 PatV, gerügt hat, welche bislang noch nicht beseitigt sind, können diese eine Zurückweisung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht tragen.
13
Die Ermächtigungsnorm des § 34 Abs. 6 PatG, auf deren Grundlage die vorgenannten formalen Anforderungen erlassen worden sind, vermag eine solche weitreichende Übertragung der dem Gesetzesvorbehalt unterliegenden Befugnisse nach § 42 PatG auf das Deutsche Patent- und Markenamt wegen fehlender Bestimmtheit nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu tragen. Denn nach dem in der letztgenannten Verfassungsnorm enthaltenen Bestimmtheitsgebot müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung in dem zugrundeliegenden Gesetz enthalten sein. Im Zusammenwirken mit § 42 PatG würde eine Berücksichtigung aller formellen Erfordernisse der PatV bei der Zurückweisung der Anmeldung aber im Ergebnis bedeuten, dass das Patentamt ohne jede parlamentarische Kontrolle selbst bestimmen kann, wann sie dem durch das PatG eingeräumten subjektiv-öffentlichen, dem Grundrechtsschutz des Art. 14 GG unterfallenden Recht auf Patenterteilung (soweit die sachlichen Voraussetzungen der §§ 1 bis 5 PatG erfüllt sind) nicht stattgibt, ohne zuvor eine Sachprüfung hinsichtlich der sachliche n Schutzvoraussetzungen überhaupt vorzunehmen. Eine solche weitgehende Regelungsbefugnis, die für den (bei dieser Betrachtung zu unterstellenden Fall einer der Sache nach gem. §§ 1 bis 5 PatG schutzfähigen Erfindung) auf die mehr oder weniger willkürliche Versagung eines einzelgesetzlich eingeräumten subjektiv-öffentlichen Rechts – das, solange es  einzelgesetzlich eingeräumt wird, unter den Schutzbereich des Art. 14 GG fällt – hinausliefe, ist aber in Inhalt, Zweck und Ausmaß durch die Verordnungsermächtigung des § 34 Abs. 6 PatG nicht mehr gedeckt. Dabei ist insbesondere darauf abzustellen, dass ein Großteil der in § 6 PatV genannten Formerfordernisse nicht dem Zweck dient, die Sachprüfung der angemeldeten Erfindung erst zu ermöglichen, sondern allein die verwaltungsinterne Verarbeitung der Anmeldungen erleichtern soll; dies kommt bereits in § 6 Abs. 1 Satz 1 PatV deutlich zum Ausdruck. Würde die Nichtbeachtung dieser allein verwaltungsinternen Zwecken dienenden, von der Verwaltung selbst aufgestellter Formvorschriften eine Versagung des subjektiven Rechts auf staatlichen Schutz der Erfindung (ihre Schutzfähigkeit einmal unterstellt) rechtfertigen können, bedürfte es für einen solchen Grundrechtseingriff (die Zurückweisung würde dann sogar den Entzug eines Art. 14 GG unterfallenden Grundrechts bedeuten) einer ausdrücklichen Ermächtigung durch das Gesetz; hierfür reicht die bloße Ermächtigung in § 34 Abs. 6 PatG aber nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 80 GG keinesfalls aus. Damit braucht der weiteren Frage, ob eine solche Rechtsfolge, selbst wenn sie das Gesetz selbst vorsähe oder das Patentamt hierzu wirksam unter Beachtung des Art. 80 GG ermächtigte, dem allgemein zu beachtenden Übermaßverbot (Art. 19 Abs. 2 GG) zuwiderläuft, auch wenn hierfür Einiges spricht, nicht nachgegangen zu werden.
14
Die Vorschrift des § 42 PatG i. V. m. § 34 Abs. 6, § 1 Abs. 2 DPMAV und §§ 1 ff. PatV ist daher verfassungskonform so auszulegen, dass nur die Verletzung solcher Formvorschriften eine Zurückweisung aus formellen Gründen tragen können, die entweder im Gesetz ausdrücklich bestimmt sind oder zu deren Normierung durch den Verordnungsgeber das Gesetz ausdrücklich ermächtigt oder die für die Gewährung des staatlichen Schutzes der angemeldeten Erfindung, also für die Sachprüfung und die Patenterteilung, unumgänglich sind. Da die ersten beiden Alternativen vorliegend ausscheiden, kommt hier nur eine Schutzversagung aus solchen formellen Gründen in Betracht, welche für die Aufnahme der Sachprüfung erforderlich sind. Auf die Frage der Schriftgröße angewendet bedeutet dies, dass die Nichteinhaltung der in § 6 PatV vorgeschriebenen Schriftgröße nur dann eine Zurückweisung der Anmeldung rechtfertigen kann, wenn die vorgelegte Schriftgröße eine Lektüre der Anmeldung ohne Hilfsmittel ausschließt, insbesondere also wenn die eingereichten Unterlagen etwa überhaupt nicht oder nur unter Inanspruchnahme von Hilfsmitteln (etwa einer Lupe) erst lesbar wären, weil in einem solchen Fall die eingereichten nicht oder nur schwer lesbaren Unterlagen eine Sachprüfung – auf welche der Anmelder ja ein subjektiv-öffentliches Recht hat – ausschließen oder jedenfalls unzumutbar erschweren würden. Alle anderen Formvorschriften – vorliegend also die (vom Anmelder ebenfalls nicht beachteten) Erfordernisse einer einseitigen Beschriftung und (jedenfalls ursprünglich) die Trennung von Zusammenfassung, Beschreibung, Zeichnungen und Patentansprüchen auf gesonderten Blättern – können eine Schutzrechtsversagung nach § 42 PatG – ebenso wie im Prüfungsverfahren nach §§ 45, 48 PatG – aus formellen Gründen nicht tragen.
15
3. Da sonstige Gründe, welche die im angefochtenen Beschluss ausgesprochene Zurückweisung der Patentanmeldung aus formellen Gründen tragen könnten, weder von der Prüfungsstelle dargelegt noch aus sonstigen Gründen für den Senat erkennbar sind, kann die im angefochtenen Beschluss ausgesprochene, allein auf formale Gründe gestützte Zurückweisung der Patentanmeldung keinen Bestand haben.
16
4. Da die Prüfungsstelle die, soweit eine zulässige Zurückweisung aus formalen Gründen nicht möglich ist, erforderliche Sachprüfung bislang nicht vorgenommen hat, hat der Senat davon abgesehen, über die Patentfähigkeit der angemeldeten Erfindung abschließend zu befinden. Stattdessen ist nach § 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG die Sache nach Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Deutsche Patent- und Markenamt zur erneuten Entscheidung über die Patentanmeldung zurückzuverweisen.
17
B. Für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 80 Abs. 3 PatG aus Billigkeitsgründen ist weder etwas seitens des Anmelders vorgetragen worden, noch sind Gründe für eine solche Entscheidung ersichtlich.


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