Sozialrecht

Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten bei der Altersrente

Aktenzeichen  L 19 R 786/15

Datum:
13.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 124506
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 64, § 70 Abs. 2, § 249, § 262, § 307d
GG Art. 3

 

Leitsatz

1. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht, dass nach § 307d SGB VI für Rentenansprüche, die bis zum 30.06.2014 enstanden sind, eine pauschalierende Sonderregelung getroffen wurde, während für nach diesem Zeitpunkt entstandene Rentenansprüche die Regelung des § 249 SGB VI gilt. (Rn. 19)
2. Der Zuschlag an Entgeltpunkten aus § 262 SGB VI, sog. Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt, ist erst nach Ermittlung der Entgeltpunkte nach den allgemeinen Regeln für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten zu berechnen. (Rn. 21)

Verfahrensgang

S 3 R 7/15 2015-09-14 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 14.09.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Rente.
Die Höhe der monatlichen Altersrente der Klägerin ergibt sich nach § 64 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) aus der Vervielfältigung (Multiplikation) von Zugangsfaktor, persönlichen Entgeltpunkten, Rentenartfaktor und aktuellem Rentenwert. Die persönlichen Entgeltpunkte stellen die Summe aller Entgeltpunkte aus Beitragszeiten, aus beitragsfreien Zeiten, aus Zuschlägen bei beitragsgeminderten Zeiten, aus Zu- oder Abschlägen bei Versorgungsausgleich, aus Zuschlägen für Beiträge nach Rentenbeginn oder Altersrentenbeginn, aus Zuschlägen für geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung und aus Arbeitsentgelt bei aufgelöstem Wertguthaben dar (§ 66 Abs. 1 SGB VI).
Soweit die Klägerin geltend macht, dass sie zwei Kinder erzogen habe und ihr deshalb nach Einführung der gesetzlichen Neuregelung für insgesamt 4 Jahre Kindererziehungszeiten – zwei Jahre pro Kind – mit zusammen 4 Entgeltpunkten zuzuerkennen seien, ist darauf hinzuweisen, dass in dem der Rente zu Grunde gelegten Versicherungsverlauf von der Beklagten 48 Monate mit Kindererziehungszeiten (= 4 Jahre) anerkannt worden sind, wie es § 249 Abs. 1 SGB VI entspricht. Die Klägerin fordert keine weiteren Kindererziehungszeiten und der Senat hat keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung, wonach für Geburten vor 1992 in Abweichung von § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI eine Sonderregelung gilt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anwendung einer Stichtagsregelung in diesem Zusammenhang grundsätzlich gebilligt (BVerfG, Urteil vom 07.07.1992, Az. 1 BvL 51/86; Nichtannahmebeschluss vom 29.08.2007, Az. 1 BvR 858/03 – jeweils nach juris), zumal der Gesetzgeber eine schrittweise Angleichung für von der Stichtagsregelung Betroffene avisiert hatte. Eine solche Angleichung hat mit der Neuregelung des § 249 Abs. 1 SGB VI zum 01.07.2014 nunmehr ja auch begonnen.
Nicht zu beanstanden ist ebenfalls, dass der Klägerin für die 48 Kalendermonate mit Kindererziehungszeiten nicht – wie beantragt – 4,0 Entgeltpunkte zuerkannt werden. Nach § 70 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden als Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten nämlich nicht jährlich 1,000 zugeordnet, sondern monatlich 0,0833 Entgeltpunkte, was auf das Jahr bezogen 0,9996 Entgeltpunkte und für 4 Jahre 3,9984 Entgeltpunkte ergibt. Selbst bei hypothetischer Anwendung von § 307 d Abs. 2 SGB VI würden sich keine 4,0 Entgeltpunkte ergeben, da diese Regelung nur jeweils das zweite Lebensjahr betreffen würde.
Für die Ermittlung der Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten ist regelmäßig eine weitere gesetzliche Regelung zu beachten, wenn die Zeiten der Kindererziehung gleichzeitig auch Zeiten der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gewesen sind. Der ursprünglich hierfür geltende Ansatz (so noch § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F.), bei dem die vorhandenen Entgeltpunkte aus Pflichtbeitragszeiten mit dem Anspruch auf Entgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten vollständig verrechnet wurden, ist vom Bundesverfassungsgericht nicht gebilligt worden (Beschluss vom 12.03.1996 – 1 BvR 609/90). Es liege eine Benachteiligung von Erziehungspersonen vor, die auf die Wiederaufnahme einer Beschäftigung angewiesen gewesen seien und ohnehin einer Doppelbelastung ausgesetzt gewesen seien. Umgekehrt erschien es allerdings auch nicht sachgerecht, dass beim gleichzeitigen Vorliegen von Kindererziehungszeiten und Pflichtbeiträgen mehr als die sonst höchstens monatlich möglichen Entgeltpunkte erzielt werden könnten. Deshalb enthält § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI n.F. (ab 01.07.1998) eine Höchstgrenze für die Entgeltpunkte. Diese Regelung hat im Fall der Klägerin Anwendung gefunden für die Monate Mai 1971 bis Dezember 1972, was dazu geführt hat, dass bei der Klägerin statt der rechnerisch höchstmöglichen 3,9984 Entgeltpunkte für Zeiten der Kindererziehung 3,6778 Entgeltpunkte berücksichtigt werden (Der Höchstpunktwert betrug monatlich 0,1273 [1971] bzw. 0,1286 [1972]) . Diese Berechnung entspricht jedoch der gesetzlichen Regelung und den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Eine Anwendung von § 307 d SGB VI auf die Kindererziehungszeiten der Klägerin in den Zeiträumen April 1972 bis März 1973 und Januar bis Dezember 1976 kam nicht in Betracht, da die Klägerin am 30.06.2014 noch keinen Rentenanspruch gehabt hatte (vgl. § 307 d Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Damit ist nach dem Wortlaut die Anwendung dieser Sondervorschrift ausgeschlossen.
Die Klägerin kann auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen die Anwendung dieser Vorschrift beanspruchen. Der Senat hat keine Bedenken und sieht insbesondere keinen Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) darin, dass für Renten, die zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung (30.06.2014) bereits bestanden hatten, eine pauschalierende Sonderregelung getroffen wurde, während für die nach diesem Zeitpunkt neu zu berechnenden Renten die Grundvorschrift des § 249 SGB VI gilt. Es liegt ein sachlicher Anknüpfungspunkt vor, der in der Verwaltungsvereinfachung begründet ist; ansonsten wäre eine aufwändige Neuberechnung erforderlich, die zeitnah für die sehr große Zahl bestehender Renten gar nicht hätte geleistet werden können. Soweit die Klägerin mit den Möglichkeiten moderner Informationstechnologie argumentiert, vermag dies nicht den Ermittlungsaufwand zu den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall zu reduzieren.
Und selbst wenn man hypothetisch den Argumenten der Klägerin folgen wollte, könnte dies allenfalls dazu führen, dass § 307 d SGB VI zu beanstanden wäre, nicht aber, wie von der Klägerin gewünscht, dass § 307 d SGB VI sowohl für Bestandsrenten als auch für Neurenten – und damit für ihren Fall – Anwendung finden müsste. Selbst eine hypothetisch unterstellte Unwirksamkeit von § 307 d SGB VI hätte keine Auswirkungen auf die Rentenhöhe bei der Klägerin, da in ihrem Fall diese Vorschrift nicht zur Anwendung gekommen ist. Eine sinnvolle Begründung dafür, dass für alle Rentenfälle mit Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder das zweite Lebensjahr pauschal anzurechnen sei, während das erste Lebensjahr differenziert zu betrachten wäre, gäbe es nicht.
Die Beklagte ist ferner zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass der Zuschlag an Entgeltpunkten aus § 262 SGB VI, sog. Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt, erst nach Ermittlung der Entgeltpunkte nach den allgemeinen Regeln für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten zu berechnen ist. Es handelt sich dabei um einen Zuschlag aus sozialen Gesichtspunkten, der individuell anzupassen ist. Die Gemeinschaft der Beitragszahler soll ausgleichend dafür einstehen, dass bei langjährigen Versicherten eine hinreichende Rente auch dann entsteht, wenn eine sehr geringe Lohnhöhe dies an sich nicht ergeben würde. Ergeben sich durch Gesetzesänderungen höhere Rentenwerte, ist eine Reduzierung dieses Ausgleichs gerade systemimmanent. Auch insofern ist die Rentenberechnung der Beklagten nicht zu beanstanden.
Die Klägerin hat auch keinen Vertrauensschutz, da die erteilten Rentenauskünfte unverbindlich erfolgt waren und die Klägerin zudem jetzt eine höhere Rente als prognostiziert erhält, wenn auch weniger als sie auf Grund der politischen Äußerungen erwartet hatte.
Nach alledem war die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 14.09.2015 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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