Sozialrecht

Rentenversicherungspflicht für Syndikusanwälte bei Arbeitgeberwechsel

Aktenzeichen  S 4 R 1157/19

Datum:
18.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3351
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 6
BRAO E § 46a, § 46b

 

Leitsatz

Die Befreiungsvoraussetzungen, ab deren Vorliegen nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB VI die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wirkt, sind im Falle des Arbeitgeberwechsels eines Syndikusrechtsanwalts erst ab dem Tag des Eingangs des Antrags auf Erstreckung der bisherigen Zulassung als Syndikusrechtsanwalt auf die neue Tätigkeit bei der Rechtsanwaltskammer erfüllt.
1. Syndikusanwälte müssen die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht bei jedem Arbeitgeberwechsel aufs Neue beantragen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblich für die Befreiungsvoraussetzungen, ab deren Vorliegen die Befreiung nach Arbeitgeberwechseln wirkt, ist der Tag des Eingangs des Antrags auf Erstreckung der bisherigen Zulassung als Syndikusrechtsanwalt auf die neue Tätigkeit bei der Rechtsanwaltskammer. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2019 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Entscheidung erfolgt gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu angehört und haben ihr Einverständnis erteilt.
Die form- und fristgerecht zum zuständigen Sozialgericht Augsburg erhobene Klage ist zulässig, sachlich aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 08.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat den Kläger zu Recht erst ab 30.01.2019, dem Tag des Eingangs des Antrags auf Erstreckung der bisherigen Zulassung als Syndikusrechtsanwalt auf die neue Tätigkeit bei der Rechtsanwaltskammer, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, von der Beklagten bereits ab 01.11.2018, dem Tag der Aufnahme der neuen Tätigkeit, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit zu werden.
Der Kläger hat den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechend bei der Beklagten nach dem Wechsel seines Arbeitgebers erneut eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt. Denn der Bescheid vom 07.07.2016, mit dem die Beklagte den Kläger für seine Beschäftigung bei der H. Deutschland Holding GmbH von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreite, gilt nicht für die Tätigkeit bei der H. Holding GmbH fort. Nach § 6 Abs. 5 SGB VI ist die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt. Sie wird bei einem Wechsel des Arbeitgebers gegenstandslos (Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31.10.2012, Aktenzeichen B 12 R 3/11 R, B 12 R 5/10 R und B 12 R 8/10 R, juris). Die Befreiung für die Beschäftigung bei der H. Deutschland Holding GmbH erstreckt sich auch nicht nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI auf die Tätigkeit bei der H. Holding GmbH. Nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI erstreckt sich die Befreiung in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet. Die Erstreckung erfordert, dass das nach § 6 Abs. 1 Satz 1 von der Versicherungspflicht befreite Beschäftigungsverhältnis andauert (Gürtner, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 6 SGB VI Rnr. 39). Dies war vorliegend nicht der Fall.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB VI werden Beschäftigte und selbstständig Tätige auf Antrag für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit, wenn am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01.01.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist. Gemäß § 6 Abs. 4 SGB VI wirkt die Befreiung vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.
Zwar hat der Kläger unstreitig im Sinne von § 6 Abs. 4 SGB VI innerhalb von 3 Monaten ab Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt. Jedoch waren die Befreiungsvoraussetzungen, ab deren Vorliegen die Befreiung nach § 6 Abs. 4 SGB VI wirkt, erst ab 30.01.2019, dem Tag des Eingangs des Antrags auf Erstreckung der bisherigen Zulassung als Syndikusrechtsanwalt auf die neue Tätigkeit bei der Rechtsanwaltskammer, erfüllt. Die Beklagte musste erst ab diesem Tag von einer wegen der neuen Beschäftigung kraft gesetzlicher Verpflichtung bestehenden erneuten Mitgliedschaft des Klägers als Syndikusrechtsanwalt in der Rechtsanwaltskammer C-Stadt im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ausgehen. Sie war erst ab dem Tag des Antragseingangs bei der Rechtsanwaltskammer an deren Zulassungsentscheidung gebunden.
§ 46a Abs. 2 BRAO zufolge entscheidet die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer nach Anhörung des Trägers der Rentenversicherung über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Die Entscheidung ist auch dem Träger der Rentenversicherung zuzustellen, dem gegen die Entscheidung Rechtsschutz zusteht. Der Träger der Rentenversicherung ist bei seiner Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung an die bestandskräftige Entscheidung der Rechtsanwaltskammer gebunden. Gemäß § 46a Abs. 4 BRAO richtet sich das Zulassungsverfahren nach den §§ 10 bis 12a mit der Maßgabe, dass (…) Nr. 2 abweichend von § 12 Abs. 3 die Bewerberin oder der Bewerber unbeschadet des § 12 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 mit der Zulassung rückwirkend zu dem Zeitpunkt Mitglied der Rechtsanwaltskammer wird, zu dem der Antrag auf Zulassung dort eingegangen ist, sofern nicht die Tätigkeit, für die die Zulassung erfolgt, erst nach der Antragstellung begonnen hat; in diesem Fall wird die Mitgliedschaft erst mit dem Zeitpunkt des Beginns der Tätigkeit begründet; (…). Nach § 46b Abs. 3 BRAO ist, wenn nach einer Zulassung nach § 46a weitere Arbeitsverhältnisse als Syndikusrechtsanwalt aufgenommen werden, auf Antrag die Zulassung nach Maßgabe des § 46a BRAO unter den dort genannten Voraussetzungen auf die weiteren Arbeitsverhältnisse zu erstrecken.
Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer C-Stadt vom 21.03.2019, mit dem die bestehende Zulassung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt gemäß § 46b Abs. 3 BRAO auf sein neues Beschäftigungsverhältnis bei der H. Holding GmbH erstreckt wurde, war insoweit rechtswidrig, als ein Widerruf der bisherigen Zulassung und die Erteilung einer neuen Zulassung hätte erfolgen müssen und keine Erstreckung der Zulassung erfolgen durfte. Denn § 46b Abs. 3 BRAO ist im Falle eines Arbeitgeberwechsels, wenn also das vorherige Tätigkeitsverhältnis endet und (gegebenenfalls unmittelbar) im Anschluss ein neues begründet wird, weder unmittelbar noch analog anwendbar. Vielmehr hat – auch bei durchgehender Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen – ein Widerruf der bisherigen Zulassung nach § 46b Abs. 2 BRAO und die Erteilung einer neuen Zulassung nach § 46a BRAO zu erfolgen (Urteil des BGH vom 30.03.2020, Az. AnwZ (Brfg) 49/19). Für den Fall, dass die Rechtsanwaltskammer – wie vorliegend – rechtswidrigerweise § 46b Abs. 3 BRAO angewendet und es versäumt hat, die bisherige Zulassungsentscheidung zu widerrufen oder zurückzunehmen, entfaltet die bisherige Befreiungsentscheidung für die neue Tätigkeit keine Wirkung mehr. Die Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer für die neue Tätigkeit nach § 46a Abs. 2 Satz 4 BRAO beginnt im Fall der Erstreckung nicht früher als im Fall der Neuerteilung der Zulassung, nämlich nach § 46b Abs. 3, § 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO frühestens mit dem Eingang des Erstreckungsantrags bei der Rechtsanwaltskammer (Urteil des BGH vom 30.03.2020, a.a.O.).
Anhaltspunkte für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch des Klägers oder einen Verstoß der Beklagten gegen Treu und Glauben (konkret gegen das Verbot des venire contra factum proprium) ergeben sich nicht. In dem Bescheid vom 07.07.2016, mit dem die Beklagte den Kläger für seine Tätigkeit bei der H. Deutschland Holding GmbH von der Rentenversicherungspflicht befreite, wies die Beklagte ausdrücklich darauf hin, dass die Befreiung auf die Tätigkeit beschränkt ist und nur für die Dauer der Beschäftigung gilt. Es ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass seitens der Beklagten dem Kläger gegenüber falsche Auskünfte erteilt wurden. Auch seitens der Rechtsanwaltskammer C-Stadt wurden dem Kläger gegenüber keine falschen Auskünfte erteilt. Zwar wurde in dem Bescheid der Rechtsanwaltskammer C-Stadt vom 10.05.2016 ausgeführt, dass die Zulassung bei Aufnahme weiterer Arbeitsverhältnisse als Syndikusrechtsanwalt auf Antrag nach Maßgabe des § 46a BRAO unter den dort genannten Voraussetzungen auf die weiteren Arbeitsverhältnisse zu erstrecken sei (§ 46b Abs. 3 BRAO). Jedoch wurden in dem Bescheid keine (falschen) Ausführungen dazu gemacht, ab welchem Zeitpunkt eine Bindung der Beklagten im Falle einer Erstreckung der Zulassung eintritt.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache.


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