Steuerrecht

Berichtigung der Sitzungsniederschrift

Aktenzeichen  4 K 240/17

Datum:
27.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2020, 609
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 94
ZPO § 159 Abs. 1 S. 1, § 160, § 164 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Das Sitzungsprotokoll ist nur dann iSd § 164 I ZPO unrichtig, wenn die zwingend vorgeschriebenen Angaben falsch dokumentiert oder die Dokumentation zwingend zu protokollierender Vorgänge unrichtigerweise unterlassen worden ist. Bloße Protokollergänzungsanträge iSd § 160 IV 1 ZPO sind demgegenüber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen und nachträglich unzulässig (vgl. BFH, Beschluss v. 26.9.2005, VIII B 6/04, BFH/NV 2006 S. 109). Das Sitzungsprotokoll ist keine Niederschrift über den gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung und braucht nur den äußeren Ablauf der Verhandlung wiederzugeben. (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit den nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung und nach der Urteilsverkündung schriftlich erhobenen Rügen, – die Tür zum Gerichtsgebäude sei zu einer bestimmten Zeit verschlossen worden, das Gerichtsgebäude sei zu diesem Zeitpunkt nicht frei zugänglich und die Öffentlichkeit damit, auch aufgrund schikanöser Eingangskontrollen, nicht mehr gewährleistet gewesen, – der Zutritt in das erste Obergeschoss sei dem Kläger verwehrt worden, – die Videoüberwachung im Gerichtsgebäude und im Sitzungssaal verstoße gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und sei rechtswidrig, – der Senatsvorsitzende habe dem Kläger während der mündlichen Verhandlung das Mitschreiben untersagt, wodurch er in seiner Verhandlungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei, – die dem Senat angehörenden Berufsrichter seien wegen ihrer früheren Tätigkeit im Dienst der Finanzverwaltung in dem vorliegenden Klageverfahren nicht unparteiisch, werden keine Unrichtigkeiten der Sitzungsniederschrift dargelegt. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die bloße Frage des Klägers, ob der Senat gegebenenfalls eine Frist zur weiteren Begründung der Klage einräumen würde, stellt noch keinen ernstlich gestellten Antrag auf Schriftsatzfrist dar und ersetzt keinesfalls einen entsprechenden Antrag auf Aufnahme eines solchen in die Sitzungsniederschrift. Anträge in der mündlichen Verhandlung sind unmissverständlich und ausdrücklich zu stellen und von den allgemeinen Rechtsgesprächen zwischen den Senatsmitgliedern und den Beteiligten zu unterscheiden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag auf Berichtigung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2020 wird abgelehnt.
2. Die Entscheidung ergeht kostenfrei.

Gründe

I.
Mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 2020 hat der Senat über die mit Schriftsatz vom 7. Februar 2016 gegen das … Staatsministerium der Finanzen …, vertreten durch die Steuerberaterkammer X erhobene Klage entschieden. Gegenstand der Klage war der Bescheid der Steuerberaterkammer X vom 5. Januar 2017, durch den diese festgestellt hatte, dass der Kläger den schriftlichen Teil der Steuerberaterprüfung, bestehend aus den Aufsichtsarbeiten am 6. Oktober 2015 und am 7. Oktober 2015 sowie aus dem Wiederholungstermin am 13. Oktober 2016, nicht bestanden hatte und deshalb nicht zum mündlichen Teil der Steuerberaterprüfung zugelassen worden war. Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Aufhebung der Prüfungsentscheidung unter gleichzeitiger Verpflichtung des Beklagten, die Aufsichtsarbeit vom 7. Oktober 2015 aus dem Gebiet des Ertragsteuerrechts unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bewerten. Über die mündliche Verhandlung am 22. Januar 2020 (Beginn: 10.33 Uhr; Ende: 11.11 Uhr) hat das Gericht die in den Gerichtsakten befindliche Niederschrift erstellt. Mit im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündetem Urteil hat der Senat die Verpflichtungsklage des Klägers abgewiesen, ohne die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen. Laut Postzustellungsurkunde wurde dem Kläger das schriftliche Urteil sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 30. Januar 2020 zugestellt. Mit Schreiben vom 27. Januar 2020 hatte der Kläger vorab beim Bundesfinanzhof gegen die Nichtzulassung der Revision die derzeit dort noch anhängige Beschwerde (Az.: VII B 27/20) eingelegt.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2020 beantragt der Kläger die Berichtigung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2020 mit im Wesentlichen folgenden Begründungen:
(1) Die Tür zum Gerichtsgebäude sei um 11.20 Uhr verschlossen, das Gerichtsgebäude zu diesem Zeitpunkt nicht frei zugänglich und die Öffentlichkeit damit nicht mehr gewährleistet gewesen. Letzteres gelte ebenso aufgrund der schikanösen Einlasskontrollen vor Beginn der Verhandlung.
(2) Der Zutritt in das erste Obergeschoss sei dem Kläger verwehrt worden.
(3) Die Videoüberwachung im Gerichtsgebäude und im Sitzungssaal verstoße gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und sei rechtswidrig.
(4) Der Senatsvorsitzende habe dem Kläger während der mündlichen Verhandlung das Mitschreiben untersagt, wodurch er in seiner Verhandlungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei.
(5) Der Antrag des Klägers auf Schriftsatzfrist sei durch den Senatsvorsitzenden mit dem Hinweis auf die vom Kläger zuvor eingelegte Verzögerungsrüge abgelehnt worden.
(6) Der Berichterstatter habe den Sachverhalt stark verkürzt vorgetragen.
(7) Der Kläger sei gegenüber der Beklagtenvertreterin insoweit ungleich behandelt worden, als diese sich beim Einlass vor der mündlichen Verhandlung keiner Identitätskontrolle unterziehen habe müssen.
(8) Die Berufsrichter seien nicht unparteiisch, weil sie früher in der Finanzverwaltung gearbeitet hätten.
Dem Beklagten wurde Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zum Antrag gewährt. Die Prozessvertreterin des Beklagten hat am 12. Februar 2020 ausdrücklich auf eine diesbezügliche Stellungnahme verzichtet. Die im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2020 eingesetzte stellvertretende Urkundsbeamtin hat zum vorliegenden Antrag Stellung genommen (vgl. Aktenvermerk vom 5. Februar 2020), jedoch keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des Sitzungsprotokolls festgestellt.
II.
1.) Über die mündliche Verhandlung und gegebenenfalls jede Beweisaufnahme ist ein Protokoll aufzunehmen (§ 94 der Finanzgerichtsordnung – FGO – in Verbindung mit § 159 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung – ZPO -). Das Sitzungsprotokoll ist keine Niederschrift über den gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung und braucht nur den äußeren Ablauf der Verhandlung wiederzugeben (Bundesfinanzhof -BFHBeschluss vom 22. September 1992 VIII S 10/92, BFH/NV 1993, 543). Der notwendige Inhalt des Protokolls ergibt sich aus § 94 FGO, § 160 ZPO. Hierzu gehören die in § 160 Abs. 1 ZPO bezeichneten Formalien, die wesentlichen verfahrensrechtlichen Vorgänge der Verhandlung im Sinne des § 160 Abs. 2 ZPO, sowie die in § 160 Abs. 3 ZPO konkret genannten Vorgänge. Zu letzteren zählen auch die von den Beteiligten im Sinne des § 57 FGO gestellten Anträge (§ 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Darüber hinaus können die Beteiligten gemäß § 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder Äußerungen in das Protokoll aufgenommen werden. Unrichtigkeiten des Protokolls können jederzeit, das heißt auch nach Schluss der mündlichen Verhandlung, berichtigt werden (§ 94 FGO, § 164 Abs. 1 ZPO). Das Sitzungsprotokoll ist jedoch nur dann in dem genannten Sinne unrichtig, wenn die zwingend vorgeschriebenen Angaben falsch dokumentiert oder die Dokumentation zwingend zu protokollierender Vorgänge unrichtigerweise unterlassen worden ist. Bloße Protokollergänzungsanträge im Sinne des § 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO sind demgegenüber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen und nachträglich unzulässig (vgl. BFH Beschluss vom 26. September 2005 VIII B 6/04, BFH/NV 2006, 109).
2.) Der Antrag ist abzulehnen. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag auf Berichtigung der Sitzungsniederschrift zulässigerweise bereits zu einem Zeitpunkt gestellt werden durfte, zu dem das schriftliche Protokoll dem Kläger noch nicht zugestellt worden war. Der Antrag ist aber jedenfalls in der Sache unbegründet. Die Sitzungsniederschrift über den Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2020 weist keine Unrichtigkeit im Sinne der Vorschrift des § 164 Abs. 1 ZPO auf.
a) Soweit der Kläger die Zutrittsmodalitäten für das Gerichtsgebäude nach Schluss der mündlichen Verhandlung rügt, ist schon nicht ersichtlich, in welchem Zusammenhang diese mit dem Inhalt oder gar mit etwaigen Unrichtigkeiten der Sitzungsniederschrift stehen sollen.
b) Die Regelungen der Einlasskontrolle durch den gerichtseigenen Sicherheitsdienst vor Beginn der mündlichen Verhandlung, zu denen sowohl die Sicherheitsmaßnahmen zur Identitätsfeststellung als auch die Zutrittsbeschränkung für die oberhalb der Sitzungssäle befindlichen Geschosse des Gerichtsgebäudes sowie die Videoüberwachung außerhalb des Sitzungssaales zählen, haben keinen Bezug zum Inhalt und dem Verlauf der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2020. Den diesbezüglichen Rügen des Klägers ist nicht zu entnehmen, inwieweit sich hieraus ein Berichtigungsbedarf für die Sitzungsniederschrift ergeben kann.
c) Die Rüge des Klägers betreffend die von ihm angenommene permanente Videoüberwachung innerhalb des Sitzungssaals während des Verlaufs der mündlichen Verhandlung ist entsprechend dem Antrag des Klägers in die Niederschrift aufgenommen worden. Der Kläger trägt nicht vor, inwieweit diese in diesem Punkt eine Unrichtigkeit aufweist.
d) Die Rüge des Klägers, der Senatsvorsitzende habe ihm die Mitschrift der mündlichen Äußerungen während des Sitzungstermins untersagt, begründet keine förmliche oder inhaltliche Unrichtigkeit der Sitzungsniederschrift. Auch insoweit ist nicht ersichtlich, in welcher Hinsicht die Sitzungsniederschrift Fehler aufweisen könnte. Falls der Kläger eine entsprechende Erklärung in die Sitzungsniederschrift hätte aufnehmen lassen wollen, hätte er dies im Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich beantragen müssen.
e) Soweit der Kläger rügt, es sei ihm eine weitere Schriftsatzfrist verwehrt worden, hat er es ebenfalls unterlassen, ausdrücklich die Aufnahme eines entsprechenden Antrags in die Sitzungsniederschrift zu beantragen. Die bloße Frage des Klägers, ob der Senat gegebenenfalls eine Frist zur weiteren Begründung der Klage einräumen würde, stellt noch keinen ernstlich gestellten Antrag auf Schriftsatzfrist dar und ersetzt keinesfalls einen entsprechenden Antrag auf Aufnahme eines solchen in die Sitzungsniederschrift. Anträge in der mündlichen Verhandlung sind unmissverständlich und ausdrücklich zu stellen und von den allgemeinen Rechtsgesprächen zwischen den Senatsmitgliedern und den Beteiligten zu unterscheiden. Zudem geht der Senat davon aus, dass dem Kläger der Unterschied zwischen dem allgemeinen Rechtsgespräch und einem förmlichen Antrag aufgrund seiner beruflichen Qualifikation als Rechtsanwalt geläufig ist. Einen solchen förmlichen Antrag hat der Kläger nicht gestellt. Die Sitzungsniederschrift vom 22. Januar 2020 ist auch diesbezüglich nicht fehlerhaft.
f) Soweit der Kläger mit seiner Rüge, der Berichterstatter habe den Streitsachverhalt stark verkürzt vorgetragen, dessen etwaige Unvollständigkeit behaupten will, ist er darauf zu verweisen, dass er ausweislich der Sitzungsniederschrift auf Frage des Senatsvorsitzenden die Richtigkeit und Vollständigkeit des Sachverhalts ausdrücklich bestätigt hat. Im Übrigen ist die Aufnahme eines weiteren Sachvortrags in die Sitzungsniederschrift auf Antrag der Beteiligten als Protokollergänzung nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig. Eine Unrichtigkeit der Sitzungsniederschrift ist auch insoweit nicht gegeben.
g) Die Behauptung des Klägers, die dem Senat angehörenden Berufsrichter seien wegen ihrer früheren Tätigkeit im Dienst der Finanzverwaltung in dem vorliegenden Klageverfahren nicht unparteiisch, steht in keinerlei Zusammenhang mit dem Inhalt und der Richtigkeit der Sitzungsniederschrift.
3.) Das Verfahren über die Protokollberichtigung ist als unselbständiges Zwischenverfahren gebührenfrei. Gerichtskosten für die Entscheidung über den Antrag auf Berichtigung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung sind nicht zu erheben, weil ein entsprechender Kostentatbestand nicht vorgesehen ist (vgl. § 1 des Gerichtskostengesetzes in Verbindung mit Anlage 1 hierzu).
4.) Der Beschluss über den Antrag auf Protokollberichtigung ist nicht anfechtbar (vgl. BFH Beschluss vom 15. Juli 2010 VIII B 90/09, BFH/NV 2010, 2090 m.w.N.).
… … …


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