Steuerrecht

1 K 1022/20

Aktenzeichen  1 K 1022/20

Datum:
16.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt 1. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:FGST:2022:0216.1K1022.20.00
Spruchkörper:
undefined

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die durch Verwirklichung eines grunderwerbsteuerlichen Tatbestands im Rahmen einer Konzernumstrukturierung zum Stichtag ausgelöste Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen nach § 163 Abgabenordnung (AO) dahingehend abweichend festzusetzen ist, dass als Bemessungsgrundlage der betroffenen Grundstücke jeweils nicht der sich nach § 8 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 14 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2015 vom 2. November 2015 (Bundesgesetzblatt – BGBl. – I 2015, 1834) i.V.m. dem 6. Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes (§§ 157 ff. BewG) ergebende Grundbesitzwert zugrunde gelegt wird, sondern der sich nach § 8 Abs. 2 GrEStG alte Fassung i.V.m. dem Vierten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes (§§ 138 ff. BewG) ermittelte Grundbesitzwert.

Der streitgegenständliche Sachverhalt ist Ergebnis einer Umstrukturierung innerhalb des Konzerns.

Zur Vorbereitung dieser Auslagerung erfolgte eine Bündelung der Konzerngesellschaften unterhalb der Klägerin, an der zu 46,65 % die B und zu 53,35 % die C beteiligt waren. Die C wurde als 100 %ige Tochtergesellschaft unmittelbar von der Konzernobergesellschaft D gehalten, die über ihre 100 %ige Tochtergesellschaft E zugleich mittelbar auch alle Anteile der B hielt.

Umgesetzt wurde die Auslagerung im Weg einer Abspaltung zur Aufnahme (§ 123 Abs. 2 Nr. 1 Umwandlungsgesetz – UmwG -) zum Abspaltungsstichtag Der zwischen der D als übertragender Rechtsträger und der B als übernehmender Rechtsträger geschlossene notarielle Abspaltung- und Übernahmevertrag wurde in das Handelsregister beider Gesellschaften eingetragen. Sämtliche Anteile der C wurden per Abspaltung von der D auf die B übertragen und als Gegenleistung den Aktionären der D neue Aktien der B in dem Umfang zugeteilt, dass diese Aktionäre insgesamt zu 53,35 % an der B beteiligt waren. Die B hielt nun unmittelbar und mittelbar (über die C) sämtliche Anteile an der Klägerin bzw. mittelbar (über die C und die Klägerin) sämtliche Anteile an den Gesellschaften.

Um eine weitest mögliche ertragsteuerliche Neutralität der Abspaltung zu gewährleisten, erfolgten zwischen dem Konzern und der Finanzverwaltung intensive Abstimmungen. Im Anschluss daran wurde mit notarieller Vereinbarung das operative Geschäft der F auf die G ausgegliedert. In einem ersten Schritt wurde der operative Betrieb der F als Gesamtheit im Wege der Ausgliederung auf die Klägerin übertragen. In einem darauf folgenden zweiten Schritt wurde der gesamte Geschäftsbetrieb der Klägerin im Wege der Ausgliederung auf ihre Tochtergesellschaft die G übertragen. Beide Teilschritte wurden beim Handelsregister angemeldet und mit Registereintragung beim jeweils übernehmenden Rechtsträger zivilrechtlich wirksam.

Im Zusammenhang mit der Übertragung des Geschäftsbetriebs von der F auf die Klägerin (erster Ausgliederungsschritt) kam es zu einer Neuzuordnung der streitgegenständlichen Grundstücke. Der Vorgang wurde mit Schreiben dem Finanzamt in Z angezeigt, welches mit unter Vorbehalt der Nachprüfung stehendem Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer feststellte, dass der Vorgang nach § 6a GrEStG steuerbefreit ist und dass es sich um einen Fall des § 17 Abs. 3a GrEStG handelt; da die Steuerbemessung nach § 8 Abs. 2 GrEStG vorgenommen wurde, entfiel ein Ausweis der Grundbesitzwerte im Sinne des § 151 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1 bis 3 BewG im Feststellungsbescheid.

Hinsichtlich der beiden Teilschritte der Kettenausgliederung wurde die 5-jährige Nachbehaltensfrist des § 6a Satz 4 GrEStG jeweils nicht eingehalten, weshalb das Finanzamt in Z mit Bescheid gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO den zuvor ergangenen Feststellungsbescheid änderte und feststellte, dass der Vorgang rückwirkend nicht mehr gemäß § 6a GrEStG befreit ist. Hierüber wurde der Beklagte informiert.

Das insoweit zuständige Finanzamt in Y erließ insgesamt 23 gesonderte Feststellungsbescheide, in denen es hinsichtlich der Ausgliederung von der F auf die Klägerin die Grundbesitzwerte jeweils nach § 23 Abs. 14 S. 1 i.V.m. § 17 Abs. 3a i.V.m. § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GrEStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2015 sowie dem 6. Abschnitt des Zweiten Teil des Bewertungsgesetzes (§§ 157 ff. BewG) feststellte. Gegen diese Feststellungsbescheide hat die Klägerin jeweils Einspruch eingelegt, von denen bislang einer mit Einspruchsentscheidung vom 12. März 2021 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Eine Klage hiergegen wurde nicht erhoben.

Mit Bescheid über Grunderwerbsteuer vom 18. Dezember 2018 setzte der Beklagte hieran anknüpfend die Grunderwerbsteuer ausgehend von einer Bemessungsgrundlage i.H.v. € auf € fest. Die Bemessungsgrundlage wurde ausweislich des Bescheides auf Grundlage des Feststellungsbescheids gemäß § 17 GrEStG des Finanzamts in Z ermittelt. Als Anlage zum Grunderwerbsteuerbescheid findet sich eine Auflistung von 23 Grundstücken mit Einzelwerten.

Gegen diesen Grunderwerbsteuerbescheid wurde am 7. Januar 2019 Einspruch eingelegt und beantragt, die Grunderwerbssteuer unter Vertrauensgesichtspunkten bzw. aus Billigkeitsgründen auf der Grundlage von Grundbesitzwerten nach „altem Recht“ (§§ 138 ff. BewG) niedriger festzusetzen. Die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 7. August 2019 wurde nicht mit Klage angefochten.

Mit Bescheid vom 7. August 2019 lehnte der Beklagte den Billigkeitsantrag der Klägerin ab. Mit Einspruchsentscheidung vom 11. November 2020 wurde der am 13. August 2019 eingelegte Einspruch gegen den Bescheid über die Ablehnung einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen vom 7. August 2019 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte war der Auffassung, dass die Erhebung der Grunderwerbsteuer auf Grundlage der Grundbesitzwerte im Sinne des § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1 bis 3 BewG nicht sachlich unbillig sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 11. November 2020 Bezug genommen.

Am 14. Dezember 2020 wurde dagegen Klage erhoben, mit der die Klägerin ihr Begehren auf abweichende Festsetzung der Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen auf Grundlage einer nach §§ 138 ff. BewG ermittelten Bemessungsgrundlage weiterverfolgt.

Die Klägerin meint, der Beklagte sei aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null nach § 163 AO verpflichtet, die von der Klägerin zum Übertragungsstichtag hinsichtlich der betroffenen Grundstücke in X, W und V ausgelöste Grunderwerbsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen niedriger festzusetzen und zu erlassen, soweit diese den Steuerbetrag übersteigt, der sich bei Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG alte Fassung i.V.m. §§ 138 ff. BewG ergeben würde. Zumindest aber sei die vom Beklagten ausgesprochene Ablehnung der begehrten Billigkeitsmaßnahme ermessensfehlerhaft und der Beklagte daher zu verpflichten, die Klägerin neu zu bescheiden.

Die Frage, ob die Einziehung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im jeweiligen Streitfall unbillig ist, unterliege der vollen gerichtlichen Überprüfung. Verpflichtungsurteile seien insoweit die Regel und Bescheidungsurteile seien nur in Ausnahmefällen angezeigt, in denen noch sachlicher Klärungsbedarf bestehe (vergleiche BFH-Beschluss vom 28. September 2016 GrS 1/15, BStBl. II 2000 17393 unter C. III. 2.).

Im Streitfall sei die durch Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 2018 auf Basis der nach § 8 Abs. 2 GrEStG neue Fassung i.V.m. §§ 151, 157 ff. BewG erfolgte Festsetzung der Grunderwerbssteuer aus sachlichen Gründen unbillig. Hierbei komme eine sachliche Billigkeitsmaßnahme nur in atypischen Ausnahmefällen in Betracht; es gehe um den Ausgleich von Härten im Einzelfall, die der steuerrechtlichen Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht entsprechen und damit zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen würden (vergleiche BFH-Beschluss vom 28. September 2016, am angegebenen Ort, unter C. III. 3. a.). Erforderlich sei ein Überhang des gesetzlichen Tatbestands über die Wertungen des Gesetzgebers (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 IIRIII/02, BStBl. II 2004 1006, unter II. 5.).

Ein derartiger Überhang liege in der hier durch das Steueränderungsgesetz 2015 eingeführten Regelung in § 8 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 14 GrEStG. Der durch die Anwendung dieses, die Bewertungsmethode nach §§ 151, 157 ff. BewG vorschreibenden, Gesetzestatbestands zum Nachteil der Klägerin eintretende überschießende Belastungseffekt sei dabei vor allem auf zwei Besonderheiten zurückzuführen, die den vorliegenden Fall aus der Masse hervorheben und ihm einen atypischen Charakter verleihen würden.

Als erste Besonderheit sei der Umstand zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nicht freiwillig tätig geworden, sondern vom Bundesverfassungsgericht durch dessen Beschluss vom 23. Juni 2015 zu einer Neuregelung verpflichtet worden sei. Insoweit komme es für die Identifizierung eines derartigen Überhangs nicht allein auf die Wertungen des Gesetzgebers an, sondern es müssten zwingend und letztlich sogar logisch vorrangig die vom Bundesverfassungsgericht in dem vorgenannten Beschluss angestellten Wertungen berücksichtigt werden.

Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem angeführten Beschluss die Unvereinbarkeit der grunderwerbsteuerlichen Ersatzbemessungsgrundlage in § 8 Abs. 2 GrEStG alte Fassung, die zur Grundbesitzbewertung nach §§ 138 ff. BewG führte, mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz festgestellt und dem Gesetzgeber im Grundsatz zu einer bis zum 1. Januar 2009 rückwirkenden Neuregelung verpflichtet. In diesem Kontext habe das Bundesverfassungsgericht aber eine Einschränkung gemacht und ausdrücklich anerkannt, dass nicht ausnahmslos alle ab dem 1. Januar 2009 verwirklichten grunderwerbsteuerpflichtigen Sachverhalte von der gesetzlichen Neuregelung erfasst werden sollten. Die Anwendung der Neuregelung habe nämlich nur insoweit erfolgen sollen, soweit dies nach geltendem Recht zulässig sei. Das Bundesverfassungsgericht habe somit zwar die Anwendungsfälle des § 176 AO als typische Situationen angesehen, die vor dem Belastungseffekt einer rückwirkenden Neuregelung zu schützen seien, es habe mit seiner offenen Formulierung und dem Klammerzusatz aber den Kreis der in diesem Sinne schützenswerten Erwerbsvorgänge gerade nicht exklusiv auf Fälle des § 176 AO begrenzt.

Der Gesetzgeber habe nun im Steueränderungsgesetz 2015 zum einen mit der Neuregelung von § 8 Abs. 2 GrEStG auf den materiellen Verfassungsverstoß der Vorgängernorm reagiert (vergleiche BT-Drucks. 18/6094, Seite 86) und zum anderen mit Satz 1 des § 23 Abs. 14 GrEStG auf die prinzipielle Verpflichtung zur rückwirkenden Erfassung von nach dem 31. Dezember 2008 verwirklichten Erwerbsvorgängen (vergleiche BT-Drucks. 18/6094, Seite 87). Er habe jedoch im Satz 2 des § 23 Abs. 14 GrEStG den Kreis der vor der Rückwirkung geschützten Ausnahmefälle sehr eng definiert und ihn exklusiv auf Anwendungsfälle von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der AO zugeschnitten mit Blick auf Steuer- und Feststellungsbescheide, die vor dem 6. November 2015 für Erwerbsvorgänge nach dem 31. Dezember 2008 ergangen sind. Die gesetzliche Ausnahmeregelung in Satz 2 sei damit enger, als der vom Bundesverfassungsgericht gezogene Kreis potentieller schutzwürdiger Erwerbsvorgänge, mit der spiegelbildlichen Konsequenz, dass der gesetzliche Grundtatbestand die rückwirkende Anwendung der neuen Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG neue Fassung auch auf Sachverhalte erstreckt, die nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch jenseits von § 176 AO Schutz vor einer solchen Rückwirkung verdient hätten. Im Vergleich zu den maßgebenden, weil den Gesetzgeber bindenden, Wertungen des Bundesverfassungsgerichts liege somit ein Überhang des Gesetzestatbestands vor.

Die zweite Besonderheit bestehe darin, dass der von der Klägerin zum Stichtag verwirklichte grunderwerbsteuerpflichtige Vorgang kein für sich alleinstehender, von anderen Sachverhalten trennbarer Erwerbsvorgang gewesen sei. Dieser müsse vielmehr im Gesamtkonzept der Abspaltung gesehen werden und er sei insofern hinsichtlich seiner Schutzwürdigkeit gegenüber einer nachträglich erhöhten Steuerbemessungsgrundlage vergleichbar mit den von § 176 AO geschützten Sachverhalten.

Bereits kurz nach Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2015 und der, die Anwendungsvoraussetzungen von § 23 Abs. 14 Satz 2 GrEStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2015 i.V.m. § 176 AO sehr eng interpretierenden, gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 16. Dezember 2015 (BStBl. I 2015, 1082) sei im Schrifttum von zahlreichen Autoren darauf hingewiesen worden, dass die Gesetzesformulierung der Neufassung für viele nicht vom Schutzbereich des § 176 AO erfasste Sachverhalte zu ungerechten Ergebnissen führe, insbesondere mit Blick darauf, dass Steuerpflichtige in der Regel keinen Einfluss darauf hätten, wie schnell im Anschluss an die Verwirklichung eines Übertragungs- bzw. Erwerbstatbestandes die Grunderwerbsteuer seitens der Finanzbehörden (insbesondere wie im Streitfall bei mehrstufigen Verfahren nach § 17 GrEStG) auch tatsächlich Steuer- und Feststellungsbescheide ergehen. Einhellig sei insoweit für Billigkeitsmaßnahmen hinsichtlich etwaiger im gesetzlichen Rückwirkungszeitraum bereits realisierter Erwerbsvorgänge plädiert worden (vergleiche Engers/Schwäbe, BB 2015, 2465, 2469; Schade-Rapp, DStR 2015, 2166, 2171; dieselben, DStR 2016, 657, 661; Wischott/Keller/Uterhark, DStR 2016, 1191, 1197ff.).

Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin seien mehrere (nicht veröffentlichte) Verwaltungsanweisungen verschiedener Bundesländer bekannt, die zu diesem Ergebnis führten. So werde in Hessen (Hinweis auf Hessisches Finanzministerium vom 23. Mai 2017, S 4520 A 008-ST 120, Runderlass vom 31. Mai 2017 S 4520 A 010 – II 64/7) bereits auf der Ebene der Grundbesitzbewertung von den Lagefinanzämtern nach dem Günstigerprinzip verfahren und für Erwerbsvorgänge bis zum 5. November 2015 die Wertberechnung nach §§ 138 ff. BewG vorgenommen, wenn dies zu einem niedrigeren Wert führt als die Ermittlung nach §§ 157 ff. BewG. Vergleichbare Regelungen gebe es in Niedersachsen (OFD Niedersachsen vom 24. April 2017 S 4521 – 260 ST 262) sowie in Bayern (Bayerisches Landesamt für Steuern vom 17. Juli 2017 S 4520 2.1 – 6/126 ST 34). Ein weiteres prägnantes Beispiel sei aus der Praxis der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung bekannt (vergleiche insoweit Schanko in UVR 2016, 254, 255).

Vor diesem Hintergrund treffe das formale Argument des Beklagten, nicht an Verwaltungsanweisungen anderer Länder gebunden zu sein, zwar zu. Gleichwohl lasse die Tatsache, dass in mehreren Bundesländern die dortigen Finanzbehörden den im Schrifttum erhobenen Forderungen nach sachlichen Billigkeitsmaßnahmen nachgekommen seien, hinreichend deutlich erkennen, dass es auch jenseits der von § 23 Abs. 14 Satz 2 GrEStG n.F. erfassten (bereits von § 176 AO geschützten) Fällen sehr wohl Situationen gebe, bei denen die rückwirkende Anwendung von § 8 Abs. 2 GrEStG neue Fassung i.V.m. §§ 157 ff. BewG dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden widerspreche und im Sinne von § 163 Abs. 1 Satz 1 AO unbillig sei.

Der streitgegenständliche, von der Klägerin mit rechtlicher Wirkung zum Übertragungsstichtag realisierte Erwerbsvorgang sei zu dem (über § 176 AO hinausreichenden) Kreis von Sachverhalten zu zählen, für den das Bundesverfassungsgericht in Rz. 92 seines zitierten Beschlusses eine Ausnahme von der rückwirkenden Anwendung der gesetzlichen Neuregelung für möglich gehalten habe und für den zahlreiche Literaturstimmen wie auch verschiedene Landesfinanzverwaltungen die tatsächliche Gewährung einer solchen Ausnahme auf dem Billigkeitswege als erforderlich ansehen würden.

Zu berücksichtigen sei insoweit, dass es sich bei dem streitigen Erwerbsvorgang lediglich um einen notwendigen Baustein einer sehr komplexen und umfassenden Reihe von Transaktionen gehandelt habe. Nachdem die unternehmerische Entscheidung seitens der Konzernleitung der D zur Durchführung der Abspaltung getroffen, die dafür nötigen Transaktionsschritte entwickelt und mit der Finanzverwaltung abgestimmt worden seien, habe sich die tatsächliche Durchführung nicht mehr aufhalten lassen.

Wenn man zusätzlich noch berücksichtige, dass es nicht zu Lasten der Klägerin gewertet werden könne, dass (zufällig) am Tag der Einreichung des Auskunftsantrags auch der zitierte Bundesverfassungsgerichtsbeschluss veröffentlicht wurde, werde noch deutlicher, dass alle Teilakte der Abspaltung bereits zuvor definitiv und unumkehrbar festgeschrieben gewesen seien. Das gelte besonders für den streitgegenständlichen Erwerbsvorgang, da dieser systematisch in eine frühe Phase des Gesamtprojekts gehöre und ohne seine Vornahme sämtliche nachgelagerten Transaktionen blockiert gewesen wären. Der Umstand, dass dieser Vorgang noch nicht habe rechtswirksam durchgeführt werden und die Klägerin bis zu diesem Datum auch noch keinen vor der Rückwirkung des § 23 Abs. 14 Satz 1 GrEStG neue Fassung schützenden Steuer- oder Feststellungsbescheid im Sinne von § 23 Abs. 14 Satz 2 GrEStG neue Fassung i.V.m. § 176 AO habe erhalten können, sei daher auf administrativer Abläufe und Unwägbarkeiten zurückzuführen, welche weitestgehend außerhalb der Verantwortungssphäre der Klägerin lägen und damit im Rahmen der hier anzustellenden Billigkeitsprüfung nicht zu ihren Lasten gewertet werden könnten.

Die Klägerin habe auch (anders als der Beklagter meine) im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs nicht wissen können, in welcher Höhe sie letztendlich Grunderwerbsteuer werde zahlen müssen, weil es die dafür maßgebenden Vorschriften zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gegeben habe. Dies wiederum sei im Rahmen der Eingriffsverwaltung für einen Rechtsstaat kaum akzeptabel. Die Klägerin befindet sich hier in einer „Opferposition“. Die vom Gesetzgeber geschaffene Rechtsunsicherheit dürfe nicht zu ihren Lasten gehen. Insbesondere dürfe es nicht zu ihren Lasten gehen, dass die zivilrechtliche Rechtswirksamkeit des Ausgliederungsvorgangs und damit die Auslösung der darauf anfallenden Grunderwerbsteuer erst nach Veröffentlichung der im November 2015 in das Steueränderungsgesetz 2015 übernommenen Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (BT-Drucks. 18/6094) am 23. September 2015 eingetreten sei. Denn auch die Bearbeitungszeit beim Registergericht sei ein Umstand, auf den die Klägerin keinen Einfluss habe.

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hinzuweisen, dass Billigkeitsmaßnahmen weder den Vorgaben des zitierten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts noch dem Grundsatz der Lastengleichheit widersprechen würden. So lasse Rz. 92 des Beschlusses neben der Anwendung von § 176 AO noch hinreichend Platz für weitere Ausnahmen von einer umfassenden Rückwirkung der Neuregelung und für die Gewährsleistung von Einzelfallgerechtigkeit. Des Weiteren sei der Streitfall wegen seiner faktischen Besonderheiten in sachlicher Hinsicht mit der Masse der übrigen von der Neufassung der Regelung erfassten Fälle nicht vergleichbar.

Zur hilfsweise beantragten Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung sei auszuführen, dass der Beklagte bisher mit Blick auf die im Rahmen von § 163 Abs. 1 Satz 1 AO relevante Frage, ob hier ein zu einer unbilligen Steuerbelastung führender Überhang des Gesetzestatbestands über die gesetzgeberische Wertung (Intention) vorliegt, noch gänzlich unzureichend berücksichtigt habe, dass die gesetzgeberischen Wertungen hier entscheidend vom Bundesverfassungsgericht vorgeprägt worden seien und dieses neben den von § 176 AO erfassten Sachverhalten im Grundsatz auch noch andere Fälle für möglich gehalten habe, bei denen eine Ausnahme von der rückwirkenden Anwendbarkeit der gesetzlichen Neuregelung des § 8 Abs. 2 Grunderwerbsteuergesetz möglich sei (Ermessensfehlgebrauch). Überdies halte sich der Beklagte offenbar durch § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in einer solchen Weise an den Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 23. Juni 2015 gebunden, dass er schon gar nicht erkenne, dass ihm § 163 Abs. 1 Satz 1 AO trotzdem die Möglichkeit einer Einzelfallbetrachtung mit Blick auf Billigkeitsmaßnahmen eröffne (Ermessensunterschreitung bzw. sogar -ausfall).

Die Klägerin beantragt,unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 7. August 2019 sowie der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2020 den Beklagten zu verpflichten, die Grunderwerbsteuer auf die Ausgliederung im Billigkeitswege auf den Betrag herabzusetzen, der sich auf der Grundlage einer Bemessungsgrundlage ergibt, für deren Berechnung die maßgeblichen Grundbesitzwerte nach den Vorschriften des Vierten Abschnitts des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes (§§ 138 ff. BewG) ermittelt werden, hilfsweiseunter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 7. August 2019 sowie der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2020 den Beklagten zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf abweichende Festsetzung der Grunderwerbsteuer auf die Ausgliederung im Billigkeitswege unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, hilfsweisedie Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint unter Verweis auf seine bisherigen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung die Erhebung der Grunderwerbsteuer auf Grundlage der nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1 bis 3 BewG festgestellten Grundbesitzwerte sei nicht sachlich unbillig. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei im Streitfall kein atypisch überschießender Belastungseffekt zu sehen. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem zitierten Beschluss nicht nur die Ermittlung der grunderwerbsteuerlichen Ersatzbemessungsgrundlage für verfassungswidrig beurteilt, sondern dem Gesetzgeber auch aufgegeben, rückwirkend zum 1. Januar 2009 eine verfassungsgemäße gesetzliche Neuregelung zu schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht habe in den Gründen seiner Entscheidung erläutert, dass höchstwahrscheinlich eine höhere Bewertung des Grundbesitzes zu erwarten sei und für eine Weitergeltung der alten Rechtslage keine Rechtfertigung bestehe. Die Neuregelung entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, welches im Hinblick auf die Lastengleichheit eine realitätsgerechte Ersatzbemessungsgrundlage gefordert habe. Die Besteuerung der Klägerin auf Grundlage der nach §§ 151 und 157 BewG festgestellten Grundbesitzwerte entspreche damit nicht nur dem Willen des Gesetzgebers, sondern auch den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts nach einer realitätsgerechten Bemessungsgrundlage. Folglich könne die streitgegenständliche Besteuerung nicht sachlich unbillig sein.

Der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts in Rz. 92, dass die Anwendung der Neuregelung nur nach geltendem Recht, insbesondere unter Beachtung des § 176 AO erfolgen solle, bedeutet lediglich, dass die Finanzverwaltung bei Anwendung der Neuregelung auch die Bestandskraft bereits erlassene Bescheide zu berücksichtigen habe. In Abhängigkeit von Stichtagsregelung kann es insoweit dazu kommen, dass eine an sich bestehende Ungleichbehandlung hinzunehmen sei.

Aus dem Bundesverfassungsgerichtsbeschluss ergebe sich auch, dass kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Weitergeltung der alten verfassungswidrigen Rechtslage bestehen könne, denn bei objektiver Betrachtung sei die bisherige Regelung nicht geeignet gewesen, ein Vertrauen betroffener Personengruppen auf dem Fortbestand dieser Rechtslage zu begründen. Das bisherige Recht sei in so hohem Maße systemwidrig und unbillig gewesen, dass jedenfalls in dem Zeitpunkt, auf dem sich die Rückwirkung bezieht (1. Januar 2009) ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der alten Bewertungsvorschriften bestanden hätten. Schließlich sei seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2006 (1 BvR L 10/02 BStBl. II 2007, 192), welcher zu den Bewertungsregelungen im Anwendungszusammenhang mit der Erbschaft- und Schenkungssteuer ergangen sei, die Bewertung in den §§ 138 ff. BewG bemängelt worden. Es handele sich insoweit um dieselben Regelungen, die bei der Grunderwerbsteuer zur Anwendung gelangen würden. Aufgrund der ausgesprochenen Weitergeltungsanordnung bis zum 31. Dezember 2008 bestehe kein Vertrauensschutz auf eine Fortgeltung der Regelungen über diesen Zeitpunkt hinaus.

Ein Anspruch auf Billigkeitsmaßnahmen ergebe sich auch nicht im Hinblick auf die angeführten, nicht veröffentlichten Verwaltungsanweisungen anderer Bundesländer. Unabhängig von einer fehlenden Bindung des Beklagten an derartige Verwaltungsanweisungen würden diese den erkennbar gewordenen Willen sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Gesetzgebers aushöhlen. Auch der von Schanko beschriebene Sonderfall liege nicht vor.

Der streitige Sachverhalt sei auch nicht mit Sachverhalten im Sinne des § 176 AO im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit vergleichbar, da der zu besteuernde Rechtsvorgang nach Ergehen und Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts notariell beurkundet worden sei.

Auch dem Hilfsantrag sei nicht zu folgen, da dem Beklagte ausgehend von seiner Rechtsauffassung keine Ermessensfehler vorzuwerfen seien.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet, die Klägerin mit Schriftsatz vom 16. Juli und der Beklagte mit Schriftsatz vom 23. Juli 2021.

Dem Senat hat eine Heftung der Grunderwerbsteuer-, Erlass- und Rechtsbehelfsakten vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I. Die Entscheidung ergeht gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die begehrte Verpflichtung des Finanzamtes, die streitgegenständliche Grunderwerbsteuer zu erlassen bzw. (hilfsweise) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts insoweit neu zu bescheiden, war nicht auszusprechen, denn im Zusammenhang mit der den Erlass ablehnenden Entscheidung sind keine Ermessensfehler erkennbar, § 101 Sätze 1 und 2 FGO.

1. Bei der gerichtlichen Überprüfung eines Ablehnungsbescheides – wie im Streitfall – ist zu berücksichtigen, dass der Erlass von Steuern bzw. steuerlichen Nebenleistungen gemäß § 163 AO im Ermessen der Finanzbehörde liegt. Das Gericht darf deshalb nur überprüfen, ob die Ablehnung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO). Selbst bei einem Ermessensfehlgebrauch der Finanzbehörde darf das Gericht in der Regel nur die Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Nur dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass lediglich eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO). Abzustellen ist für die gerichtliche Prüfung der Ermessensentscheidung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung als letzte Verwaltungsentscheidung (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 14/95, BStBl. II 1997, 642; BFH-Beschluss vom 4. März 1999, VII B 315/98, BFH/NV 1999, 1223).

2. Unter Berücksichtigung des vorstehend skizzierten Prüfungsmaßstabs erweist sich die streitgegenständliche Ablehnungsentscheidung des Beklagten als ermessensfehlerfrei und damit rechtmäßig.

a) Gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.

§ 163 AO dient der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit unter Durchbrechung der Bindung der Finanzbehörde an das materielle Steuergesetz im konkreten Einzelfall, wobei die Regelung bezweckt, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragen zu können, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat (vgl. hierzu und im Folgenden Oellerich in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 165. Lieferung, § 163, Rn. 5ff., m.w.N.). Insbesondere bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie im Steuerrecht auftreten, kann der Gesetzgeber nicht um die Gleichbehandlung aller denkbaren Einzelfälle besorgt sein. Hierzu ist er aus verfassungsrechtlichen Gründen auch nicht verpflichtet. Er ist vielmehr befugt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalisierende Regelungen verwenden.

Im Gegenzug ist es daher erforderlich, in den Fällen einer intensiven Benachteiligung Härte- oder Billigkeitsklauseln vorzusehen, die nicht in den belastenden Normen enthalten sein müssen und das Fenster für eine grundrechtskonforme Interpretation und Korrektur des Steuergesetzes öffnen. Eine Unbilligkeit kann aus sachlichen oder persönlichen Gründen gegeben sein (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 2007 VI R 13/05, BFH/NV 2008, 794).

Die sachliche Unbilligkeit – persönliche Billigkeitsgründe wurden im Streitfall weder Vorgetragen, noch sind solche ersichtlich – begründet sich unabhängig von der Person des Steuerpflichtigen (vgl. hierzu und im Folgenden Oellerich in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 165. Lieferung, § 163, Rn. 52, m.w.N.). Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer insbesondere dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zu Grunde liegenden Gesetzes nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Dies ist der Fall, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Voraussetzung hierfür ist, dass das Gesetz auf die konkrete Sachverhaltskonstellation keine Rücksicht nimmt und sie der belastenden Rechtsfolge unterwirft, obwohl dies nach dem Willen des Gesetzgebers in dieser Konstellation nicht geboten ist.

b) Der Senat weist – lediglich der Vollständigkeit halber – darauf hin, dass die Klage nicht bereits deshalb unbegründet ist, weil eine sachliche Unbilligkeit grundsätzlich nicht vorliegen kann, wenn der Stpfl. zuvor nicht alle Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung ausgeschöpft hat (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 2010 X R 9/09, BFH/NV 2011, 561; Oellerich in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 165. Lieferung, § 163, Rn. 67, m.w.N.). Soweit die Grunderwerbsteuerfestsetzung im Streitfall nicht eigens angegriffen wurde, d.h. Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 7. August 2019 erhoben wurde, ist dies offensichtlich darauf zurückzuführen, dass am selben Tag der Ablehnungsbescheid wegen der beantragten Billigkeitsmaßnahme erging, gegen den in der Folge Rechtsmittel eingelegt wurden.

c) Die von der Klägerin geltend gemachten Unbilligkeitsgründe liegen nicht vor. Es fehlt daran, dass die streitgegenständlichen Bewertungsregeln der Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht entsprechen und zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen. Auch die von der Klägerin angeführten zwei „Besonderheiten“ (sinngemäß unfreiwilliges Handeln des Gesetzgebers auf Veranlassung durch das BVerfG und komplexer, zeitaufwändiger Vorgang, ohne die Möglichkeit der weiteren Einflussnahme auf den Ablauf im Zusammenhang mit – in Sachsen-Anhalt nicht einschlägigen – Ländererlassen) geben dem Fall nichts Atypisches.

Die Grunderwerbsteuerfestsetzung erfolgte zutreffend auf Grundlage der Regelungen in § 8 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 14 GrEStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2015 i.V.m. dem Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes (§§ 157ff. BewG). Diese Regelungen wiederum sind Ergebnis mehrerer Verfahren vor dem BVerfG (nämlich zunächst BVerfG-Beschluss vom 7. November 2006 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1) und in der Folge BVerfG-Beschluss vom 23. Juni 2015 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11, BStBl. II 2015, 871).

Hiernach wurden die Bewertungsregelungen, die die Klägerin gerne auf sich angewendet sehen würde, als verfassungswidrig eingeschätzt, verdeutlicht, dass eine hierauf gestützte Besteuerung zu gering ist, und dem Gesetzgeber ein mehrjähriger Zeitraum eingeräumt, diesen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen.

Die auf die Klägerin anzuwendende Neufassung der Bewertungsvorschriften entsprechen den Vorgaben des Verfassungsgerichts und sie sind auch insoweit nicht verfassungswidrig, als sie in ihren Anwendungsregelungen zu einer sog. Echten Rückwirkung oder zu einem Begünstigungsausschluss der Klägerin führen. Der Senat folgt insoweit der Beurteilung der Regelung durch das FG Münster in dessen Urteil vom 11. März 2021 (Az. 3 K 2647/18 F, EFG 2021, 927) und macht sich dessen Begründung zu eigen.

Danach konnte ab dem 1. Januar 2009 kein Vertrauen mehr dahin bestehen, dass das bereits als verfassungswidrig beurteilte alte Bewertungsrecht weiter Anwendung finden darf. Daher ist es ohne Belang, dass die Klägerin sich in späteren Jahren, in denen sie sich zu weitreichenden Umstrukturierungsmaßnahmen entschieden hat, die Gesetzeslage noch nicht abschließend geklärt war. Jedenfalls bestand in dem Zeitpunkt, zu dem sie aus freien Stücken den notariellen Vertrag abgeschlossen hat, aufgrund der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 55/2015 vom 17. Juli 2015 Klarheit.

Eine Verletzung des Gleichheitssatzes scheitert daran, dass die Regelung in § 23 Abs. 14 GrEStG, die zu einer unterschiedlichen Behandlung von Steuerpflichtigen führt, abhängig davon, ob vor dem 6. November 2015 bereits ein Steuer- oder Feststellungsbescheid ergangen ist, der nicht nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden kann, letztlich darauf zurückzuführen ist, dass aufgrund eines zum Stichtag bereits ergangenen Verwaltungsaktes im Einzelfall ein Vertrauenstatbestand gegeben ist. Stichtagsregelungen sind einerseits zulässig, andererseits ist eine Begünstigung im Unrecht nur in engen Grenzen (beispielsweise einer verbindlichen Zusage) zulässig, die hier nicht überschritten sind.

d) Der Beklagte hat in seiner Einspruchsentscheidung vom 11. November 2020 zum Ausdruck gebracht, dass er eine sachliche Unbilligkeit aus Vertrauensschutzgründen und aus Gründen des Begünstigungsausschlusses nicht zu erkennen vermag. Er hat die von Klägerin vorgebrachten Argumente (u.a. langer Planungszeitraum, Verwaltungsanweisungen anderer Länder) gewürdigt und abgewogen. Seine Ausführungen stehen im Einklang mit den gesetzlichen Regelungen.

Soweit der Beklagte sich auf Seite sieben der Entscheidung sinngemäß dahingehend geäußert hat, dass er sich an Entscheidungen des BVerfG gebunden fühlt und er nicht berechtigt ist, diese durch Billigkeitsentscheidungen zu konterkarieren, versteht dies der Senat nicht dahingehend, dass der Beklagte hier eine unbedingte Bindung an die Entscheidung im Rahmen seiner Ermessensausübung gesehen hat, so dass von einem sog. Ermessensausfall auszugehen ist. Denn solchenfalls hätte der Beklagte sich alle weiteren Überlegungen und Ausführungen schenken und die Begründung mit diesem Gedanken schließen können.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


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