Sozialrecht

(Gesetzliche Unfallversicherung – land- und forstwirtschaftlicher Unfallversicherungsträger – Zuständigkeitsbescheid gem § 136 SGB 7 – forstwirtschaftlicher Unternehmer – Adressierung an einen (Mit-)Erben einer Erbengemeinschaft – gesamthänderische Verbundenheit – Empfängerhorizont – Ermessensauswahl hinsichtlich des Ansprechpartners)

Aktenzeichen  S 1 U 367/20

Datum:
29.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG Nordhausen 1. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:SGNORDH:2021:1129.S1U367.20.00
Normen:
§ 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB 7
§ 123 Abs 1 Nr 1 SGB 7
§ 136 SGB 7
§ 150 Abs 2 S 2 SGB 7
§ 39 SGB 1
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Spruchkörper:
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Leitsatz

Der Bescheid über die Feststellung der Zuständigkeit des land- und forstwirtschaftlichen Unfallversicherungsträgers kann in den Fällen einer Erbengemeinschaft an einen (Mit-)Erben gerichtet werden. Dabei muss für den Adressaten deutlich werden, dass er lediglich als Mitglied der Erbengemeinschaft angesprochen ist. (Rn.21)

Bei der Auswahl des Ansprechpartners steht der Beklagten ein weiter Ermessenspielraum zu (Anschluss an BSG vom 23.6.2020 – B 2 U 14/18 R). (Rn.23)

Tenor

1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
3) Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich als Mitglied einer Erbengemeinschaft gegen die Inanspruchnahme zu Beiträgen für die gesetzliche Unfallversicherung.
Der 1963 geborene Kläger ist neben zwei weiteren Personen Mitglied einer Erbengemeinschaft, die auf den verstorbenen F für das Waldgrundstück im Grundbuch von St, Grundbuchblatt 216, Flur 5, Flurstück 75/11 eingetragen ist. Die Forstfläche war im Zeitraum März 2000 bis Mai 2018 in die Forstbetriebsgemeinschaft Sch eingebracht gewesen. Mit Ausgliederung der Forstfläche aus dem Bestand der Forstbetriebsgemeinschaft verfügte die F Erbengemeinschaft seit Mai 2018 selbst über den Forst.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2019 zeigte die Beklagte gegenüber F1 die Zuständigkeit für das forstwirtschaftliche Unternehmen des Waldes an. Aufgrund fehlender Zustellung dieses Bescheides wurde festgestellt, dass F1 im Januar 2015 verstorben ist. Neben dem Kläger konnte der 1942 geborene F2 festgestellt werden sowie die 1941 geborene Z. Die 1958 geborene F3 war bereits im Juni 2008 verstorben.
Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juli 2019 die Zuständigkeit für das Grundstück und das damit im Zusammenhang stehende Unternehmen der Forstwirtschaft gegenüber dem Kläger fest. Der Kläger wandte sich hiergegen mit Widerspruch vom 16. Juli 2019 und vertrat die Auffassung, dass zunächst die noch lebenden Kinder des verstorbenen F in Anspruch genommen werden müssten. Er habe als Enkel kein Interesse daran, für alle Angehörigen der Erbengemeinschaft aufzutreten und finanzielle Leistungen zu erbringen. Die Beklagte zog daraufhin den Grundbuchauszug für das Grundstück bei, in dem die fünf genannten Personen vermerkt waren.
Mit weiterem Bescheid vom 20. November 2019 lehnte die Beklagte den Wechsel des zahlungspflichtigen Mitteilungsempfängers gegenüber dem Kläger ab. Sie verwies darauf, dass die Beklagte grundsätzlich berechtigt sei, gegen ein Mitglied der Erbengemeinschaft vorzugehen. Der Kläger sei aufgrund seines Geburtsjahrgangs am besten geeignet erschienen. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2020 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Zuständigkeitsbescheid der Beklagten als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die im März 2020 erhobene Klage. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Ermessensentscheidung der Beklagten fehlerhaft gewesen sei. Insbesondere habe die Beklagte keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen durchgeführt und den Kläger auch nicht darüber aufgeklärt, in welchem Umfang Beiträge von ihm zu leisten wären. Der Kläger habe im Übrigen keinerlei Kontakt zu den weiteren Mitgliedern der Erbengemeinschaft.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Ermessensentscheidung nicht fehlerhaft erfolgt sei. Der Kläger sei als Mitteilungsempfänger und Gesamtschuldner ausgewählt worden, weil er unstreitig gleichberechtigter Miteigentümer der Forstfläche sei, handlungsfähig und auch geeignet erscheine, die Interessen der Erbengemeinschaft gegenüber der Beklagten zu vertreten. Dies habe sich auch in dem bisherigen Schriftverkehr bestätigt. Unbillig sei die Inanspruchnahme des Klägers nur, wenn Insolvenz drohe. In Anbetracht der voraussichtlichen Höhe der jährlichen Beitragserhebung von ca. 85,00 € sei dies jedoch nicht zu befürchten. Möglich sei es auch, dass sich die Erbengemeinschaft über einen künftigen Ansprechpartner einigt.
Der Kläger ist anlässlich eines Erörterungstermins persönlich im November 2020 angehört worden. Er hat angegeben, den F1 kaum gekannt zu haben. Er habe seinen Anteil 1988 geerbt. Erst nach dem Tod seiner Schwester habe er überhaupt davon gehört. Zu den übrigen Personen bestehe bereits seit den 1990er Jahren keinen Kontakt mehr.
Die Beklagte hat hier mitgeteilt, dass gegen den Bescheid vom 20. November 2019, mit dem ein Wechsel des Ansprechpartners abgelehnt worden ist, kein Widerspruch eingelegt wurde. Zudem sei am 27. Juli 2020 ein Beitragsbescheid gegen den Kläger erlassen worden. Im Hinblick auf diese Entscheidungen hat der Kläger noch im Termin einen Antrag auf Überprüfung gestellt. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 27. November 2020 hat der Kläger Widerspruch eingelegt. Die ablehnende Widerspruchsentscheidung vom 9. März 2021 ist Gegenstand des Verfahrens S 1 U 477/21.
Der Kläger ist zwischenzeitlich ernsthaft erkrankt, worauf hin die Beklagte ab dem Unfallumlage Jahr 2020 einen neuen Gesamtschuldner und Mitteilungsempfängers erfasst hat. Es handelt sich um F2.
Daraufhin hat der Kläger vorgeschlagen, dass der Beklagte im Wege des Vergleichs einräumt, dass aus dem Bescheid vom 10. Juli 2019 ab 2020 keine Rechte mehr hergeleitet werden und sich die vorgenannten Bescheide erledigt haben. Die Beklagte hat dies abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts-und Beklagtenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Anfechtungsklage ist zulässig, im Ergebnis aber nicht begründet. Die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten gegenüber dem Kläger ist rechtmäßig erfolgt und verletzt diesen nicht in seinen Rechten. Das Gericht konnte in Abwesenheit eines Beklagtenvertreters verhandeln und entscheiden, weil die Beteiligten zuvor darauf hingewiesen worden sind.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 10. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2020, mit dem die Beklagte ihre Zuständigkeit für das Grundstück und das damit im Zusammenhang stehende Unternehmen der Forstwirtschaft gegenüber dem Kläger festgestellt hat. Damit konnte das Gericht weder über die Festlegung eines Ansprechpartners der Erbengemeinschaft für die Beklagte noch über die Festlegung der Beiträge und deren Höhe entscheiden.
Nach § 136 des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) stellt der Unfallversicherungsträger Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer fest. Dabei muss der Zuständigkeitsbescheid „feststellen, wer Unternehmer ist“ und diese(n) als rechtsfähige Personen benennen. Jedenfalls bei Unternehmen kraft bloßen Eigentums kann ein Bescheid nicht offen lassen, wer Eigentümer und damit Unternehmer ist, da es ansonsten an der Bestimmung des Unternehmens fehlte. Ist eine (bekannte) Personenmehrheit betroffen, muss diese Gemeinschaft hinreichend bezeichnet werden, wobei erkennbar sein muss, ob die einzelnen Personen als Mitglieder der Gemeinschaft oder die Gemeinschaft insgesamt Adressat sein soll (vgl. SG Fulda, Gerichtsbescheid vom 07. März 2013 – S 4 U 94/09 –, mwN, recherchiert bei Juris).
Diese Voraussetzungen erfüllt der angegriffene Bescheid spätestens mit Erlass des Widerspruchsbescheides. Bereits im angegriffenen Bescheid vom 10. Juli 2019 ist das Unternehmen als F Erbengemeinschaft bezeichnet worden. In der Begründung des Widerspruchsbescheides heißt es dann ausdrücklich, dass der Kläger als Mitglied der Erbengemeinschaft als Mitunternehmer des forstwirtschaftlichen Unternehmens bestehend aus der Forstfläche, die konkret bezeichnet wurde, gegenüber der Beklagten verpflichtet ist. Damit sind sowohl das Unternehmen als auch die Beziehung des Klägers zum Unternehmen ausreichend bezeichnet worden. Darüber hinaus findet sich in der Begründung auch eine Aufstellung der im Grundbuch verzeichneten weiteren Mitglieder.
Darüber hinaus hat die Beklagte auch zutreffend den Bescheid an den Kläger adressiert. Die Erbengemeinschaft als solche ist kein eigenständiges Unternehmen, es handelt sich nicht um eine juristische Person. Vielmehr sind bei einer “unternehmenstragenden” Erbengemeinschaft die einzelnen Miterben in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit Träger des land- oder forstwirtschaftlichen Unternehmens und damit als Mitunternehmer … versicherungspflichtig (vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 2010 – B 10 LW 2/09 R –, recherchiert bnei Juris).
Inhaltlich ist gegen die Feststellung der Zuständigkeit vom Kläger zu keiner Zeit ein Einwand erhoben worden. Es ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, dass das Eigentum am Wald nicht als forstwirtschaftliches Unternehmen einzuordnen war. Der Versicherung kraft Gesetzes unterliegen nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII “Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens”. Beitragspflichtig sind Unternehmer, die nach dieser Vorschrift versichert sind oder die versicherte Arbeitskräfte beschäftigen (§ 150 Abs 1 SGB VII). Der Begriff des landwirtschaftlichen Unternehmens wird in § 123 Abs 1 SGB VII definiert; er umfasst nach Nr 1 auch Unternehmen der Forstwirtschaft. Nach der Rechtsprechung des BSG setzt die Annahme eines Unternehmens der Forstwirtschaft voraus, dass der Inhaber des Unternehmens über Grund und Boden verfügt, der zum Zwecke der Gewinnung von Forsterzeugnissen bearbeitet wird. Die Heranziehung als forstwirtschaftlicher Unternehmer setzt auch nicht voraus, dass die Bewirtschaftung der Waldflächen ein bestimmtes Mindestmaß an Arbeitsaufwand erfordert. Dass der Eigentümer die durch Erbfolge erworbenen Grundstücke nicht bewirtschaftet und dies ggf. auch in Zukunft nicht beabsichtigt, bleibt ohne Einfluss auf die Versicherungspflicht (vgl. BSG, Urteil vom 07. Dezember 2004 – B 2 U 43/03 R –, mwN, recherchiert bei Juris). Diesen Grund-sätzen schließt sich das Gericht voll umfassend an. Damit steht allein aufgrund des Miteigentumsanteils des Klägers dessen Versicherungspflicht gegenüber der Beklagten fest.
Zwar ist die Auswahl des Klägers als Miterbe Gegenstand des noch anhängigen Verfahrens S 1 U 477/21. Gleichwohl ist auch an dieser Stelle bereits festzustellen, dass die Adressierung des Bescheides an den Kläger keinesfalls ermessensfehlerhaft gewesen ist. Grundsätzlich ist die Beklagte berechtigt, aus einer Mehrheit von Schuldnern im Wege des pflichtgemäßen Ermessens einen Ansprechpartner zu wählen. Die Möglichkeit eines Gläubigers, “die Leistung nach … Belieben von jedem” der (Gesamt-)Schuldner “ganz oder zu einem Teil” zu “fordern” (vgl § 421 Satz 1 BGB), ist im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich überformt. Bei der Auswahl des Gesamtschuldners und der Bestimmung der Quantität (“ganz oder zu einem Teil”) ist eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen. Die gesetzliche Anordnung in § 150 Abs 2 Satz 2 SGB VII, dass Unternehmer und Bevollmächtigte als Gesamtschuldner haften, räumt als allgemeiner, das gesamte Beitragsrecht beherrschender Grundsatz der ausführenden Behörde damit Ermessen iS des § 39 SGB I ein. Jeder Gesamtschuldner hat damit ein subjektiv-öffentliches Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Unfallversicherungsträgers (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2020 – B 2 U 14/18 R –, mwN, recherchiert bei Juris).
Ermessensfehler sind hierbei nicht zu erkennen. Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger als jüngster Miterbe und nachweislich kompetent im Umgang mit der Beklagten durchaus als Ansprechpartner zu bevorzugen war.
Abschließend hat der Kläger auch aufgrund seines aktuellen Gesundheitszustandes keinen Anspruch darauf, zu keiner Zeit mehr für Verpflichtungen aus der Unfallversicherung herangezogen zu werden. Am Status des Klägers als Miterbe und damit Mitunternehmer hat allein der Gesundheitszustand nichts geändert. Er wird daher auch künftig bei Ausfall des vorrangig in Anspruch genommenen Schuldners mit einer Forderung der Beklagten rechnen müssen.
Die Klage kann daher keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Streitwert war nach § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf 5.000,00 € festzusetzen. Der Kläger hat in der Hauptsache die Feststellung begehrt hat, von der Beklagten nicht als landwirtschaftlicher (forstwirtschaftlicher) Unternehmer geführt zu werden. Damit hat er die Unternehmereigenschaft angegriffen (vgl. SG Altenburg, Gerichtsbescheid vom 04. Juli 2013 – S 3 U 4653/10 –, mwN, recherchiert bei Juris). Die im Verlaufe des Verfahrens eingetretene Änderung dahingehend, dass ein weiterer Miterbe als Ansprechpartner ab 2020 in Anspruch genommen wurde, hat keinen Einfluss auf den Streitwert. Nach teilweiser Erledigung des Rechtsstreits ist in dieser Instanz keine gestaffelte Streitwertfestsetzung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.3.2016 -L 11 R 5055/15 B – recherchiert bei Juris).


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