Sozialrecht

Einkommen, Bewilligung, Krankenkasse, Arbeitslosengeld, Krankengeld, Leistungen, Bescheid, Berufung, Gerichtsbescheid, Nachzahlung, Revision, Anfechtungsklage, Widerspruchsbescheid, Aufhebung, Zulassung der Revision

Aktenzeichen  L 7 AS 404/20

Datum:
29.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49875
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Erfolgt eine Krankengeldzahlung unmittelbar an Gläubiger eines Leistungsberechtigten, so ist das Krankengeld trotzdem als Einkommen beim Leistungsberechtigten anzurechnen.

Verfahrensgang

S 8 AS 1003/19 2020-05-28 SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 28. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet.
Streitgegenständlich ist der Änderungsbescheid vom 29.11.2018 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 30.11.2018 und 1.3.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.4.2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 12.6.2019 und 22.8.2019, mit dem den Klägern für die Zeit vom 1.1.2019 bis 31.5.2019 geringere SGB II-Leistungen gegenüber dem Änderungsbescheid zuletzt vom 24.11.2018 bewilligt wurden, §§ 86, 96 SGG. Soweit der Änderungsbescheid vom 1.3.2019 auch Leistungen für Juni 2019 regelt, ist dieser nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Hierüber hat das Sozialgericht auch nicht entschieden.
Statthaft ist allein die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG. Mit der Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide wäre die bestandskräftige Leistungsbewilligung vom 20.8.2018, zuletzt geändert mit Bescheid vom 24.11.2018, maßgebend und vom Beklagten zu vollziehen. Einer gesonderten Leistungsklage bedarf es hierzu nicht.
Die Klage ist jedoch im Ergebnis unbegründet. Die Kläger haben keinen höheren SGB II-Leistungsanspruch als ihn der Beklagte mit den streitgegenständlichen Bescheiden in Höhe von 258,75 € für Januar bis März 2019, von 243,73 € für April und von 950,32 € für Mai 2019 zuletzt festgesetzt hat.
Der Kläger hat weder die Bewilligung des Krankengeldes, noch die von ihm veranlasste Überweisung der Krankengeldzahlung auf das Konto seines Gläubigers oder den Zufluss des Arbeitslosengeldes I dem Beklagten unverzüglich mitgeteilt. Kenntnis erlangte der Beklagte allein aufgrund seiner Amtsermittlung.
Die Nachzahlung von Krankengeld und Arbeitslosengeld I ist als Einmalzahlung gemäß § 11 Abs. 3 SGB II in der ab 1.8.2016 geltenden Fassung jeweils ab dem Folgemonat auf sechs Monate gleichmäßig zu verteilen, das Krankengeld also ab Januar bis Juni 2019 und das Arbeitslosengeld I von November 2018 bis April 2019.
Soweit die Krankengeldzahlung unmittelbar an einen Gläubiger des Klägers zu 1 überwiesen wurde und nicht auf dem Konto der Kläger einging, ist die Zahlung dennoch als Einkommen anzurechnen. Denn die von der Krankenkasse getätigte Überweisung erfolgte aufgrund einer rechtlich unbeachtlichen Verwendungsentscheidung des Klägers zu 1 (vgl. BSG vom 24.5.2017, B 14 AS 32/16 R).
Der bestandskräftige Bewilligungsbescheid vom 20.8.2018 in der Fassung der Änderungsbescheide, zuletzt vom 24.11.2018, konnte mit Änderungsbescheid vom 29.11.2018 gemäß § 48 SGB X in Bezug auf die Nachzahlung des Krankengeldes geändert werden. Der Zufluss des Krankengeldes im Dezember 2018 stellt eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 SGB X gegenüber der im Bewilligungsbescheid vom 20.8.2018 getroffenen Einkommensprognose dar.
In Bezug auf die Nachzahlung des Arbeitslosengeldes I in Höhe von 4.239,48 € waren die Änderungsbescheide vom 11.10.2018, 25.10.2018, 24.11.2018 und 29.11.2018 im Zeitpunkt ihres Erlasses von Anfang an rechtswidrig i.S.v. § 45 Abs. 1 SGB X, da sie kein Einkommen aus der Arbeitslosengeld I – Nachzahlung bedarfsmindernd berücksichtigten.
Der Änderungsbescheid vom 29.11.2018 ist darüberhinaus von Anfang zugunsten der Kläger rechtswidrig, als er das Krankengeld nur in Höhe von 3.951,36 € statt der tatsächlich erlangten 4.041,36 € berücksichtigte.
Die Änderungsbescheide vom 30.11.2018, 1.3.2018 und 12.6.2019 sind gemäß § 45 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 40 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III rechtmäßig. Die Kläger können sich gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB II nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Die Kläger zu 1 und 2 haben vorsätzlich die eingetretenen Änderungen in ihren Einkommensverhältnissen dem Beklagten gegenüber verschwiegen und dadurch die objektive Unrichtigkeit der Bescheide verursacht. Die Kläger zu 1 und 2 wussten von ihrer Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung von Änderungen in ihren Einkommensverhältnissen. Sie haben mit ihrer Unterschrift bei Erstantragstellung im April 2018 dokumentiert, dass sie hiervon Kenntnis genommen haben. Ungeachtet dessen haben sie dem Beklagten weder die Bewilligungsbescheide der Bundesagentur für Arbeit und Krankenkasse vorgelegt, noch sind sie sonst in irgendeiner Weise ihrer Mitteilungspflicht unverzüglich nachgekommen. Sie haben dem Beklagten bewusst vorsätzlich den Zufluss des Arbeitslosengeldes I in Höhe von über 4.000 € verschwiegen und auch erst im Februar 2019 mit der Vorlage des Kontoauszuges zur Überweisung des Krankengeldes den tatsächlichen Betrag des zugeflossenen Krankengeldes offengelegt. Zumindest haben sie aus grober Fahrlässigkeit in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben zu ihren Einkommensverhältnissen gegenüber dem Beklagten gemacht und dadurch die objektive Unrichtigkeit der Bescheide vom 11.10.2018, 25.10.2018, 24.11.2018 und 29.11.2018 verursacht. Allein die Höhe der Nachzahlung von jeweils rund 4.000 € übersteigt ein Vielfaches ihren Leistungsanspruch. Die Kläger zu 1 und 2 haben jedenfalls ihre Sorgfaltspflichten in besonders schwerem Maße verletzt. Denn allein aufgrund der Höhe des jeweiligen Einkommenszuflusses war für sie ohne weiteres zu erkennen, dass dies Auswirkungen auf die Höhe ihres Leistungsanspruchs hat. Die Kläger zu 2 und 3 haben sich das Handeln ihrer gesetzlichen Vertreter nach § 278 BGB zurechnen zu lassen. Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 SGB III ist dem Beklagten für eine rückwirkende Rücknahme kein Ermessen eingeräumt.
Auf die fehlende Anhörung kommt es nicht an, da aus Sicht des Beklagten für eine Änderung nach § 48 SGB X aufgrund der geänderten Einkommensverhältnisse eine Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X entbehrlich war.
Auch die übrigen Rücknahmevoraussetzungen nach § 45 Abs. 4 SGB X sind erfüllt.
Somit ergibt sich folgender SGB II-Leistungsanspruch nach §§ 7, 9, 11, 19, 20, 22 SGB II.
Dem Bedarf von 1.981,88 € steht ein Einkommen von 388 € Kindergeld und 706,58 € Arbeitslosengeld I für Januar bis April 2019, sowie 658,56 € Krankengeld für Januar bis März bzw. 673,56 € für April und Mai 2019 gegenüber. Vom Einkommen wurde die Versicherungspauschale von 30 € gemäß § 11b SGB II i.V.m. § 6 Alg II-V abgezogen.
Soweit in den Änderungsbescheiden vom 29.11.2018, 30.11.2018 und 1.3.2019 noch das Bay. Familiengeld als Einkommen der Klägerin zu 2 bedarfsmindernd in Höhe von 220 € berücksichtigt wurde, wurde dies zugunsten der Kläger mit Änderungsbescheiden vom 12.6.2019 und 22.8.2019 nach § 44 SGB X korrigiert. Somit ergibt sich ein SGB IILeistungsanspruch gemäß den zutreffenden Berechnungen des Beklagten zuletzt im Änderungsbescheid vom 12.6. und 22.8.2019 für Januar bis März von 258,75 €, für April von 243,73 € und für Mai von 950,32 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.


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