Sozialrecht

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – nachträglich erhobene Gebühr für die Nutzung von Wohnraum in einer Aufnahmeeinrichtung in der Zeit nach Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft – zeitliche Zuordnung des Bedarfs

Aktenzeichen  B 14 AS 19/20 R

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:190521UB14AS1920R0
Normen:
§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2
§ 26 AsylDV BY
Spruchkörper:
14. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Duisburg, 25. Mai 2018, Az: S 35 AS 4609/17, Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 9. Oktober 2019, Az: L 7 AS 922/18, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Oktober 2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Umstritten sind Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen Gebühren, die für die Nutzung einer Aufnahmeeinrichtung entstanden und später fällig geworden sind.
2
Der 1961 geborene Kläger und die 1968 geborene Klägerin zu 2 sind die Eltern der 1993 bzw 2000 geborenen Klägerinnen zu 3 und 4. Die Kläger sind syrische Staatsangehörige. Sie hielten sich seit Mitte 2015 im Landkreis A auf, in dem das beklagte Jobcenter die Aufgaben der Träger nach dem SGB II wahrnimmt. Sie wohnten in einer Aufnahmeeinrichtung und erhielten Leistungen nach dem AsylbLG, dabei die Unterkunft als Sachleistung. Nachdem die Flüchtlingseigenschaft der Kläger anerkannt worden war, stellte der Landkreis die Leistungen nach dem AsylbLG zum Ende des Februar 2016 ein. Die Kläger blieben zunächst in der Aufnahmeeinrichtung wohnen. Der Beklagte bewilligte Regelbedarfe für März bis August 2016. Nachdem die Kläger die Zusicherung zu einem Umzug in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des beigeladenen Jobcenters beantragt hatten, bestätigte der Beigeladene die Angemessenheit der von den Klägern dort angemieteten Wohnung. Wegen des Umzugs der Kläger zum 1.8.2016 hob der Beklagte seine Bewilligung von Alg II zum Ende des Juli 2016 auf. Der Beigeladene gewährte ab August 2016 Alg II unter Berücksichtigung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung der nunmehr bewohnten Wohnung.
3
Im April 2017 erließ die Regierung von U als “zentrale Gebührenabrechnungsstelle” an die Kläger gerichtete Gebührenbescheide wegen des Aufenthalts in der Aufnahmeeinrichtung von März bis Juli 2016. Darin setzte sie monatliche Gebühren für die Nutzung der Unterkunft gegen den Kläger in Höhe von 185 Euro und – ausgenommen März 2016 für die Klägerin zu 2 – für die Klägerinnen in Höhe von jeweils 65 Euro fest. Die Gebührenforderungen wurden im Mai 2017 fällig.
4
Der Beklagte verwies wegen des Ausgleichs der Gebühren auf den Beigeladenen (Schreiben vom 9.5.2017). Den Widerspruch hiergegen mit Schreiben vom 30.6.2017 verwarf er als unzulässig, weil das Schreiben kein Verwaltungsakt sei (Widerspruchsbescheid vom 27.9.2017). Nach Erhebung der Klage beschied der Beklagte das Schreiben vom 30.6.2017 sowie einen Antrag der Kläger vom 26.9.2017 auf Rücknahme seiner Bescheide für März bis Juli 2016 (Bescheid vom 7.11.2017). Er werde keine Unterkunftskosten auf den Gebührenbescheid gewähren, weil er nach dem Umzug nicht zuständig sei. Der Bescheid ersetze das Schreiben vom 9.5.2017 und werde Gegenstand des Klageverfahrens. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7.11.2017 wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 8.2.2018), dieser sei wegen § 96 SGG unzulässig und in der Sache unbegründet. Gegen den Bescheid vom 7.11.2017 und den Widerspruchsbescheid vom 8.2.2018 haben die Kläger ebenfalls Klage erhoben (S 35 AS 964/18). Auch der Beigeladene lehnte die Übernahme der Gebühren ab, weil er nicht zuständig sei. Hierzu ist ein weiteres Klageverfahren anhängig (S 35 AS 1368/18).
5
Das SG hat die Klagen gegen den Bescheid vom 9.5.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2017 abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 25.5.2018). Das LSG hat diese Bescheide und den Gerichtsbescheid geändert. Es hat den Beklagten verurteilt, den Klägern für jeden der Monate März bis Juli 2016 Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu bewilligen, und zwar dem Kläger jeweils 185 Euro und den Klägerinnen jeweils 65 Euro (Urteil vom 9.10.2019). Der Beklagte müsse zahlen, weil die Gebührenforderungen als Bedarfe den Monaten zuzuordnen seien, in denen die Kläger in der Aufnahmeeinrichtung gelebt hätten. Daran ändere § 26 Abs 2 Satz 1 der bayrischen Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Aufnahmegesetzes vom 4.6.2002 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 13.4.2004 (DVAsyl 2002/2004), wonach die Fälligkeit mit der Bekanntgabe des Gebührenbescheids eintrete, nichts. Die Kosten seien den Monaten der Bedarfsentstehung durch den faktischen Bedarf für eine Wohnung zuzuordnen. Eine Zuordnung nach einem disponiblen, auch durch Dritte bestimmten Fälligkeitszeitpunkt ermögliche Manipulationen. Der Beklagte sei auch wegen der Gebühren für die Klägerin zu 2 im März 2016 zu verurteilen, weil deren Festsetzung in Aussicht gestellt worden sei.
6
Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Das LSG habe offengelassen, nach welcher Vorschrift die Bewilligungen für März bis Juli 2016 abgeändert werden sollten und das Monatsprinzip verkannt. Der Bedarf bestehe nur in den zu leistenden Geldbeträgen. Laufende wie einmalige Aufwendungen seien dem Fälligkeitsmonat zuzuordnen.
7
Der Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Oktober 2019 aufzuheben und die Berufungen der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 25. Mai 2018 zurückzuweisen.
8
Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil und beantragen,die Revision zurückzuweisen.
9
Der Beigeladene beantragt,die Revision zurückzuweisen.


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