Steuerrecht

Bescheidkorrektur bei Nichtberücksichtigung einer Umsatzsteuervorauszahlung als Betriebsausgabe im Jahr ihrer wirtschaftlichen Zugehörigkeit

Aktenzeichen  X R 45/16

Datum:
17.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2017:U.170517.XR45.16.0
Normen:
§ 129 AO
§ 173 Abs 1 Nr 2 AO
§ 174 Abs 3 AO
§ 11 Abs 2 S 2 EStG 2009
§ 18 Abs 4 S 1 UStG 2005
EStG VZ 2012
UStG VZ 2012
Spruchkörper:
10. Senat

Leitsatz

1. NV: Die Nichtbeachtung des Abflussprinzips (§ 11 Abs. 2 Satz 2 EStG) durch den steuerlichen Berater stellt einen Beratungsfehler dar und begründet daher regelmäßig ein –dem Mandanten zurechenbares– “grobes Verschulden” i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO .
2. NV: Das Tatbestandsmerkmal “Annahme” in § 174 Abs. 3 AO setzt einen kognitiven Prozess bei dem tätig gewordenen Finanzamtsmitarbeiter voraus. Die rein mechanische Übernahme von Erklärungsfehlern des Steuerpflichtigen bzw. seines Beraters genügt insoweit nicht .

Verfahrensgang

vorgehend FG Düsseldorf, 20. Juli 2016, Az: 7 K 750/16 E, Urteil

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 20. Juli 2016  7 K 750/16 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte im Streitjahr 2012 als Handelsvertreter gewerbliche Einkünfte. Den Gewinn seines Einzelunternehmens ermittelte er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes –EStG–).
2
Der Kläger beglich die Umsatzsteuervorauszahlung für November 2012 –nach Fristverlängerung gemäß § 46 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung– am 8. Januar 2013. In der vom damaligen Steuerberater der Kläger angefertigten und elektronisch an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) übermittelten Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2012 war diese Vorauszahlung in dem in Zeile 45 angegebenen Gesamtbetrag der an das FA geleisteten Umsatzsteuerzahlungen nicht enthalten. Die darauf beruhende Einkommensteuerfestsetzung 2012 wurde –nach vorherigen anderweitigen Korrekturen– bestandskräftig.
3
Die Umsatzsteuervorauszahlung für November 2012 machten die Kläger im Folgejahr 2013 als Betriebsausgabe geltend. Diesen Ansatz revidierten sie im weiteren Verlauf des Festsetzungsverfahrens des Jahres 2013 von sich aus zugunsten der Umsatzsteuervorauszahlung für November 2013. Im Zuge dessen beantragten sie, die Umsatzsteuerzahllast für November 2012 als gewinnmindernde Betriebsausgabe im Jahr 2012 anzusetzen.
4
Diesen Antrag lehnte das FA mit der Begründung ab, verfahrensrechtlich sei keine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 2012 mehr möglich. Insbesondere griffen § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) und § 174 Abs. 3 AO nicht ein.
5
Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.
6
Im Klageverfahren wiederholten und vertieften die Kläger ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren, wonach im Streitfall die Voraussetzungen von § 174 Abs. 3 AO und § 129 AO vorlägen. Sie trugen u.a. vor, der Nichtberücksichtigung der Umsatzsteuervorauszahlung für November 2012 habe die unrichtige Annahme zu Grunde gelegen, der Betriebsausgabenabzug werde im Einkommensteuerbescheid 2013 berücksichtigt; ihrerseits sei eine versehentliche Zuordnung zum Veranlagungszeitraum 2013 vorgenommen worden, wobei § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht beachtet worden sei. Dieser rechtlichen Falschbeurteilung sei das FA gefolgt.
7
Nach zwischenzeitlich durchgeführter Akteneinsicht habe sich für die Kläger aus einer in der Einkommensteuerakte enthaltenen Prüfberechnung ein farblich markierter “Risiko-Hinweis” ergeben, wonach eine maschinelle Überprüfung der Eingaben zur gezahlten/erstatteten Umsatzsteuer nicht möglich gewesen sei. Diese Farbmarkierung lasse auf eine Überprüfung des Hinweises durch das FA schließen, was dessen Vortrag widerspreche, es habe die Gesamtbetragsangabe zu den Umsatzsteuervorauszahlungen des Streitjahres ohne weitere Prüfung übernommen.
8
Hinsichtlich der Möglichkeit einer Bescheidsberichtigung nach § 129 AO verwiesen sie u.a. auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. August 2013 VIII R 9/11 (BFHE 242, 302, BStBl II 2014, 439). Der Streitfall sei gleichgelagert.
9
Die Klage hatte keinen Erfolg.
10
Das Finanzgericht (FG) erkannte, eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids 2012 gemäß § 129 AO komme nicht Betracht, weil nicht zu seiner Gewissheit feststehe, dass der in Streit stehende unterbliebene Betriebsausgabenabzug auf einem mechanischen Fehler des Steuerberaters der Kläger beruhe. Ein Fehler bei der Sachverhaltsermittlung (Feststellung des Zeitpunkts des Abflusses der Vorauszahlung) könne nicht ausgeschlossen werden.
11
Auch die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO lägen nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, dass das FA die Vorauszahlung für November 2012 gerade deshalb nicht im Jahr 2012 angesetzt habe, weil sie im Jahr 2013 berücksichtigt werden sollte. Dem FA sei im Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuerbescheids 2012 nicht bekannt gewesen, dass die Vorauszahlung nicht als Betriebsausgabe in diesem Jahr angesetzt worden sei. Ob es dies möglicherweise hätte erkennen können, sei nach dem Wortlaut der Vorschrift unerheblich. In der Folge habe das FA mangels Kenntnis dieses Sachverhalts die diesbezügliche Fehlvorstellung der Kläger auch nicht als eigene übernehmen können. Aus dem Risiko-Hinweis ergebe sich nichts Abweichendes. Zum einen sei nicht erkennbar, ob und in welchem Umfang tatsächlich eine Prüfung der einzelnen Umsatzsteuervorauszahlungen stattgefunden habe. Zum anderen sei dies rechtlich nicht relevant, weil § 174 Abs. 3 AO kein Verschulden voraussetze.
12
Zuletzt könne der Einkommensteuerbescheid auch nicht gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden, weil der von den Klägern mit der Erstellung der Steuererklärung für 2012 beauftragte Steuerberater in jedem Fall grob fahrlässig gehandelt habe. Dieser hätte die erforderlichen Angaben zur zeitlichen Zuordnung der streitgegenständlichen Vorauszahlung abfragen bzw. die entsprechenden Kontoauszüge daraufhin überprüfen müssen. Es sei weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass er dies getan habe. Gesetzt den Fall, ihm sei der Zahlungszeitpunkt gleichwohl bekannt gewesen, habe er § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG missachtet, mit der Folge, dass ihm aus diesem Grund ein grobes Verschulden anzulasten sei.
13
Die Kläger begründen ihre Revision mit der Verletzung materiellen Bundesrechts (§ 129 AO und § 174 Abs. 3 AO).
14
In Bezug auf § 174 Abs. 3 AO rügen sie im Wesentlichen, das FA habe die unzutreffende Vorstellung der Kläger nicht durch Unkenntnis unwissentlich übernommen. Vielmehr habe das FA den Sachverhalt erkennbar nachweislich geprüft, wie dem Bearbeitungsvermerk auf der Prüfberechnung zu den Risiko-Hinweisen zu entnehmen sei; danach sei das FA ebenfalls zu derselben, materiell-rechtlich unzutreffenden Rechtsauffassung gelangt. Entgegen der Darstellung im angefochtenen Urteil sei dem FA bekannt gewesen, in welcher Höhe der Kläger die Umsatzsteuervorauszahlungen nicht als Betriebsausgabe angesetzt habe.
15
Anders als das FG meine, könne im Streitfall nicht dahinstehen, ob das FA den Sachverhalt tatsächlich und rechtlich überprüft habe. Das Gesetz sehe keine bestimmte Form der Dokumentation der Annahme eines Amtsträgers i.S. von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO vor. Der handschriftliche Bearbeitungsvermerk des Sachbearbeiters belege hinreichend deutlich, dass das FA die Gesamtbetragsangabe zu den gezahlten Umsatzsteuerbeträgen überprüft und somit gleichfalls die damit verbundenen rechtsirrigen Überlegungen angestellt habe. Der Sachbearbeiter habe aufgrund der Gewinnermittlung für 2012, der Daten aus dem Umsatzsteuervoranmeldungskonto sowie dem Erhebungskonto nachvollziehen können, dass die Vorauszahlung für November 2012 nicht als Betriebsausgabe berücksichtigt worden sei.
16
Zur –aus ihrer Sicht zugleich gegebenen– Möglichkeit einer Berichtigung des Einkommensteuerbescheids 2012 gemäß § 129 AO führen die Kläger aus, mangelnde Sachaufklärung sei nicht Ursache der Unrichtigkeit gewesen, denn das FA habe die gezahlte Umsatzsteuer ausweislich des handschriftlichen Bearbeitungsvermerks überprüft. Daher habe sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten ergeben, dass der Kläger die umsatzsteuerlich berücksichtigte Zahlung nur aufgrund eines mechanischen Versehens nicht in seiner Einkommensteuererklärung berücksichtigt hatte. Das FA habe sich dieses Versehen zu eigen gemacht.
17
Die Kläger beantragen sinngemäß,das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 3. April 2014 unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 30. September 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2016 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuervorauszahlung für November 2012 in Höhe von 4.478 € gewinnmindernd berücksichtigt wird.
18
Das FA beantragt,die Revision zurückzuweisen.
19
Es schließt sich der Rechtsauffassung des FG an und verweist in Bezug auf § 174 Abs. 3 AO in erster Linie darauf, das Gericht habe bereits auf tatsächlicher Ebene nicht feststellen können, dass dem zuständigen Sachbearbeiter des FA der Umstand der fehlenden Berücksichtigung der Umsatzsteuervorauszahlung für November 2012 in der Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2012 bekannt gewesen sei. Auch im Hinblick auf § 129 AO habe sich das FG nicht davon überzeugen können, dass die Nichterklärung der Vorauszahlung auf einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit im Sinne eines mechanischen Versehens beruht habe.
20
Eine Abweichung von dem von den Klägern zitierten BFH-Urteil in BFHE 242, 302, BStBl II 2014, 439 liege nicht vor. Es hätte weiterer Nachforschungen seitens des FA bedurft, um festzustellen, dass die streitige Vorauszahlung nicht in der Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2012 berücksichtigt wurde.


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