Steuerrecht

AdV wegen unterlassener Anhörung und Verstoß gegen Offenlegung der Besteuerungsgrundlagen

Aktenzeichen  VII B 18/21 (AdV)

Datum:
15.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:BA.150621.VIIB18.21.0
Normen:
§ 71 AO
§ 91 AO
§ 126 Abs 1 Nr 3 AO
§ 364 AO
§ 370 AO
§ 69 FGO
Art 3 EURL 64/2010
Art 6 Abs 3 Buchst a MRK
Spruchkörper:
7. Senat

Leitsatz

1. NV: Wird die nach § 91 AO erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt, wird der Verfahrensfehler gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO rückwirkend geheilt.
2. NV: Wenn ein Haftungsbescheid (§ 71 AO) die Wertungen eines rechtskräftigen Strafurteils übernimmt, kann der Verweis auf das dem Haftungsschuldner vorliegende Urteil eine ausreichende Offenlegung der Besteuerungsgrundlagen nach § 364 AO darstellen.
3. NV: Die speziell für das Strafverfahren geltenden Bestimmungen, zu denen sowohl Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK als auch Art. 3 der Richtlinie 2010/64/EU gehören, sind für das Besteuerungsverfahren nicht maßgeblich. Dem Haftungsschuldner muss deshalb nicht von Amts wegen eine Übersetzung des Strafurteils zur Verfügung gestellt werden.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 20. Januar 2021, Az: 3 V 40/20, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20.01.2021 – 3 V 40/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Haftungsbescheids.
2
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller), ein der deutschen Sprache nicht mächtiger tschechischer Staatsbürger, war Alleingesellschafter und Geschäftsführer der am 20.08.2013 gegründeten A Limited. Im Jahr 2013 wurde außerdem die B GmbH gegründet. Die A Limited erwarb ein Grundstück in F und verpachtete es an die B GmbH. Die B GmbH stellte auf dem Gelände die Produkte Cleanol-7 und Mol-F her.
3
Gegen den Antragsteller und mehrere andere Personen wurde im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb dieser beiden Produkte ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung geführt. Der Antragsteller wurde durch mittlerweile rechtskräftiges Urteil des Landgerichts (LG) D vom 06.07.2018 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und verbüßt derzeit die ausgeurteilte Strafe.
4
Das Urteil beruht auf den folgenden Feststellungen:
Der Antragsteller habe gemeinsam mit dem Mitangeklagten E von Anfang an den Plan verfolgt, die in F hergestellten Produkte gegenüber dem Hauptzollamt als Reinigungs- und Schmiermittel zu deklarieren, sie aber tatsächlich zur Verwendung als Kraftstoff oder Kraftstoffzusatz in Verbrennungsmotoren abzugeben. Es sei beabsichtigt gewesen, die dadurch entstehende Energiesteuer zu hinterziehen; daher seien die Produkte zur Verdeckung als Reinigungs- und Schmiermittel deklariert worden.
5
Bei dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Hauptzollamt –HZA–) seien die Produkte wie folgt in die Kombinierte Nomenklatur (KN) Stand 01.01.2002 eingeordnet worden:
Cleanol-7:  
Unterposition 2710 1999 KN (“andere Schmieröle und andere Öle”)
Mol-F:
Unterposition 3824 9097 KN (“Zubereitete Bindemittel für Gießereiformen oder -kerne; chemische Erzeugnisse und Zubereitungen der chemischen Industrie oder verwandter Industrien (einschließlich Mischungen von Naturprodukten), anderweit weder genannt noch inbegriffen: andere”)
6
Das HZA habe der B GmbH am 16.10.2014 eine Erlaubnis zur steuerfreien Verwendung von Dieselkraftstoff zur Herstellung von Cleanol-7 und am 26.10. und 10.11.2015 eine Erlaubnis zur steuerfreien Verwendung von Dieselkraftstoff zur Herstellung von Mol-F erteilt. In der Folgezeit seien die Produkte hergestellt und in der Zeit bis Oktober 2016 an Abnehmer in verschiedene europäische Länder verkauft worden. Der Antragsteller habe dabei zusammen mit dem Mitangeklagten E die führende Rolle übernommen und die Geschäfte der B GmbH als faktischer Geschäftsführer geleitet. Die Konstruktion mit der A Limited als Verpächterin und der B GmbH als Herstellerin sei gewählt worden, um die verantwortliche Stellung des Antragstellers bei der Herstellung der beiden Produkte zu verschleiern.
7
Der Antragsteller habe sich nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) strafbar gemacht. Durch ihn und durch die weiteren Mitangeklagten sei gegenüber dem HZA konkludent erklärt worden, dass die beiden Produkte bestimmungsgemäß als steuerfreies Reinigungs- und Schmiermittel abgegeben würden. Das sei objektiv falsch gewesen, denn tatsächlich seien die Produkte als Kraftstoff beziehungsweise Kraftstoffzusatz abgegeben worden.
8
Über das Vermögen der B GmbH wurde am 11.04.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das HZA meldete die Steuerschuld in Höhe von 4.760.823,26 € zur Tabelle an.
9
Mit Haftungsbescheid vom 03.02.2020 nahm das HZA den Antragsteller als Teilnehmer einer Steuerhinterziehung für die in der Zeit vom 11.12.2014 bis 18.10.2016 entstandenen Energiesteuern in Höhe von insgesamt 4.760.823,26 € gemäß § 71 AO in Haftung. Eine vorherige Anhörung des Antragstellers fand nicht statt.
10
Dem Antragsteller wurde in dem Haftungsbescheid aufgegeben, diesen Betrag “sofort” zu zahlen. Das Produkt Cleanol-7 sei tatsächlich zur Verwendung als Kraftstoff  bzw. Zusatz- oder Verlängerungsmittel von Kraftstoff abgegeben worden; dadurch sei die Steuer nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) entstanden. Für Mol-F sei die Energiesteuer nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 EnergieStG bereits durch Abweichen von der Betriebserklärung und der Bewilligung entstanden. Steuerschuldner sei jeweils die B GmbH. Ausweislich des landgerichtlichen Urteils sei der Antragsteller rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 AO schuldig gesprochen worden. Aus diesem Grunde werde er als Teilnehmer an einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO in Haftung genommen. Dem Haftungsbescheid war als Anlage eine achtseitige Aufstellung der “Lieferungen der … GmbH vom 11.12.2014 bis 18.10.2016” beigefügt, aus welcher sich auch die Beträge der Energiesteuer ergaben (717.292,50 € und 4.043.530,76 € = 4.760.823,26 €).
11
Hiergegen legte der Antragsteller ohne weitere Begründung Einspruch ein und beantragte AdV. Zugleich beantragte er gemäß § 364 AO, ihm die Besteuerungsunterlagen mitzuteilen.
12
Hierauf teilte das HZA dem Antragsteller mit Schreiben vom 05.05.2020 mit, dass das rechtskräftige Urteil des LG D die Grundlage für die Haftungsinanspruchnahme bilde. Der Haftungsbescheid beruhe auf der Steuerschuld der B GmbH für hinterzogene Energiesteuern in Höhe von 4.761.005,25 €. Über deren Vermögen sei das Insolvenzverfahren eröffnet und die Steuerforderung zur Tabelle angemeldet worden. Zur Kenntniserlangung von den Besteuerungsgrundlagen könne grundsätzlich nach Absprache in den Diensträumen des HZA Akteneinsicht genommen werden. Das sei momentan jedoch aufgrund der Pandemiesituation nicht möglich. Mit Hinweis auf das dem Antragsteller bekannte Urteil des LG D seien die Besteuerungsgrundlagen bereits offengelegt, so dass kein Bedürfnis nach Akteneinsicht an Amtsstelle bzw. Übersendung von Aktenkopien zum Verbleib erkennbar sei.
13
Dem widersprach der Antragsteller. Er habe Anspruch auf diejenigen Unterlagen, mit denen er die Entscheidung der Finanzbehörde nachvollziehen und prüfen könne. Der Hinweis auf das Strafurteil reiche keinesfalls aus. Ihm sei keine tschechische Übersetzung des Urteils zur Verfügung gestellt worden und insoweit sei ihm der Inhalt des Urteils nicht bekannt. Außerdem seien die ihm vorgeworfenen Steuerstraftaten offenbar abweichend rechtlich gewürdigt worden; das gelte auch für die Höhe der vermeintlichen Steuerschuld.
14
Mit Bescheid vom 11.06.2020 lehnte das HZA den AdV-Antrag ab und verwies darin zur Begründung jeweils unter Angabe der Seitenzahlen umfangreich auf das landgerichtliche Urteil. Auf den Einwand des Antragstellers, die Steuerschuld weiche ab, erläuterte das HZA, dass es sich bei gleicher Produktmenge um einen Schreib-/Rechenfehler handele; es seien 181,99 € zu wenig im Haftungsbescheid erfasst worden. Eine Verböserung im Einspruchsverfahren behalte man sich vor.
15
Sodann stellte der Antragsteller gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den streitgegenständlichen gerichtlichen AdV-Antrag und beantragte, die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 03.02.2020 ab der ursprünglichen Fälligkeit auszusetzen.
16
Er trug vor, dass schon aus formalen Gründen AdV zu gewähren sei, weil das HZA bis heute die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 364 AO nicht vollständig offengelegt habe. Ihm sei kein effektives rechtliches Gehör gewährt worden. Ein substantiierter Vortrag gegen die Richtigkeit der Feststellungen des Strafurteils sei ihm daher nicht möglich. Er habe zudem nach der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (RL 2010/64/EU) Anspruch auf eine Übersetzung der wesentlichen Unterlagen, also hier insbesondere des Strafurteils. Mangels Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen wisse er bis heute nichts über den Stand der primären Steuerforderung gegenüber der B GmbH. Weder könne beurteilt werden, ob die Steuerschuld inzwischen getilgt sei, noch ob das HZA sein Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt habe. Darüber hinaus sei ihm vor Erlass des Haftungsbescheids kein rechtliches Gehör gewährt worden, ohne dass dafür ein Grund nach § 91 Abs. 2 und 3 AO vorgetragen oder ersichtlich sei. Schon dieser Umstand begründe ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids. Der Mangel sei nicht geheilt, denn die zunächst unterlassene Gewährung des rechtlichen Gehörs könne im Gerichtsverfahren nicht nachgeholt werden. Der Haftungsbescheid genüge nicht den Formerfordernissen. Es fehle an der nach § 119 Abs. 3 Satz 2 AO erforderlichen Unterschrift oder Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten. Außerdem seien begründete Zweifel hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung durch das LG D gegeben. Insoweit dürfe die Beweiswürdigung und rechtliche Würdigung nicht ungeprüft aus dem Strafverfahren übernommen werden; vielmehr sei eine eigenständige Prüfung geboten. Der Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setze voraus, dass nicht nur unrichtige Angaben gegenüber der Finanzbehörde gemacht, sondern dass dadurch auch Steuern verkürzt würden. Die zuletzt genannte Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Selbst wenn man unterstelle, dass für jede Produktabgabe an Dritte inhaltlich unrichtige Avisierungen gegenüber der Zollbehörde erfolgt seien, habe dies keine steuerrechtlichen Auswirkungen gehabt. Den Avisierungen sei keine steuerliche Bedeutung zugekommen. Die Strafkammer habe keine Feststellungen dazu getroffen, dass der Antragsteller jemals beim Mischen oder beim Beladen der Fahrzeuge anwesend gewesen sei oder Avisierungen gegenüber der Zollbehörde vorgenommen habe. Dem Antragsteller sei zu Unrecht die Stellung eines faktischen Geschäftsführers zugesprochen worden; die nach der Rechtsprechung erforderlichen Kriterien seien nicht erfüllt. Im Strafverfahren seien die Tatsachen unzutreffend festgestellt worden. Das gelte insbesondere für die angeblich nicht erlaubniskonforme Produktion und Verwendung der Erzeugnisse Cleanol-7 und Mol-F. Fehlerhaft sei schließlich auch die Berechnung der Höhe der Steuer.
17
Das Finanzgericht (FG) lehnte den AdV-Antrag mit Beschluss vom 20.01.2021 ab. Der Anspruch des Antragstellers auf Offenlegung der Besteuerungsgrundlagen nach § 364 AO sei nicht verletzt worden. Das Strafurteil liege seinem Verfahrensbevollmächtigten vor und der Antragsteller habe die Möglichkeit, selbst für eine Übersetzung Sorge zu tragen. Er habe keinen Anspruch auf eine Übersetzung von Amts wegen. Auch ansonsten seien ihm keine Unterlagen vorenthalten worden. AdV sei auch nicht deshalb zu gewähren, weil der Antragsteller vor Erlass des Haftungsbescheids nicht angehört worden sei. Jedenfalls sei diese Anhörung nachgeholt worden. Im laufenden Einspruchsverfahren habe der Antragsteller Gelegenheit, sich zu dem Strafurteil zu äußern. Verstöße gegen Formvorschriften lägen nicht vor. Auch sonst bestünden keine ernstlichen Zweifel. Die Einwände des Antragstellers gegen die dem Strafurteil zugrundeliegenden Feststellungen reichten nicht aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des FG vom 20.01.2021 – 3 V 40/20, juris verwiesen.
18
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.
19
Er begründet seine Beschwerde wie folgt: Seinem Antrag auf Offenlegung der Besteuerungsgrundlagen nach § 364 AO sei das HZA bislang nicht ausreichend nachgekommen. Ein pauschaler Hinweis auf das Urteil des LG genüge nicht. Auf die im Urteil herangezogenen Beweismittel habe er keinen Zugriff. Weil er in der Justizvollzugsanstalt nicht über einen Laptop verfüge, könne er auch keinen Einblick in die elektronische Verfahrensakte nehmen.
20
Insbesondere fehlten auch Unterlagen zum Stand der primären Steuerforderung gegen die GmbH. Nach den vorliegenden Unterlagen seien verschiedene Vermögenswerte beschlagnahmt bzw. gepfändet worden; hierzu finde sich jedoch nichts im Haftungsbescheid. Unklar sei auch der Stand der Forderungsanmeldung gegenüber der GmbH. Auch die Ausübung des Auswahlermessens erschließe sich nicht aus dem Haftungsbescheid.
21
Der Antragsteller rügt eine fehlende Anhörung gemäß § 91 AO vor Erlass des streitgegenständlichen Haftungsbescheids. Dieser Verfahrensfehler sei nicht nach § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO geheilt.
22
Des Weiteren rügt der Antragsteller unter Hinweis auf die Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (RL 2010/64/EU), dass er weder den Haftungsbescheid noch das Urteil des LG in tschechischer Sprache erhalten habe.
23
Er verweist schließlich auf seine Schriftsätze im gerichtlichen AdV-Verfahren.
24
Der Antragsteller beantragt,den Beschluss des FG Mecklenburg-Vorpommern vom 20.01.2021 aufzuheben und die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 03.02.2020 ab der ursprünglichen Fälligkeit auszusetzen,hilfsweise,den Beschluss aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das FG Mecklenburg-Vorpommern zurückzuverweisen.
25
Das HZA beantragt, die Beschwerde gegen den Beschluss des FG Mecklenburg-Vorpommern vom 20.01.2021 als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise die AdV lediglich gegen Sicherheitsleistung zu bewilligen.
26
Das HZA sei unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) berechtigt gewesen, das rechtskräftige Strafurteil als Grundlage für die Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftenden heranzuziehen. Zutreffend stelle der Antragsteller dar, dass dieses Urteil keine Aussage zur Steuer- oder Haftungsschuld treffe. Diese Fragen seien durch die Finanzbehörde zu beantworten. Das HZA habe sein Ermessen erkannt und sachgerecht ausgeübt. Eine gesonderte Begründung sei gegenüber einem Steuerstraftäter sowohl bezüglich des Entschließungs- wie auch des Auswahlermessens entbehrlich, wie sich aus dem Senatsurteil vom 13.11.1990 – VII R 96/88 (BFH/NV 1991, 641) und dem Senatsbeschluss vom 12.09.2014 – VII B 99/13 (BFH/NV 2015, 161) ergebe. Das HZA habe auch deshalb sein Auswahlermessen nicht verletzt, weil es alle vom LG verurteilten Steuerstraftäter als Haftende in Anspruch genommen habe. Ob im Nachgang zum streitgegenständlichen Haftungsbescheid weitere Gesamtschuldner in Anspruch genommen würden, sei unerheblich. Im Übrigen habe das HZA im Haftungsbescheid klargestellt, dass die Hinzuziehung weiterer Gesamtschuldner denkbar sei.
27
Soweit der Antragsteller auf die Primärschuld abstelle, würden in der Einspruchsentscheidung die durch andere Gesamtschuldner gezahlten Beträge angerechnet. Die vom Zollfahndungsamt am 19.10.2016 auf der Grundlage von Arrestanordnungen gesicherten Vermögenswerte seien bislang nicht berücksichtigt worden, weil noch keine vollstreckbaren Steuer- oder Haftungsbescheide vorgelegen hätten. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B GmbH hätten die Pfändungspfandrechte aufgehoben werden müssen.
28
Weil der Antragsteller nach § 71 AO als Steuerstraftäter in Haftung genommen worden sei, käme es auf eine faktische Geschäftsführung nach §§ 69, 35 AO nicht an.
29
Die unterlassene Anhörung führe nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheids, weil für rechtskräftig verurteilte Täter einer Steuerhinterziehung das Ermessen dahingehend vorgeprägt sei, dass diese regelmäßig in Anspruch zu nehmen seien. Im Übrigen sei von einer Heilung gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO auszugehen. Sollte man die Möglichkeit der Stellungnahme im Einspruchs- oder AdV-Verfahren nicht für ausreichend erachten, so habe das HZA mit Schreiben vom 10.03.2021 ausführlich Stellung genommen, so dass spätestens damit von einer Heilung auszugehen sei.
30
Man habe dem Antragsteller keine tschechische Übersetzung von Haftungsbescheid und Urteil zur Verfügung stellen müssen. Die vom Antragsteller zitierte Richtlinie beziehe sich ausschließlich auf das Strafverfahren. Nach § 87 Abs. 1 AO sei die Amtssprache deutsch. Nach der Rechtsprechung habe der des Deutschen nicht mächtige Betroffene die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Das gelte auch für einen Betroffenen, der sich in Haft befinde (Verweis auf Senatsbeschluss vom 21.05.1997 – VII S 37/96, BFH/NV 1997, 634).
31
Schließlich seien dem Antragsteller die Besteuerungsgrundlagen ausreichend mitgeteilt worden. Der Haftungsbescheid basiere auf dem Urteil des LG, welches dem Antragsteller vorliege. Im Übrigen sei er als Beteiligter gemäß § 90 Abs. 1 AO gehalten, an der Ermittlung des Sachverhalts vorbehaltslos mitzuwirken.


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