Steuerrecht

Ausgleichsanspruch, Betriebsstättengewinn, Ermessen, Gemeinde, Handelsvertreterausgleichsanspruch, Handelsvertreterverhältnis, Progressionsvorbehalt, Wirtschaftsgut

Aktenzeichen  9 K 258/17

Datum:
8.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22522
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 15, § 16 Abs. 3a
HGB § 87a, § 87c, § 89a Abs. 1 S. 1, § 89b
DBA Art. 4 Abs. 2, Art. 5, Art. 7 Abs. 1, 2, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1
AO § 164 Abs. 1
FGO § 100 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 105 Abs. 3 S. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 136 Abs. 1, § 139 Abs. 3 S. 3, § 151 Abs. 1, Abs. 3, § 155
ZPO § 82, § 373
ZPO § 82, § 373, § 708 Nr. 10, § 711

 

Leitsatz

Gründe

Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FGO).
Der Beklagte hat die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb und aus nichtselbständiger Tätigkeit in unzutreffender Höhe der Besteuerung zugrunde gelegt.
1. Entgegen der Auffassung der Kläger unterliegen die gewerblichen Einkünfte des Klägers (§ 15 EStG) aus der Handelsvertretung im Streitjahr der deutschen Besteuerung.
a) Der Kläger hatte zur Überzeugung des Senats ausschließlich in Y, …weg, im gesamten Jahr 2010 eine Betriebsstätte, der der Gewinn aus Gewerbebetrieb zuzurechnen ist. Eine Betriebsstätte in der Schweiz existierte im Streitjahr (noch) nicht.
(1) Art. 7 Abs. 1 DBA Schweiz regelt die Besteuerung der Unternehmensgewinne in der Weise, dass das Besteuerungsrecht dem Sitzstaat des Unternehmens zugewiesen wird, sofern nicht das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt. Ist dies der Fall, so darf der Betriebsstättenstaat den Betriebsstättengewinn (= der der Betriebsstätte zuzurechnende Gewinn) besteuern.
Betriebsstätte i.S.v.Art.5 DBA Schweiz bedeutet eine feste Geschäftseinrichtung, in der die Tätigkeit des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Unter Geschäftseinrichtung wird jeder körperliche Gegenstand und jede Zusammenfassung von körperlichen Gegenständen verstanden, die geeignet sind, Grundlage einer Unternehmenstätigkeit zu sein (BFH, Urteil vom 03.02.1993 I R 80-81/91, BStBl II 1993,462). Besondere bauliche Vorrichtungen sind grundsätzlich nicht erforderlich. Selbst die (Privat-)Wohnung kann Betriebsstätte sein (vgl. BFH, Urteil vom18.12.1986 I R 130/83, BFH/NV 1988,119), wenn der Gewerbetreibende über keine eigenen Geschäftsräume verfügt, diese auch nicht benötigt und im Wesentlichen über seine Wohnung postalisch, telefonisch und elektronisch erreichbar ist; u.U. kann sogar ein möbliertes Zimmer (vgl. BFH, Beschluss vom 01.03.2004 X B 151/02, BFH/NV 2004,951) oder ein Büro des Auftraggebers (vgl. BFH, Urteil vom 14.07.2004 I R 106/03, BFH/NV 2005,154; vom 03.02.1993 I R 80-81/91, BStBl II 1993,462) ausreichen. Notwendig ist lediglich, dass von der festen örtlichen Einrichtung aus regelmäßig Betriebshandlungen vorgenommen werden. Die Anforderungen an den Umfang der betrieblichen Handlungen, die zur Begründung einer Betriebsstätte an einem bestimmten Ort erforderlich sind, richten sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Gewerbebetriebs. Sie sind umso geringer, je mehr sich die eigentliche gewerbliche Tätigkeit außerhalb einer festen örtlichen Anlage vollzieht (BFH, Urteil vom 18.12.1986 I R 130/83 a. a. O.).
(2) Der Kläger hatte seine Handelsvertretung bei der Stadt Y unter der Adresse …weg in Y ab … 2004 umgemeldet (davor: … in Y). Er hatte in seinem Anlagevermögen der Handelsvertretung eine komplette Büroeinrichtung aktiviert, die sich in Y befand. Seine nach außen bekannt gemachte Geschäftsadresse lautete …weg, Y. Die betrieblich genutzten Kfz waren in Y zugelassen. Die Fa. B, die für die Handelsvertretung des Klägers Verwaltungsaufgaben übernommen hatte und deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer als einziger Arbeitnehmer der Kläger selbst war, hatte ihre Geschäftsadresse ebenfalls in Y, …weg. Das Geschäftsgirokonto sowie die Darlehenskonten waren bei der Kreissparkasse Y. Steuerberater, die die Jahresabschlüsse der Handelsvertretung fertigten, hatten ihren Sitz in Y. Sämtliche Provisionsabrechnungen bis zum 16. Dezember 2010 wurden von der Fa. A an die Adresse Y, …weg, gesandt. Gleiches gilt für die übrige Geschäftspost. Auch die Provisionsabrechnungen, die am 14. Dezember 2010 storniert wurden, wurden ursprünglich an die Adresse in Y geschickt. Der Kläger hat im Streitjahr und auch im Folgejahr die Gewerbesteuererklärungen 2008 (am … 2010) und 2009 (am … 2011) als Einzelunternehmer in Y unterschrieben und damit Geschäftsleitungstätigkeiten wahrgenommen. In der Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr und der Vorjahre hat der Kläger als Sitz seines Handelsgewerbes Y angegeben. Von einer Schweizer Betriebsstätte war nie die Rede. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass zum 1. Januar 2010 Änderungen der Situation im Verhältnis zu den Vorjahren eingetreten sind. Auch während der Betriebsprüfung (2015/2016) hat der Kläger nicht vorgebracht, dass er im gesamten Streitjahr in der Schweiz eine Betriebsstätte gehabt habe oder sich der Ort der Geschäftsleitung dort befunden habe.
Der Senat geht unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles zudem davon aus, dass der Kläger sein Büro, d. h. seine Betriebsstätte in Y, – trotz offizieller Gewerbeabmeldung bei der Stadt Y – zumindest bis Ende Dezember des Streitjahres beibehalten hat. Denn er hat selbst, in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Fa. B an sich als Einzelgewerbetreibenden, d. h. an die Handelsvertretung, eine Rechnung, datiert auf den 28. Dezember 2010, an die Adresse in Y, …weg, geschickt. Auch in seiner Funktion als Geschäftsführer der Fa. C hat er eine Rechnung, datiert auf den 29. Dezember 2010, an seine Handelsvertretung in Y gesandt. Diese Verhaltensweise zeigt deutlich, dass der Kläger selbst nicht von einer bereits vollzogenen Betriebsverlegung in die Schweiz im Zeitpunkt der Rechnungserstellung ausgegangen ist, denn in diesem Fall hätte er die Rechnungen an die Schweizer Adresse senden müssen. Hinzu kommt, dass der Kläger im Dezember 2010 noch gar kein Gewerbe in der Schweiz angemeldet hatte. Dies geschah erst im Februar 2011. Es liegt dem Senat damit – mit Ausnahme der Abmeldung des Gewerbebetriebes in Deutschland – kein einziges Dokument vor, das Hinweise auf eine Betriebsstätte der Handelsvertretung im Jahr 2010 in der Schweiz gibt.
Weiteres Indiz dafür, dass der Kläger selbst von einem über den 15. Dezember 2010 hinaus bestehenden Gewerbebetrieb in Deutschland ausgegangen sein muss, zeigen die Buchungen auf dem Konto 1700 „sonstige Verbindlichkeiten“ (Bl.213 Bp-Arbeitsakte, Auftragsbuch-Nr. …). So hat er Reisekosten (Verpflegungsmehraufwand und Übernachtungsaufwand) noch für den Zeitraum bis zum 28. Dezember 2010 dem Handelsgewerbe in Y zugeordnet.
b) Der Senat vermag im Übrigen der Argumentation der Kläger, der Kläger sei im Streitjahr wegen seines Lebensmittelpunktes in der Schweiz dort ansässig (Art. 4 Abs. 2 DBA Schweiz), aufgrund dessen befinde sich dort der Ort der Geschäftsleitung seiner Handelsvertretung, so dass die gewerblichen Einkünfte ausschließlich der Schweiz zuzuordnen seien, nicht zu folgen. Zur Überzeugung des Senats befand sich der Lebensmittelpunkt der Kläger im Streitjahr in Y.
(1) Die Entscheidung darüber, wo sich der Lebensmittelpunkt der Kläger im Streitjahr befunden hat, erfordert eine tatrichterliche Würdigung aller Gesamtumstände des Einzelfalls (vgl. BFH, Urteil vom 1.10.2019 VIIII R 29/16, BFH/NV 2020, 349 m. w. N.).Zwar hat die Rechtsprechung für die Gesamtwürdigung insofern eine Vermutung formuliert, nach der sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen „in der Regel“ an den Beschäftigungsort eines Arbeitnehmers verlagert, wenn dieser dort mit seinem Ehepartner in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Familienwohnung beibehalten und zeitweise genutzt wird (BFH, Urteil vom 01.10.2019 VIII R 29/16 a. a. O.). In die vorzunehmende Gesamtwürdigung einzustellende Indizien können neben dieser Regelvermutung sein, Häufigkeit und Dauer der Aufenthalte in den beiden Wohnungen, Anzahl der Heimfahrten, Ausstattung und Größe beider Wohnungen, deren Entfernung voneinander. Erhebliches Gewicht hat ferner der Umstand, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen.
(2) Bei Würdigung der Gesamtumstände des vorliegenden Falles ist der erkennende Senat davon überzeugt, dass die Kläger im Streitjahr ihren Lebensmittelpunkt nicht in X, sondern in Y, …weg, hatten.
Hierfür sprechen folgende Umstände: Die Klägerin hat seit Beginn ihrer Berufstätigkeit in der Schweiz und somit auch im Streitjahr Aufwendungen für eine beruflich bedingte doppelte Haushaltsführung in den Einkommensteuererklärungen geltend gemacht und damit selbst ihren Lebensmittelpunkt als in Y liegend angesehen. Sie ist nach eigenen Angaben in der Steuererklärung 23 Mal nach Y geflogen/gefahren. Sie ist Eigentümerin des Einfamilienhauses in Y, das im Jahr 2003, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem sie schon jahrelang in der Schweiz gearbeitet hat, erstellt wurde. Das Einfamilienhaus hat eine Wohnfläche von ca. 240 qm, wovon 200 qm von beiden Kläger zu privaten Wohnzwecken eingerichtet und genutzt wurden. Die ca. 60 qm große 2 ½ -Zimmer-Wohnung in der Schweiz war im Verhältnis zur Wohnfläche des Einfamilienhauses wesentlich kleiner, lediglich 1 ½ Zimmer waren zu reinen Wohnzwecken eingerichtet, da ein Raum als Arbeitsbereich genutzt wurde. Die Klägerin hat einen Teil ihres Urlaubs im Streitjahr in Y in ihrem Einfamilienhaus verbracht, sich an den 23 Wochenenden, die sie dort anwesend war, um Haus und Garten gekümmert sowie ihre Schwiegermutter, die ebenfalls in Y lebt, betreut. In der Schweiz hat sie nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung am … 2020 unter der Woche wenig private Unternehmungen durchgeführt. Der Kläger hat sich nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am … 2020 lediglich zwischen 7 und 10 Tagen im Monat, somit durchschnittlich 8,5 Tage pro Monat und damit 102 Tage im Jahr, in der Wohnung in der Schweiz aufgehalten. Nach seinen Angaben hat er sich an 108 Tagen hingegen in Y aufgehalten. Die 8 Fahrten mit dem PKW von X nach Y, die die Klägerin in der Einkommensteuererklärung im Rahmen der Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung angegeben hatte, wurden nach Aussage der Klägerin zusammen mit dem Kläger durchgeführt. Wäre die Wohnung in X der Lebensmittelpunkt der Kläger gewesen, hätte es nach Auffassung des Senats nahegelegen, dort das Wochenende gemeinsam zu verleben, anstatt die lange Fahrtstrecke von … km in Kauf zu nehmen, um das Wochenende in Y zu verbringen. Gerade diese Verhaltensweise spricht dafür, dass die Kläger das Einfamilienhaus in Y als ihren Lebensmittelpunkt angesehen haben. Hinzu kommt, dass der Kläger als gebürtiger Yer in Y nach seinen Angaben noch einen Bekanntenkreis hatte, mit dem er sich auch zu privaten Unternehmungen getroffen hat. Auch seine Mutter lebt in Y. Außerdem war er als Geschäftsführer bei der Fa. B in Y nichtselbstständig tätig. Die Fa. A, für die der Kläger als Handelsvertreter tätig war, hatte ihren Firmensitz in der Nähe von Y. Eine Ummeldung des Wohnsitzes oder eine Anmeldung eines Zweitwohnsitzes in der Schweiz ist nicht erfolgt, er war vielmehr ausschließlich in Y gemeldet.
Aufgrund dieser genannten Tatsachen geht der Senat daher davon aus, dass der Lebensmittelpunkt der Kläger im Streitjahr in Deutschland und nicht in der Schweiz war.
Einer Einvernahme der von den Klägern im Schriftsatz vom … 2020 genannten Zeugen bedurfte es nicht. Gem. § 155 FGO i.V. m. § 82 ZPO i.V. m. § 373 ZPO wird der Zeugenbeweis durch Benennung der Zeugen und Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll, angetreten. Diesen Anforderungen wird der Beweisantrag der Kläger nicht gerecht, denn sie haben keine konkreten Tatsachen benannt, sondern beantragt, die Zeugen sollten zur Frage des Lebensmittelpunktes der Kläger gehört werden. Wo sich ein Lebensmittelpunkt einer Person befindet ist aber eine Bewertung und Würdigung von konkreten Tatsachen. Da diese Tatsachen von den Klägern nicht konkret bezeichnet worden sind, ist der Beweisantrag unsubstantiiert. Das Gericht musste dem nicht nachgehen.
2. Allerdings sind die Einkünfte aus der Handelsvertretung vom Beklagten der Höhe nach unzutreffend ermittelt worden.
a) Zu Unrecht hat der Beklagte den laufenden Gewinn aus Gewerbebetrieb um einen Handelsvertreterausgleichsanspruch in Höhe von … € erhöht.
(1) Der Senat hat, wie oben ausgeführt, keine Anhaltspunkte dafür, dass im Streitjahr die Verlegung der Handelsvertretung des Klägers stattgefunden hat. Daher ist der Tatbestand des § 16 Abs. 3 a EStG nicht erfüllt.
(2) Im Übrigen führte die Verlegung des Sitzes der Handelsvertretung in die Schweiz nicht dazu, dass der Handelsvertreterausgleichsanspruch gem. § 89 b HGB den Gewinn aus Gewerbebetrieb erhöht.
Gemäß § 16 Abs. 3 a EStG steht der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter des Betriebs oder Teilbetriebs eine Aufgabe des Gewerbebetriebs gleich; § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG gilt entsprechend.
Allein die Verlegung eines Betriebes oder Teilbetriebes ins Ausland wird danach aus Betriebsaufgabe behandelt und führt zu einer nach §§ 16 Abs. 4, 34 EStG begünstigten Sofortversteuerung der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen stillen Reserven der Wirtschaftsgüter des Betriebshandels.
Im Streitfall führt die Verlegung der Handelsvertretung des Klägers in die Schweiz damit zu einer gewinnrealisierenden Entstrickung, d. h. zur Aufdeckung der in den Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens des Handelsvertreters ruhenden stillen Reserven. Bei dem Handelsvertreterausgleichsanspruch gem. § 89 b HGB handelt es sich nicht um ein immaterielles (firmenwertähnliches) Wirtschaftsgut, sondern um eine Forderung, deren Entstehung dem laufenden Gewinn und nicht dem Aufgabe- oder Veräußerungsgewinn zuzuordnen ist (BFH, Urteil vom 09.02.2011 IV R 37/08, BFH/NV 2011, 1120; BFH, Beschluss vom 16.08.1989 III B 14/89, BFH/NV 1990, 188). Der Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters entsteht erst mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses (BFH, Urteil vom 09.02.2011 IV R 37/08 a.a.O., BFH, Urteil vom 26.02.1969 I R 141/66, BStBl II 1969, 485). Seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Natur nach ist der Ausgleichsanspruch ein zusätzlicher Vergütungsanspruch des Handelsvertreters für die vor Vertragsende geleisteten und nach Vertragsende fortwirkenden Dienste (BFH, Urteil vom 25.07.1990 X R 111/88, BStBl II 1991, 218). Der Handelsvertreterausgleichsanspruch gem. § 89b HGB als Tätigkeitsvergütung kann damit nicht als immaterielles Wirtschaftsgut gewertet werden, dessen stille Reserven anlässlich einer Betriebsaufgabe aufzulösen sind (BFH, Beschluss vom 16.08.1989 III B 14/89, BFH/NV 1990,188).
Zwar hat der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 18. Januar 1989 X R 10/86 (BStBl II 1989, 549) entschieden, dass ein Handelsvertreter, der einen eingeführten und regelmäßig bearbeiteten Vertreterbezirk übernimmt und – aufgrund einer Vereinbarung mit dem Geschäftsherrn – als Entgelt hierfür dem Ausgleichsanspruch gem. § 89 b HGB seines Vorgängers in einer bestimmten Höhe ablöst, ein immaterielles Wirtschaftsgut „Vertreterrecht“ erwirbt. Jedoch kann der Umstand, dass der Erwerber des Vertreterbezirks als Gegenleistung für diesen vom Geschäftsherrn abgeleiteten Erwerb den Ausgleichsanspruch seines Vorgängers ablösen muss, keinen Einfluss auf die steuerrechtliche Beurteilung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs als Forderung haben. Diese Forderung entsteht erst mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses und ist grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zu aktivieren (Weber-Grellet in Schmidt, Kommentar zum EStG § 5 Rz. 270 Stichwort „Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters“).
In Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kann ein Handelsvertreterausgleichsanspruch gem. § 89 b HGB im Streitjahr nicht gewinnerhöhend berücksichtigt werden. Zu einer Beendigung des Handelsvertretervertrages im Jahr 2010 ist es nicht gekommen. Der Auffassung des Finanzamtes, es seien im Streitfall nicht nur die stillen Reserven der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens aus der fiktiven Betriebsaufgabe i. S. d. § 16 Abs. 3 a EStG, sondern auch eine noch nicht entstandene Forderung, die zum laufenden Gewinn gehört, gewinnerhöhend zu erfassen, vermag der Senat sich nicht anzuschließen.
Sinn und Zweck des § 16 Abs. 3 a EStG ist es, die stillen Reserven der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens aufzudecken, damit diese nicht endgültig der inländischen Besteuerung entzogen werden. Eine fiktive Erhöhung des laufenden Gewinns ist damit nach Auffassung des Senates nicht vereinbar.
Selbst wenn man im Streitfall vom Vorhandensein eines vom Kläger geschaffenen „Vertreterrechts“ als immaterielles Wirtschaftsgut ausginge, würde dies nicht zu einer Gewinnerhöhung im Zeitpunkt der Verlegung der Handelsvertretung in die Schweiz führen. Gemäß § 5 Abs. 2 EStG ist für immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens ein Aktivposten in der Bilanz nur anzusetzen, wenn sie entgeltlich erworben worden sind. Aufgrund dieses Aktivierungsverbots im Streitjahr für ein vom Kläger selbst geschaffenes „Vertreterrecht“ kann kein Aktivposten gebildet und dementsprechend bei der Ermittlung eines Betriebsaufgabegewinns nicht berücksichtigt werden.
b) Zu Recht geht der Beklagte aber nunmehr im Klageverfahren – anders als im Vorverfahren und bei der Betriebsprüfung – davon aus, dass Provisionen in Höhe von 120.000,00 €, die von der Fa. A im Jahr 2009 abgerechnet und gutgeschrieben worden sind und vom Kläger erst im Streitjahr erfasst worden sind, dem Jahr 2009 zuzuordnen sind und Provisionserlöse, die dem Kläger von der Fa. A ab 16. Dezember 2010 gutgeschrieben worden sind, in Höhe von 191.000,00 €, die vom Kläger gar nicht erfasst worden sind, im Streitjahr zu aktivieren und gewinnerhöhend zu erfassen sind.
Wird der Gewinn – wie im Streitfall – durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, ist für den Schluss des betreffenden Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 4 Abs. 1 EStG). Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlusstag realisiert sind. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn eine Forderung entweder rechtlich bereits entstanden ist oder die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen Entstehung der Forderung fest rechnen kann. Nicht erforderlich ist, dass die Forderung am Bilanzstichtag fällig ist (BFH-Urteil vom 06.10.2009 I R 26/07, BStBl II 2010,232; vom 17.03.2010 X R 28/08, BFH/NV 20100,865).
Gemäß § 87 a Abs. 1 HGB hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat. Eine abweichende Regelung kann getroffen werden, jedoch hat der Handelsvertreter mit der Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer Anspruch auf einen angemessenen Vorschuss, der spätestens am letzten Tag des folgenden Monats fällig ist.
Nach diesen Grundsätzen sind die Provisionsansprüche des Klägers über 120.000,00 €, die von der Fa. A im Streitjahr gezahlt, aber bereits im Vorjahr 2009 abgerechnet worden sind, in 2009 und nicht im Streitjahr zu erfassen und mindern daher den gewerblichen Gewinn. Im Gegenzug sind die Provisionsansprüche aus den Provisionsabrechnungen ab 16. Dezember 2010 gewinnerhöhend im Streitjahr anzusetzen. Dies gilt nicht nur für die am 14. Dezember 2010 stornierten und erneut an den Kläger mit Belegdatum 21. Dezember 2010 gesandten Abrechnungen, sondern auch für die weiteren bis zum Ende des Jahres 2010 erteilten Provisionsabrechnungen, insgesamt 191.000,00 €.
Aus den Provisionsabrechnungen des Streitjahres in Verbindung mit den vom Kläger den Abrechnungen zugrundeliegenden Rechnungen der Fa. A an deren Kunden, ist ersichtlich, dass die Fa. A bereits im Zeitpunkt der Erstellung der Abrechnungen, in denen die Provisionen dem Kläger jeweils gutgeschrieben wurden, ihre Leistung gegenüber den Kunden erbracht hat, mit Ausnahme von zwei Provisionsabrechnungen (P 1 und P 2 über insgesamt … €). Mit der Leistungserbringung der Fa. A, denen die Vermittlungsleistungen des Klägers zugrunde liegen, ist für den Kläger jeweils sein Provisionsanspruch gem. § 89 a Abs. 1 HGB entstanden.
Der Handelsvertretervertrag zwischen dem Kläger und der Fa. A enthält unter Nr. 6 keine hiervon abweichenden Regelungen. Insbesondere enthält Nr. 6 Abs. 4 des Handelsvertretervertrags keine aufschiebende Bedingung hinsichtlich der Entstehung der Provision, sondern stellt zur Überzeugung des Senats nur eine Fälligkeitsabrede dar, die in Abs. 6 näher konkretisiert wird. Dies wird deutlich durch die Formulierung in Abs. 4 „der Anspruch auf Zahlung der Provision entsteht…“ Wäre ein aufschiebend bedingter Entstehungszeitpunkt des Provisionsanspruchs dem Grunde nach gewollt gewesen, wäre eine Formulierung ohne den Zusatz „Zahlung“ naheliegend gewesen. Dass diese Einschätzung zutreffend ist, zeigt auch die Formulierung unter Nr. 6 Abs. 4 Satz 2 des Handelsvertretervertrags, in dem es heißt: „Der Anspruch auf Provision erlischt,..“. Erkennbar ist also, dass die Vertragsparteien deutlich zwischen dem Anspruch auf Provision und dem Anspruch auf Zahlung der Provision unterscheiden. Läge eine von § 89 a Abs. 1 Satz 1 HGB abweichende Regelung zuungunsten des Klägers vor, hätte die Fa. A dem Kläger einen angemessenen Vorschuss nach § 89 a Abs. 1 Satz 2 HGB zahlen müssen. Das ist jedoch im Streitfall nicht der Fall gewesen, so dass auch dieser Umstand für die Annahme einer Fälligkeitsabrede in Nr. 6 Abs. 4 des Handelsvertretervertrages spricht.
Dieser Auslegung entspricht zudem die Handhabung der Abrechnungen durch Fa. A. Nach § 87 c HGB hat der Unternehmer über die Provision, auf die der Handelsvertreter Anspruch hat, abzurechnen. Die Abrechnung über die Provision ist eine Aufstellung darüber, auf welche Provision der Handelsvertreter einen Anspruch hat, also welche Provisionsansprüche dem Handelsvertreter entstanden sind. Provisionen für abgeschlossene, aber noch nicht ausgeführte Geschäfte sind nicht aufzunehmen, also auch nicht, bevor eine aufschiebende Bedingung eingetreten ist (Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 39. A. § 87 c Rz.3). Die Provisionsabrechnung hat den Charakter eines abstrakten Schuldanerkenntnisses i. S. d. § 781 BGB (BFH-Urteil vom 07. 02.1990 IV ZR 314/88, juris). Der Zeitpunkt der Erstellung der Provisionsabrechnungen im Streitjahr bzw. Vorjahr zeigt, dass der Unternehmer, hier die Fa. A, selbst vom Entstehen der abgerechneten Provisionsansprüche im Streitjahr bzw. im Vorjahr ausgegangen ist.
Dass zwischen der Entstehung des Anspruchs auf Provision und des Anspruchs auf Auszahlung der Provision zu unterscheiden ist, zeigen auch die unterschiedlichen Schreiben der Fa. A an den Kläger. Aus den von den Klägern vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass zunächst die Provisionsabrechnungen erfolgten, in denen dem Kläger die Provisionen gutgeschrieben wurden, und später Aufstellungen über „Provisionsauszahlungen“ übersandt wurden, in denen mitgeteilt wurde, welche Provisionsabrechnungen zur Zahlung angewiesen wurden.
Der Senat sieht von einer Zeugenvernehmung des von den Klägern benannten ehemaligen Geschäftsführers der Fa. A ab, da die von den Klägern formulierte Beweisfrage nicht erheblich ist. Der Senat geht mit den Klägern davon aus, dass die streitigen Provisionen, für die bereits im Jahr 2010 Abrechnungen erfolgt sind, teilweise im Jahr 2011 erst fällig geworden sind und ausgezahlt wurden. Auch folgt der Senat den Klägern insoweit, als die Auszahlung der Provisionen erst erfolgen sollte, wenn der Kunde gezahlt hat. Dies ändert aber nichts an der rechtlichen Entstehung der Forderungen im Streitjahr. Über Rechtsfragen, die das Gericht zu entscheiden hat, kann jedoch kein Beweis durch Zeugen angetreten werden.
Im Übrigen bedürfen Änderungen des Handelsvertretervertrages nach Nr. 9 Abs. 2 der Schriftform. Eine schriftliche Änderung des Vertrages in Bezug auf den Entstehungszeitpunkt der Provisionen des Handelsvertreters liegt nicht vor. Auf mündliche Abreden kann der Kläger sich daher nicht berufen. Auch aus diesem Grund bedurfte es der Ladung des von den Klägern benannten Zeugen nicht.
Da es auf den Zahlungszeitpunkt der Provisionen mithin nicht ankommt, sind die Provisionsansprüche nunmehr periodengerecht zuzuordnen. Es ergibt sich insofern eine Gewinnerhöhung um … €.
3. Die Erfassung der Provisionen in Höhe von 195.000,00 € im Rahmen des Progressionsvorbehaltes (§ 32 b EStG) entfällt damit.
4. Beide Beteiligten gehen zutreffend davon aus, dass die Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit als Geschäftsführer der Fa. B mit 39.000 € in nicht korrekter Höhe bislang der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind. Der Kläger hatte Anspruch auf ein monatliches Gehalt in Höhe von 6.000 € zzgl. einer Weihnachtsgratifikation in derselben in Höhe, mithin von insgesamt … € im Streitjahr.
Grundsätzlich sind Einnahmen zugeflossen i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen kann. Geldbeträge fließen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Besonderheiten gelten indes bei beherrschenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft. Bei diesen wird angenommen, dass sie über eine von der Gesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind (vgl. BFH-Urteil vom 22.02.2018 VI R 17/16, BStBl II 2019,496 m. w. N.).
Zwar ist dem Kläger im Streitjahr von der Fa. B lediglich ein Betrag in Höhe von 39.000 € als Arbeitslohn ausgezahlt worden. Da er aber beherrschender Gesellschafter der Fa. B war, gelten die ihm zustehenden monatlichen Vergütungen in Höhe von …€ nebst einer Weihnachtsgratifikation in derselben Höhe, mithin insgesamt … €, als im Streitjahr zugeflossen.
Anders verhält es sich mit der Tantieme für das Streitjahr. Denn die Tantieme war im Streitjahr noch nicht fällig. Ein Anspruch auf die Tantieme wird erst mit Feststellung des Jahresabschlusses fällig (BFH-Urteil vom 03.02.2011 VI R 66/09, BStBl II 2014,491; vom 14.03.2006 I R 72/05, BFH/NV 2006,1711), sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbart haben (BFH-Urteil vom 03.02.2011 VI R 66/09 a. a. O. mit weiteren Nachweisen). Der Kläger und die Fa. B haben – soweit ersichtlich – keine andere Regelung über die Fälligkeit der Tantieme getroffen. Daher kommt eine Besteuerung der Tantieme im Streitjahr (noch) nicht in Betracht.
Der Bruttoarbeitslohn des Klägers im Streitjahr ist damit in Höhe von … € der Besteuerung zugrunde zu legen.
5. Da, wie oben ausgeführt, vom Lebensmittelpunkt der Kläger im Streitjahr in Y auszugehen ist, verbleibt es beim Ansatz der Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit unter Berücksichtigung der Kosten für die doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten im Rahmen des Progressionsvorbehaltes. Da die Klägerin sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland einen Wohnsitz im Streitjahr hatte, sind die aus der Schweiz stammenden Einkünfte – wie bereits geschehen – in der Schweiz zu versteuern (Art. 15 DBA Schweiz), von der deutschen Steuer freizustellen und nach Art. 24 Abs. 1 Nr.1 DBA Schweiz bei der Berücksichtigung des Steuersatzes, d.h. im Rahmen des Progressionsvorbehaltes (§ 32 b EStG), einzubeziehen.
6. Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem Beklagten gem. § 100 Abs. 2 FGO übertragen.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 136 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
8. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V. m. §§ 708 Nr.10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
9. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr.1 und 2 FGO zuzulassen.


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