Patent- und Markenrecht

(Patentnichtigkeitsklageverfahren – zur Frage der Verfahrenssprache –; ursprüngliche, der Erteilung zu Grunde liegenden Verfahrenssprache Englisch – Verteidigung in einem vorangegangenen Patentnichtigkeitsverfahren in deutscher Sprache – der nunmehr angegriffene Patentanspruch existiert nur noch in deutscher Sprache – Verteidigung in der Verfahrenssprache Deutsch – nicht übereinstimmende Formulierung in den Anmeldeunterlagen – offensichtliche Unrichtigkeit – stillschweigende Korrektur durch den Fachmann);

Aktenzeichen  6 Ni 45/16 (EP), 6 Ni 13/17 (EP), 6 Ni 28/18 (EP)

Datum:
3.2.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2020:030220U6Ni45.16EP.0
Normen:
Art 2 Abs 2 EuPatÜbk
§ 126 S 1 PatG
§ 184 GVG
Art II § 6 Abs 1 Nr 3 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst c EuPatÜbk
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

I. Ein in einer anderen Verfahrenssprache als deutsch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteiltes europäisches Patent, das die Patentinhaberin in einem vorangegangenen Patentnichtigkeitsverfahren in deutscher Sprache verteidigt hat, so dass der nunmehr angegriffene Patentanspruch nur noch in deutscher Sprache existiert, kann in einem nachfolgenden Patentnichtigkeitsverfahren nur noch in deutscher Sprache und nicht mehr in der ursprünglichen, der Erteilung zu Grunde liegenden Verfahrenssprache verteidigt werden.
II. Entnimmt der Fachmann der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen (Ansprüche, Beschreibung, Zeichnungen) ein Übertragungsleistungs-Steuerungsverfahren in einem Kommunikationssystem unter Verwendung eines geteilten Abwärts-Steuerkanals, erkennt er die bloße Nennung eines Abwärts-Verkehrskanals an einer einzigen Stelle der Beschreibung – ohne weitergehende Erläuterungen oder Hinweise – nicht als mögliche Ausführungsform der Erfindung. Vielmehr fasst er die mit der übrigen technischen Lehre nicht übereinstimmende Formulierung als offensichtliche Unrichtigkeit auf, die er stillschweigend korrigiert.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache


betreffend das europäische Patent 0 847 147
(DE 697 35 459)
hat der 6. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2019 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Friehe sowie der Richter Dipl.-Ing. Müller, Jacobi, Dipl.-Phys. Univ. Dipl.-Wirtsch.-Phys. Arnoldi und Dipl.-Ing. Matter
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 0 847 147 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts vom 9. Mai 2012 im Verfahren 5 Ni 152/09 (EU) für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 847 147 (Streitpatent), das auf die europäische Anmeldung 97121324.4 vom 4. Dezember 1997 zurückgeht und am 4. Dezember 2017 durch Zeitablauf erloschen ist. Das Streitpatent nimmt die Priorität aus der japanischen Anmeldung JP 32649396 vom 6. Dezember 1996 in Anspruch. Es wurde im Nichtigkeitsverfahren 5 Ni 152/09 (EU) durch Urteil vom 9. Mai 2012 teilweise für nichtig erklärt. Die verbleibende Fassung wurde als DE 697 35 459 C5 veröffentlicht.
2
Das Streitpatent wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 697 35 459.8 geführt und trägt die Bezeichnung
3
„Verfahren zur Steuerung der Senderleistung für einen CDMA Nachrichtenübertragungssystem“
4
(auf Englisch laut EP 0 847 147 B1:
5
„Transmission power control method for a CDMA communication system“).
6
Der einzig angegriffene Patentanspruch 1 lautet in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts vom 9. Mai 2012 im Verfahren 5 Ni 152/09 (EU):
7
1. Übertragungsleistungs-Steuerungsverfahren für ein spektrum-erweiterndes Kommunikationssystem, das ausführt Kommunikation zwischen einer Basisstation (203) und mehreren mobilen Geräten (204) unter Verwendung mehrerer Kanäle, wobei:
8
die mehreren Kanäle
9
erste Kanäle (3) aufweisen, die den mobilen Geräten zugeordnet sind, zum Übertragen eines Datenpakets an die Basisstation, und einen zweiten Kanal (140), der durch die Basisstation verwendet wird, um ein Steuerungssignal an die mobilen Geräte zu übertragen, wobei sich die mobilen Geräte den zweiten Kanal teilen, wobei der zweite Kanal (140) ein Abwärts-Verkehrskanal ist;
10
die Basisstation den Empfangspegel eines Signals misst, das auf jedem der ersten Kanäle empfangen wird, ein Übertragungsleistungssteuerungssignal nach Maßgabe des Empfangspegels von jedem ersten Kanal erzeugt und ein gemeinsames Übertragungsleistungssteuerungssignal, das die Übertragungsleistungssteuerungssignale für die jeweiligen ersten Kanäle in ein für das System vorgegebenes Format hineingesammelt enthält, in den zweiten Kanal einfügt und das gemeinsame Übertragungsleistungssteuerungssignal, das die Übertragungsleistungssteuerungssignale für jeden der ersten Kanäle enthält, über den zweiten Kanal überträgt; und
11
jedes mobile Gerät das ihm zugedachte Übertragungsleistungssteuerungssignal auf dem zweiten Kanal empfängt und die Übertragungsleistung für ein über einen entsprechenden der ersten Kanäle zu übertragendes Signal nach Maßgabe des empfangenen Übertragungsleistungssteuerungssignals steuert.
12
Hintergrund der am 18. April 2016 [6 Ni45/16 (EP)], am 8. Februar 2017 [6 Ni 13/17 (EP)] und am 19. April 2018 [6 Ni 28/18 (EP)] eingegangenen Nichtigkeitsklagen sind zwischen den Parteien wegen einer Verletzung von Patentanspruch 1 anhängige Verletzungsverfahren, gegen die Klägerin zu 1.) vor dem Oberlandesgericht München (Az. 6 U 3789/17), gegen die Klägerin zu 2.) beim Landgericht München I (Az. 21 O 10762/16) und gegen die Klägerin zu 3.) beim Landgericht Düsseldorf (Az. 4a O 121/17).
13
Die Klägerinnen machen in den durch Beschluss vom 25. Juli 2019 zum Zweck der gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbundenen Verfahren die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung, der mangelnden Ausführbarkeit aufgrund unvollständiger Offenbarung und der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Schließlich hat die Klägerin zu 1.) im Schriftsatz vom 21. Oktober 2019 die Möglichkeit des Eingreifens des Nichtigkeitsgrunds der Schutzbereichserweiterung erwogen und diesen in der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2019 ausdrücklich geltend gemacht.
14
Den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit stützen die Klägerinnen u. a. auf die folgenden Druckschriften (Kurzzeichen nach Klageschriftsätzen), wobei sie die in Anspruch genommene Priorität wegen mangelnder Erfindungsidentität für unwirksam erachten:
15
Bez. des Senats
Veröffentlichungsnummer
45/16 
13/17 
28/18 
ORMONDROYD
WO 94/06217 A1
ZP13   
D3    
D4    
MILLER
WO 93/15573 A1
ZP14   
        
D5    
WALTON
US 5 621 723 A
ZP15   
D2    
D6    
TAKESHI
JP H04 – 040024 A
        
D4    
D7    
16
Ergänzend haben die Klägerinnen u.a. auf folgende Dokumente Bezug genommen:
17
Bez. des Senats
Veröffentlichungsnummer bzw. Titel
45/16 
13/17 
28/18 
TIEDEMANN
WO 96/03813 A1
ZP11   
D1    
D2    
CODIT 
CODIT Final Review Report, “UMTS Code Division Testbed (CODIT)”, R2020/ERA/PM/DS/P/050/bl Issue 2.0, 1995-11-21, Seiten 1 – 94
ZP17   
        
D8    
IS-95-A
TIA/EIA Interim Standard. Mobile Station-Base Station Compatibility Standard for Dual-Mode Wideband Spread Spectrum Cellular System. TIA/EIA/IS-95A. May 1995. 741 Seiten.
ZP18   
        
D9    
SCHOTTEN
Prof. Dr.-Ing. Hans D. Schotten: Gutachten zum Patentverletzungsverfahren FIPA ./.Samsung Electronics vom 8. Februar 2017, S. 1 – 9; Annex A
ZP8e   
        
        
5 Ni 152/09
Urteil des Bundespatentgerichts vom 9. Mai 2012
        
WW6     
        
        
EP 0 680 159 A2
ZP19   
        
        
18
Die Klägerinnen beantragen,
19
das europäische Patent 0 847 147 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären.
20
Die Beklagte beantragt,
21
die Klagen abzuweisen,
22
hilfsweise die Klagen abzuweisen, soweit sie sich auch gegen eine Fassung des Streitpatents nach den Hilfsanträgen „Hauptantrag mit Disclaimer“, 2b, 2, 2 in englischer Sprache, 2a, 3b, 3, 3 in englischer Sprache, 3a, 4b, 4, 4 in englischer Sprache, 4a, 1, 1 in englischer Sprache sowie 1a richten.
23
Die Beklagte tritt der Argumentation der Klägerinnen entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung, wenigstens in einer der verteidigten Fassungen für schutzfähig. Die Berufung der Klägerin zu 1.) auf den Nichtigkeitsgrund der Schutzbereichserweiterung rügt sie als verspätet. Zur Stützung ihres Vorbringens hat sie sich u.a. auf folgende Druckschriften berufen:
24
Bez. des Senats
Veröffentlichungsnummer bzw. Titel
        
TAKESHI_EÜ
englische Übersetzung von JP H04 – 040024 A
D4c     
JUNG   
Prof. Dr.-Ing. habil. Peter Jung: Gutachten zum Streitpatent EP 0 847 147 B1 vom 5. April 2017. S. 1 – 34
dfmp3 = B3
KLEINROCK
Kleinrock, Leonhard: „Random access techniques for data transmission over packet-switched radio channels”, National Computer Conference, 1975, S. 187-201
dfmp13
25
Die jeweiligen Patentansprüche 1 gemäß den 16 Hilfsanträgen, aufgeführt in der beantragten Reihenfolge, haben folgenden Wortlaut:
26
Hauptantrag mit Disclaimer:
27
Mit der Maßgabe, dass aus dem Merkmal „wobei der zweite Kanal (140) ein Abwärts-Verkehrskanal ist“ keine Rechte hergeleitet werden.
28
Hilfsantrag 2 vom 16. September 2019:
29
Hilfsantrag 2 (englische Sprachfassung) vom 16. September 2019:
30
Hilfsantrag 2a vom 13. November 2019 lautet:
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31
Hilfsantrag 3b vom 13. November 2019:
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32
Hilfsantrag 3 vom 16. September 2019:
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33
– Hilfsantrag 3 (englische Sprachfassung) vom 16. September 2019:
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34
– Hilfsantrag 3a vom 13. November 2019 lautet:
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35
– Hilfsantrag 4b vom 13. November 2019:
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36
– Hilfsantrag 4 vom 16. September 2019:
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37
– Hilfsantrag 4 (englische Sprachfassung) vom 16. September 2019:
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38
– Hilfsantrag 4a vom 13. November 2019 lautet:
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39
– Hilfsantrag 1 vom 16. September 2019 lautet:
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40
– Hilfsantrag 1 (englische Sprachfassung) vom 16. September 2019:
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41
– Hilfsantrag 1a vom 13. November 2019:
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Entscheidungsgründe

A.
42
Die Klagen sind zulässig, insbesondere fehlt ihnen nach dem Erlöschen des Streitpatents nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da auf den angegriffenen Patentanspruch 1 gestützte Verletzungsklagen anhängig sind. Die Klagen sind auch begründet. Das Streitpatent ist im Umfang des einzig angegriffenen Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären, weil ihm in sämtlichen Fassungen zumindest einer der Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung, der mangelnden Ausführbarkeit aufgrund unzureichender Offenbarung oder der mangelnden Patentfähigkeit (nämlich der fehlenden Neuheit) entgegensteht.
43
I. Zum Gegenstand des Streitpatents
44
1. Das Streitpatent betrifft die Regelung der Sendeleistung in einem CDMA-Mobilfunksystem (CDMA = code division multiple access = Vielfachzugriff durch Codemultiplex), bei dem sich mehrere mobile Endgeräte dasselbe Frequenzband für die Kommunikation mit einer Basisstation teilen. Wenn die Übertragungsleistung jedes mobilen Geräts so gesteuert werde, dass der an der Basisstation empfangene Signalpegel auf eine minimal notwendige Empfangsleistung begrenzt werde, sei es möglich, die Anzahl der (Aufwärts-)Kanäle zu maximieren (EP 0 847 147 B1, Abs. 0001 – 0003).
45
Aus dem für Nordamerika verabschiedeten digitalen Mobilfunkstandard IS-95 sei ein Verfahren zur Sendeleistungsregelung bei bidirektionaler (Sprach-) Kommunikation bekannt, bei dem die Basisstation die Empfangsleistung von Daten messe, die von einem jeweiligen mobilen Endgerät über einen Aufwärts-Verkehrskanal übertragen würden, und ein Übertragungsleistungssteuerungssignal nach Maßgabe der gemessenen Empfangsleistung erzeuge. Dieses zweiwerte („0“ oder „1“) Steuersignal werde in Daten eingefügt, die von der Basisstation an das jeweilige mobile Endgerät über den gepaarten, d. h. dem Aufwärts-Verkehrskanal zugeordneten Abwärts-Verkehrskanal zu übertragen seien. Das mobile Endgerät würde die Sendeleistung auf dem Aufwärts-Verkehrskanal entsprechend dem über den gepaarten Abwärts-Verkehrskanal empfangenen Steuersignal erhöhen oder verringern (EP 0 847 147 B1, Abs. 0004 – 0008).
46
Durch den Fortschritt mobiler Kommunikationstechniken bestünde ein zunehmendes Bedürfnis nicht nur nach der bei Mobiltelefonen üblichen Sprachkommunikation, sondern auch nach Datenkommunikation, welche typischerweise unidirektional sei. Dafür seien unter dem Gesichtspunkt der effizienten Kanalnutzung CDMA-Mobilfunksysteme mit Paketdatenübertragung vorgeschlagen worden, bei denen jedoch das bekannte Übertragungsleistungs-Steuerungsverfahren nicht übernommen werden könne, da es ein Paar aus Aufwärts- und Abwärtsverkehrs-Kanal voraussetze (EP 0 847 147 B1, Abs. 0010 – 0012).
47
Wäre ein gepaarter Abwärtskanal ausschließlich für die Übertragungsleistungssteuerung des zugehörigen Aufwärtsverkehrs-Kanals vorgesehen, sei die Nutzungseffizienz der Verkehrskanäle verringert (EP 0 847 147 B1, Abs. 0013).
48
2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent nach dem Anspruch 1 in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts vom 9. Mai 2012 im Verfahren 5 Ni 152/09 (EU) (veröffentlicht als DE 697 35 459 C5) ein Übertragungsleistungs-Steuerungsverfahren vor, das sich in folgende Merkmale gliedern lässt (Änderungen gegenüber dem ursprünglich erteilten Patentanspruch 1 durch Unterstreichung hervorgehoben):
49
1. Übertragungsleistungs-Steuerungsverfahren für ein spektrum-erweiterndes Kommunikationssystem, das ausführt Kommunikation zwischen einer Basisstation (203) und mehreren mobilen Geräten (204) unter Verwendung mehrerer Kanäle, wobei:
50
2 die mehreren Kanäle
51
2.1 erste Kanäle (3) aufweisen, die den mobilen Geräten zugeordnet sind, zum Übertragen eines Datenpakets an die Basisstation, und
52
2.2 einen zweiten Kanal (140), der durch die Basisstation verwendet wird, um ein Steuerungssignal an die mobilen Geräte zu übertragen,
53
2.3 wobei sich die mobilen Geräte den zweiten Kanal teilen,
54
2.4 wobei der zweite Kanal (140) ein Abwärts-Verkehrskanal ist;
55
3 die Basisstation
56
3.1 den Empfangspegel eines Signals misst, das auf jedem der ersten Kanäle empfangen wird,
57
3.2 ein Übertragungsleistungssteuerungssignal nach Maßgabe des Empfangspegels von jedem ersten Kanal erzeugt
58
3.3 und ein gemeinsames Übertragungsleistungssteuerungssignal, das die Übertragungsleistungssteuerungssignale für die jeweiligen ersten Kanäle in ein für das System vorgegebenes Format hineingesammelt enthält, in den zweiten Kanal einfügt und
59
3.4 das gemeinsame Übertragungsleistungssteuerungssignal, das die Übertragungsleistungssteuerungssignale für jeden der ersten Kanäle enthält, über den zweiten Kanal überträgt; und
60
4 jedes mobile Gerät das ihm zugedachte Übertragungsleistungssteuerungssignal auf dem zweiten Kanal empfängt und
61
5 die Übertragungsleistung für ein über einen entsprechenden der ersten Kanäle zu übertragendes Signal nach Maßgabe des empfangenen Übertragungsleistungssteuerungssignals steuert.
62
3. Fachmann ist ein Ingenieur der Fachrichtung Elektro- oder Nachrichtentechnik mit einem universitären Diplom- bzw. Masterabschluss, der über eine mehrjährige Berufserfahrung sowie Kenntnisse auf dem Gebiet der Konzeption von Mobilfunksystemen, insbesondere im Bereich der Leistungsregelung bei CDMA-Systemen verfügt. Einem solchem Fachmann sind die zum Prioritätszeitpunkt geltenden Normen für Übertragungsverfahren der mobilen Kommunikation sowie die dafür zur Anwendung kommenden Standardgerätschaften bekannt.
63
4. Die Lehre des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts vom 9. Mai 2012 im Verfahren 5 Ni 152/09 (EU) ist aus Sicht des Fachmanns wie folgt weiter zu erläutern:
64
a) Das Übertragungsleistungs-Steuerungsverfahren nach Merkmal 1 bezieht sich auf die Regelung der Sendeleistung der mobilen Geräte auf den jeweiligen Aufwärtskanälen in einem CDMA-Mobilfunksystem. Eine Regelung der Sendeleistung der Basisstation auf den Abwärtskanälen ist im Anspruch 1 nicht angesprochen.
65
Nach den Angaben im Merkmal 2.1 (zum Übertragen eines Datenpakets) ist das CDMA-Mobilfunksystem als Paketdatenkommunikationssystem ausgebildet (EP 0 847 147 B1, Abs. 0014, 0018: packet data communication system; Fig. 2 und Abs. 0023: data packet 6a, time slot 7a), wie es am Prioritätstag als Weiterentwicklung des IS-95-Mobilfunkstandards aus dem Stand der Technik bekannt war (EP 0 847 147 B1, Abs. 0009: Verweis auf WO 96/03813 A1, im hiesigen Nichtigkeitsverfahren als TIEDEMANN bezeichnet, dort Figuren 7 und 8; EP 0 847 147 B1, Abs. 0011: Verweis auf eine IEICE-Veröffentlichung).
66
b) Nach den Angaben in der Patentschrift EP 0 847 147 B1 kommuniziert die Basisstation einer Funkzelle mit den Mobilstationen über Funkkanäle (Abs. 0019: radio channels), welche in einem CDMA-System zumindest durch Frequenz, Chiprate und Kanalisierungs-Kode (= Spreiz-Kode) gekennzeichnet sind (EP 0 847 147 B1, Abs. 0025, plurality of multiplexed channel signals … to be spectrum despread“; IS-95-A, S. 1-3, Z. 21 – 35: Code Channel; CODIT, S. 20, Kap. 2.2.2: A physical channel is characterised by a chip rate. R
c
, a RF channel (carrier frequency f
c
) and a DS spreading code.).
67
Der angesprochene Fachmann differenziert die in den Merkmalen 1 und 2 genannten mehreren Kanäle nicht nur nach der Kommunikationsrichtung (auf- bzw. abwärts), sondern auch danach, ob sie eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen der Basisstation und einem einzigen mobilen Gerät herstellen oder ob sie der gleichzeitigen Kommunikation der Basisstation mit mehreren mobilen Geräten dienen. Im ersten Fall ist ein Kanal nur einem mobilen Endgerät zugeordnet, es handelt sich um einen dedizierten Kanal, während im zweiten Fall von einem gemeinsamen oder geteilten Kanal gesprochen wird.
68
aa) Die nur einem mobilen Gerät zugeordneten, d. h. dedizierten Kanäle werden im Streitpatent und im IS-95-Standard, von dem das Streitpatent unstreitig ausgeht (EP 0 847 147 B1, Abs. 0004, 0034), als Verkehrskanäle (traffic channel) bezeichnet und dienen sowohl der Übertragung der eigentlichen Nutzerdaten zwischen Basisstation und einer Mobilstation als auch der für diese Punkt-zu-Punkt-Verbindung erforderlichen Steuersignale. Die dedizierten Kanäle treten stets als gepaarte Aufwärts- und Abwärtsverkehrskanäle auf (EP 0 847 147 B1, Abs. 0005, 0007, 0012, 0013:
pair of an uplink traffic channel and a downlink traffic channel
; IS-95-A, S. 1-15, Z. 12 – 15:
Traffic Channel
. A communication path between
a
mobile station and
a
base station used
for user and signaling traffic
. The term Traffic Channel implies a
Forward Traffic Channel and Reverse Traffic Channel pair
).
69
bb) Beispiele für die von allen oder zumindest mehreren mobilen Endgeräten in einer Funkzelle gemeinsam genutzten, d. h. geteilten Kanäle sind
70
– abwärtsgerichtete Rundsende-Kanäle, auf denen in einer Funkzelle die Basisstation Systeminformationen an die mobilen Endgeräte überträgt (EP 0 847 147 B1, Abs. 0021, 0039, 0040 und Fig. 2: pilot channel; IS-95-A, S. 1-11, Z. 7 – 14: pilot channel; S. 1-14, Z. 29, 30: sync channel; CODIT, S. 20, Fig. 2.9: BCH: Broadcast channel),
71
– aufwärtsgerichtete Reservierungskanäle, auf denen die mobilen Endgeräte unsynchronisierte, wahlfreie Zugriffsversuche auf die Basisstation ausführen dürfen, um Verbindungswünsche zu signalisieren (EP 0 847 147 B1, Abs. 0021, 0022 und Fig. 2: reservation channel; IS-95-A, S. 1-1, Z. 9 – 12: Access Channel; CODIT, S. 20, Fig. 2.9: RACH: Random Access Channel), und
72
– abwärtsgerichtete Anwort- bzw. Zuteilungskanäle, auf denen die Basisstation den mobilen Endgeräten jeweils einen aufwärtsgerichteten Verkehrskanal für die Nutzerdatenübertragung zuteilt, wobei diese Zuteilung entweder von der Basisstation selbst initiiert wird oder ihre Reaktion auf die über die Reservierungskanäle ausgeführten Zugriffsversuche der mobilen Endgeräte darstellt (EP 0 847 147 B1, Abs. 0021, 0022 und Fig. 2: answer channel; IS-95-A: S. 1-10, Z. 28, 29: Paging Channel (CDMA); CODIT, S. 20, Fig. 2.9: AGCH Access Grant Channel).
73
c) Bei der in Merkmal 2.1 genannten Zuordnung der ersten Kanäle zu den mobilen Geräten handelt es sich nach den nicht einschränkenden Ausführungsbeispielen insofern um eine feste Eins-zu-Eins-Zuordnung, als dass in einem „reservation based access system“ die Basisstation – als Reaktion auf eine Anfrage einer Mobilstation über den Reservierungskanal – der Mobilstation über den Antwortkanal einen Kode bzw. Nummer für einen Aufwärts-Kanal und einen Zeitabschnitt auf diesem zuweist (EP 0 847 147 B1, Fig. 2, ; KLEINROCK, S. 198, re. Sp., Abschnitt Reservation Techniques).
74
Das Merkmal 2.1 und im Übrigen der gesamte Anspruch 1 schließt jedoch nicht aus, dass die Kanalzuordnung auf andere Weise zustande gekommen ist, mithin ein anderer Mechanismus verwendet wurde. So kann beispielsweise bei einem sogenannten „CSMA with busy tone“-System (CSMA = Carrier Sense Multiple Access) eine Mobilstation über einen (von mehreren möglichen) wahlfreien Aufwärts-Kanal einen Zugriffsversuch unternehmen, wobei im Erfolgsfall dieser Kanal von der Basisstation durch Aussenden eines Besetzt-Zeichens als belegt markiert wird. Dadurch werden Zugriffsversuche anderer Mobilstationen verhindert, so dass dieser Aufwärts-Kanal der einen erfolgreichen Mobilstation, jedenfalls für eine bestimmte Zeit, im Sinne des Merkmals 2.1 fest zugeordnet ist (KLEINROCK, S. 195, li. Sp., Abschnitt Carrier Sense Multiple Access With a Busy Tone).
75
Bei den von den Mobilstationen an die Basisstation zu übertragenden Datenpaketen handelt es sich um Nutzerdaten, weshalb die ersten Kanäle nach Merkmal 2.1 als Aufwärts-Verkehrskanäle ausgestaltet sind (EP 0 847 147 B1, Abs. 0005: The uplink traffic channel is a channel for transmitting data from a mobile terminal to the base station; Abs. 0016, 0022: uplink traffic channels).
76
d) Bei dem zweiten Kanal handelt es sich nach den Angaben in den Merkmalen 2.2 und 2.3 um einen geteilten Abwärts-Kanal, den die Basisstation gemäß den Merkmalen 3, 3.2, 3.3 und 3.4 jedenfalls dazu verwendet, Übertragungsleistungssteuerungssignale an die Mobilstationen zu übertragen. Dem Fachmann ist bewusst, dass die Zuordnung der jeweiligen Leistungssteuerungssignale zu den einzelnen mobilen Geräten zusätzliche Maßnahmen erfordert, etwa eine Adressierung und/oder eine bestimmte zeitliche Anordnung der einzelnen Leistungssteuerungssignale.
77
aa) Nach dem ersten Ausführungsbeispiel (Fig. 3 – 9) der Patentschrift EP 0 847 147 B1 ist der zweite Kanal der vorstehend erläuterte Antwort-/ Zuweisungs-Kanal (answer channel), der so verändert wird, dass er zusätzlich zu seiner originären Aufgabe, der Übertragung der Zuweisungsbefehle (answer packets) an die Mobilstationen (Fig. 4), auch noch die an die einzelnen Mobilstationen gerichteten Leistungssteuerungsbefehle (transmission power control signal) transportiert. Diese werden in zwischen den Zuweisungspaketen (answer packets) vorhandene zeitliche Lücken eingefügt, wobei die die einzelnen Mobilstationen betreffenden Leistungssteuerungssignale (111a, 111b, …, 111n) aufeinander folgend übertragen werden.
78
bb) In dem zweiten Ausführungsbeispiel (Fig. 10, 11) ist zusätzlich die Möglichkeit vorgesehen, zwischen der aus dem Stand der Technik (IS-95) bekannten Nutzung der jeweiligen dedizierten Abwärts-Verkehrskanäle zur Übertragung der Leistungssteuerungsbefehle bei bidirektionaler Kommunikation und der (Doppel-)Nutzung des Antwortkanals bei unidirektionaler Kommunikation (vgl. erstes Ausführungsbeispiel) umzuschalten.
79
cc) Nach den Angaben in den Merkmalen 2.3 und 2.4 ist der zweite Kanal abweichend von den Ausführungsbeispielen weder als modifizierter Antwortkanal noch als (wie aus dem Stand der Technik bekannt) dedizierter Verkehrskanal, sondern als von den Mobilstationen geteilter Abwärts-Verkehrskanal ausgebildet. In der Patentschrift EP 0 847 147 B1 wird diese Ausgestaltung nur einmal (Abs. 0014) – ohne irgendwelche Erläuterungen – genannt.
80
Mangels anderslautender Erläuterungen im Streitpatent geht der Fachmann davon aus, dass der beanspruchte Abwärts-Verkehrskanal, wie der Antwortkanal nach dem Ausführungsbeispiel, seine originäre Funktion beibehält, d. h. nach wie vor Nutzerdaten an eine einzige Mobilstation überträgt und insofern modifiziert wird, als dass er zusätzlich die Übertragungsleistungssteuerungssignale für mehrere Mobilstationen enthält. Dieses Verständnis des beanspruchten geteilten Abwärts-Verkehrskanals – Beibehaltung der originären Funktion – hat auch der 5. Senat des Bundespatentgerichts seinem Urteil 5 Ni 152/09 (EU) zugrunde gelegt (5 Ni 152/09 (EU), die Seiten 38 und 39 übergreifender Absatz).
81
dd) Nach Auffassung der Beklagten ist insbesondere der im Folgenden wiedergegebene letzte Absatz der Beschreibung der Patentschrift EP 0 847 147 B1 für das fachmännische Verständnis des Merkmals 2.4 beachtlich:
82
83
Hier komme zum Ausdruck, dass abweichend von den Ausführungsbeispielen nicht nur der Antwortkanal (answer channel), sondern auch ein anderer von den Mobilstationen geteilter Kanal, insbesondere ein für die Übertragungsleistungssteuerung bestimmter (dedizierter) Kanal (a channel dedicated to transmission power control), verwendet werden könne. Dem Fachmann dränge sich auf, dass es sich bei dem im letzten Satz des Absatzes 0062 genannten dedizierten Kanal um einen Abwärts-Verkehrskanal „sui generis“ handele, der im Gegensatz zu einem „kanonischen“, also herkömmlichen Verkehrskanal keine Nutzerdaten, sondern nur noch die Übertragungsleistungssteuerungsbefehle für die Mobilstationen übertrage.
84
ee) Diese Auslegung der Patentschrift hält einer Überprüfung nicht stand. Denn im ersten Satz des Absatzes 0062 ist ausgeführt, dass die Erfindung gemäß den Ausführungsbeispielen auf ein Mobilkommunikationssystem mit einem reservierungsbasierten Zugriffssteuerungsschema angewendet werde, bei dem eine Basisstation ein Sendeleistungssteuerungssignal an jede Mobilstation unter Verwendung eines im System vorhandenen, nun modifizierten Antwortkanals sendet.
85
In den nächsten beiden Sätzen ist davon die Rede, dass bei einem (anderen oder demselben) Kommunikationssystem anstelle des Antwortkanals ein anderer Kanal verwendet werden könne (channel other than the answer channel), solange es sich um einen gemeinsamen Kanal handelt, der von den Mobilstationen geteilt wird (if it is a common channel shared by mobile terminals. … if a system uses a common channel shared by mobile terminals). Dem entnimmt der Fachmann, dass ein im System bereits vorhandener geteilter Kanal, der nicht der Antwortkanal ist, zusätzlich für die Übertragung der Leistungssteuerungsbefehle genutzt werden kann. Da ein Verkehrskanal nicht zu den geteilten Kanälen gehört, entnimmt der Fachmann diesen Sätzen gerade keinen Verkehrskanal, sondern einen vom Antwortkanal abweichenden, geteilten Abwärts-Steuerkanal, wie etwa den Pilotkanal oder den Synchronisierungskanal bei IS-95 (IS-95-A, S. 1-11, Z. 7 – 14: pilot channel; S. 1-14, Z. 29, 30: sync channel) oder den Rundfunkkanal gemäß der UMTS-Studie Codit (CODIT, S. 20, Fig. 2.9: BCH: Broadcast channel).
86
In dem letzten Satz des Absatzes 0062 führt das Streitpatent abschließend aus, dass es offensichtlich auch möglich wäre, in einem Mobilkommunikationssystem einen neuen dedizierten Abwärts-(Steuer)Kanal (dedicated to transmission power
control
) für die Übertragung der Sendeleistungssteuerungsbefehle von der Basis- an die Mobilstationen vorzusehen. Auch hier liest der Fachmann keinen Verkehrskanal mit, denn ein solcher dient bestimmungsgemäß der Übertragung von Nutzerdaten und ist auch nicht geteilt, sondern realisiert eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung.
87
ff) Die Beklagte begründet ihre Auffassung, ein Fachmann verstehe unter dem im Absatz 0062 der Patentschrift EP 0 847 147 B1 genannten dedizierten Kanal einen als Steuerkanal ausgebildeten Verkehrskanal, u. a. damit, dass in den USA und in Japan am Prioritätstag ein von Europa abweichendes Sprachverständnis des Begriffs „traffic“ (Verkehr) bestanden habe. Der Fachmann habe im Zusammenhang mit dem US-amerikanischen Mobilfunkstandard IS-95 das Wort „traffic“ als eine Art Oberbegriff verstanden, das sowohl Nutzerdaten (primary traffic) als auch Steuerdaten (signalling traffic) umfasse.
88
Gemäß IS-95 könne ein Verkehrskanal auch ausschließlich Steuerdaten übertragen. In den nachfolgend wiedergegebenen und vom Senat kolorierten Tabellen 7.1.3.5.11-1 und 7.1.3.5.11.1-1 zeige der IS-95-Standard, dass im sogenannten „Blank and Burst with Signaling Traffic Only“-Betrieb der „Mulitplex Option 1“ über einen Verkehrskanal ausschließlich Steuerdaten (168 bits/frame) und keine Nutzerdaten (0 bits/frame) übertragen würden:
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89
gg) Der Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass nach dem IS-95-Mobilfunkstandard ein Verkehrskanal in der Betriebsart „Multiplex Option 1“, Unterbetriebsart „blank and burst“, keine Steuerdaten überträgt. Wie dem ersten Teil der Tabelle 7.1.3.5.11.1-1 zu entnehmen ist, wird in der Betriebsart „Multiplex Option 1“ für jeden Rahmen (frame), also einem Zeitabschnitt von 10 ms Dauer (IS-95-A, S. 1-6, Z. 1-3) mittels der Bits MM, TT und TM signalisiert, ob die restlichen Bits dieses Rahmens Nutzerdaten, Steuerdaten oder beides umfassen. Die ausschließliche Übertragung von Steuerdaten (blank and burst) ist nur für die Datenrate 9600 Bits/s möglich.
90
Der Mobilfunkstandard IS-95 zeigt somit für die Betriebsart „Multiplex Option 1“ eine zeitlich variable Unterteilung der Verkehrskanäle in Abschnitte mit mehr oder weniger Nutzer- bzw. Steuerdaten, wobei auch der Grenzfall der ausschließlichen Steuerdatenübertragung umfasst ist.
91
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Übertragung von Nutzerdaten (information bits) der primäre Zweck eines Verkehrskanals in IS-95 ist, wie sich aus dem einleitenden Kapitel 7.1.3.5 zum Abwärts-Verkehrskanal (forward traffic channel) ergibt, das nachfolgend auszugsweise wiedergeben ist (IS-95A, S. 7-27, Z. 13 – 15; S. 7-28, Z. 12 – 15; S. 7-29, oberster Teil der Fig. 7.1.3.5.2-1):
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92
Mithin entnimmt der Fachmann auch dem IS-95-Standard, dass ein Verkehrskanal primär zur Übertragung von Nutzerdaten (information bits) zwischen Basisstation und einer Mobilstation dient. Nur für einzelne Rahmen (blank and burst) einer besonderen Betriebsart (Multiplex Option 1) besteht die Möglichkeit, ausnahmsweise ausschließlich Steuerdaten zu übertragen.
93
hh) Nach alledem ist nicht ersichtlich, inwiefern der Fachmann – vor dem Hintergrund des IS-95-Mobilfunkstandards – aus dem Streitpatent ein abweichendes Verständnis des Begriffs „Verkehrskanal“ entwickeln sollte. Vielmehr versteht er unter einem geteilten Abwärts-Verkehrskanal nach den Merkmalen 2.3 und 2.4 einen Kanal zur Nutzerdatenübertragung von der Basisstation an eine Mobilstation, der zusätzlich die Leistungssteuerungsbefehle für weitere Mobilstationen überträgt.
94
e) Der Fachmann entnimmt den Merkmalen 2.1, 3, 3.1, 3.2, 3.3, 3.4, 4 und 5, dass in der Aufwärtsrichtung (uplink) jede Mobilstation auf einem anderen CMDA-Kanal Datenpakete an die Basisstation sendet, dass die Basisstation die Empfangsleistung für jeden der Aufwärts-Kanäle gesondert misst und entsprechende, den einzelnen Mobilstationen zugeordnete Übertragungsleistungssteuerungsignale erzeugt.
95
f) Ein Übertragungsleistungssteuerungssignal nach Merkmal 3.2 kann mittels mehrerer Bits einen absoluten Leistungspegel für das mobile Gerät anweisen oder – wie aus IS-95 bekannt und in der Patentschrift EP 0 847 147 B1 für den Fall des Antwortkanals beschrieben – als differentiell wirkendes 1-Bit-Steuersignal ausgebildet sein, welches das mobile Gerät gemäß Merkmal 4 auf dem zweiten Kanal empfängt und seine Übertragungsleistung gemäß Merkmal 5 um einen bestimmten Betrag, z. B. 1 dB, erhöht oder verringert (EP 0 847 147 B1, Abs. 0006, 0033, 0034).
96
Für einen erfolgreichen Empfang des ihm zugedachten Übertragungsleistungssteuerungssignals nach Merkmal 4 muss dem mobilen Gerät zumindest Frequenz, Datenrate und Kanalisierungskode des zweiten Kanals bekannt sein.
97
g) Das im Merkmal 3.3 genannte Einfügen eines „gemeinsamen“ Signals in den zweiten Kanal, das die einzelnen Steuersignale „in ein für das System vorgegebenes Format hineingesammelt enthält“ bringt zum einen zum Ausdruck, dass die Werte der einzelnen Steuersignale unverändert bleiben. Zum anderen stehen die einzelnen Steuersignale in einer gewissen zeitlichen Nachbarschaft, wie dies auch die Figur 7 der Patentschrift EP 0 847 147 B1 zum Ausdruck bringt. Dabei müssen jedoch die Leistungssteuerungsbits eines einzelnen Übertragungsleistungssteuerungssignals nicht unmittelbar an die entsprechenden Bits benachbarter Übertragungsleistungssteuerungssignale angrenzen, denn der Fachmann zieht eine möglicherweise erforderliche Adressierung der einzelnen mobilen Geräte in Betracht, wie dies auch bei der herkömmlichen Nutzung des Antwortkanals bei den Zuweisungsbefehlen der Fall ist (EP 0 847 147 B1, Fig. 4: MOBILE TERMINAL ID in jedem Antwortpaket).
98
Zudem impliziert das „Einfügen“ des gemeinsamen Übertragungsleistungssteuerungssignals in den zweiten Kanal, also den anspruchsgemäßen Abwärts-Verkehrskanal, dass dieser nicht vollständig für diesen Zweck zur Verfügung steht, sondern – wie zur Auslegung der Merkmale 2.3 und 2.4 dargelegt – auch noch solche zeitlichen Abschnitte umfasst, die zur Erfüllung seiner originären Funktion, der Übertragung von Nutzerdaten von der Basisstation an eine Mobilstation, erforderlich sind.
99
II. Zur geltenden Fassung von Patentanspruch 1 (Hauptantrag)
100
1. Der allein angegriffene Patentanspruch 1 in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts vom 9. Mai 2012 im Verfahren 5 Ni 152/09 (EU) ist für nichtig zu erklären, weil er über den Inhalt der beim europäischen Patentamt ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. c) EPÜ.
101
Der Senat bezieht sich im Folgenden auf die im Verfahren ausschließlich diskutierte Offenlegungsschrift EP 0 847 147 A2, die gegenüber den ursprünglich beim europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen Änderungen aufweist.
102
Der Fachmann konnte die Ausgestaltung des zweiten Kanals als Abwärts-Verkehrskanal (Merkmal 2.4) den ursprünglichen Unterlagen (mit Änderungen veröffentlicht als EP 0 847 147 A2) nicht unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen.
103
a) Der Begriff „Abwärts-Verkehrskanal“ ist nur einmal in der EP 0 847 147 A2 genannt, Spalte 3, Zeilen 1 – 4 (Kolorierung vom Senat hinzugefügt):
104
Auch sonst findet sich in der EP 0 847 147 A2 keine Stütze für die Ausbildung des zweiten Kanals als Abwärts-Verkehrskanal.
105
b) In dem sich an die einmalige Nennung des Abwärts-Verkehrskanals unmittelbar anschließenden Beschreibungsteil wird dieser Sprachgebrauch nicht weitergeführt, sondern es ist lediglich von einem gemeinsamen Kanal die Rede (EP 0 847 147 A2, Sp. 5, Z. 6 – 14: using the
common channel
shared by the mobile terminals; nicht etwa „the common traffic channel“ oder „the single traffic channel“).
106
In einem ersten Ausführungsbeispiel ist dies der Antwort-/Zuweisungskanal, ein Abwärts-Steuerkanal, der nicht länger nur die Kanal- und Zeitschlitz-Zuweisungsbefehle für die einzelnen Mobilstationen, sondern zusätzlich die entsprechenden Leistungssteuerungsbefehle beinhalten soll (EP 0 847 147 A2, Sp. 4, Z. 53 – Sp. 9, Z. 28; Fig. 3 – 9).
107
In einem zweiten Ausführungsbeispiel wird der modifizierte Antwortkanal des ersten Ausführungsbeispiels mit dem aus IS-95 bekannten Einfügen der Leistungssteuerungsbefehle in die jeweiligen dedizierten Abwärts-Verkehrskanäle kombiniert (EP 0 847 147 A2, Sp. 9, Z. 28 – Sp. 10, Z. 57; Fig. 10, 11).
108
In dem sich an die beiden Ausführungsbeispiele anschließenden, letzten Teil der Beschreibung führt die Anmeldung – wie zur Auslegung des Anspruchs 1 dargelegt – aus, dass die Erfindung auch auf einen anderen gemeinsamen Abwärtskanal angewendet werden könne, also nicht auf den Antwortkanal beschränkt sei (EP 0 847 147 A2, Sp. 11, Z. 4 – 11: The invention is also appicable to a channel other than the answer channel
if it is a common channel shared by mobile terminals
). Offensichtlich könne auch ein der Übertragungsleistungssteuerung gewidmeter Kanal vorgesehen werden (EP 0 847 147 A2, Sp. 11, Z. 11 – 16). Hätte die Anmeldung tatsächlich die Nutzung eines Abwärts-Verkehrskanals für die Übertragung des gemeinsamen Übertragungsleistungssteuerungsbefehls für den Fachmann erkennbar im Blick gehabt, so hätte dies – wenn schon nicht in den Ausführungsbeispielen – zumindest in dem verallgemeinernden, abschließenden Teil der Beschreibung erwähnt sein müssen. Dies ist nicht der Fall.
109
c) Eine Ausgestaltung des gemeinsamen Abwärtskanals als Verkehrskanal entnimmt der Fachmann auch deshalb nicht der ursprünglichen Anmeldung als mögliche Ausführungsform der Erfindung, weil in der Beschreibungseinleitung die Leistungsregelung nach dem IS-95-Standard mit Einfügung der Leistungssteuerungsbefehle in die Nutzerdaten der gepaarten Aufwärts- und Abwärts-Verkehrskanäle ausführlich dargelegt wird und sich die Erfindung gerade von der Nutzung der Verkehrskanäle zur Übertragung der Leistungssteuerungsbefehle absetzen will.
110
d) Nach alledem hat der Fachmann die einmalige bloße Nennung des Abwärts-Verkehrskanals in der ursprünglichen Anmeldung als „Fremdkörper“ im Sinne einer offensichtlichen Unrichtigkeit wahrgenommen, die er im Lichte dessen, was er der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen (Beschreibung, Ansprüche, Zeichnungen) an technischer Lehre entnimmt, zu einem Abwärtssteuerkanal korrigiert hat.
111
e) Damit stellt die Ausgestaltung des gemeinsamen Abwärts-Kanals als Verkehrskanal im Anspruch 1 in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts vom 9. Mai 2012 im Verfahren 5 Ni 152/09 (EU) keine Einschränkung, sondern ein Aliud dar. Somit liegt der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gegenüber den ursprünglich beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen vor.
112
Ein bloßes Nicht-Herleiten von Rechten aus dem Merkmal 2.4 (BGH, Urteil vom 17. Februar 2015 – X ZR 161/12, GRUR 2015, 573 – Wundbehandlungsvorrichtung; BGH, Urteil vom 21. Juni 2011 – X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 – Integrationselement; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 – Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 – Winkelmesseinrichtung) kommt somit nicht in Betracht.
113
2. Den Klagen ist auch deshalb statt zu geben, weil die im angegriffenen Anspruch 1 angegebene Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) EPÜ.
114
Die Streitpatentschrift EP 0 847 147 B1 enthält, wie im Zusammenhang mit der Auslegung und dem Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung bereits ausgeführt, keinerlei Erläuterungen dazu, wie der beanspruchte geteilte Abwärts-Verkehrskanal ausgebildet sein muss, um anspruchsgemäß das gemeinsame Übertragungsleistungssteuerungssignal von der Basisstation an die mehreren mobilen Geräte zu übertragen und zugleich bestimmungsgemäß eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen der Basisstation und einer Mobilstation zur Übertragung von Nutzerdaten zu realisieren.
115
a) Aus dem im Streitpatent mehrfach zitierten IS-95-Mobilfunkstandard ist bekannt, dass sich die Abwärts-Steuerkanäle (pilot, sync, paging channel) von den Abwärts-Verkehrskanälen (forward traffic channel) nicht nur in den Schichten 2 und 3 des ISO/OSI-Schichtenmodells voneinander unterscheiden (IS-95-A, S. C-1, Fig. C-1), sondern auch in der Schicht 1, dem „physical layer“ (IS-95-A, S. 7-2, Fig. 7.1.3.1-1):
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116
Auch wenn einige Parameter der physikalischen Schicht für die Antwortkanäle (paging channel) und die Abwärts-Verkehrskanäle (traffic channel) gleich sein mögen (z. B. Frequenz, Rahmenlänge 20 ms, Abfolge der Schritte convolutional encoding, symbol repetition, block interleaving, spreading with Walsh function), gibt es dennoch signifikante Unterschiede. So umfassen nur die Abwärts-Verkehrskanäle eingefügte Leistungssteuerungsbefehle (power control bits) und sind als dedizierte Kanäle selbst leistungsgeregelt (IS-95-A, S. 6-132, Z. 4ff; S. 7-55, Z. 12, 13), während die Antwortkanäle als gemeinsame Steuerkanäle mit fester Leistung von der Basisstation ausgesendet werden, um von allen Mobilstationen empfangbar zu sein (IS-95-A, S. 7-27, Z. 4, 5).
117
Der Fachmann kann dem Streitpatent nicht entnehmen, wie ein leistungsgeregelter dedizierter, d. h. einer Mobilstation zugeordneter Abwärts-Verkehrskanal zugleich als gemeinsamer Abwärts-(Steuer)Kanal mit fester Leistung ausgestrahlt werden soll. Denn das gemeinsame Übertragungsleistungssteuerungssignal nach Merkmal 3.3 muss mit hoher Sendeleistung ausgestrahlt werden, um alle angesprochenen Mobilstationen sicher zu erreichen. Demgegenüber erfordert ein sich in der Nähe einer Basisstation befindliches mobiles Gerät eine ggfs. sehr geringe Sendeleistung der Basisstation, um Interferenzen zu vermeiden. Zwar erläutert das Streitpatent im Zusammenhang mit dem ersten Ausführungsbeispiel, dass die Sendeleistung auf dem Antwortkanal für das gemeinsame Übertragungsleistungssteuerungssignal größer als für die Antwortpakete sein kann (EP 0 847 147 B1, Abs. 0035). Die dabei auftretende Leistungsdifferenz schätzt der Fachmann jedoch als wesentlich geringer ein als diejenige, die zwischen den gemeinsamen Signalanteilen und dem an nur eine Mobilstation gerichteten Signalanteil auftreten kann, wobei letztere Leistungsdifferenz erhebliche Umsetzungsprobleme zur Folge hat.
118
b) Nach Auffassung der Beklagten unterscheidet sich im IS-95-Standard ein Antwortkanal (paging channel) auf der physikalischen Schicht von einem Verkehrskanal (traffic channel) (nur) durch einen anderen Kanalisierungs-Kode (IS-95-A, S. 7-3, Fig. 7.1.3.1-2: Kodes W0 … W7 für paging channel, Kodes W8 … W63 für traffic channel). Zudem halte der IS-95-Standard für beide Kanaltypen gleiche Nachrichtenarten bereit (IS-95-A, S. 7-121: Order Message für paging channel; S. 7-166: Order Message für traffic channel), so dass der Fachmann ohne größere Schwierigkeiten das gemeinsame Übertragungsleistungssteuerungssignal in die Struktur eines Verkehrskanals habe einbetten können.
119
Dies mag so sein, ändert jedoch nichts an den zuvor genannten Schwierigkeiten hinsichtlich der erforderlichen Leistungsregelung in der Basisstation für die dedizierte Punkt-zu-Punkt-Verbindung (Aspekt: Verkehrskanal) in Kombination mit der notwendigen konstanten (hohen) Sendeleistung für die Punkt-zu-Multipunkt-Übertragung des gemeinsamen Übertragungsleistungssteuerungssignals an mehrere Mobilstationen (Aspekt: geteilter Kanal).
120
Zudem bleibt offen, wie der geteilte Abwärts-Verkehrskanal im Vergleich zu den aus IS-95 bekannten Kanälen in den höheren Übertragungsschichten (layer 2 aufwärts) zu realisieren ist.
121
c) Nach alledem war der Fachmann aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Prioritäts- bzw. Anmeldetag nicht in der Lage, ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten die Lehre des Patentanspruchs 1 so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird.
122
3. Darüber hinaus besteht auch der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 52 bis 57 EPÜ.
123
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist nicht neu gegenüber der Lehre der Druckschrift US 5 621 723 A (WALTON).
124
a) Der Inhalt dieser am 15. April 1997 veröffentlichten Druckschrift zählt zum Stand der Technik. Die Veröffentlichung fällt zwar in den Prioritätszwischenzeitraum. Das Streitpatent hat allerdings die Priorität aus der japanischen Anmeldung JP 32649396 vom 6. Dezember 1996 zu Unrecht in Anspruch genommen, so dass an die Stelle des Anmeldetages 4. Dezember 1997 nicht der Prioritätstag nach Art. 89 EPÜ tritt. Denn das Prioritätsrecht kann nur für dieselbe Erfindung nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ beansprucht werden. Bei der Prioritätsanmeldung handelt es sich jedoch nicht um dieselbe Erfindung.
125
Denn wie sowohl der Übersetzung der japanischen Prioritätsanmeldung durch die RWS Group in die englische Sprache (Anlage ZP3c) als auch der Übersetzung durch die öffentlich bestellte und beeidigte Übersetzerin Frau C… in die deutsche Sprache entnommen werden kann, ist im Absatz 0012 der japanischen Prioritätsanmeldung nicht von einem gemeinsamen Abwärts-Verkehrskanal, sondern lediglich von einem gemeinsamen Abwärts-Kanal die Rede. Die am 17. Februar 1998 beim europäischen Patentamt eingereichte Übersetzung der japanischen Prioritätsanmeldung in die englische Sprache (Anlage ZP3a), die im streitigen Absatz 0012 einen Abwärts-Verkehrskanal nennt, ist somit fehlerhaft.
126
Für die Beurteilung der identischen Offenbarung von Prioritätsanmeldung und Nachanmeldung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung. Danach ist erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Prioritätsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann. Bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts sind zwar auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2017, X ZR 63/15 – Digitales Buch, Rn. 30; Urteil vom 11. Februar 2014, X ZR 107/12 – Kommunikationskanal). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Fachmann hat die Ausgestaltung des gemeinsamen Kanals als Verkehrskanal den Prioritätsunterlagen nicht unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnommen. Vielmehr hat er der Gesamtheit der Unterlagen der Prioritätsanmeldung entnommen, dass der Abwärts-Kanal als gemeinsamer Abwärts-Steuerkanal ausgebildet ist (ZP3c, Anspr. 1, 2: common control channel; Anspr. 4, 5: same channel as a channel for transmitting another control channel; Abs. 0052), insbesondere als Antwort-/ Zuweisungskanal eines Mobilkommunikationssystem mit einem reservierungsbasierten Zugriffssteuerungsschema (ZP3c, Anspr. 12, Abs. 0042; Fig. 2, 4, 7).
127
Nach Auffassung der Beklagten hat der Übersetzer, der die beim europäischen Patentamt eingereichte Übersetzung (ZP3a) angefertigt hat, den Begriff „Abwärts-Verkehrskanal“ im Absatz 0012 verwendet, weil sich dies aus dem technischen Sinnzusammenhang ergäbe. Diese Behauptung hält, wie vorstehend dargelegt, der Überprüfung durch den Fachmann nicht stand.
128
Da ein Abwärts-Verkehrskanal ein Aliud zu einem Abwärts-Steuerkanal darstellt, kommt eine, bei einer Nicht-Herleitung von Rechten aus einem einschränkenden Merkmal möglicherweise zulässige, Inanspruchnahme der Priorität nicht in Betracht.
129
b) Aus WALTON ist ein Übertragungsleistungs-Steuerungsverfahren für ein spektrumerweiterndes System zur Kommunikation zwischen einer Basisstation und mehreren mobilen Geräten unter Verwendung mehrerer Kanäle gemäß den Merkmalen 1,
2
und 3 bekannt (Sp. 12, Z. 14 – 17: CDMA packet data service … employs closed loop power control for reverse link traffic; Sp. 4, Z. 48 – 51: forward packet data channels are used to carry outbound traffic. Associated with each forward packet data channel are one or more reverse packet data channels; Sp. 5, Z. 13 – 15: base station … mobiles).
130
WALTON möchte, auf dem IS-95-Standard basierend, die Paketdatenübertragung in Aufwärts-Richtung verbessern (Sp. 1, Z. 11 – 16: IS-95 based CDMA currently has very limited packet-switched data capabilities as disclosed in TIA/EIA/IS-95 … The primary limitation is imposed by the reverse link) und führt hierzu neue Auf- und Abwärts-Kanäle ein (Sp. 3, Z. 7 – 14: Several new channel types are defined herein … a forward and reverse packet data channel, forward packet data control channel and associated forward power control and channel status subchannels.).
131
Die neu geschaffenen Aufwärts-Paketdatenkanäle (reverse packet data channels) sind in Abhängigkeit ihrer Datenrate jeweiligen Empfängern in der Basisstation zugeordnet (Sp. 3, Z. 18 – 30: Several such receivers may exist within a cell, each serving a potentially different group of users), wobei ggfs. mehrere mobile Geräte die gleiche Uplink-Datenrate nutzen möchten und sich damit um einen bestimmten Aufwärts-Paketdatenkanal bewerben müssen (Sp. 3. Z. 40 – 43: two or more users attempting to simultaneously use the reverse packet data channel; Sp. 3, Z. 47 – 56: „Contention resolution … random access control“). WALTON nutzt hierzu, wie auch die Beklagte mit Verweis auf KLEINROCK zutreffend ausgeführt hat, (KLEINROCK, S. 195, li. Sp., Abs. 2 ff.) ein „CSMA-Verfahren mit Besetzt-Zeichen“, um anderen mobilen Geräten zu signalisieren, dass (weitere) Zugriffsversuche nicht erfolgreich sein werden. In diesem Fall ist, wie zur Auslegung dargelegt, ein Aufwärts-Paketdatenkanal im Sinne des Merkmals 2.1 einer Mobilstation fest zugeordnet (Sp. 4, Z. 42 – 44: status of acquisition can be conveyed to the mobile quickly, allowing mobiles to exit the channel rapidly if acquisition fails; Sp. 7, Z. 23 – 31: busy/idle status; Sp. 8, Z. 35 – 38: status bits; Sp. 9, Z. 66 – Sp. 10, Z. 1: busy/idle status flags conveyed on the forward packet data control channel). Die Aufwärts-Paketdatenkanäle übertragen Nutzerdaten (Sp. 9, Z. 32 – 36: voice and data users), so dass es sich um Verkehrskanäle handelt.
132
Somit handelt es sich bei den aus WALTON bekannten Aufwärts-Paketdatenkanälen (reverse packet data channels) um erste Kanäle gemäß Merkmal 2.1.
133
Einem Abwärts-Paketdatenkanal sind mehrere Aufwärts-Paketdatenkanäle zugeordnet (Sp. 4, Z. 63 – 67: multiple reverse packet data channels per forward packet data channel). Ein Abwärts-Paketdatenkanal wird von einem Steuerkanal begleitet (Sp. 5, Z. 64, 65: In conjunction with the forward packet data channel, a
forward packet data control channel
is also used. Mobiles are required to monitor both the forward packet data channel and the forward packet data control channel simultaneously.), der Leistungssteuerungssignale und Status-Kontrollbits von der Basisstation an mehrere mobile Geräte überträgt (Sp. 6, Z. 1 – 6: The
forward packet data control channel
is used to convey timely information to mobiles. This information consists of …
reverse packet data channel status
(i. e.
busy/idle
) and closed loop
power control bits for all mobiles
actively transmitting on the associated set of reverse packet data channels; Sp. 6, Z. 17 – 19: multiple reverse packet data channels to be supported simultaneously by a single forward packet data control channel). Die Abwärts-Nutzerdaten werden als Inphase-Komponente und die Abwärts-Steuerdaten als Quadratur-Komponente des Quadratur-Kanals des Abwärts-Paketdatenkanals übertragen, womit beide Kanalanteile der selben Kanalcodierung unterliegen und somit einen einzigen CDMA-Abwärts-Kanal bilden (Sp. 6, Z. 20 – 27: „utilize the
quadrature channel of the forward packet data channel
. That is, the in-phase component would carry the forward packet data and the quadrature channel would carry the forward packet data control information.
The combination of the forward packet data and forward packet data control channels would share a common Walsh code channel
and be modulated using QPSK“).
134
Danach bildet der Quadratur-Kanal des Abwärts-Paketdatenkanals (forward packet data channel) einen zweiten Kanal gemäß Merkmal 2.2, den sich entsprechend Merkmal 2.3 mehrere mobile Geräte teilen.
135
Der Abwärts-Paketdatenkanal überträgt sowohl Nutzer- als auch Steuerdaten, womit der zweite Kanal, wie von Merkmal 2.4 gefordert, als Verkehrskanal ausgebildet ist (Sp. 4, Z. 48 – 51: forward packet data channels are used to carry
outbound traffic
; Sp. 5, Z. 29 – 33: Information carried on the forward packet data channel consists of global system parameters messages and data addressed to specific mobiles. This may include
user data
as well as status/control information … follow …
traffic channel
operation).
136
Die Sendeleistungssteuerung der mobilen Geräte auf den Aufwärts-Paketdatenkanälen wird – wie bei CDMA üblich – mittels einer über die Basisstation geschlossenen Regelschleife durchgeführt (Sp. 4, Z. 36, 37: „closed loop power control“). Hierzu misst die Basisstation gemäß Merkmal 3.1 den Empfangspegel (received power) eines jeweiligen Signals, das auf jedem der ersten Kanäle (reverse packet data channels) empfangen wird (Sp. 6, Z. 50 – 52: „The base station forms an estimate of the received power by averaging over this interval“; Sp. 6, Z. 58 – 60: same step size and power control rate; Fig. 1: “Base acquires/interprets mobile transmission”) und erzeugt entsprechend Merkmal 3.2 ein Übertragungsleistungssteuerungssignal (power control bit) nach Maßgabe des von jedem ersten Kanal gemessenen Empfangspegels (Sp. 6, Z. 4 – 6: “closed loop power control bits for all mobiles actively transmitting on the associated set of reverse packet data channels”; Sp. 7, Z. 9 – 12: „Dividing the 20 msec frame into 16 PCG slots gives a total of 12 control bits/PCG slot. Each of the 6 power control subchannels is then assigned one of the available bits within the PCG slot “; Fig. 1: “Base prepares/transmits power control bits”).
137
Jedes mobile Gerät (mobile) empfängt entsprechend Merkmal 4 das ihm zugedachte Übertragungsleistungssteuerungssignal (power control bit) auf dem zweiten Kanal (forward packet data channel mit forward packet data control channel) und steuert die Übertragungsleistung (mobile transmit power) für ein über einen entsprechenden der ersten Kanäle (reverse packet data channel) zu übertragendes Signal gemäß Merkmal 5 nach Maßgabe des empfangenen Übertragungsleistungssteuerungssignals (power control bit) (Sp. 7, Z. 15 – 17: „When a mobile is transmitting, the power control subchannel assigned is used to drive the mobile transmit power“).
138
Die Basisstation fügt entsprechend Merkmal 3.3 in den zweiten Kanal ein gemeinsames Übertragungsleistungssteuerungssignal ein (12 control bits/PCG slot). Dieses enthält hineingesammelt in ein für das System vorgegebenes Format (12 control bits/PCG slot; 16 PCG slots je frame) die Übertragungsleistungssteuerungssignale (power control bits) für die jeweiligen ersten Kanäle (uplink traffic channels). Von den 12 Kontrollbits stehen 6 für die Leistungssteuerung zur Verfügung (6 forward power control subchannels). Weiter überträgt die Basisstation, entsprechend Merkmal 3.4, das gemeinsame Übertragungsleistungssteuerungssignal, das die Übertragungsleistungssteuerungssignale für jeden der ersten Kanäle enthält, über den zweiten Kanal (Sp. 6, Z. 57: use the power control subchannels on the forward packet data control channels … power control rate … 800 bps; Sp. 7, Z. 5 – 18: forward packet data channel is operating at 9600 bps … 6 forward power control subchannels are supported and the remaining capacity is used to convey reverse packet data channel status. … Dividing the 20 msec frame into 16 PCG slots gives a total of 12 control bits/PCG slot. Each of the 6 power control subchannels is then assigned one of the available bits within the PCG slot. The assignment is fixed and known to all mobiles monitoring the forward packet data/control channels.)
139
Damit sind alle Merkmale des Anspruchs 1 nach Hauptantrag aus der Druckschrift WALTON bekannt.
140
4. Bei dieser Sachlage war auf den von der der Klägerin zu 1.) geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der Schutzbereichserweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. d) EPÜ) nicht mehr einzugehen. Damit kann offenbleiben, ob dieser erst in der mündlichen Verhandlung am 13. November 2019 geltend gemachte Einwand verspätet und/oder nicht begründet ist.
141
III. Zu den Hilfsanträgen
142
Die Nichtigkeitsklage war auch nicht nach Maßgabe eines der Hilfsanträge abzuweisen.
143
Die erst in der mündlichen Verhandlung eingeführten Hilfsanträge „Hauptantrag mit Disclaimer“, 2b, 2a, 3b, 3a, 4b, 4a und 1a, waren nicht als verspätet zurückzuweisen. Die Klägerinnen haben die Verspätung zwar gerügt, sich jedoch inhaltlich auf jeden dieser Hilfsanträge eingelassen Das Vorbringen konnte deshalb ohne Weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden, zumal das Streitpatent auch in den beschränkt verteidigten Anspruchsfassungen nach diesen Hilfsanträgen für nichtig zu erklären war und eine Vertagung nicht notwendig wurde (BPatG, Urteil vom 15. November 2011, Az. 3 Ni 27/10 (EP) – Process for the manufacturing of a decorative thermo-setting plastic laminate).
144
1. Hilfsantrag „Hauptantrag mit Disclaimer“ vom 13. November 2019
145
Der Disclaimer „mit der Maßgabe, dass aus dem Merkmal „wobei der zweite Kanal (140) ein Abwärts-Verkehrskanal ist“ keine Rechte hergeleitet werden.“ führt schon deshalb nicht aus dem Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung heraus, weil das genannte Merkmal nicht zu einer Einschränkung, sondern zu einem Aliud im Vergleich zu der ursprünglichen Anmeldung (EP 0 847 147 A2) führt. Denn wie zum Hauptantrag dargelegt, konkretisiert dieses Merkmal nicht lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist (BGH, a.a.O. – Winkelmesseinrichtung, Rn. 21, 22), sondern der Abwärts-Verkehrskanal ist etwas Anderes als ein gemeinsamer Abwärts-Steuer-Kanal.
146
2. Hilfsantrag 2b vom 13. November 2019
147
Der Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 2b weist im Vergleich zum Anspruch 1 in der Fassung nach Hauptantrag das folgende, hinter das Merkmal 2.4 eingefügte Merkmal auf:
148
2.5Hi 2b
wobei der zweite Kanal für Übertragungsleistungssteuerung dediziert ist
149
a) Der Fachmann versteht die Angabe „dediziert“ so, dass der zweite Kanal ausschließlich der Übertragung von Leistungsteuerungsinformationen dient, d. h. entsprechende Steuerbits, ggfs. ergänzt um notwendige Adressdaten o. ä., umfasst. Eine Übertragung von Nutzerdaten, selbst wenn sie nur zeitweise auftreten würde, ist jedenfalls ausgeschlossen. Denn „dediziert“ hat in der Technik die Bedeutung einer Zuweisung – im Sinne einer Limitierung – einer Sache (hier des zweiten Kanals) zu einer bestimmten Anwendung.
150
b) Der Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 2b ist unzulässig, weil er die Anforderungen des Art. 84 EPÜ nicht erfüllt. Denn die aus Merkmal 2.4 resultierende Übertragung von Nutzerdaten (Verkehrskanal) steht im Widerspruch zu dem Merkmal 2.5Hi 2b, wonach Nutzerdaten ausgeschlossen sind.
151
c) Auch ein ausschließlich zur Steuerdatenübertragung genutzter (Merkmal 2.5Hi 2b) Verkehrskanal (Merkmal 2.4) muss in den höheren Schichten des ISO/OSI-Schichtenmodells (layer 2 aufwärts) so eingerichtet sein, dass er grundsätzlich zur Übertragung von Nutzerdaten an eine einzige Mobilstation geeignet ist. Daher bestehen die zum Anspruch 1 nach Hauptantrag dargelegten diesbezüglichen Realisierungsschwierigkeiten auch für den Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 2b, so dass das Streitpatent auch in dieser Fassung die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
152
d) Darüber hinaus ist der Anspruch 1 in dieser Fassung unzulässig, weil er den Gegenstand der Anmeldung erweitert. Denn der Fachmann entnimmt, wie zum Hauptantrag dargelegt, der ursprünglichen Anmeldung schon nicht die Ausgestaltung des zweiten Kanals als Abwärts-Verkehrskanal nach Merkmal 2.4 als eine mögliche Ausführungsform der Erfindung. Das gleiche gilt für die Kombination der Merkmale 2.4 und 2.5Hi 2b, denn der Wortlaut des Merkmals 2.5Hi 2b ist zwar als solcher ursprünglich offenbart (EP 0 847 147 A2, Sp. 11, Z. 11 – 16), jedoch am Ende der Beschreibung und damit vollständig isoliert von der einmal am Anfang der Beschreibung genannten Ausgestaltung des zweiten Kanals als Abwärts-Verkehrskanal (EP 0 847 147 A2, Sp. 3, Z. 1 – 5). Auch aus diesem Grund hat der Fachmann eine Kombination der beiden – wie dargelegt – sich inhaltlich ohnehin ausschließenden Ausgestaltungen als nicht zur Erfindung gehörend angesehen.
153
3. Hilfsantrag 2 vom 16. September 2019
154
Der Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 2b durch das Wort „reserviert“ statt „dediziert“:
155
2.5Hi 2
wobei der zweite Kanal für Übertragungsleistungssteuerung reserviert ist
156
Der Fachmann misst dem Begriff „reserviert“ in diesem Zusammenhang keine andere Bedeutung als dem Begriff „dediziert“ bei. Insofern gelten die vorstehenden Ausführungen zum Hilfsantrag 2b in gleicher Weise für den Hilfsantrag 2.
157
4. Hilfsantrag 2 (englische Sprachfassung) vom 16. September 2019
158
Hilfsantrag 2 in englischer Sprachfassung ist unzulässig, da der angegriffene Patentanspruch 1 des Streitpatents aus einer Verteidigung des zunächst in englischer Verfahrenssprache erteilten Patentanspruchs in deutscher und nicht in englischer Sprache resultiert und eine weitere Einschränkung dieses Patentanspruchs nur in deutscher Sprache erfolgen kann.
159
Für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ist das Streitpatent in der ursprünglich erteilten Fassung durch das mit Urteil des Bundespatentgerichts vom 9. Mai 2012 abgeschlossene Verfahren 5 Ni 152/09 (EU) in der Weise teilweise für nichtig erklärt worden, dass an die Stelle der Patentansprüche 1 bis 21 in der englischen Fassung des ursprünglich erteilten Streitpatents, veröffentlicht als EP 0 847 147 B1, die neu gefassten Patentansprüche 1, 13, und 16 bis 18 in deutscher Sprache getreten sind, wobei Patentansprüche 7 bis 9 und 19 bis 21 unverändert in der englischen Fassung des ursprünglich erteilten Streitpatents erhalten geblieben sind. Die seinerzeitige beschränkte Verteidigung in teilweise deutscher Sprache war zulässig, da nach dem maßgeblichen nationalen deutschen Prozessrecht für das gerichtliche Verfahren die deutsche Sprache vorgesehen ist (§ 184 GVG) und für das Nichtigkeitsverfahren nichts Anderes gilt (Art. 2 Abs. 2 EPÜ, § 126 Satz 1 PatG). Zwar ist nach Art. 70 EPÜ die bei der Anmeldung gewählte Amtssprache im Sinne des Art. 14 Abs. 3 EPÜ, vorliegend also die englische Sprache als Verfahrenssprache des Streitpatents, auch in Deutschland die verbindliche Fassung. Das betrifft das Nichtigkeitsverfahren jedoch nur eingeschränkt. Wie aus Art. 138 EPÜ folgt, ist dessen Regelung im Wesentlichen dem nationalen Gesetzgeber überlassen worden; das gilt gemäß Art. 138 Abs. 2 EPÜ insbesondere für die Form einer teilweisen Nichtigerklärung. Vor diesem Hintergrund ist Art. 70 EPÜ nur eine Regelung für das Erteilungsverfahren und dazu, welche Fassung als Grundlage eines etwa später folgenden weiteren Verfahrens auch im nationalen Bereich maßgebend ist. Art. 70 EPÜ enthält keine Regelung dazu, welche Sprache für Durchführung und Ergebnis eines das europäische Patent betreffenden nationalen Verfahrens gelten soll. Auch die Regelung in Art. 70 Abs. 3 EPÜ zeigt, dass die grundsätzliche Verbindlichkeit des Wortlauts in der Verfahrenssprache vor dem Europäischen Patentamt nicht der Möglichkeit widerspricht, dass das europäische Patent für einen nationalen Bereich durch eine abweichende Fassung in der nationalen Amtssprache eingeschränkt sein kann (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Urteil vom 12. Mai 1992, X ZR 109/90 – Linsenschleifmaschine; Urteil vom 7. Februar 1995 – X ZR 58/93; Urteil vom 16. Juni 2009, X ZR 61/05; Busse, PatG, 8. Aufl., Art. II § 6 IntPatÜG Rn. 7).
160
Vor diesem Hintergrund liegt der angegriffenen Patentanspruch 1 des Streitpatents aufgrund der von der Beklagten im Verfahren 5 Ni 152/09 (EU) getroffenen Entscheidung in seiner geänderten Fassung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nur auf Deutsch vor. Die Frage, in welcher Sprache eine weitere Einschränkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgen kann, ist gesetzlich nicht geregelt und soweit ersichtlich bislang auch nicht entschieden worden.
161
Für eine Wahlmöglichkeit der Patentinhaberin, entweder die Verfahrenssprache zu verwenden oder die deutsche Prozesssprache, könnte sprechen, dass die Patentinhaberin ungeachtet der Bestimmung des § 184 GVG über die Gerichtssprache das Patent auch in der anderslautenden Verfahrenssprache verteidigen kann, also ein Wahlrecht hat (BGH, Urteil vom 8. Juni 1993, X ZR 121/90, – Schließvorrichtung/locking device; Urteil vom 16. Dezember 2003, X ZR 206/98 – Fahrzeugleitsystem; a.A. noch BPatG München, Urteil vom 2. Oktober 1991 – 2 Ni 40/90 (EU)).
162
Die besseren Gründe sprechen allerdings für die Annahme, dass es bei der einmal ausgeübten Wahl der deutschen Prozesssprache sein Bewenden haben muss und eine weitere Einschränkung in der Sprache zu erfolgen hat, in der die Einschränkung formuliert ist, vorliegend also in der deutschen Sprache. Der nochmalige Wechsel der Sprache führte nämlich in die Rechtsunsicherheit und trüge insbesondere das Risiko in sich, dass die Prüfung der Zulässigkeit der beschränkten Verteidigung im Hinblick auf die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und der Schutzbereichserweiterung aufgrund von mit der Rückübertragung in die Verfahrenssprache nicht zu vermeidenden Übersetzungsunschärfen mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten behaftet wäre. Es erscheint auch nicht unbillig, die Beklagte an der deutschen Sprache festzuhalten; denn sie hat im Vorverfahren die deutsche Sprache gewählt.
163
5. Hilfsantrag 2a vom 13. November 2019
164
Der Hilfsantrag 2a unterscheidet sich vom Hilfsantrag 2 durch die Maßgabe, dass aus Merkmal 2.4 keine Rechte hergeleitet werden sollen. Zum Hilfsantrag 2a gelten die obigen Ausführungen zum Hilfsantrag „Hauptantrag mit Disclaimer“ in entsprechender Weise, d. h. Hilfsantrag 2a ist unzulässig.
165
6. Hilfsantrag 3b vom 13. November 2019
166
Der Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 3b unterscheidet sich vom Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2b durch eine Ergänzung in dem Merkmal 2.1:
167
2.1Hi 3 erste Kanäle (3) aufweisen, die den mobilen Geräten zugeordnet sind, zum Übertragen eines Datenpakets an die Basisstation, wobei die ersten Kanäle
Aufwärts

Verkehrskanäle
sind, und;
168
Wie zur Auslegung des Anspruchs 1 in der Fassung nach Hauptantrag dargelegt, versteht der Fachmann bereits die im Merkmal 2.1 genannten ersten Kanäle als Aufwärts-Verkehrskanäle, so dass das Merkmal 2.1Hi
3 das Merkmal 2.1 nicht einschränkt.
169
Damit ist der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3b inhaltlich identisch mit dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2b, so dass die dort getroffenen Aussagen auch für den Hilfsantrag 3b gelten.
170
7. Hilfsantrag 3 vom 16. September 2019
171
Die Ausführungen zum Hilfsantrag 2 gelten auch für den Hilfsantrag 3. Deshalb ist auch dieser Hilfsantrag unzulässig.
172
8. Hilfsantrag 3 (englische Sprachfassung) vom 16. September 2019
173
Dieser Hilfsantrag ist unzulässig. Es gelten die obigen Ausführungen zu Hilfsantrag 2 in englischer Sprachfassung.
174
9. Hilfsantrag 3a vom 13. November 2019
175
Dieser Hilfsantrag ist unzulässig. Es gelten die obigen Ausführungen zu Hilfsantrag 2a in entsprechender Weise.
176
10. Hilfsantrag 4b vom 13. November 2019
177
Der Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 4b unterscheidet sich vom Anspruch 1 in der Fassung nach Hauptantrag durch die Merkmale 2.1Hi 3 (wie Hilfsantrag 3), 2.5Hi 2b (wie Hilfsanträge 2b und 3b) und das modifizierte Merkmal 3.3Hi 1, welches lautet:
178
3.3Hi 1 ein gemeinsames Übertragungsleistungssteuerungssignal, das die Übertragungsleistungssteuerungssignale für die jeweiligen ersten Kanäle in ein für das System vorgegebenes Format hineingesammelt enthält, so dass die Übertragungsleistungssteuerungssignale zeitlich unmittelbar hintereinander folgen, in den zweiten Kanal einfügt und
179
a) Der Fachmann versteht dieses Merkmal in der Weise, dass zwischen den einzelnen Übertragungsleistungssteuerungssignalen keine anderen Steuerdaten oder Nutzerdaten eingefügt sind. Jedoch können die einzelnen Leistungssteuerungssignale außer den Leistungssteuerungsbits noch weitere Bits umfassen, die z. B. der Adressierung dienen.
180
b) Das Merkmal 3.3Hi 1 geht in zulässiger Weise auf die ursprüngliche Anmeldung zurück (EP 0 847 147 A2, Fig. 7; Sp. 6, Z. 31 – Sp. 7, Z. 1).
181
Jedoch ist der Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 4b aus den zu Hilfsantrag 2b genannten Gründen unzulässig, da auch er die Merkmale 2.4 und 2.5Hi 2b umfasst.
182
11. Hilfsantrag 4 vom 16. September 2019
183
Dieser Hilfsantrag ist unzulässig. Es gelten die Ausführungen zu den Hilfsanträgen 2 und 3 in entsprechender Weise.
184
12. Hilfsantrag 4 (englische Sprachfassung) vom 16. September 2019
185
Dieser Hilfsantrag ist unzulässig. Es gelten die obigen Ausführungen zu Hilfsantrag 2 in englischer Sprachfassung.
186
13. Hilfsantrag 4a vom 13. November 2019
187
Dieser Hilfsantrag ist unzulässig. Es gelten die obigen Ausführungen zu Hilfsantrag 2a in entsprechender Weise.
188
14. Hilfsantrag 1 vom 16. September 2019
189
Der Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 in der Fassung nach Hauptantrag durch das bereits zum Hilfsantrag 4b diskutierte Merkmal 3.3Hi 1.
190
Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 ist aus den zu Hauptantrag genannten Gründen unzulässig, da auch er das Merkmal 2.4 umfasst.
191
15. Hilfsantrag 1 (englische Sprachfassung) vom 16. September 2019
192
Dieser Hilfsantrag ist unzulässig. Es gelten die obigen Ausführungen zu Hilfsantrag 2 in englischer Sprachfassung.
193
16. Hilfsantrag 1a vom 13. November 2019
194
Dieser Hilfsantrag ist unzulässig. Es gelten die obigen Ausführungen zu Hilfsantrag 2a in entsprechender Weise.
B.
195
Nebenentscheidungen
196
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
197
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.


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