Steuerrecht

2 Qs 2/22

Aktenzeichen  2 Qs 2/22

Datum:
14.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Halle (Saale) 2. Große Strafkammer
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
Art 12 Abs 1 GG
Art 14 Abs 1 GG
§ 103 StPO
§ 105 StPO
§ 304 StPO
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend AG Halle (Saale), 22. Juli 2021, 394 Gs 427/21

Tenor

Auf die Beschwerde der Drittbeteiligten …, …, … (Saale) vom 14.03.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 22.07.2021 (Az. 394 Gs 427/21) aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Drittbeteiligten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.
Das Finanzamt Halle (Saale) leitete unter dem 17.06.2021 ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer für die Jahre 2014 bis 2019 und Umsatzsteuer für die Jahre 2016 bis 2019 ein. Dem lag zugrunde, dass das Finanzamt Mannheim-Stadt dem Finanzamt Halle (Saale) unter dem 08.07.2020 eine Kontrollmitteilung über Schrottverkäufe des Beschuldigten im Jahr 2016 über 96.974,00 EUR und im Jahr 2017 über 48.427,00 EUR gemacht hatte, ohne dass der Beschuldigte dem Finanzamt Halle (Saale) entsprechende Einnahmen erklärt hatte.
Auf Antrag des Beschuldigten vom 11.07.2015 und des Finanzamts Halle (Saale) vom 01.06.2015 eröffnete das Amtsgericht Halle (Saale) mit Beschluss vom 31.01.2016 (Az. 59 IK 54/16) das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Beschuldigten und bestellte die Drittbeteiligte zur Insolvenzverwalterin. Diese reichte in der Folgezeit regelmäßig Verwalterberichte bei dem Amtsgericht Halle (Saale) ein.
Auf Antrag des Finanzamts Halle (Saale) vom 12.07.2021 ordnete das Amtsgericht Halle (Saale) mit Beschluss vom 22.07.2021 (Az. 394 Gs 427/21) die Durchsuchung der Geschäftsräume der Drittbeteiligten und der ihr gehörenden Sachen sowie die Beschlagnahme der für das Ermittlungsverfahren relevanten Beweismittel an, wobei es der Drittbeteiligten einräumte, die Maßnahme durch sofortige, erschöpfende und verbindliche Auskunft sowie durch Herausgabe der für die Ermittlungsbehörden erforderlichen Unterlagen abzuwenden. Zur Begründung führte das Amtsgericht Halle (Saale) aus, dass sich im Besitz der Drittbeteiligten relevante Unterlagen befinden könnten, dass die Durchsuchung der Auffindung und Sicherstellung dieser Unterlagen diene, dass eine vorherige Anhörung der Drittbeteiligten den Zweck der Durchsuchung gefährden würde und dass die Maßnahme angesichts der Schwere der zu erwartenden Strafe verhältnismäßig sei.
Am 09.12.2021 suchten die Ermittlungsbeamten des Finanzamts Halle (Saale) die Geschäftsräume der Drittbeteiligten auf und trafen lediglich eine ihrer Sachbearbeiterinnen an. Diese gestattete freiwillig die Einsicht in einen Ordner und fertigte freiwillig Ausdrucke aus der elektronisch geführten Akte an.
Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 14.03.2022 hat die Drittbeteiligte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 22.07.2021 (Az. 394 Gs 427/21) eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anordnung nicht verhältnismäßig sei.
Das Amtsgericht Halle (Saale) hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Halle zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Die Drittbeteiligte ist als Besitzerin der zu durchsuchenden Räumlichkeiten und der zu beschlagnahmenden Sachen gemäß § 304 Abs. 1, Abs. 2 StPO beschwerdeberechtigt. Außerdem hat die Drittbeteiligte trotz Erledigung der angeordneten Maßnahmen ein berechtigtes Interesse an der Feststellung von deren Rechtswidrigkeit, weil sie als Insolvenzverwalterin regelmäßig damit rechnen muss, dass in Ermittlungsverfahren gegen ihre Insolvenzschuldner vergleichbare Anordnungen ergehen.
Die Beschwerde ist außerdem begründet. Die Voraussetzungen der §§ 103 Abs. 1 S. 1, 105 Abs., 1 S. 1 StPO für eine Durchsuchung bei der Drittbeteiligten liegen nicht vor.
Auch wenn Tatsachen gegeben sind, aus denen zu schließen ist, dass sich in den Räumlichkeiten der Drittbeteiligten bestimmte Unterlagen befinden, die zur Verfolgung eines Anfangsverdachts gegen den Beschuldigten wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer in den Jahren 2014 bis 2019 und Umsatzsteuer in den Jahren 2016 bis 2019 erforderlich sind, sind die angeordneten Maßnahmen gegen die Drittbeteiligte jedenfalls nicht verhältnismäßig.
Eine verfassungskonforme Auslegung von § 103 Abs. 1 S. 1 StPO gebietet es, dass ein Eingriff in das von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum und in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Drittbeteiligten nur dann rechtmäßig ist, wenn der Eingriff unter Abwägung des Interesses an der Strafverfolgung des Beschuldigten und der Interessen der Drittbeteiligten verhältnismäßig ist. Eine solche Verhältnismäßigkeit setzt voraus, dass es neben den angeordneten Maßnahmen keine gleich geeigneten milderen Maßnahmen gibt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Eine gleich geeignete mildere Maßnahme wäre es gewesen, vorab eine formlose Anfrage an die Drittbeteiligte zu stellen.
Eine solche Anfrage ist deshalb gleich geeignet, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Drittbeteiligte die Kenntnis von dem Ermittlungsverfahren hätte nutzen können, um Beweismittel zu verschleiern. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die Drittbeteiligte – anders als Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer – durch das Amtsgericht Halle (Saale) als Insolvenzverwalterin bestellt und seit ihrer Bestellung regelmäßig überwacht wurde. Dabei sind keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich geworden, dass die Drittbeteiligte ihr Amt unter Verletzung ihrer gesetzlichen Pflichten ausgeübt und derart im Lager des Beschuldigten gestanden haben könnte, dass mit der Verschleierung von Beweisen ernstlich zu rechnen gewesen wäre.
Derlei Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass die Drittbeteiligte keine Steuererklärungen für den Beschuldigten abgab, obwohl diese möglicherweise hätten geboten sein können. So ordnete das Amtsgericht Halle (Saale) ausdrücklich das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Beschuldigten an, weswegen es aus Sicht der Drittbeteiligten nicht nahelag, dass der Beschuldigte neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit auch Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit erzielt haben könnte und damit einkommen-, gewerbe- oder umsatzsteuerpflichtig gewesen wäre. Vielmehr vermerkte das Finanzamt Halle (Saale) am 17.06.2021 (Bl. 23 d. A.) selbst, dass die Drittbeteiligte regelmäßig Verwalterberichte vorgelegt habe, wonach der Beschuldigte bei seinem Großvater angestellt gewesen sei und der Drittbeteiligten wohl keine weiteren Einkünfte des Schuldners bekannt gewesen seien.
Auch im Übrigen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Drittbeteiligte in irgendeiner Art und Weise unzuverlässig sein könnte.
Die Rechtmäßigkeit des Beschlusses wird auch nicht dadurch hergestellt, dass der Drittbeteiligten die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Durchsuchung und Beschlagnahme durch ihre freiwillige Mitwirkung abzuwenden. Der Zusatz hat nur deklaratorische Bedeutung, weil jede zwangsweise angeordnete Maßnahme durch freiwillige Mitwirkung abgewendet werden kann. Er ändert nichts daran, dass der Drittbeteiligten die Gelegenheit genommen wurde, auf eine formlose Anfrage hin alle erforderlichen Unterlagen ohne den Eindruck einer unmittelbar bevorstehenden Durchsuchung und Beschlagnahme zusammenzustellen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


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