Sozialrecht

Unzulässigkeit der Klage gegen ein Verwaltungsinternum

Aktenzeichen  L 3 R 37/22 B

Datum:
3.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LSGST:2022:0303.L3R37.22B.00
Normen:
§ 73a Abs 1 S 1 SGG
§ 114 Abs 1 S 1 ZPO
§ 44a Abs 1 S 5 SGB 2
§ 8 SGB 2
§ 54 SGG
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Spruchkörper:
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Verfahrensgang

vorgehend SG Halle (Saale), 24. Januar 2022, S 13 R 381/21, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 24. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Der Kläger macht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Hauptsacheverfahren geltend, in dem er sich gegen die Ablehnung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) mit dem Feststellungsbegehren wendet, nicht erwerbsgemindert zu sein.
Der Versicherungsverlauf des am … 1994 geborenen Klägers enthält Pflichtbeitragszeiten bis Januar 2013 auf Grund einer Berufsausbildung und nachfolgend von Februar bis Juni 2013 und September 2013 bis Januar 2014 auf Grund des Bezuges von Sozialleistungen. Im Übrigen erfolgte im Wesentlichen ein Wechsel zwischen dem Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II) und einer Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug. Entgegen seiner auch im Beschwerdeverfahren wiederholten Behauptung steht er nicht seit dem Jahr 2018 in einem „Midijob“. Vielmehr war er ausweislich seines Versicherungskontos im Zeitraum vom 22. Oktober 2018 bis zum 30. November 2020 nur geringfügig nicht versicherungspflichtig beschäftigt, was einen von ihm selbst gestellten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht voraussetzt. Vom 1. Dezember 2020 bis zum 22. Juli 2021 stand er in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, an das sich der alleinige Bezug von Leistungen nach dem SGB II anschloss. Ausweislich der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kontoumsätze aus Arbeitsverdiensten und der Abrechnung der Brutto-Netto-Bezüge für den Monat April 2021 erzielte der Kläger bei einem Gebäudereinigungsunternehmen von März 2020 bis August 2021 ein monatliches Arbeitsentgelt zwischen 88,73 € und 548,60 €. Für den Kläger ist zumindest seit dem Jahr 2013 ein gesetzlicher Betreuer mit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes im Aufgabenkreis Vermögenssorge bestellt.
Auf das am 23. Januar 2018 eingegangene Ersuchen des Eigenbetriebes für Arbeit – Jobcenter S. auf der Grundlage von § 8 SGB II in Verbindung mit § 2 der Vereinbarung mit dem Deutschen Landkreistag/Deutschen Städtetag trat der beklagte Rentenversicherungsträger in Ermittlungen zur Frage einer Erwerbsminderung des Klägers ein, zog Gutachten bei und beauftragte den Facharzt für Neurologie und für Psychiatrie S. mit der Erstattung des Gutachtens vom 6./19. Juni 2019. Der Gutachter kam auf der Grundlage der Untersuchung des Klägers am 6. Juni 2019 zu dem Ergebnis, dessen Leistungsvermögen im Erwerbsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei aufgehoben. Die Beklagte teilte nachfolgend dem Jobcenter in einer gutachterlichen Stellungnahme die Einschätzung mit, der Kläger sei nicht erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II, da er wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit (länger als sechs Monate) außer Stande sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Eine Erwerbsfähigkeit liege (zumindest) seit dem 20. Januar 1994 nicht vor. Die volle Erwerbsminderung bestehe auf Dauer, weil es unwahrscheinlich sei, dass diese behoben werden könne.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 16. September 2019 mit Bescheid vom 4. November 2019 mit der Begründung ab, der Kläger sei seit dem 20. Januar 1994 dauerhaft voll erwerbsgemindert. Die Mindestversicherungszeit für eine Rente wegen Erwerbsminderung sei nicht erfüllt. Der am 14. Juli 2020 bei der Beklagten eingegangene Antrag auf Überprüfung dieses Bescheides nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 13. Juli 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2021).
Der Kläger hat am 15. Oktober 2021 Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben und gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren beantragt. In der Sache hat er den Bescheid vom 13. Juli 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2021 angefochten und die Feststellung begehrt, dass er nicht ab dem Zeitpunkt seiner Geburt voll erwerbsgemindert sei. Zur Begründung hat er argumentiert, dass die vorliegenden Gutachten und seine tatsächliche Erwerbstätigkeit nicht den Schluss zuließen, dass er voll erwerbsgemindert sei. Er hat im Übrigen zur Rechtfertigung seiner Klage Ausführungen in Zusammenhang zu Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts gemacht.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 24. Januar 2022 abgelehnt. Eine Rechtsschutzinteresse für die von dem Kläger erhobene negative Feststellungsklage sei nicht erkennbar. Dieser begehre ausdrücklich keine Rente wegen Erwerbsminderung, sondern wende sich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegen ein Begründungselement – hier volle Erwerbsminderung seit Geburt – im Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 4. November 2019. Die Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II, insbesondere die Erwerbsfähigkeit des Klägers, seien im Rahmen des Klageverfahrens gegen das Jobcenter (S 14 AS 1229/20) zu prüfen.
Gegen den ihm am 27. Januar 2022 zugestellten Beschluss hat der Kläger am Tag der Zustellung Beschwerde bei dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und sein Vorbringen aus der ersten Instanz wiederholt.
Der Beklagten und der Staatskasse ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Eine Abschrift des Bescheides vom 4. November 2019 und der Versicherungsverlauf des Klägers vom 22. Februar 2022 sind beigezogen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus dem Beschwerde- und dem Hauptsachverfahren sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren.
Die Klage hat offenkundig zu keinem Zeitpunkt eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) geboten.
Es wird zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen, die sich der Senat nach eingehender Prüfung zu eigen macht.
Das vom Kläger formulierte Feststellungsbegehren weist bereits keinen Bezug zu dem angefochtenen Bescheid der Beklagten auf, dessen Regelungsgegenstand im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X ausweislich des Verfügungssatzes sich in der Ablehnung des Rentenantrags des Klägers erschöpft. Dieser Verwaltungsakt wäre ausgehend von dem Feststellungsbegehren des Klägers nicht rechtswidrig, sondern rechtmäßig.
Das Feststellungsbegehren ist bei zutreffender rechtlicher Würdigung dem – nicht von dem angefochtenen Bescheid erfassten – Regelungsbereich des § 44a Abs. 1 Satz 5 SGB II zuzuordnen. d.h. der gutachterlichen Stellungnahme der Beklagten auf Anfrage des Jobcenters. Selbst dann, wenn man nicht auf den Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides vom 4. November 2019, sondern allein auf dessen Begründung abstellen wollte – was verwaltungsverfahrensrechtlich unzulässig ist -, bestünde keine Identität zwischen der Begründung der Rentenablehnung durch die Beklagte im eigenen Zuständigkeitsbereich nach dem SGB VI und der gutachterlichen Stellungnahme der Beklagten im Rahmen der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Grundsicherungs- und Sozialhilfeträger. Nach allgemeiner Meinung ist die gutachterliche Stellungnahme der Rentenversicherungsträger auf der Grundlage von § 44a Abs. 1 Satz 5 SGB II ein Verwaltungsinternum (vgl. z.B. Brems in Juris Praxiskommentar zum SGB II, 5. Aufl. 2020, § 44a RdNr. 39ff. m.w.N.). Der Kläger geht vor diesem Hintergrund unzutreffend davon aus, dass ein Austausch von Begründungselementen für die Ablehnung seines Rentenantrages eine Tatbestandswirkung gegenüber dem Grundsicherungs- oder dem Sozialhilfeträger haben könnte. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der der von dem Kläger angeführten Rechtsprechung des Bayerischen LSG (Urteil vom 23. Juli 2015 – L 11 AS 713/14 -, juris), die sich auf das Rechtsverhältnis Hilfebedürftiger/Grundsicherungsträger und nicht Hilfebedürftiger/Rentenversicherungsträger bezieht.
Kosten sind nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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