Steuerrecht

Berichtigung eines Steuerausweises ohne Rückzahlung der vereinnahmten Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger

Aktenzeichen  3 K 654/18

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2020, 559
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
UStG § 3c, § 14c Abs. 1, § 17 Abs. 1
BGB § 387
MwStSystRL Art. 203

 

Leitsatz

1. Hat der Unternehmer für Umsätze im Versandhandel nach Österreich in den Rechnungen deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen und an den deutschen Fiskus abgeführt, obwohl die Lieferschwelle nach § 3c UStG überschritten war und die Umsätze deswegen in Österreich umsatzsteuerbar und -pflichtig waren, so schuldet er die deutsche Umsatzsteuer nach § 14c I 1 UStG. Das unabhängig davon, ob es sich bei den österreichischen Leistungsempfängern um Unternehmer oder Nichtunternehmer handelt.
2. Hat der Unternehmer mit den Kunden Bruttopreisabreden getroffen, bei denen die im verlangten Gesamtpreis enthaltene Umsatzsteuer als unselbständiger Bestandteil der geschuldeten Vergütung behandelt wird, und berichtigt er später die Rechnungen gegenüber den österreichischen Kunden, wobei statt der deutschen nunmehr österreichische Umsatzsteuer ausgewiesen wird, so hat er gegenüber dem deutschen Finanzamt auch dann Anspruch auf Erstattung der bis zur Berichtigung nach § 14c I UStG geschuldeten deutschen Umsatzsteuer, wenn die deutsche Umsatzsteuer infolge der Bruttopreisabreden nicht an die Kunden zurückgezahlt worden ist und wenn die österreichische Finanzverwaltung die entstandene österreichische Umsatzsteuer für die Lieferungen des Unternehmers an die österreichischen Kunden wegen Festsetzungsverjährung nach § 207 der österreichischen Bundesabgabenordnung nicht mehr geltend machen kann; es ist bei diesem Sachverhalt kein Fall einer ungerechtfertigten Bereicherung des Unternehmers gegeben.
3. Die Berichtigung des Steuerbetrags gegenüber dem Leistungsempfänger ist steuerrechtlich in zeitlicher Sicht unbegrenzt möglich. Da einer Rechnungsberichtigung iSd § 14c I 2 UStG keine Rückwirkung zukommt, ist eine eventuell eintretende Festsetzungsverjährung für das Jahr der Entstehung der Steuerschuld nach § 14c UStG ohne Bedeutung.

Tenor

1. Unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids für 2015 vom 7. April 2017 und der Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2018 wird die Umsatzsteuer für 2015 auf den negativen Betrag von 719.291,31 € festgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
Die Klage ist begründet.
Der Umsatzsteuerbescheid für 2015 vom 7. April 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2018 sind rechtswidrig. Das Finanzamt hat es zu Unrecht abgelehnt, im Streitjahr 2015 einen um … € höheren Negativbetrag aus in den Jahren 2004 bis 2008 in Rechnungen unrichtig ausgewiesenen Steuerbeträgen nach § 14c Abs. 1 UStG anzuerkennen.
1. Für die streitgegenständlichen Lieferungen der Klägerin nach Österreich in den Jahren 2004 bis 2008 ist eine Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG entstanden.
a) Nach dieser Vorschrift schuldet der Unternehmer, der in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach dem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen hat (unrichtiger Steuerausweis), auch den Mehrbetrag. Hiervon erfasst werden auch die Fälle, in denen ein Unternehmer – wie vorliegend – Umsatzsteuer für in Deutschland nicht steuerbare Umsätze gesondert ausgewiesen hat. Diese Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 203 MwStSystRL, wonach jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist, die Mehrwertsteuer schuldet. Dieser Regelung soll einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann (EuGH-Urteil vom 11. April 2014 C-138/12, Rusedespred, MwStR 2013, 234, Rn. 24; BFH-Urteil vom 16. Mai 2018 XI R 28/16, MwStR 2018, 835, BFHE 261, 451).
b) Im Streitfall hat die Klägerin unstreitig die nach § 3c Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 UStG in den Jahren 2004 bis 2008 für Österreich maßgebliche Lieferschwelle von 100.000,- € überschritten, so dass die Lieferungen der Klägerin in diesem Zeitraum an die privaten Abnehmer in Österreich gemäß § 3c Abs. 1 UStG dort als ausgeführt gelten und somit nicht in Deutschland steuerbar waren (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Sie hat deshalb in den streitgegenständlichen Rechnungen einen höheren Steuerbetrag ausgewiesen, als er nach dem Gesetz für diese Umsätze geschuldet war. Schuldner der nach § 14c Abs. 1 UStG entstandenen Steuer ist die Klägerin geworden (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG).
c) Dies gilt, entgegen der Ansicht der Klägerin, auch, wenn es sich bei den österreichischen Leistungsempfängern nicht um Unternehmer gehandelt hat. Denn die Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG entsteht auch bei einer Rechnungserteilung an einen Nichtunternehmer. Dass Rechnungen i.S. des § 14c UStG dann nach den gesetzlichen Bedingungen des § 15 Abs. 1 UStG nicht zu einem Vorsteuerabzug führen können, steht dem nicht entgegen, da auch hier aufgrund der Rechnungserteilung die Gefahr des Abzugs einer gesetzlich nicht geschuldeten Steuer besteht (BFH-Urteil vom 13. Dezember 2018 V R 4/18, DStR 2019, 445). Die Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG setzt weder voraus, dass aufgrund der Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis tatsächlich ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen wurde, noch, dass eine konkrete Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, da § 14c UStG abstrakte Gefährdungstatbestände formuliert, deren Verwirklichung nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht einmal davon abhängt, ob der Empfänger überhaupt Unternehmer bzw. zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (BFH-Beschluss vom 31. Mai 2017 V B 5/17, BFH/NV 2017, 1202; EuGH-Urteil vom 18. Juni 2009 C-566/07, Stadeco, UR 2009, 647, Rn. 28 ff.).
d) Ebenso wenig steht entgegen, dass die Leistungsempfänger im Ausland (hier Österreich) ansässig und die an diese ausgeführten Lieferungen nicht in Deutschland steuerbar waren.
Art. 203 MwStSystRL (entspricht Art. 21 Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 91/680 geänderten Fassung) ist dahin auszulegen, dass die Mehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat geschuldet wird, dessen Mehrwertsteuer in der Rechnung ausgewiesen ist, selbst wenn der fragliche Vorgang in diesem Mitgliedstaat (hier Deutschland) nicht steuerpflichtig war. Der Ort der in Rechnung gestellten Leistungen ist für die Entstehung der Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL, die ausschließlich geschuldet wird, weil die Mehrwertsteuer in der Rechnung ausgewiesen ist, unerheblich (vgl. EuGH-Urteil vom 18. Juni 2009 C-566/07, Stadeco, UR 2009, 647).
2. Die von der Klägerin im Streitjahr 2015 gegenüber den österreichischen Leistungsempfängern für die Lieferungen in den Jahren 2004 bis 2008 ausgestellten berichtigten Rechnungen reichen vorliegend für eine Berichtigung des Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG aus.
a) Nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG ist § 17 Abs. 1 UStG entsprechend anzuwenden, wenn der Unternehmer den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger berichtigt. Die Berichtigung des Steuerbetrags hat danach im Besteuerungszeitraum der Berichtigung, also im laufenden Besteuerungszeitraum (vorliegend 2015), nicht in dem der Leistungsausführung, zu erfolgen (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG). Die aufgrund unrichtigen Steuerausweises in einer Rechnung nach § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG entstandene Umsatzsteuerschuld besteht bis zu einer – ohne Rückwirkung eintretenden – Berichtigung des Steuerbetrags (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 2015 V B 133/14, MwStR 2015, 862).
Erfolgt die Berichtigung einer unstreitig nach § 14c Abs. 1 UStG bestehenden Steuerschuld, verringert sich für den Steuerpflichtigen seine für diesen (laufenden) Besteuerungszeitraum abzuführende Umsatzsteuer um diesen Betrag. Ein daraus resultierender Erstattungsanspruch des Leistenden ist in der Steuerfestsetzung (Steueranmeldung) für das Kalenderjahr bzw. den Voranmeldungszeitraum zu berücksichtigen, in dem die Berichtigungsvoraussetzungen vorliegen, d.h. der Erstattungsanspruch entstanden ist.
Die Berichtigung des Steuerbetrags gegenüber dem Leistungsempfänger ist steuerrechtlich in zeitlicher Sicht unbegrenzt möglich. Da einer Rechnungsberichtigung i.S. des § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG keine Rückwirkung zukommt (BFH-Urteil vom 12. Oktober 2016 XI R 43/14, BFHE 255, 474, MwStR 2017, 283, Rn. 36), ist eine eventuell eintretende Festsetzungsverjährung für das Jahr der Entstehung der Steuerschuld nach § 14c UStG ohne Bedeutung (BeckOK UStG/Weymüller, UStG § 14c Rn. 168).
b) Die hinsichtlich des Ausweises deutscher Umsatzsteuer unzutreffenden Rechnungen sind im Streitjahr 2015 berichtigt worden.
Eine Rechnung kann nach § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG i.V.m. § 31 Abs. 5 Satz 1 Buchst. b der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) berichtigt werden, wenn Angaben in der Rechnung unzutreffend sind. Zur Berichtigung müssen die unzutreffenden Angaben durch ein Dokument, das spezifisch und eindeutig auf die Rechnung bezogen ist, übermittelt werden. Es gelten die gleichen Anforderungen an Form und Inhalt wie in § 14 UStG (§ 31 Abs. 5 Sätze 2 und 3 UStDV).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend mit der Übersendung der berichtigten Rechnungen im Zeitraum Juni bis Oktober 2015 an die österreichischen Empfänger, in denen jetzt österreichische Umsatzsteuer ausgewiesen ist, unstreitig erfüllt.
c) Aufgrund der Umstände des Streitfalles ist es für die wirksame Berichtigung des streitigen Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG aber nicht erforderlich, dass die Klägerin die vereinnahmte und abgeführte (deutsche) Umsatzsteuer an die Leistungsempfänger zurückgezahlt hat.
aa) Der Wortlaut von § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG setzt zwar nicht voraus, dass der Rechnungsaussteller über die Berichtigung der Rechnung hinaus, den berichtigten Steuerbetrag an den Leistungsempfänger zurückzuzahlen hätte. Auch Art. 203 MwStSystRL setzt bei der Rechnungsberichtigung keine Rückzahlung des Umsatzsteuerbetrages an den Leistungsempfänger voraus. Der Fall, dass die Mehrwertsteuer irrtümlich in einer Rechnung ausgewiesen wird, obwohl sie nicht geschuldet wird, ist im Unionsrecht nicht ausdrücklich geregelt. Dem Grundsatz der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer ist in der Regel genügt, wenn der Leistende die Erstattung der irrtümlich bzw. zu Unrecht an die Steuerbehörden bezahlten Mehrwertsteuer verlangen und der Leistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage gegen den Leistenden auf Rückzahlung der rechtsgrundlos bezahlten Beträge erheben kann (BFH-Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438). Nach der Rechtsprechung des EuGH und BFH ist es einem Mitgliedstaat unionsrechtlich jedoch nicht verwehrt, die Berichtigung der Mehrwertsteuer auch davon abhängig zu machen, dass der Aussteller der fraglichen Rechnung dem Leistungsempfänger die zu Unrecht gezahlte Steuer zurückzahlt, wenn die Erstattung zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führen würde (vgl. EuGH-Urteil vom 18. Juni 2009 C-566/07, Stadeco, UR 2009, 647; BFH-Urteil vom 16. Mai 2018 XI R 28/16, BFHE 261, 451, MwStR 2018, 835).
Der BFH hat für den Fall der irrtümlichen Vereinbarung eines Mietzinses von … € zzgl. … € Umsatzsteuer entschieden, dass eine Erstattung durch das Finanzamt allein aufgrund der Rechnungsberichtigung, ohne Rückzahlung der Steuer, den Leistenden ungerechtfertigt bereichern würde. Dieser würde doppelt begünstigt; denn einerseits hat er das Entgelt zzgl. Umsatzsteuer regelmäßig bereits vereinnahmt und andererseits könnte er im Fall einer bedingungslosen Erstattung den berichtigten Steuerbetrag vom Finanzamt nochmals verlangen. Dies ginge allein zu Lasten des Leistungsempfängers. Die Rechnungskorrektur ändert daran nichts (BFH-Urteil vom 16. Mai 2018, a.a.O., Rn. 52, 58, m.w.N.).
Vorliegen und Umfang der ungerechtfertigten Bereicherung, zu der die Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgabe bei einem Abgabepflichtigen führt, lassen sich jedoch erst nach einer Untersuchung feststellen, bei der alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden. Maßgeblich kann in diesem Zusammenhang sein, ob die zwischen dem Aussteller der Rechnung und dem Empfänger der Dienstleistungen geschlossenen Verträge als Vergütung für die Leistungen Festbeträge oder um gegebenenfalls anfallende Steuern erhöhte Grundbeträge vorsahen. Im ersten Fall liegt möglicherweise keine ungerechtfertigte Bereicherung des Ausstellers der Rechnung vor (vgl. EuGH-Urteil Stadeco, a.a.O., Rn. 50).
Eine Berichtigung des Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG setzt deshalb, neben der Berichtigung des unrichtigen Steuerausweises grundsätzlich voraus, dass der Unternehmer die vereinnahmte Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat. Eine Rückzahlung kann aber auch im Wege der Abtretung und Verrechnung vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 2016 XI R 43/14, BFHE 255, 474, MwStR 2017, 283).
bb) Dies zugrunde gelegt liegt im Streitfall keine ungerechtfertigte Bereicherung der Klägerin im o. g. Sinne vor.
Nach den AGB der Klägerin, die gemäß § 305 BGB Bestandteil der Kaufverträge mit den österreichischen Kunden geworden sind, verstanden sich die Preise jeweils inkl. gültiger gesetzlicher Mehrwertsteuer.
Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen zum Versandhandel (§ 3c Abs. 1 UStG) war zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Lieferungen die jeweils gültige österreichische Umsatzsteuer geschuldet, die Preise verstanden sich somit jeweils inkl. österreichischer Umsatzsteuer.
Die Klägerin hatte mit den österreichischen Leistungsempfängern als Vergütung für ihre Lieferungen keine sich um ggf. anfallende Steuern zu erhöhende Grundbeträge, sondern Festbeträge vereinbart. Hierbei hat es um sog. Bruttopreisabreden gehandelt, bei denen die im verlangten Gesamtpreis enthaltene Umsatzsteuer als unselbständiger Bestandteil der geschuldeten Vergütung behandelt wird (vgl. z.B. Urteile des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 20. Februar 2019, HFR 2019, 523, und VIII ZR 115/18, HFR 2019, 531, jeweils m.w.N.).
Bei einer solchen Bruttopreisvereinbarung ist, wie in Abschn. 14c. 1 Abs. 5, Beispiel Sätze 4 und 5 UStAE ausgeführt, eine Rechnungsberichtigung, bei der – wie vorliegend – eine Rechnung in der Weise berichtigt wird, dass der Endbetrag der Rechnung unverändert bleibt und nur die geschuldete richtige (österreichische) Steuer herausgerechnet und korrekt angegeben wird, grundsätzlich auch ohne Rückgewähr des Entgelts anzuerkennen. In diesem Fall liegt keine ungerechtfertigte Bereicherung des Ausstellers der Rechnung vor.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass bei der vorliegenden sog. Bruttopreisabrede die ursprünglich in Rechnung gestellte deutsche Umsatzsteuer ohne Rechtsgrund gezahlt worden ist, weil eine solche nicht geschuldet war, hätte die Klägerin dann jedenfalls eigene Ansprüche gegen die österreichischen Leistungsempfänger auf Zahlung der gültigen gesetzlichen österreichischen Mehrwertsteuer mit deren Ansprüchen auf Rückzahlung der (ohne Rechtsgrund) entrichteten deutschen Umsatzsteuer verrechnen können. Insoweit hätte eine Aufrechnungslage i. S. von § 387 BGB bestanden, so dass, wie die Klägerin zu Recht vorbringt, keine weitere Rückzahlung der von den Kunden gezahlten deutschen Umsatzsteuer erforderlich war.
Die Klägerin ist nicht zu Lasten der österreichischen Kunden ungerechtfertigt bereichert, weil diese bei der vorliegenden Vereinbarung eines Festpreises inkl. Mehrwertsteuer nicht mehr gezahlt haben als sie tatsächlich geschuldet haben. Der vereinbarte Endpreis war geschuldet, unabhängig davon, wie hoch die darin enthaltene Mehrwertsteuer tatsächlich war.
Aus dem BFH-Urteil vom 16. Mai 2018, a.a.O., ergibt sich nichts anderes, weil dem damit entschiedenen Fall eine Nettopreisabrede zugrunde lag.
cc) Eine Rückzahlungspflicht für die im Preis angesetzten und bezahlten deutschen Umsatzsteueranteile wegen ungerechtfertigter Bereicherung kommt dann auch nicht aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung nach § 157 BGB in Betracht.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist zwar auch eine getroffenen Bruttopreisabrede einer ergänzenden Vertragsauslegung bezüglich des entrichteten Umsatzsteueranteils zugänglich, wenn die Vertragsparteien bei ihren Preisvereinbarungen irrtümlich eine Umsatzsteuerpflicht zugrunde gelegt haben (vgl. BGH-Urteile vom 20. Februar 2019, a.a.O.).
Selbst wenn man entsprechend o.g. Rechtsprechung des BGH davon ausginge, dass die Verträge zwischen den österreichischen Kunden und der Klägerin infolge einer nicht bedachten Unvollständigkeit eine planwidrige Regelungslücke aufweisen, weil beim Vertragsschluss nicht bedacht wurde, dass die Klägerin infolge von Rechnungsberichtigungen möglicherweise eine Rückzahlung der deutschen Umsatzsteuer durchsetzen kann und die österreichische Mehrwertsteuer wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr bezahlen muss, sieht das Gericht keine Möglichkeit, bei einer dann grundsätzlich in Betracht zu ziehenden ergänzenden Vertragsauslegung nach § 157 BGB, die mit den österreichischen Kunden abgeschlossenen Verträge dahingehend auszulegen, dass die Parteien für diesen Fall eine Rückzahlungspflicht der Klägerin geregelt hätten bzw. dass sich die Preise ohne (österreichische) Umsatzsteuer verstanden, wenn die Klägerin diese nicht (mehr) entrichten musste.
Grundlage für eine Ergänzung des Vertragsinhalts ist der hypothetische Wille der Vertragsparteien, wobei darauf abzustellen ist, was diese bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Dabei ist zunächst an den Vertrag selbst anzuknüpfen, dessen Regelungen und Wertungen sowie Sinn und Zweck Ausgangspunkt der Vertragsergänzung sind (BGH-Urteil vom 20. Februar 2019 VIII ZR 115/18, a.a.O. Rn. 58, m.w.N.).
Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass es zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, auf den bei der Auslegung nach § 157 BGB abzustellen ist, nicht dem Willen der Vertragsparteien entsprochen hätte, dass die Kunden gegen die Klägerin einen Anspruch auf Rückzahlung der im vereinbarten Festpreis enthaltenen Umsatzsteuer haben sollten, wenn sich später herausstellen sollte, dass die Klägerin diese nicht mehr entrichten muss.
Anders als in den vom BGH in o.g. Urteilen entschiedenen Sachverhalten, bei denen es auf die materiellrechtliche Steuerrechtslage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankam, also darauf, ob die dort streitigen Lieferungen steuerpflichtig oder steuerfrei waren, waren die im Streitfall erfolgten Lieferungen im damaligen Zeitpunkt unstreitig steuerbar und steuerpflichtig, nur eben nicht in Deutschland, sondern nach § 3c UStG in Österreich. Für die Kunden der Klägerin machte es keinen Unterschied, ob in dem vereinbarten Festpreis deutsche oder österreichische Umsatzsteuer enthalten war.
Im Hinblick auf diese Rechtslage und die vorliegenden Bruttopreisevereinbarungen entsprach es unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und der Verkehrssitte unter den gegebenen Umständen deshalb weder dem hypothetischen Willen der Klägerin noch dem berechtigten Interesse der österreichischen Kunden, einen ggf. aufgrund eintretender Festsetzungsverjährung bei der Klägerin verbleibenden Umsatzsteueranteil des vereinbarten Festpreises an diese zurückzuzahlen.
dd) Der Umstand, dass die österreichische Finanzverwaltung die für die Jahre 2004 bis 2008 entstandene österreichische Umsatzsteuer für die Lieferungen der Klägerin an die österreichischen Kunden wegen Festsetzungsverjährung nach § 207 der österreichischen Bundesabgabenordnung nicht mehr geltend machen kann und die Erstattung der deutschen Umsatzsteuer führt somit vorliegend nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Klägerin. Das Finanzamt ist deshalb nicht berechtigt, die Erstattung der zu Unrecht erhobenen Umsatzsteuer zu verweigern.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
4. Die Revision wird gem. § 115 Abs. Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.


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