Sozialrecht

Unzulässige Richtervorlage: Zur Vereinbarkeit der fiktiven Bemessung von Arbeitslosengeld gem §§ 130, 132 SGB 3 idF vom 23.12.2003 mit Art 3 Abs 1, Art 6 Abs 1, Abs 2, Abs 4 GG im Falle vollzeitiger elterlicher Kinderbetreuung

Aktenzeichen  1 BvL 11/07

Datum:
10.3.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:lk20100310.1bvl001107
Normen:
Art 100 Abs 1 GG
Art 3 Abs 1 GG
Art 6 Abs 1 GG
Art 6 Abs 2 GG
Art 6 Abs 4 GG
§ 80 Abs 2 S 1 BVerfGG
§ 81a S 1 BVerfGG
§ 130 SGB 3 vom 23.12.2003
§ 132 Abs 1 SGB 3 vom 23.12.2003
Spruchkörper:
1. Senat 2. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend SG Dresden, 12. September 2007, Az: S 29 AL 543/06, Vorlagebeschluss

Gründe

1
Das konkrete Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass für die Bestimmung
der Höhe des Arbeitslosengeldes nach dem seit dem 1. Januar 2005 geltenden Recht ein fiktives Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt
zugrunde zu legen ist, wenn der Anspruchsberechtigte innerhalb von zwei Jahren vor Entstehung der Voraussetzungen für einen
Anspruch auf Arbeitslosengeld ein Kind unter drei Jahren betreut hat und keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen
ist, vor der Geburt des Kindes jedoch ein gegenüber dem fiktiven Arbeitsentgelt höheres Bruttoarbeitsentgelt bezogen hat.
I.
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1. Die Höhe des Arbeitslosengeldes regelt § 129 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB II). Das Arbeitslosengeld
beträgt danach
3
1. für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für
Arbeitslose, deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 4 und 5 des Einkommensteuer-gesetzes
hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbe-schränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben,
67 Prozent (erhöhter Leistungssatz),
4
2. für die übrigen Arbeitslosen 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz)
5
des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum
erzielt hat (Bemessungsentgelt). Die Regelungen zur Bestimmung des Bemessungsentgelts sind mit Wirkung zum 1. Januar 2005
geändert worden.
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a) Nach § 132 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (SGB III a.F.) war das Bemessungsentgelt das
im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallende beitragspflichtige Entgelt. Für seine Berechnung war das
Entgelt im Bemessungszeitraum durch die Zahl der Wochen zu teilen, für die es gezahlt worden ist (§ 132 Abs. 2 Satz 1 SGB
III a.F.). Der Bemessungszeitraum umfasste nach § 130 Abs. 1 SGB III a.F. die Entgeltabrechnungszeiträume, die in den letzten
52 Wochen vor der Entstehung des Anspruches, in denen Versicherungspflicht bestand, enthalten waren und beim Ausscheiden des
Arbeitslosen aus dem Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Anspruches abgerechnet waren. Enthielt der Bemessungszeitraum
weniger als 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt, so verlängerte er sich nach § 130 Abs. 2 Satz 1 SGB III a.F. um weitere Entgeltabrechnungszeiträume,
bis 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt erreicht waren. Bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes blieben u.a. Zeiten außer
Betracht, in denen der Arbeitslose Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen
hat, soweit wegen der Betreuung oder Erziehung eines Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche
Arbeitszeit gemindert war, oder – für die Zeit ab dem 1. Januar 2003 – nach Maßgabe von § 26 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2a SGB III
Versicherungspflicht wegen des Bezuges von Mutterschaftsgeld oder der Erziehung eines Kindes bestand (§ 131 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 SGB III a.F.).
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Nach der Rechtsprechung war auch nach der damaligen Rechtslage zwischen dem Bemessungszeitraum, d.h. den berücksichtigungsfähigen
Entgeltabrechnungszeiträumen, sofern sie die erforderliche Mindestzahl von 39 Arbeitswochen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt
enthielten, und dem Bemessungsrahmen, d.h. grundsätzlich die letzten 52 Wochen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen
Versicherungspflicht bestand, zu unterscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2004 – B 7 AL 68/03 R -, juris, Rn. 13;
BSGE 100, 295 , jeweils m.w.N.). Dass nach § 131 Abs. 2 Satz 1 SGB III a.F. bestimmte Zeiten “außer Betracht”
blieben, hatte zur Folge, dass sie als Entgeltabrechnungszeiträume innerhalb des Bemessungsrahmens nicht berücksichtigt wurden
(vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2004 – B 7 AL 68/03 R -, juris, Rn. 18). Waren im Bemessungsrahmen ohne die außer Betracht
bleibenden Zeiten weniger als 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt vorhanden, verlängerte sich der Bemessungszeitraum um weitere
Entgeltabrechnungszeiträume bis 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt vorhanden waren (vgl. BSGE 100, 295 m.w.N.).
In der Sache konnte damit nach § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. der Bemessungszeitraum um die ersten 24 Lebensmonate
bei leiblichen Kindern oder für die Dauer von maximal zwei Jahren bei angenommenen Kindern (vgl. § 4 Abs. 1 BErzGG in der
bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung) oder für die Zeit ab dem 1. Januar 2003 um die Zeit bis zur Vollendung des 3.
Lebensjahres des betreuten Kindes bzw. die gesetzlichen Mutterschutzfristen (§ 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG i.V.m. § 200 Abs.
1 RVO) hinaus geschoben werden und so in Zeiträume hineinreichen, in denen ein Anspruch auf ungemindertes Arbeitsentgelt bestand
oder die wöchentliche Arbeitszeit nicht reduziert war (vgl. BTDrucks 14/7347, S. 73 zu Art. 1 Nr. 43).
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Die Ausdehnung des Bemessungszeitraums unterlag jedoch einer absoluten Grenze, die sich aus § 133 Abs. 4 SGB III a.F. ergab.
Danach war das Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen
für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat, wenn ein Bemessungszeitraum von mindestens 39 Wochen mit Anspruch
auf Entgelt innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs nicht festgestellt werden konnte. Damit hatte
auch bis zum 31. Dezember 2004 eine fiktive Bemessung zu erfolgen, falls sich innerhalb der letzten drei Jahre vor Entstehung
des Anspruchs auf Arbeitslosengeld kein ausreichend langer Bemessungszeitraum mit mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt
ohne die Zeiten erziehungsbedingter Minderung der Arbeitszeit bzw. des Arbeitsentgelts feststellen ließ (vgl. BSGE 100, 295
; LSG NRW, Urteil vom 10. März 2003 – L 12 AL 83/03 -, juris, Rn. 28; BTDrucks 14/7347, S. 73 zu Art. 1
Nr. 43).
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Eine ähnliche Regelung enthielt bereits das bis zum 31. Dezember 1997 geltende Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Nach § 112 Abs.
7 2. Alt AFG war von dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen oder mangels
einer tariflichen Regelung von dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, für die der Arbeitslose
nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung
nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts in Betracht kam, wenn der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Entstehung des
Anspruchs länger als drei Jahre zurück lag.
10
b) Durch Art. 1 Nr. 71 und 72 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl
I S. 2848) ist mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 (Art. 124 Abs. 3 des Gesetzes) das Recht der Bestimmung des Bemessungsentgelts
reformiert worden. Die hier maßgeblichen Regelungen erhielten folgenden Wortlaut:
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§ 130
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Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen
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(1) Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten
Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst
ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs.
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(2) Bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums bleiben außer Betracht
15

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3. Zeiten, in denen der Arbeitslose Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen
hat oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat, wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt
oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war,
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18
(3) Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn
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1. der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält oder
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§ 131
22
Bemessungsentgelt
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(1) Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose
im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis
Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen
sind.
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§ 132
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Fiktive Bemessung
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(1) Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten
Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen.
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(2) Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen
Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen
für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Dabei ist zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die
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1. eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 1), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel
der Bezugsgröße,
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2. einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer
vergleichbaren Einrichtung erfordern (Qualifikationsgruppe 2), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel
der Bezugsgröße,
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3. eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (Qualifikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe
von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße,
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4. keine Ausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 4), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße.
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Die Bezugsgröße im Sinne der Vorschriften für die Sozialversicherung wird in § 18 SGB IV definiert und durch eine auf der
Grundlage von § 17 Abs. 2 SGB IV erlassenen Rechtsverordnung (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung) im Voraus für jedes
Kalenderjahr für die alten Bundesländer einerseits und das Beitrittsgebiet andererseits (Bezugsgröße Ost, § 18 Abs. 2 SGB
IV) bestimmt.
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2. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war vom 1. Dezember 2000 bis zum 14. Januar 2003 versicherungspflichtig in den alten
Bundesländern als Buchhalterin beschäftigt. Ab dem 15. Januar 2003 befand sie sich im Mutterschutz und bezog Mutterschaftsgeld
bis zum 23. April 2003. Am 22. Februar 2003 brachte sie ihr Kind zur Welt. Anschließend bezog sie bis zum 21. Februar 2005
Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz und sodann, nachdem sie zwischenzeitlich nach Sachsen umgezogen war, bis
zum 21. November 2005 Erziehungsgeld nach dem Sächsischen Landeserziehungsgeldgesetz. Nach Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses
meldete sie sich zum 11. Januar 2006 bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens arbeitslos. Diese bewilligte der Klägerin des
Ausgangsverfahrens ab dem 11. Januar 2006 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 25,85 Euro. Bei der Berechnung der Höhe des
Arbeitslosengeldes legte sie, wie sie später im Widerspruchsbescheid erläuterte, ein fiktives Bemessungsentgelt ausgehend
von der Qualifikationsgruppe 3 und der Bezugsgröße (Ost) zugrunde. Mit ihrer nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen
Klage macht die Klägerin des Ausgangsverfahrens sinngemäß geltend, als Bemessungsentgelt für die Bestimmung der Höhe des Arbeitslosengeldes
müsse das zuletzt vor der Geburt ihres Kindes bezogene Bruttoarbeitsentgelt zugrunde gelegt werden.
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3. Mit Beschluss vom 12. September 2007 hat das Sozialgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht folgende
Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
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a) Verstößt § 130 SGB III der ab 1.1.2005 maßgebenden Fassung gegen Art 6 Abs 4 GG oder Art 3 GG, soweit aufgrund dieser Regelung
eine fiktive Bemessung nach § 132 SGB III und nicht eine Bemessung aufgrund real erwirtschafteter Sozialversicherungsbeiträge
zu erfolgen hat, wenn ein Elternteil ein Kind unter drei Jahren mehr als 580 Tage Vollzeit betreut und erzieht statt innerhalb
des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen?
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b) Widerspricht die Regelung des § 132 SGB III dem Gleichheitsgebot, soweit betreuende Eltern, deren Bemessungsentgelt auf
der Grundlage des real erzielten Arbeitseinkommens höher wäre, durch diese Berechnung schlechter gestellt werden, wohingegen
betreuende Eltern, deren Realeinkommen niedriger war, sogar bessergestellt werden?
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Zur Begründung hat es ausgeführt, die Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschriften sei entscheidungserheblich. Gemäß §
132 SGB III in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung sei ein fiktives Bemessungsentgelt zugrunde zu legen, weil für
die Klägerin auch in dem nach § 130 Abs. 3 SGB III erweiterten Bemessungsrahmen vom 11. Januar 2004 bis zum 10. Januar 2006
kein Tag mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen sei. Die Beklagte habe die Klägerin auch im Sinne von § 132 Abs. 2
SGB III zutreffend in die Qualifikationsgruppe 3 eingeordnet. Anders wäre die Situation dann, wenn sich die alleinerziehende
Klägerin durchgerungen hätte, ihr Kind im Bemessungsrahmen mindestens 150 Tage in eine Fremdbetreuung zu geben und einer sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung nachzugehen. Denn hätte sie sich innerhalb des zweijährigen Bemessungsrahmens (730 Tage) höchstens 580 Tage
ganz der Pflege ihres Kindes gewidmet, wäre nicht nur keine fiktive Berechnung gemäß § 132 SGB III vorzunehmen, sondern die
Klägerin würde darüber hinaus gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III privilegiert. Zwar dürfte entgegen der Auffassung der Beklagten
die Anwendung der Bezugsgröße West zutreffend sein. Aber selbst wenn in diesem Punkt eine zugunsten der Klägerin von den Bescheiden
der Beklagten abweichende Entscheidung erginge, bliebe es dabei, dass die fiktive Bemessung nach § 132 SGB III sie erheblich
schlechter stelle als eine Berechnung auf der Grundlage ihres tatsächlich erwirtschafteten Arbeitsentgeltes, was eine gegenüberstellende
Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes auf der Grundlage der Bezugsgröße Ost, der Bezuggröße West und des im Zeitraum
vom 15. Januar 2002 bis zum 14. Januar 2003 bezogenen Bruttoarbeitsentgelts zeige.
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Das Gericht sei von der Verfassungswidrigkeit der §§ 130, 132 SGB III in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung überzeugt,
weil das an sich zu begrüßende Bestreben des Gesetzgebers, die Regelungen über das Bemessungsentgelt zu vereinfachen, mit
den im Grundgesetz verankerten Grundwerten kollidiere. Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG schütze die Familie zunächst
und zuvörderst als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Dem liege die Erkenntnis zugrunde, dass die leibliche und seelische
Entwicklung der Kinder in der Familie und in der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage finde und gerade die ersten
Lebensjahre das Fundament für die gesamte weitere Entwicklung des Kindes bildeten und deshalb besonders schützenswert seien.
Unvereinbar mit dieser verfassungsrechtlich geschützten Grunderkenntnis sei es, dass ein Elternteil, der sich entschließe,
sich nach der Geburt des Kindes uneingeschränkt seinem Kind zu widmen, finanziell benachteiligt werde gegenüber anderen Eltern,
die sich entschlössen, neben ihrer Betreuungsleistung im aufgezeigten Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit
nachzugehen, und hierdurch – wie dargestellt – eine doppelte Privilegierung erführen.
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Dies lasse sich auch nicht unter der Annahme rechtfertigen, ein Ausstieg aus dem Erwerbsleben führe zu einer Erschwerung des
Wiedereinstieges. Denn selbst wenn dies zuträfe, wäre dies in diesem konkreten Zusammenhang, in dem die Unterbrechung der
Erwerbstätigkeit der Betreuung eines Kleinkindes diene, kein sachlicher Grund, der eine Schlechterstellung zu rechtfertigen
vermöge. Dies werde im vorliegenden Fall der alleinerziehenden Klägerin, die als Mutter überdies auch gemäß Art. 6 Abs. 4
GG einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft habe und sich in einer nicht einfachen Lebenssituation
befinde, besonders deutlich. Führe auch die Pauschalisierung in § 132 SGB III dazu, dass nicht jeder Leistungsempfänger in
der Lebenssituation der Klägerin benachteiligt werde, so kompensiere dies nicht den dargestellten Eingriff. Denn die finanzielle
Benachteiligung der Klägerin werde hierdurch nicht beseitigt, sondern eine Ungleichbehandlung geschaffen, die sachlich nicht
zu rechtfertigen sei. Hieran ändere sich auch nichts durch Wägung der im Prinzip zutreffenden Annahme, dass der Anspruch einer
Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft nicht dazu führe, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft
zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen. Denn diese Erkenntnis greife vorliegend zu kurz. Jede Familie, in
der ein Kind heranwachse, verdiene die Fürsorge der Gemeinschaft und müsse sich mit Erfolg dagegen wehren können – jedenfalls
im Rahmen des Sozialrechtes -, dass eine Vollzeitbetreuung in ihrer Bedeutung nicht nur nicht anerkannt werde, sondern mit
einer Diskriminierung einhergehe.
II.
41
Die Vorlage ist unzulässig.
42
1. Ein Gericht kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift
nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit
sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 ). Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht in den Gründen
seiner Entscheidung ausführen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt und
mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist.
43
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt ein Vorlagebeschluss dem Begründungserfordernis des
§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nur, wenn ihm zum Einen mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass das vorlegende Gericht
im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im
Falle ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 7, 171 ; 105, 61 stRspr). Zum
Anderen muss das vorlegende Gericht die für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm maßgeblichen Erwägungen
nachvollziehbar und erschöpfend darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 ; 86, 71 ; 88, 70 ; 88, 198 ; 93, 121
). Es muss deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht
nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt ist. Dabei muss es sich intensiv mit der
einfachen Rechtslage auseinandersetzen, auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte eingehen und die in Rechtsprechung
und Schrifttum vertretenen Auffassungen ebenso verarbeiten wie die Entstehungsgeschichte der betreffenden Norm (vgl. BVerfGE
76, 100 ; 79, 240 ; 80, 96 ; 86, 52 ; 86, 71 ; 89, 329 ; 92, 277 ; 105, 48 ).
44
2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage nicht. Jedenfalls hat das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit
der vorgelegten Vorschriften nicht den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BVerfGG entsprechend dargelegt. Es
meint sinngemäß, einem Elternteil, das sich entschließe, sich nach der Geburt uneingeschränkt seinem Kind zu widmen, dürften
hieraus keine Nachteile im Hinblick auf die Höhe des Arbeitslosengeldes entstehen, und hält es dementsprechend für verfassungsrechtlich
geboten, dass sich das Arbeitslosengeld für ein Elternteil, das ein Kind unter drei Jahren Vollzeit betreut hat und deswegen
innerhalb von zwei Jahren vor der Erfüllung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, im Falle der Klägerin sogar noch darüber hinaus,
keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, nach dem zuletzt vor der Geburt des Kindes bezogenen Bruttoarbeitsentgelt richtet.
Eine nachvollziehbare und verfassungsrechtlich fundierte Begründung für dieses Ergebnis enthält der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss
jedoch nicht.
45
a) Das vorlegende Gericht stützt sich wesentlich auf eine angeblich aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 GG folgende “verfassungsrechtlich
geschützte Grunderkenntnis”, wonach gerade die ersten Lebensjahre das Fundament für die gesamte weitere Entwicklung des Kindes
bildeten und deshalb besonders schützenswert seien. Aus welchem normativen Gehalt des Art. 6 GG sich eine solche “Grunderkenntnis”
ergeben soll und welche konkreten verfassungsrechtlichen Anforderungen hieraus abgeleitet werden können sollen, legt es jedoch
nicht dar. Auf die verschiedenen, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten grundrechtlichen Gewährleistungsgehalte
des Art. 6 Abs. 1 GG (Freiheitsrecht, Benachteiligungsverbot, Schutz- und Förderungsgebot; vgl. hierzu bereits BVerfGE 6,
55 und zusammenfassend BVerfGE 99, 216 ) geht das Sozialgericht nicht ein. Keine Erwähnung findet auch die ständige
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach zwar aus dem Schutz und Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG die Aufgabe
des Staates folgt, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen
zu ermöglichen und zu fördern (vgl. BVerfGE 99, 216 ), der Staat jedoch nicht gehalten ist, jegliche die Familie treffende
Belastung auszugleichen, und sich aus dem Verfassungsauftrag konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme,
in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten lassen (vgl. BVerfGE 87, 1 ; 110, 412 ).
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b) Darüber hinaus erschließt sich nicht, welche Bedeutung Art. 6 Abs. 4 GG, auf den der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss
ergänzend verweist, für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Vorschriften im konkreten Fall zukommen soll.
Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach aus Art. 6 Abs. 4 GG für Sachverhalte, die nicht allein
Mütter betreffen, keine besonderen Rechte hergeleitet werden können (vgl. BVerfGE 87, 1 ; 94, 241 ), erwähnt das
Sozialgericht ebenso wenig wie die daraus in der Literatur gezogene Schlussfolgerung, Belastungen, die der Mutter durch die
Betreuung und Erziehung des Kindes entstünden, eröffneten den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 4 GG nicht, da sie auch Väter
gleichermaßen treffen könnten (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 6 Rn. 53 m.w.N.). Im Falle der Klägerin
des Ausgangsverfahrens sind es auch nicht die Mutterschutzfristen nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG, die dazu führen, dass
gemäß § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt anzusetzen ist. Diese lagen vielmehr außerhalb
des erweiterten Bemessungsrahmens nach § 130 Abs. 3 Satz 1 SGB III (anders insoweit der dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss
des Sozialgerichts Aachen vom 23. Juli 2007 – S 21 AL 38/06 -, juris, Rn. 2, 44 ff.
unter 1 BvL 13/07>, zugrunde liegende Sachverhalt).
47
c) Schließlich genügen auch die Ausführungen zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG,
den das vorlegende Gericht in seiner Begründung allerdings nicht ausdrücklich als verfassungsrechtlichen Maßstab nennt, den
Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BVerfGG nicht.
48
Die der ersten Vorlagefrage zugrunde liegende Auffassung des vorlegenden Gerichts, andere Eltern, die ihr Kind während eines
zweijährigen, d.h. 730 Tage umfassenden, erweiterten Bemessungsrahmen für mindestens 150 Tage in eine Fremdbetreuung gäben
und einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen, würden gegenüber Eltern, die sich wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens
in diesem Zeitraum für mehr als 580 Tage ganz der Pflege ihres Kindes widmeten, “doppelt” privilegiert , da bei ihnen nicht
nur keine fiktive Bemessung nach § 132 Abs. 1 SGB III erfolge, sondern sie auch in den Genuss der Regelung des § 130 Abs.
2 Nr. 3 SGB III kämen, ist nicht vollständig nachvollziehbar. Eine Bemessung auf der Grundlage des real erzielten Arbeitsentgelts
erfolgt sicherlich dann, wenn ein Elternteil innerhalb des ggf. auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens für mindestens
150 Tage eine versicherungspflichtige Beschäftigung mit Anspruch auf Arbeitsentgelt ausgeübt hat, ohne dass in dieser Zeit
das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes gemindert
war. Geht ein dem Grunde nach Arbeitslosengeldberechtigter jedoch während des gesamten erweiterten Bemessungsrahmens oder
zumindest für mehr als 580 Tage wegen der Betreuung seines Kindes lediglich einer versicherungspflichtigen Teilzeittätigkeit
nach, kann die Regelung des § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III durchaus zu einer fiktiven Bemessung nach § 132 Abs. 1 SGB III führen.
Die Regelung des § 130 Abs. 2 SGB III bewirkt nämlich nach verbreitet vertretener Auffassung ebenso wie die entsprechende
Vorschrift des § 131 Abs. 2 Satz 1 SGB III a.F., dass die genannten Zeiten so behandelt werden, als handele es sich nicht
um Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III (vgl. SG
Aachen, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 23. Juli 2007 – S 21 AL 38/06 -, juris, Rn. 23; LSG Baden-Württemberg, Urteil
vom 10. September 2008 – L 3 AL 4581/06 -, juris, Rn. 25; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 130 Rn. 45 ; Behrend,
in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 130 Rn. 80 ; zur früheren Rechtslage vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2004
– B 7 AL 68/03 R -, juris, Rn. 18), mit der Folge, dass es an den erforderlichen 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt
fehlen kann. Ob § 130 Abs. 2 SGB III teleologisch zu reduzieren ist, wenn seine Anwendung und die damit einhergehende fiktive
Bemessung nach § 132 Abs. 1 SGB III zu einer für den Arbeitslosen ungünstigen Berechnung führt, ist umstritten (dafür z.B.
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. September 2008 – L 3 AL 4581/06 -, juris, Rn. 27; Rolfs, in: Gagel, SGB III, § 130 Rn.
43 ; Behrend, in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 130 Rn. 61 ; dagegen z.B. Valgolio, in: Hauck/Noftz,
SGB III, § 130 Rn. 46 ).
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Das vorlegende Gericht befasst sich darüber hinaus nicht hinreichend damit, ob die von ihm festgestellte Ungleichbehandlung
verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Dies gilt vor allem in Bezug auf die zweite Vorlagefrage. Insoweit beschränken sich
die Ausführungen auf die nicht weiter begründete Behauptung, durch die Pauschalierung in § 132 SGB III, die – so das Sozialgericht
sinngemäß – manche betreuenden Eltern gegenüber einer Bemessung auf der Grundlage des zuletzt bezogenen Arbeitsentgelts besser
stelle, werde eine Ungleichbehandlung geschaffen, die sachlich nicht zu rechtfertigen sei. Aber auch die der ersten Vorlagefrage
zugrunde liegenden Erwägungen lassen eine sorgfältige Prüfung, ob ein sachlicher Grund für die festgestellte Ungleichbehandlung
besteht, nicht erkennen. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht insoweit entwickelt hat (vgl.
hierzu z.B. BVerfGE 87, 1 ; 110, 412 ), werden weder genannt noch geprüft.
50
Vor allem setzt sich das vorlegende Gericht nicht damit auseinander, dass auch frühere Regelungen (§ 112 Abs. 7 2. Alt. AFG;
§ 133 Abs. 4 SGB III a.F.) eine fiktive Bestimmung des Bemessungsentgelts vorsahen, wenn die letzte versicherungspflichtige
Beschäftigung im Zeitpunkt der Entstehung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld schon längere Zeit zurück
lag, und befasst sich nicht mit dem Sinn und Zweck des Ansatzes eines fiktiven Bemessungsentgelts. Dieser erschließt sich
aus der Funktion des Arbeitslosengeldes als Lohnersatzleistung: Das Arbeitslosengeld soll das Arbeitsentgelt ersetzen, das
der Arbeitslose wegen der Arbeitslosigkeit aktuell, also in einer potentiellen neuen Beschäftigung nicht erzielt (sog. Entgeltausfallprinzip;
vgl. BTDrucks 13/5062, S. 6; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 1993 – 1 BvR 1754/92 -, juris,
Rn. 6). Dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt misst das Gesetz dabei grundsätzlich Indizwirkung in dem Sinne
bei, dass es typisierend das Arbeitsentgelt anzeigt, das der Arbeitslose, hätte er Arbeit, auch aktuell erzielen könnte (vgl.
z.B. BSG, Beschluss vom 2. Februar 1995 – 11 RAr 21/94 -, juris, Rn. 23). Bereits unter der Geltung des AFG nahm der Gesetzgeber
jedoch an, dass diese Indizwirkung in Frage gestellt wird, wenn aufgrund längerer Arbeitsunterbrechungen der Bemessungszeitraum
immer weiter ausgedehnt und das Arbeitslosengeld nach einem Arbeitsentgelt aus einer Zeit bemessen werden müsste, die länger
als drei Jahre zurück liegt: Bei noch länger zurück liegenden Bemessungsentgelten sei die Vermutung nicht mehr gerechtfertigt,
dass der Arbeitslose dieses Bemessungsentgelt auch in Zukunft verdienen könne (vgl. BTDrucks 8/1053, S. 13 zu Art. 1 Nr. 6
Buchstabe b). Diese Überlegungen lagen der Regelung des § 133 Abs. 4 SGB III a.F. ebenfalls zugrunde (vgl. LSG NRW, Urteil
vom 10. März 2004 – L 12 AL 83/03 -, juris, Rn. 26; Pawlak, in: Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts,
§ 11 Rn. 20 f.) und sind ebenso für die aktuelle Regelung des § 132 Abs. 1 SGB III maßgeblich (vgl. BSGE 100, 295 <305 ff.
Rn. 40 ff.>). Ob vor diesem Hintergrund auch im Falle der Klägerin des Ausgangsverfahrens der Ansatz eines fiktiven Bemessungsentgelts
gerechtfertigt sein könnte, erörtert das vorlegende Gericht nicht.
51
Schließlich setzt sich das vorlegende Gericht nicht damit auseinander, dass Art. 3 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
den Gesetzgeber, der sich im Rahmen seines Ermessens bei der Ausgestaltung von staatlichen Leistungen für eine familienpolitische
Förderung durch Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub entschieden hat, nicht verpflichtet, diese Förderung auch
im Zusammenhang mit anderen sozialrechtlichen Regelungen uneingeschränkt zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGK 4, 215 <218
f.>). In seine Erwägungen bezieht es auch nicht ein, dass Eltern, die, wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens, wegen der
Betreuung und Erziehung ihrer Kinder unter drei Jahren keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, in der Arbeitslosenversicherung
seit dem 1. Januar 2003 immerhin dadurch begünstigt werden, dass sie während der Erziehungszeit gemäß § 26 Abs. 2a SGB III
in einem Versicherungspflichtverhältnis stehen und so die Anwartschaftszeit nach §§ 123, 124 SGB III für einen Anspruch auf
Arbeitslosengeld erfüllen können.
52
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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