Sozialrecht

Leistungen, Eingliederungshilfe, Behinderung, Inobhutnahme, Jugendamt, Betreuung, Unterbringung, Pflegefamilie, Kindertageseinrichtung, Erstattungsanspruch, Unterbringungskosten, Kinder, Klage, Leistungsantrag, Hilfe zur Erziehung, keinen Erfolg, Leistungen der Eingliederungshilfe

Aktenzeichen  S 22 SO 163/21

Datum:
24.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5172
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Gegenstand des Rechtsstreites ist das erstmals mit Schreiben vom 02.03.2020 geltend gemachte Leistungs- und Feststellungsbegehren der Klägerin.
Die Klage ist im Leistungsantrag zulässig, aber nicht begründet.
Die Zulässigkeit ergibt sich insbesondere aus den §§ 87, 90 und 92 (Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Klage ist als isolierte Leistungsklage statthaft gem. § 54 Abs. 5 SGG (vgl. vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 41 ff.).
Die Klage ist nicht begründet, weil der klagende Jugendhilfeträger keinen Erstattungsanspruch gegen den beklagten Träger der Eingliederungshilfe hat.
Ein Erstattungsanspruch besteht im vorliegenden Fall nicht, gleich ob er von der Klägerin nach § 104 SGB X oder hilfsweise nach 105 SGB X geltend gemacht wird, weil sie für die Heimunterbringung des noch nicht eingeschulten Hilfeempfängers trotz seelischer Behinderung selbst sachlich zuständig ist.
Die Leistungen nach dem SGB VIII gehen Leistungen nach dem SGB IX und XII grundsätzlich vor (§ 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Gemäß der Kollisionsregel in § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gehen aber Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Landesrecht kann davon abweichend regeln, dass Leistungen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von anderen Leistungsträgern zu gewähren sind. Dies ist in Bayern mit Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayAGSG geschehen, wonach Maßnahmen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung von den Trägern der Eingliederungshilfe nach Vorschriften des SGB IX gewährt werden. Grund dafür ist, dass in den ersten Lebensjahren eines Kindes oftmals nur schwer festzustellen ist, ob eine Entwicklungsverzögerung auf einer geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderung oder auf erzieherischen Gründen beruht (v. Koppenfels-Spies in: jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 35a SGB VIII, Rn 13).
Die Anwendung dieser Kollisionsnormen setzt aber notwendig voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe, als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind. Nur dann besteht ein Bedürfnis für eine Vor- bzw. Nachrangregelung (vgl. grundlegend: BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 – 5 C 26/98, juris-Rn. 13). Dies wäre unter Berücksichtigung der bayerischen Sonderregelung in Art. 64 Abs. 2 AGSG im Rahmen der Frühförderung seelisch behinderter Kinder vor Einschulung beispielsweise dann der Fall, wenn sowohl eine Heimerziehung nach Kinder- und Jugendhilferecht, als auch eine Heimunterbringung nach Sozialhilferecht erforderlich wäre.
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen besteht im vorliegenden Fall gerade kein Nebeneinander beider Ansprüche, so dass die Kollisionsregelungen gar nicht zur Anwendung kommen. Anlass und Grund für die Heimunterbringung des Hilfeempfängers war einzig und allein der Erziehungsausfall der Mutter, die auf Grund ihrer eigenen Gesundheitsstörungen mit der Erziehung überfordert war, was zu einer Inobhutnahme wegen Kindeswohlgefährdung geführt hat. In diesen Fällen hat der Jugendhilfeträger die Unterbringungskosten im Rahmen der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33, 34 SGB VIII bzw. § 42 Abs. 2 SGB VIII in originärer eigener Zuständigkeit zu übernehmen.
Ein gleicher, gleichartiger, einander entsprechender, kongruenter, einander überschneidender oder deckungsgleicher Anspruch auf Heimunterbringung gegen den Träger der Eingliederungshilfe besteht dagegen im vorliegenden Fall nicht. Nach Aktenlage hat sich der Kläger gut entwickelt, er ist schon sehr selbständig geworden und kommt gut zurecht. Vor diesem Hintergrund wäre eine Heimunterbringung wegen Teilhabebeeinträchtigungen im vorliegenden Fall sicher nicht in Betracht gekommen, ist aber im Übrigen auch nie beschrieben oder gar beantragt worden. Es verbleibt dabei, dass die Heimunterbringung vom Jugendhilfeträger in eigener sachlicher Zuständigkeit zu übernehmen ist.
Soweit die Klägerin – neben der allgemeinen Leistungsklage – auch eine Feststellungsklage erhoben hat, ist diese – wenn sie nicht bereits wegen Verstoßes gegen den Subsidiaritätsgrundsatz unzulässig ist (vgl. Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 55 SGG, Stand: 27.07.2021, Rn. 23) – aus den oben genannten Gründen jedenfalls unbegründet.
Im Ergebnis hatte die Klage keinen Erfolg und war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 197a SGG.


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