Patent- und Markenrecht

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – “Sensoreinrichtung” – zu den Erfordernissen der ausreichenden Offenbarung – dem Fachmann müssen alle Informationen zur Verfügung stehen, die ihn in die Lage versetzen das angestrebte Ergebnis im gesamten Bereich eines Anspruchs ohne unzumutbaren Aufwand nur mit seinem Fachwissen zu erreichen

Aktenzeichen  19 W (pat) 49/18

Datum:
7.8.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:070819B19Wpat49.18.0
Normen:
§ 21 Abs 1 Nr 2 PatG
§ 34 Abs 4 PatG
Spruchkörper:
19. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2014 211 056


hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. August 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, der Richterin Kirschneck sowie der Richter Dipl.-Ing. Matter und Dipl.-Phys. Dr. Haupt
beschlossen:
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Auf die am 10. Juni 2014 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents mit der Nummer 10 2014 211 056 am 6. August 2015 veröffentlicht worden.Es trägt die Bezeichnung
2
„Sensoreinrichtung“.
3
Gegen das Patent haben die Einsprechenden jeweils mit Schriftsatz vom 6. Mai 2016, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am gleichen Tag, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
4
Die Einsprechenden haben übereinstimmend geltend gemacht, dass das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG) und der Gegenstand des Patents nach den §§ 1 bis 5 PatG nicht patentfähig sei (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).
5
Mit am Ende einer Anhörung am 10. Oktober 2018 verkündetem Beschluss hat das Deutsche Patent- und Markenamt – Patentabteilung 1.33 – das Patent widerrufen.
6
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin vom 15. November 2018.
7
Die Patentinhaberin stellt ihren Antrag aus dem Schriftsatz vom 4. April 2019 mit dem sie sinngemäß begehrt,
8
den Beschluss der Patentabteilung 1.33 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Oktober 2018 aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrecht zu erhalten,
9
hilfsweise das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten, Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 1 vom 10. Oktober 2018,
10
weiter hilfsweise, Patentansprüche 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag 2 vom 10. Oktober 2018,Beschreibung und Zeichnungen zu den Hilfsanträgen jeweils wie erteilt.
11
Die Einsprechenden I und II beantragen schriftsätzlich übereinstimmend,
12
die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.
13
Der erteilte Patentanspruch 1 (Hauptantrag) lautet:
14
Sensoreinrichtung (30) für eine Tür- oder Fensteranlage (10) zur Überwachung eines in der Nähe der Tür- bzw. Fensteranlage (10) gelegenen Bereichs, mit wenigstes einem auf ein sich in einem Erfassungsbereich (32) bewegendes und/oder ein in diesem anwesendes Objekt ansprechenden Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) und einer mit dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) in Verbindung stehenden Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36), dadurch gekennzeichnet, dass die Sensoreinrichtung (30) zumindest einen mit der Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) in Verbindung stehenden Sensor (38) umfasst, der auf eine eventuelle Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) anspricht, und dass die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) so ausgeführt ist, dass eventuell festgestellte Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) bei der Auswertung der von dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) gelieferten Signalen kompensiert werden.
15
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
16
Tür- oder Fensteranlage (10) mit wenigstens einer Sensoreinrichtung (30) zur Überwachung eines in der Nähe der Tür- bzw. Fensteranlage (10) gelegenen Bereichs, mit wenigstes einem auf ein sich in einem Erfassungsbereich (32) bewegendes und/oder ein in diesem anwesendes Objekt ansprechenden Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) und einer mit dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) in Verbindung stehenden Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36),
17
dadurch gekennzeichnet, dass die Sensoreinrichtung (30) zumindest einen mit der Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) in Verbindung stehenden Sensor (38) umfasst, der auf eine durch eine Erschütterung hervorgerufene eventuelle Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) anspricht, wobei die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) mit einem Antrieb (12) der Tür- bzw. Fensteranlage (10) in Verbindung steht und der Antrieb (12) durch die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) in Abhängigkeit von Signalen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) und des auf die eventuelle Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) ansprechenden Sensors (38) ansteuerbar ist,
18
wobei die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) so ausgeführt ist, dass die eventuell festgestellten Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) bei der Auswertung der von dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) gelieferten Signale kompensiert werden, sodass eine Ansteuerung des Antriebs (12) durch die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) unabhängig von den eventuell festgestellten Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) ausschließlich in Abhängigkeit von durch den Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) eventuell erfassten Bewegungen und/oder einer eventuell erfassten Anwesenheit von Objekten im Erfassungsbereich (32) erfolgt.
19
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lautet:
20
Tür- oder Fensteranlage (10) mit wenigstens einer Sensoreinrichtung (30) zur Überwachung eines in der Nähe der Tür- bzw. Fensteranlage (10) gelegenen Bereichs, mit wenigstes einem auf ein sich in einem Erfassungsbereich (32) bewegendes und/oder ein in diesem anwesendes Objekt ansprechenden Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) und einer mit dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) in Verbindung stehenden Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36), dadurch gekennzeichnet, dass die Sensoreinrichtung (30) zumindest einen mit der Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) in Verbindung stehenden Sensor (38) umfasst, der auf eine durch eine Erschütterung hervorgerufene eventuelle Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) anspricht, wobei die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) mit einem Antrieb (12) der Tür- bzw. Fensteranlage (10) in Verbindung steht und der Antrieb (12) durch die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) in Abhängigkeit von Signalen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) und des auf die eventuelle Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) ansprechenden Sensors (38) ansteuerbar ist,
21
wobei die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) so ausgeführt ist, dass die eventuell festgestellten Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) bei der Auswertung der von dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) gelieferten Signale kompensiert werden, sodass eine Ansteuerung des Antriebs (12) durch die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) unabhängig von den eventuell festgestellten Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) ausschließlich in Abhängigkeit von durch den Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) eventuell erfassten Bewegungen und/oder einer eventuell erfassten Anwesenheit von Objekten im Erfassungsbereich (32) erfolgt, wobei der auf der eventuellen Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) ansprechende Sensor (38) und der Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) an oder in einem nicht beweglichen Bauteil der Tür- bzw. Fensteranlage (10) montiert sind.
22
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
23
1. Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Patentabteilung hat das Patent im Ergebnis zu Recht widerrufen.
24
2. Der Einspruch ist zulässig (§ 59 Abs. 1 PatG), insbesondere ist er fristgerecht eingegangen sowie ausreichend substantiiert.
25
3. Das Patent betrifft eine Sensoreinrichtung für eine Tür- oder Fensteranlage zur Überwachung eines in der Nähe der Tür- bzw. Fensteranlage gelegenen Bereichs, mit wenigstens einem auf ein sich in einem Erfassungsbereich bewegendes und/oder ein in diesem anwesendes Objekt ansprechenden Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor und einer mit dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor in Verbindung stehenden Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung. Sie betrifft ferner eine Tür- oder Fensteranlage mit einer solchen Sensoreinrichtung (Absatz 0001 der Streitpatentschrift).
26
Laut Streitpatent werde durch einen jeweiligen Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor einer solchen Sensoreinrichtung der Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung eine jeweilige Bewegung und/oder Anwesenheit von Personen in einem Erfassungsbereich in der näheren Umgebung der Tür- oder Fensteranlage signalisiert, woraufhin beispielsweise ein der Tür- bzw. Fensteranlage zugeordneter Antrieb entsprechend ansteuerbar sei (Absatz 0002).
27
Durch eine jeweilige Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors infolge einer Bewegung des Bauteils der Tür- bzw. Fensteranlage, an dem der Sensor montiert ist, könne es aber zu Fehlfunktionen kommen. So könne der Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor insbesondere an oder in einem beweglichen Bauteil der Tür- bzw. Fensteranlage wie beispielsweise einem Tür- bzw. Fensterflügel montiert und mit diesem bewegbar oder an einer Abdeckung oder Haube einer Schiebetür angebracht sein. Obwohl eine solche Abdeckung oder Haube bei einer jeweiligen Betätigung der Schiebetür nicht mit dieser mitbewegt wird, könne auch sie durch die Betätigung der Tür leicht in Bewegung geraten, was zu einer unerwünschten Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors führen könne (Absätze 0003 und 0008).
28
Der Erfindung liegt laut Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine Sensoreinrichtung sowie eine Tür- oder Fensteranlage der eingangs genannten Art anzugeben, die auf möglichst einfache und entsprechend kostengünstige Weise eine höhere Funktionssicherheit gewährleisten (Absatz 0005).
29
3.1 Diese Aufgabe werde durch den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 (Hauptantrag) gelöst, der sich wie folgt gliedern lässt:
30
M1 Sensoreinrichtung (30) für eine Tür- oder Fensteranlage (10) zur Überwachung eines in der Nähe der Tür- bzw. Fensteranlage (10) gelegenen Bereichs, mit
31
M2 wenigstes einem auf ein sich in einem Erfassungsbereich (32) bewegendes und/oder ein in diesem anwesendes Objekt ansprechenden Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) und
32
M3 einer mit dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) in Verbindung stehenden Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36),
33
dadurch gekennzeichnet, dass
34
M4 die Sensoreinrichtung (30) zumindest einen mit der Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) in Verbindung stehenden Sensor (38) umfasst, der auf eine eventuelle Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) anspricht, und dass
35
M5 die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (36) so ausgeführt ist, dass eventuell festgestellte Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors (34) bei der Auswertung der von dem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (34) gelieferten Signalen kompensiert werden.
36
3.2 Als Fachmann legt der Senat einen Fachhochschulingenieur oder Bachelor der Fachrichtung Elektrotechnik mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von automatischen Tür- oder Fensteranlagen und der zugehörigen Sensorik zu Grunde.
37
3.3 Die folgenden Begriffe im Patentanspruch 1 nach Hauptantrag bedürfen, insbesondere wegen der im vorinstanzlichen Verfahren bereits kontrovers diskutierten jeweiligen Bedeutungen, der Erläuterung:
38
a) Der Fachmann versteht unter einem Bewegungssensor gemäß Streitpatent einen fachüblicherweise als Bewegungsmelder bezeichneten Detektor, da dieser ein in einem Erfassungsbereich sich bewegendes Objekt detektiert und nicht die eigene Bewegung, wie dies bei einem üblicherweise als Bewegungssensor bezeichneten Sensor der Fall ist. Ebenso kann auch der meist als Präsenzmelder bezeichnete Anwesenheitssensor sich bewegende aber auch sich nicht bewegende Personen oder Objekte im Erfassungsbereich erkennen.
39
Das Streitpatent gibt nicht an, durch welche technische Einrichtung dieser Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor (Merkmale M2 bis M5) konkret realisiert ist, aber dem Fachmann ist eine Vielzahl derartiger Sensoren bekannt, welche die Anwesenheit oder Bewegung von Personen oder Objekten im Erfassungsbereich von Tür- oder Fensteranlage detektieren und auf ganz unterschiedlichen physikalischen Prinzipien beruhen können.
40
b) Unter „Bewegung“ im physikalischen Sinne versteht der Fachmann eine raumzeitliche Zustandsänderung, d. h. die Änderung des Ortes eines Massenpunktes oder eines Körpers in Abhängigkeit von der Zeit auf einer Bahnkurve oder Trajektorie. Da physikalisch keine absoluten Bewegungen, sondern nur Relativbewegungen existieren, ist zur eindeutigen Beschreibung der Bewegung ein Bezugssystem erforderlich, das den Zustand der Ruhe definiert und prinzipiell willkürlich gewählt werden kann. Der Fachmann erkennt als ruhendes Bezugssystem bei der Vorrichtung des Streitpatents die gegenüber dem sie umfassenden Gebäude ruhenden Bauteile der Tür- oder Fensteranlage bzw. das Gebäude und damit das Bezugssystem der Erde selbst.
41
Mangels eigener Definition in der Streitpatentschrift versteht der Fachmann unter der „Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors“ (Merkmal M4) somit jede gegenüber diesem Bezugssystem stattfindende räumliche Änderung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors mit der Zeit.
42
Dabei spielt es entgegen der Ansicht der Patentinhaberin keine Rolle, ob die Eigenbewegung erwünscht (Absatz 0008) oder unerwünscht (Absatz 0003) ist, ob sie lediglich in einer durch eine Erschütterung hervorgerufenen Vibration des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors an einem normalerweise nicht beweglichen Bauteil der Tür- bzw. Fensteranlage besteht (Absatz 0010) oder sich aus einer Überlagerung einer solchen Vibration mit einer größeren Bewegung bei Montage des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors an oder in einem beweglichen Bauteil der Tür bzw. Fensteranlage zusammensetzt (Absatz 0011).
43
Insbesondere wird die einschränkende Auslegung der Patentinhaberin, wonach das Präfix „Eigen“ andeuten solle, dass im Falle der Anbringung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors auf einem beweglichen Bauteil der Tür- bzw. Fensteranlage die Eigenbewegung nur in der Relativbewegung gegenüber dem beweglichen Bauteil bestehen soll, durch keine Stelle der Beschreibung gestützt. Vielmehr wird in Absatz 0011 erklärt, dass „auch die in einem solchen Fall auftretenden, naturgemäß größeren Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors“ problemlos kompensiert werden könnten.
44
Zur konkreten technischen Realisierung des in Merkmal M4 beschriebenen Sensors der auf diese Eigenbewegung anspricht ‒ fachüblicherweise als Bewegungssensor bezeichnet ‒ führt das Streitpatent rein exemplarisch, in den Anspruch 1 nicht einschränkender Weise aus, dass dieser wenigstens einen sogenannten Beschleunigungssensor umfassen kann (Anspruch 6 und Absätze 0012 und 0031). Dem Fachmann sind derartige Beschleunigungssensoren, welche die Geschwindigkeit bzw. die Position der jeweiligen sensierten Komponente durch ein- bzw. zweifache Integration über die Zeit berechnen, vertraut, ihm sind jedoch auch andere Arten von Sensoren, wie beispielsweise Geschwindigkeits- und geomagnetische Positionssensoren bekannt, die vom Anspruchswortlaut ebenfalls umfasst sind.
45
c) Unter Kompensation versteht man in der Technik einen Effekt, bei dem verschiedene Einflüsse durch technische Gegebenheiten oder ihre Ausgestaltung so gegeneinander wirken, dass diese sich aufheben. In der Messtechnik wird versucht, den Einfluss eines Störsignals durch ein gegenläufiges Kompensationssignal weitestgehend zu vermindern, um das eigentliche Messsignal möglichst unverfälscht messen zu können.
46
Bei der im Streitpatent beanspruchten Sensoreinrichtung für eine Tür- oder Fensteranlage sollen gemäß der Anweisung in Merkmal M5 die vom Sensor 38 eventuell festgestellten Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors bei der Auswertung der von diesem Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor gelieferten Signalen kompensiert werden.
47
Jedoch enthalten weder der Patentanspruch 1 selbst, noch die auf diesen rückbezogenen Ansprüche oder die Beschreibung über diese Anweisung hinaus einen Hinweis, wie die Kompensation der Eigenbewegung ‒ beispielsweise für einen der möglichen Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensoren und eine speziellen Anbringungsart ‒ technisch konkret umgesetzt werden kann.
48
Lediglich das Ziel der Kompensation ist in der Beschreibung der Streitpatentschrift an mehreren Stellen angesprochen, wonach insbesondere eine zuverlässige fehlerfreie Ansteuerung des Antriebs ausschließlich in Abhängigkeit von eventuell erfassten Bewegungen bzw. einer eventuell erfassten Anwesenheit von Personen im Erfassungsbereich und unabhängig von Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors sichergestellt werden soll (Absätze 0014 und 0032).
49
Wie diese Kompensation in den verschiedenen vom Patentanspruch 1 nach Hauptantrag umfassten Ausgestaltungen der erfindungsgemäßen Sensoreinrichtung technisch konkret realisiert werden soll, ist im Streitpatent dem Fachmann überlassen.
50
4. Das Patent offenbart die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).
51
Die von der Patentabteilung 1.33 im angegriffenen Beschluss hierzu gegenteilig getroffene Beurteilung hält einer Überprüfung nicht stand.
52
4.1 Eine für die Ausführbarkeit einer mit einem Patent geschützten Lehre hinreichende Offenbarung ist gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (BGH, Urteil vom 8. Juni 2010 – X ZR 71/08, juris, Tz. 39 und Orientierungssatz 2, m. w. N.). Dies ist hier nicht der Fall.
53
Das Streitpatent geht aus von einer Sensoreinrichtung für eine Tür- oder Fensteranlage zur Überwachung eines in ihrer Nähe gelegenen Bereichs, mit wenigstes einem auf ein sich in einem Erfassungsbereich bewegendes und/oder anwesendes Objekt ansprechenden Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensor und einer mit diesem in Verbindung stehenden Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung (Merkmale M1 bis M3).
54
Nach der Aufgabe, die in der Streitpatentschrift angegeben ist, soll eine Sensoreinrichtung geschaffen werden, die auf möglichst einfache und entsprechend kostengünstige Weise eine höhere Funktionssicherheit gewährleistet (Absatz 0005).
55
Diese Aufgabe soll durch das zusätzliche gegenständliche Vorrichtungsmerkmal eines mit der Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung in Verbindung stehenden Sensors gelöst werden, der auf eine eventuelle Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors anspricht (Merkmal M4). Schließlich soll die Steuer- und/oder Auswerteeinrichtung so ausgeführt sein, dass eventuell festgestellte Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors bei der Auswertung der von diesen gelieferten Signalen kompensiert werden (Merkmal M5).
56
Da es sich bei diesem letztgenannten Merkmal M5 nicht um ein körperlich-strukturelles Vorrichtungsmerkmal handelt, sondern um eine funktionelle Wirkungsangabe, muss für dieses Merkmal die Voraussetzung erfüllt sein, dass damit eine ausreichende Offenbarung einer technischen Lehre angegeben wird, deren Ausführung dem Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand im gesamten Bereich der funktionellen Definition anhand des funktionellen Merkmals möglich ist (vgl. hierzu Schulte, PatG, 10. Auflage, § 34 Rdn. 125 bis 126 und Rdn. 353 a. E.). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.
57
Für die Frage der ausreichenden Offenbarung spielt es zwar prinzipiell keine Rolle, ob die Erfindung durch gegenständliche Merkmale oder aber durch ihre Funktion definiert wird, sofern der Fachmann in der Lage ist, den gesamten Gegenstand des Anspruchs – und nicht nur einen Teil davon – ohne unzumutbares Herumexperimentieren und vor allem ohne eigenes erfinderisches Zutun auszuführen.
58
Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass bei einer Vorrichtung, welche nicht durch gegenständliche Merkmale, sondern abstrakt durch ihre Wirkung definiert wird, eine unbestimmte Vielzahl möglicher Alternativen beansprucht wird ‒ hier insbesondere bedingt durch die unbeschränkte Anzahl verschiedener Arten von Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensoren (siehe hierzu 3.3.1) und die Anbringung an beweglichen oder unbeweglichen Bauteilen der Tür- oder Fensteranlage ‒ die das gewünschte Ergebnis liefern sollen.
59
Deshalb müssten dem Fachmann, um den Erfordernissen der ausreichenden Offenbarung zu genügen, all diese Alternativen bzw. die Informationen, die ihn in die Lage versetzen, das angestrebte Ergebnis im gesamten Bereich des Anspruchs ohne unzumutbaren Aufwand und nur mit seinem Fachwissen zu erreichen, auch zur Verfügung stehen.
60
Im Anspruch 1 des Hauptantrags ist lediglich angegeben, dass die erwünschte Wirkung der Signalkompensation eintreten soll, aber nicht wie dies konkret durch die gegenständlichen Merkmale realisiert werden kann.
61
Zur Überzeugung des Senats offenbart das Patent auch im Übrigen, weder in der allgemeinen Beschreibung noch in den Ausführungsbeispielen, eine Ausführungsform oder eine technische Lehre, die dem Fachmann wenigstens eine Variante einer Sensoreinrichtung, welche unter die funktionelle Definition des Anspruchs 1 fällt, zugänglich macht.
62
Zwar ist die erwünschte Wirkung der Kompensation an mehreren Stellen der Streitpatentschrift angegeben, jedoch sind weder den Ansprüchen, den Figuren ‒ welche die prinzipiell verschiedenen Ausführungsformen in Bezug auf die Anbringungsarten des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors an beweglichen oder unbeweglichen Bauteilen der Tür- oder Fensteranlage veranschaulichen sollen ‒ noch der Beschreibung konkrete Anweisungen zu entnehmen, wie die jeweilige Kompensation realisiert sein muss, um die im Merkmal M5 beanspruchte Wirkung zu erzielen. Die Beschreibung geht diesbezüglich nicht über die pauschale Forderung hinaus, dass die Kompensation eine zuverlässige fehlerfreie Ansteuerung des Antriebs ausschließlich in Abhängigkeit von eventuell erfassten Bewegungen bzw. einer eventuell erfassten Anwesenheit von Personen im Erfassungsbereich und unabhängig von Eigenbewegungen des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors gewährleisten soll (Absätze 0014 und 0032).
63
Selbst wenn man zugunsten der Patentinhaberin annehmen würde, dass lediglich die Kompensation einer durch Erschütterung hervorgerufenen unerwünschten Eigenbewegung des Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensors ohne eine ggf. überlagerte Bewegung durch Anbringung an einem beweglichen Bauteil der Tür- oder Fensteranlage beansprucht sei, wäre zur Überzeugung des Senats der Fachmann aufgrund der Bandbreite der Funktionsprinzipien der Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensoren und damit der von diesen gelieferten qualitativ unterschiedlichen Signalen ‒ beispielsweise Lichtschranke einerseits und Kamerasystem andererseits ‒ nicht ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage, die in Merkmal M5 geforderte Kompensation für einen beliebigen der unter Schutz gestellten Bewegungs- und/oder Anwesenheitssensoren zu verwirklichen.
64
Deshalb offenbart das Patent insgesamt keine in sich geschlossene technische Lehre, welche dem Fachmann vermitteln würde, wie er die im vorliegenden Anspruch 1 nach Hauptantrag geforderte funktionellen Wirkung erzielen und die beanspruchte Vorrichtung mit Erfolg verwirklichen könnte.
65
4.2 Die Gegenstände der jeweiligen Ansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 sind aus den gleichen Gründen nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Denn auch bei diesen Ansprüchen kann weder das jeweils geänderte Merkmal, noch können die jeweils zusätzlich aufgenommenen Merkmale – ihre Zulässigkeit zugunsten der Patentinhaberin unterstellt – an dieser Bewertung etwas ändern, da sie den Mangel der nicht hinreichenden Offenbarung nicht beheben.
66
4.3 Das Gleiche gilt für die auf die jeweiligen Patentansprüche 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 11 gemäß Hauptantrag und die Unteransprüche 2 bis 9 bzw. 2 bis 6 der Hilfsanträge 1 und 2.
67
5. Somit konnte das Patent weder in der erteilten noch in einer der hilfsweise verteidigten Fassungen Bestand haben. Die Beschwerde der Patentinhaberin war zurückzuweisen.


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