Sozialrecht

Zur gesetzlichen Unfallversicherung bei Beschulung und intensiv pädagogischer Betreuung im Ausland

Aktenzeichen  L 3 U 57/18

Datum:
22.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47692
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 8b
SGB VII § 27 i.V.m. § 39
SGB VII § 27 i.V.m. § 40
SGB VII § 7
SGB VII § 8
SGB VIII § 27 i.V.m. § 35

 

Leitsatz

1. Der Begriff der allgemeinbildenden Schule in § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII ist weit auszulegen. Entscheidend ist, dass an ihnen die Schulpflicht erfüllt werden bzw. an ihnen die mittlere Reife bzw. die Hochschulreife erreicht werden kann. Erfasst werden Schulen jeder Art und Form.
2. Die Eintragung in ein Schülerverzeichnis begründet für den Kläger nicht eine Art „Formalversicherung“ im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung.
3. Für eine Jugendhilfemaßnahme (Hilfe zur Erziehung) nach § 27 i.V.m. § 35 und §§ 39, 40 SGB VIII (intensive pädagogische Einzelbetreuung) besteht kein Versicherungstatbestand nach dem SGB VII.

Verfahrensgang

S 40 U 44/14 2018-01-17 SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Januar 2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
2. Die Klage, die auf die Anerkennung des Ereignisses vom 28. Februar 2002 als Arbeitsunfall (hier: Schulunfall) des Klägers gerichtet ist, ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft (vgl. BSG, Urteil vom 23. Januar 2018 – B 2 U 8/16 R -, juris Rn. 9).
3. Nach den Feststellungen des Senats liegt jedoch kein in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherter Arbeitsunfall vor.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
a) Das SGB VII findet im vorliegenden Fall Anwendung, obwohl sich der Unfall in der Republik Ungarn ereignete. Die Republik Ungarn ist erst seit 01.05.2004 Mitglied der Europäischen Union. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über soziale Sicherheit (BGBl. 1999, Teil II Nr. 27 vom 07.10.1999, Seite 902) erfasst in Art. 2 Abs. 1 Nr. b grundsätzlich auch die Gesetzliche Unfallversicherung. Nach Art. 9 des Abkommens finden die Bestimmungen dieses Abkommens über die Versicherungspflicht entsprechend auf Personen Anwendung, die nicht Arbeitnehmer sind, auf die sich jedoch die vom sachlichen Geltungsbereich dieses Abkommens (Art. 2 Abs. 1) erfassten Rechtsvorschriften beziehen. Nach Nr. 7 Satz 1 des Schlussprotokolls zum Abkommen vom 2. Mai 1998 (BGBl. Teil II,1999, Seite 918) bleiben „[d]ie deutschen Rechtsvorschriften der Unfallversicherung zum Versicherungsschutz bei Hilfeleistungen und anderen beschäftigungsunabhängigen Handlungen im Ausland … unberührt“.
Setzt der Versicherungstatbestand, wie hier § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII, keine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit voraus, erweitert § 2 Abs. 3 Satz 4 2. Halbsatz SGB VII den Unfallversicherungsschutz auf Inländer im Ausland. § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) gilt entsprechend. Danach ist hier grundsätzlich ein Fall der Ausstrahlung zu bejahen (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 2 U 13/13 R -, SozR 4-2700 § 2 Nr. 31 und juris Rn. 24 für die Teilnahme einer Studentin an einem Skikurs in der Schweiz).
b) Nach den Feststellungen des Senats ist jedoch kein Tatbestand einer in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeit gegenüber der Beklagten oder Beigeladenen zu 1 gegeben. Insbesondere sind die Voraussetzungen einer gesetzlichen Versicherung für Schüler nach § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII hier zur Überzeugung des Gerichts nicht im Vollbeweis nachgewiesen.
aa) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII sind Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Nach der Literatur ist der Begriff der allgemeinbildenden Schulen grundsätzlich weit auszulegen. Es kann sich sowohl um öffentliche als auch um private Schulen handeln. Entscheidend ist, dass an ihnen die Schulpflicht erfüllt werden bzw. an ihnen die mittlere Reife bzw. die Hochschulreife erreicht werden kann. Erfasst werden Schulen jeder Art und Form (zB Kollegs, Abendschulen, Ganztagsschulen, Internate; vgl. BSG, Urteil v. 26. Januar 1988 – 2 RU 2/87, BSGE 63, 14 zu privaten Ergänzungsschulen; KassKomm/Lilienfeld, 108. EL März 2020, SGB VII § 2 Rn. 34). Der Gesetzeszweck der gesamten Nr. 8 besteht in der Einbeziehung aller organisierten Vorstufen späterer Erwerbstätigkeit in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, unabhängig davon, ob sie der Allgemeinbildung dienen oder auf die Berufsbildung ausgerichtet sind (Bieresborn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 2 SGB VII, Rn. 153, m.w.N.). Der Gesetzgeber ging jedoch nicht von einem umfassenden Versicherungsschutz ohne Rücksicht auf den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule aus (Bieresborn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 2 SGB VII; Rn. 170). So hat das BSG in einer früheren Entscheidung ausgeführt, dass Schüler nicht gegen einen Arbeitsunfall versichert seien, sofern sie im privaten (häuslichen) Bereich, also außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der von ihnen besuchten Schule, unterrichtet werden (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1984 – 2 RU 33/83 -, BSGE 57, 260-262, SozR 2200 § 549 Nr. 9, Rn. 16). Ein Versicherungsschutz ist dagegen zu bejahen, wenn die angeschuldigte Tätigkeit zum organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule zählt, insbesondere die Teilnahme am Schulunterricht, aber auch andere schulische Veranstaltungen wie Klassenausflüge und -reisen (vgl. z.B. auch BSG, Urteil vom 23. Januar 2018 – B 2 U 8/16 R; Bieresborn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 2 SGB VII, Rn. 171). In einer neuen Entscheidung des BSG vom 26. November 2019 (-B 2 U 3/18 R) stellt das BSG deutlich darauf ab, ob die Schule zumindest eine Mitverantwortung für die Durchführung einer Wettkampfveranstaltung hatte.
Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung zurzeit des Unfallereignisses, das Unfallereignis, der Gesundheitserstschaden und die Unfallfolge mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (Vollbeweis). Danach darf ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Betrachter keinen Zweifel mehr haben (BSG Urteil vom 27. März 1958, 8 RV 387/55, Rn. 16, BSGE 7, 103).
bb) Wie das SG in seinem Urteil zutreffend ausführte, kann ein Schulbesuch i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII hier nicht im Hinblick darauf bejaht werden, dass der Kläger Schüler der C. in R. war (die unproblematisch unter § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII fällt) oder an einer Außenstelle dieser Schule unterrichtet wurde. Dabei geht der Senat davon aus, dass die C. grundsätzlich als allgemein- oder berufsbildende Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII anzusehen ist. Nach den Feststellungen des Senats wurde die C. als Förderschule zum Unfallzeitpunkt von der Stadt R. getragen.
Zwar war der Kläger für das Schuljahr 2001/2002 im Hauptbuch der C. in R. eingetragen. Auch hatte die Schulleiterin J. zunächst mit Schreiben vom 30.04.2013 der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger Schüler der C. – und zwar einer der Durchgangsklassen als Außenstelle – gewesen sei. § 11 Abs. 1 SchulG in der Fassung der Bekanntmachung vom 02. August 1990 (GVOBl. 1990, 451- SchulG -) bestimmt, dass ein öffentlich-rechtliches Schulverhältnis mit der Aufnahme eines Schülers in eine öffentliche Schule begründet wird. Die Eintragung in das Hauptbuch der C ist jedoch nicht konstitutiv, sondern allenfalls ein Indiz für eine Aufnahme des Klägers in die C. Gegen ein Schulverhältnis in der C spricht das Fehlen eines Eintrags zur Entlassung sowie eines Zeugnisses der C aus der Zeit der Beschulung. Der Kläger hat auch keinen Abschluss der C abgelegt, sondern ein Abschlusszeugnis für Nichtschüler des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein erhalten. Weiter spricht gegen eine Beschulung durch die C in Ungarn die Auskunft des Schulamts R-E vom 13.10.2017, wonach die Lehrkräfte in Ungarn von der evangelischen Jugendhilfe und nicht von der C eingestellt und entlohnt wurden sowie auch deren fachlicher Aufsicht und Weisung unterstanden.
Das Projekt in Ungarn stellte aber auch keine Außenstelle der C. dar. Zwar hat der Kläger ausgesagt, der betreuende Lehrer der C., der Zeuge W., habe den Lehrern vor Ort „Anweisungen“ gegeben. Nach Auskunft des Schulamts R-E haben damals in Ungarn weder Lehrer der C unterrichtet, noch gab es seitens der C. irgendeine Form der schulischen oder fachlichen Aufsicht oder Weisung. Dies hat der Zeuge W. auch in der schriftlichen Befragung durch den Senat am 01. April 2019 bestätigt. Vielmehr gab es, wie der Beigeladene zu 2 mitteilte, nur eine fachliche Beratung und Kooperation mit Besuchen. Dies reicht für eine Zuordnung zum Verantwortungsbereich der C zur Überzeugung des Gerichts nicht aus. Gleiches gilt für die Tatsache, dass das Zwischenzeugnis von W. unterschrieben wurde. Denn es handelt sich nicht um ein Zwischenzeugnis der C., sondern der Jugenddorfschule betreffend den externen Hauptschulabschluss. Vielmehr nahm der Kläger an einer Maßnahme in Ungarn teil, welche nicht dem organisatorischen Verantwortungsbereich der C. zuzurechnen war, sondern der evangelischen Jugendhilfe (Beigeladene zu 2). Der Unterricht in Ungarn unterfiel nicht der organisatorischen Verantwortung der C. So hat der Träger der Maßnahme, das JugendhilfeNetzwerk Nord-Ost, eine Einrichtung des Diakonie-Hilfswerkes Schleswig-Holstein und Nachfolgerin des damaligen evangelischen Jugenddorfs R, auf Anfrage mit Schreiben vom 12. April 2019 mitgeteilt, dass es nach ihrer Kenntnis keinen öffentlich-rechtlichen Vertrag über „besondere Unterrichtseinheiten“ gemäß § 26 Abs. 4 SchulG gegeben habe. Mit Schreiben vom 14. September 2017 führte die Beigeladene zu 2 aus, dass der Unterricht nicht unter deutscher Aufsicht stattgefunden habe. Vielmehr hat die ungarische Heimaufsicht die räumlichen Bedingungen in den Wohngruppen und den Zustand der Klassenräume überprüft. Eine landesrechtliche Genehmigung aus Schleswig-Holstein hat nicht vorgelegen. Dies bestätigte auch der Zeuge W. im Schreiben vom 1. April 2019, der als Lehrer bei der C. tätig war. Es erfolgte auch keine Überwachung des Unterrichts in Ungarn. Der Zeuge war auch nicht den Lehrern in Ungarn weisungsbefugt. Diese Aussagen sind nach Auffassung des Senats glaubwürdig und decken sich auch mit den Feststellungen des Senats aus dem gesamten Zusammenhang. Bezüglich der Beweiswürdigung wird auf die Ausführungen auf Seite 19 verwiesen.
An der externen Schulabschlussprüfung konnten nach den Feststellungen des Senats auch nur sogenannte Nichtschüler teilnehmen. Auch bezüglich der sachlichen Trägerschaft gab es keinen Vertrag. Die Kosten der Beschulung wurden dem Jugendamt der Landeshauptstadt M. in Rechnung gestellt. Es wurde eine Unfallversicherung über den Träger der Einrichtung bei der Gothaer Allgemeinen Versicherung abgeschlossen.
Damit ist nicht im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass der Kläger Schüler der C. war.
cc) Die Eintragung im Schulbuch der C. begründet für den Kläger auch nicht eine Art „Formalversicherung“ im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung, da der Kläger nicht darauf vertrauen konnte, bei einer Maßnahme der Jugendhilfe, welche in Ungarn stattfand, in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung versichert zu sein. Vielmehr wurde gegenüber dem Kläger eine Gruppenversicherung durch den Träger der Maßnahme abgeschlossen. Es kann insoweit nicht zulasten der Beigeladenen zu 1 gehen, wenn der Kläger nicht innerhalb der vom Versicherungsvertrag vorgesehenen Fristen mögliche Ansprüche geltend macht.
dd) Nach den Feststellungen des Senats kann die Schulmaßnahme der Beigeladenen zu 2 in Ungarn auch nicht als Besuch einer allgemeinbildenden Schule des Klägers im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII angesehen werden. Vielmehr befand sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt in einer Jugendhilfemaßnahme (Hilfe zur Erziehung) nach § 27 i.V.m. § 35 und §§ 39, 40 SGB VIII (intensive pädagogische Einzelbetreuung), für die kein Versicherungstatbestand nach dem SGB VII besteht. Dies ergibt sich bereits aus den beigezogenen Akten der Beklagten. So wurde am 30. Mai 2001 ein Hilfeplan durch die Landeshauptstadt München, Sozialreferat, für eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung – stationär – nach § 35 Kinder und Jugendhilfegesetz (KJHG) erstellt. Das Fachteam des Stadtjugendamtes München empfahl die Teilnahme an einer stationären Maßnahme (ISEMaßnahme) mit großem räumlichen Abstand zu München wegen einer gefährdenden Peergroup. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2001 bewilligte die Landeshauptstadt München, Sozialreferat, Stadtjugendamt, den Eltern des Klägers Hilfe zur Erziehung in Form von Unterbringung ab 24. September 2001 im Evangelischen Jugenddorf R. Nach der Unterbringungsvereinbarung vom 25. September 2001 wurde der Kläger unmittelbar in dem Projekt Ungarn-G untergebracht. Aus dem Zeugnis des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein vom 25. Juni 2002 ergibt sich, dass der Kläger als „Nichtschüler“ an der Prüfung zum Erwerb des Hauptschulabschlusses teilgenommen hat. Eine Genehmigung als Ersatzschule im Sinne von § 58 Abs. 1 SchulG in der Fassung vom 2. August 1990 liegt nicht vor. Nach den Feststellungen des Senats liegt auch keine Anzeige als Ergänzungsschule vor, da diese nach § 59 Abs. 1 SchulG wenigstens anzeigepflichtig wäre.
Mit Schreiben vom 14. September 2017 teilte der Leiter der evangelischen Jugendhilfe R. K. dem SG mit, dass in Ungarn auch keine Schule nach dem SchulG bestand. Der Unterricht stand nicht unter staatlicher Aufsicht aus Deutschland. Ein entsprechender Antrag ist auch in Ungarn nicht gestellt worden. Eine landesrechtliche Genehmigung aus Schleswig-Holstein lag nicht vor. Nach Mitteilung des Jugendhilfenetzwerks Nord-Ost in R. (Träger der Maßnahme) mit Schreiben vom 12. April 2019 hat es sich bezüglich der Maßnahme in Ungarn auch um keine „besonderen Unterrichtseinheiten“ nach § 26 Abs. 4 Schulgesetz gehandelt.
Es liegt auch keine Gestattung eines „anderweitigen Unterrichts“ nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG in der Fassung der Bekanntmachung vom 02. August 1990 vor. Nach Auffassung des Senats ist die Entscheidung des BSG vom 26. Januar 1988 (2 RU 2/87, BSGE 63, 14; KassKomm/Lilienfeld, 108. EL März 2020, SGB VII § 2 Rn. 34) nicht dahingehend zu verstehen, dass letztlich jede Unterrichtsmaßnahme auch dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegt. Dabei ist insbesondere eine Abgrenzung zu Jugendhilfemaßnahmen vorzunehmen, welche explizit nicht in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung aufgenommen wurden. Ein „anderweitiger“ Unterricht bedarf nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG einer Gestattung, welche hier nicht vorliegt. Diese Regelung erscheint auch sinnvoll, da nicht jegliche Form des Lernens oder externe Vorbereitung auf allgemeinbildende Bildungsabschlüsse unter den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung fallen soll. Der erkennende Senat stellt insoweit darauf ab, dass ohne entsprechende Gestattung durch die jeweils zuständige Landesschulbehörde auch keine „allgemeinbildende Schule“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII angenommen werden kann. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Bundesländer nach Art. 70 ff. Grundgesetz (GG) mangels entsprechender Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz an den Bund die sogenannte Kulturhoheit (Art. 30, 70 GG) besitzen, d. h. es ist ureigene Aufgabe der Länder in ihrem Zuständigkeitsbereich die Fragen der Kulturpolitik und insbesondere des Schulwesens zu regeln. Hieraus leitet der Senat ab, dass der Bund als Gesetzgeber des SGB VII sich nicht über die Kulturhoheit der Länder hinwegsetzen kann und die schulpolitischen Regelungen der einzelnen Länder zu beachten hat. Es ist damit auch den Ländern überlassen, was sie als „Schule“ definieren und gestalten wollen. Insoweit geht der Senat davon aus, dass der „Gestattung“ konstitutive Wirkung zukommt. Dabei verkennt der Senat nicht, dass grundsätzlich eine weite Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII geboten ist, die jedoch in den verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten des Grundgesetzes ihre Grenzen findet. Im Übrigen hat das BSG in seiner Entscheidung vom 4. Juli 2013 (B 2 U 2/12 R, Rz. 18) bezüglich einer berufsbildenden Schule ausgeführt, dass diese nur dann unter § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII fällt, wenn ein schulrechtlicher Abschluss nach Landesrecht dort erworben oder die Schulpflicht erfüllt werden kann. Dies war jedenfalls für den Kläger nicht möglich, da er an der Prüfung für „Nichtschüler“ seinen Schulabschluss erworben hat. Die Beschulung in Ungarn war auch keine öffentliche oder private Schule mit landesrechtlicher Genehmigung aus Schleswig-Holstein. Somit gab es keine Landesschulaufsicht. Insoweit führt auch der Verweis auf § 43 JuFöG zu keinem anderen Ergebnis, da keine Gestattung eines anderweitigen Unterrichts vorliegt.
Darüber hinaus bestand für den Kläger auch keine allgemeine Schulpflicht. Dies ergibt sich für den Senat aus der Stellungnahme des Schulrats B vom 13. Oktober 2017. Nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SchulG besteht eine Verpflichtung zum Besuch einer Grundschule oder einer Schule der Sekundarstufe I oder einer Sonderschule von insgesamt 9 Schuljahren (Vollzeitschulpflicht). Der am 01. September 1985 geborene Kläger wurde regelrecht zum Schuljahr 1992/1993 eingeschult. Seine Schulpflicht endete damit nach 9 Schuljahren am 31.07.2001. Zu einem anderen Ergebnis kommt man auch nicht, wenn man die entsprechenden Regelungen des Freistaat Bayerns heranzieht. Danach dauerte gemäß Art. 35 Abs. 2 Bayerisches Erziehung und Unterrichtsgesetz (BayEUG) 12 Jahre und gliederte sich in eine Vollzeitschulpflicht, die nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 BayEUG nach 9 Schuljahren endete und einer Berufsschulpflicht nach Art. 35 Abs. 3 BayEUG. Mit Abschluss des Schuljahres 2000/2001 endete damit die Vollzeitschulpflicht des Klägers. Durch die Änderung seines tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts, an welche die Schulpflicht in Bayern gemäß Art. 35 Abs. 1 BayEUG anknüpft, bestand auch keine (Berufs-) Schulpflicht mehr in Bayern. Auf die Ausführungen des staatlichen Schulamts in der Landeshauptstadt München vom 12.12.2017 wird verwiesen.
Gegen die Feststellung einer „allgemeinbildenden Schule“ spricht auch die Maßnahmebeschreibung des Evangelischen Jugenddorfs R. (Stand Februar 2001) wonach für nicht mehr schulpflichtige Teilnehmer lediglich ein „Kurs“ zur Vorbereitung auf den externen Hauptschulabschluss vor einer Kommission des Schulamtes in Kiel in dieser Projektbeschreibung aufgeführt wird. Insoweit wird auch ausdrücklich nicht von einer „Schule oder Beschulung“ gesprochen.
Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass der externe Hauptschulabschlusskurs, welcher durch die Jugenddorfschule R. in Ungarn durchgeführt wurde, jedenfalls für den Kläger keine „allgemeinbildende Schule“ darstellt.
ee) Selbst, wenn es sich jedoch um eine schulische Maßnahme nach § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII gehandelt hätte, so diente der Sportunterricht nicht rechtlich wesentlich der Vorbereitung auf den externen Hauptschulabschluss. Auch bei Unterbringung in einem Internat beschränkt sich der Unfallversicherungsschutz auf solche Verrichtungen, die rechtlich wesentlich mit dem Schulbesuch zusammenhängen; es kommt also darauf an, ob die unfallbringende Handlung in einem wesentlichen inneren Zusammenhang zur Schule bzw. zur Ausbildung stand oder zum Internat als Betreuungseinrichtungen (Schwerdtfeger in Lauterbach, 4. Aufl., 58. EL Juli 2015 § 2 Rn. 294; Kruschinsky in Krasney/ Burchardt/ Kruschinsky/ Becker, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. EL, Stand Mai 2010, § 2 Rn. 508; Bieresborn in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 2 SGB VII Rn. 89; LSG Hessen vom 20.11.2012 – L 3 U 214/11).
Für eine Zuordnung zum Bereich „Schule“ spricht, dass es sich um einen regelmäßig zur gleichen Zeit stattfindenden Unterricht in einem vom Wohnort getrennten Sportplatz/Sporthalle durch einen extra dafür engagierten Lehrer handelte. Dieser Unterricht war wohl auch für die Schüler aller „Jugenddörfer“ verpflichtend.
Im Übrigen führen zur Überzeugung des Senats auch die gegen einen wesentlichen inneren Zusammenhang der unfallbringenden Handlung zum Bereich „Schule“ sprechenden Umstände. Hierfür sprechen zunächst die vorgelegten Zeugnisse des Klägers. Sowohl im Zwischenzeugnis der Jugenddorfschule R vom 25. Januar 2002 wie auch im Zeugnis des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein vom 25. Juni 2002 war Sport nicht Gegenstand der Benotung und wurde auch nicht im Text des Zeugnisses aufgenommen. Auch in der übersandten Notenliste für das 1. Halbjahr 2000/2001 waren keine Noten für Sport aufgenommen. Der Sportunterricht fand auch nicht im Rahmen des Vormittagsunterrichts der Schule, sondern davon räumlich und zeitlich getrennt am Donnerstagnachmittag statt. In der Maßnahmebeschreibung des Evangelischen Jugenddorfs R. (Stand Februar 2001) wurde dagegen ausgeführt, dass der Schulunterricht nur am Vormittag stattfindet. Vom 24. September 2001 (Beginn der Maßnahme für den Kläger) bis Anfang des Jahres 2002 gab es nach Aussage des Klägers überhaupt keinen Sportunterricht. Von einer Organisation des Sportunterrichts durch die Schule kann nicht gesprochen werden, da ja die gesamte Maßnahme durch das Evangelische Jugenddorf im Rahmen eines Auslandsprojektes organisiert wurde. Auch wenn der Sportunterricht für sämtliche Schüler verpflichtend war, so nahmen darüber hinaus auch andere Schüler aus anderen Jugenddörfern und Klassen teil. Wie der Kläger insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2020 ausführte, nahmen dabei alle Schüler aus allen Unterrichtszweigen teil. Das bedeutet, dass hier Schüler der Förderschule und der Hauptschule gemeinsamen Unterricht gehabt hatten. Wesentlich bedenklicher ist für den Senat jedoch, dass nach den Angaben des Klägers auch alle Altersgruppen, also zwischen dem 10. oder 11. Lebensjahr und dem 17. Lebensjahr teilgenommen haben. Ein Schulunterricht ist unter diesen Voraussetzungen, auch unter Berücksichtigung der heute immer stärker an Bedeutung gewinnenden Inklusion, zu verneinen. Mögliche Noten wurden weder im Zwischenzeugnis noch in der vom Kläger abgelegten Prüfung zum Hauptschulabschluss für Externe verwertet. Darüber hinaus hat auch der schriftlich angehörte Zeuge W. mitgeteilt, dass der Sportunterricht nicht Teil des Lehrplanes war.
Vor diesem Hintergrund konnte sich der Senat nicht den Ausführungen der Beigeladenen zu 2 im Schreiben vom 14. September 2017 anschließen, wonach der Sportunterricht Teil der Unterrichtsplanung gewesen sei. Der „Sportunterricht“ hatte nach Auffassung des Senats dem Wesen nach überwiegend eine reine Ausgleichsfunktion, nicht jedoch den Charakter eines Schulsportes einer allgemeinbildenden Schule.
Nach den Feststellungen des Senates war daher der Sportunterricht im Wesentlichen dem Internatsbetrieb und nicht dem Schulbetrieb zuzuordnen, wenn man insoweit überhaupt von einem Schulbetrieb sprechen kann.
ff) Die schriftlichen Angaben des Zeugen W. waren für den Senat im Wesentlichen glaubhaft. Der Klägerbevollmächtigte weist jedoch zutreffend darauf hin, dass die Angaben des Zeugen insoweit widersprüchlich waren, als er einerseits vorträgt für die nicht mehr schulpflichtigen Jugendlichen nicht zuständig gewesen zu sein, andererseits jedoch das Zwischenzeugnis des Klägers unterschrieb. Für den Kläger hatte das Zwischenzeugnis der Jugenddorfschule vom 25. Januar 2002 jedoch lediglich informative und vor allem pädagogische Bedeutung. Der Senat kann keine rechtlich wesentliche Bedeutung darin erkennen. Es diente zum einen der Motivation des Klägers und als Sachstandsmitteilung für den Träger der Jugendhilfe der Stadt M. Aus dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2020 mitgeteilten Telefongespräch zwischen ihm und dem Zeugen W. leitet der Senat jedoch insbesondere ab, dass der Zeuge W. dem Kläger keinesfalls durch seine Aussagen schaden wollte. Nachdem die Aussagen des Zeugen insbesondere auch mit den Mitteilungen der Beigeladenen zu 2 im Wesentlichen übereinstimmen, war für den Senat die Aussage des Zeugen W. grundsätzlich glaubwürdig. Dabei ist jedoch der Senat sich durchaus bewusst, dass aufgrund des nunmehr annähernd 20 Jahre zurückliegenden Sachverhaltes gewisse Widersprüche möglich sind. Durch die Pensionierung des Zeugen W. war insbesondere sichergestellt, dass er unabhängige Angaben über die damalige Situation machte. Den Bedenken des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 13. Mai 2019 konnte der Senat daher nicht beitreten.
Eine Ladung der vom Klägerbevollmächtigten benannten Y. und G. als Zeugen war aus Sicht des Gerichts nicht erforderlich, weil die Tatsachen, für die die Zeugen benannt wurden (Durchführung des Sportunterrichts am Donnerstagnachmittag; Unfallereignis am 28. Februar 2002) vom Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen wurden und vom Senat insoweit als wahr unterstellt werden. Über die Feststellung der rechtlichen Qualität des Sportunterrichts ist jedoch ein Zeugenbeweis nicht behilflich. Im Übrigen wurden die Beweisanträge seitens des Klägerbevollmächtigten auch nicht mehr in der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2020 aufrechterhalten.
gg) Im Übrigen wird auf die überzeugenden Argumente des SG im Urteil vom 17. Januar 2018 verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Auch bezüglich einer versicherten Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 8 a SGB VII wird auf die überzeugenden Argumente des SG im Urteil vom 17. Januar 2018 verwiesen.
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass der Kläger keinen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Unfall erlitten hat.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


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