Steuerrecht

Der für die Anwendung der Fahrtenbuchmethode geforderte Belegnachweis kann ergänzt werden

Aktenzeichen  8 K 611/19

Datum:
16.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2021, 541
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 8 Abs. 2 S. 4

 

Leitsatz

1. Für die Besteuerung der privaten Nutzung eines Dienstwagens nach § 8 II 4 EStG (sog. individuelle oder Fahrtenbuchmethode) ist neben der Führung eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs der Belegnachweis für die durch das Kfz insgesamt entstandenen Aufwendungen materiell-rechtliche Voraussetzung.
2. Konnten zwar zur Berechnung der tatsächlichen Treibstoffkosten lediglich geschätzte Werte hinsichtlich des Verbrauchswerts des einzelnen Fahrzeugs und der Treibstoffpreise zugrunde gelegt werden, weil die Betankung des jeweiligen Fahrzeugs durchgehend an einer betrieblichen Zapfsäule des Arbeitgebers ohne Anzeige der Mengenabgabe und des Preises erfolgt ist, liegen jedoch sämtliche Einkaufsrechnungen des Arbeitgebers für die gesamten Treibstoffkosten vor, so stellt die erforderliche Teilschätzung des durchschnittlichen Treibstoffpreises sowie des konkreten Treibstoffverbrauchs eines von einem Arbeitnehmer auch privat genutzten Kfz nur einen geringfügigen Mangel dar, der insgesamt nicht zur Verwerfung der Fahrtenbuchmethode führt, sofern bei der Teilschätzung der höchste vom Hersteller angegebene Verbrauch pro km (innerstädtischer Verkehr) angesetzt wird und eine Manipulation somit praktisch ausgeschlossen ist.

Tenor

1. Der Haftungsbescheid vom 6. Februar 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2019 wird dahingehend geändert, dass der Haftungsbetrag für Lohnsteuer von bisher 18.312 € auf 4.462 €, für Solidaritätszuschlag von bisher 1.007,65 € auf 245,41 € und für römisch-katholische Kirchensteuer von bisher 1.465,68 € auf 356,96 €, insgesamt von bisher 20.794,33 € auf 5.064,37 € herabgesetzt wird.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 22 v.H. und der Beklagte zu 78 v.H.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist teilweise begründet. Soweit das Finanzamt es abgelehnt hat, den Haftungsbetrag auf der Basis der Bewertung des geldwerten Vorteils für die privaten Kfz-Nutzungen der Arbeitnehmer LM und BM nach der Fahrtenbuchmethode zu berechnen, ist der Haftungsbescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
1. Die Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme der Klägerin liegen dem Grunde nach vor.
a) Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Dasselbe gilt für den Solidaritätszuschlag nach § 1 Abs. 1, Abs. 4 Solidaritätszuschlagsgesetz (SolZG) i.V.m. § 51a Abs. 1, Abs. 2a EStG. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner der Lohnsteuer (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG), der Arbeitnehmer als Steuerschuldner und der Arbeitgeber als Steuerentrichtungsschuldner. Die Finanzbehörden können nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG die Steuer- oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) gegenüber jedem Gesamtschuldner gelten machen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig aufgebaut (vgl. BFH-Urt. vom 20. September 2016 X R 36/15, BFH/NV 2017, 593; vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579 m.w.N.). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsnorm erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang zu überprüfende rechtlich gebundene Entscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar. Prüfungsmaßstab hierfür ist allein die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung.
b) Nach diesen Maßgaben ist der angegriffene Haftungsbescheid für den Haftungszeitraum ab Dezember 2011 dem Grunde nach rechtmäßig.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung der Klägerin gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG liegen vor. Die Klägerin haftet als Arbeitgeberin für die Lohnsteuer, soweit sie diese in zu geringer Höhe an das Finanzamt abgeführt hat. Die Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens durch das Finanzamt ist nicht zu beanstanden, weil die Klägerin sich bereit erklärt hat, die nachzufordernden Beträge zu übernehmen (vgl. BFH-Urt. vom 24. August 2017 VI R 58/15, BStBl II 2018, 72).
2. Die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin ist jedoch der Höhe nach unzutreffend. Die Bewertung des geldwerten Vorteils für die privaten Kfz-Nutzungen der Arbeitnehmer A und B ist nach der Fahrtenbuchmethode vorzunehmen.
a) Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG sind für die private Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs zu privaten Fahrten für jeden Kalendermonat der privaten Nutzung Einnahmen in Höhe von 1% des inländischen Listenpreises des Fahrzeugs im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten der Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 erhöht sich der nach Satz 2 ermittelte Wert für jeden Kalendermonat um 0,03% des Listenpreises im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte/erster Tätigkeitsstätte, wenn das Kfz auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte/erster Tätigkeitsstätte genutzt werden kann (1%-Regelung oder sog. pauschale Methode). Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 kann der Wert nach den Sätzen 2 und 3 mit dem auf die private Nutzung und die Nutzung zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte/erster Tätigkeitsstätte entfallenden Teil der gesamten Kfz-Aufwendungen angesetzt werden, wenn die durch das Kfz insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten Fahrten und der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte/erster Tätigkeitsstätte zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden (sog. individuelle oder Fahrtenbuchmethode).
b) Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für die Anwendung der Fahrtenbuchmethode vor.
aa) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Arbeitnehmer der Klägerin A und B ordnungsgemäße Fahrtenbücher geführt haben. Dem Senat liegen die Fahrtenbücher vor. Auch nach hiesiger Auffassung weisen die Fahrtenbücher nur geringfügige Mängel auf, die nicht zu ihrer Verwerfung führen. Die Belege und die Eintragungen im Fahrtenbuch stimmen bei A vollständig und bei B nahezu vollständig überein. Zwar hat B es mehrfach versäumt, Fahrten zur Firma D zum Reifenwechsel in das Fahrtenbuch aufzunehmen (21. März und 12. November 2012, 15. März 2013). Die Entfernung zur Werkstatt beträgt jedoch nur einen km, der Fehler ist deshalb geringfügig. Auch soweit in diesen Rechnungen kleinere Abweichungen bei den Kilometerständen zwischen den Fahrtenbüchern und den Werkstattrechnungen bestehen, führt dies nicht dazu, die Ordnungsmäßigkeit insgesamt zu versagen, da diese Angaben auf den Werkstattrechnungen erfahrungsgemäß häufiger ungenau sind (vgl. BFH-Urt. vom 10. April 2008 VI R 38/06, BStBl II 2008, 768). Insgesamt bieten die Aufzeichnungen in den Fahrtenbüchern vorliegend eine hinreichende Gewähr für ihre Vollständigkeit und Richtigkeit und sind plausibel.
bb) Der Belegnachweis für die durch die Kfz insgesamt entstandenen Aufwendungen ist geführt.
Der Belegnachweis ist materiell-rechtliche Voraussetzung für die Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG. Zu den durch das Kfz insgesamt entstehenden Aufwendungen (Gesamtkosten) gehören die Kosten, die unmittelbar dem Halten und dem Betrieb des Kfz dienen und in Zusammenhang mit dessen Nutzung typischerweise entstehen; dazu rechnen insbesondere die Kosten für Betriebsstoffe, Wartung und Reparaturen sowie die regelmäßig wiederkehrenden festen Kosten, etwa für die Haftpflichtversicherung, die Kfz-Steuer, AfA oder Leasing- und Leasingsonderzahlungen und Garagenmiete (BFH-Urt. vom 3. September 2015 VI R 27/14, BStBl II 2016, 174). Die Gesamtkosten müssen insgesamt durch Belege nachgewiesen sein, sie sind lückenlos im Einzelnen zu belegen (Kister in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 8 EStG Rz. 102). Nicht abschließend geklärt ist, inwieweit der grundsätzlich geforderte Belegnachweis u.U. durch eine (Teil-)Schätzung ergänzt werden kann (insoweit offen gelassen in BFH-Beschl. vom 16. September 2004 VI B 5/04, BFH/NV 2005, 336; ablehnend FG München, Urt. vom 29. Januar 2018 7 K 3118/16, DStRE 2019, 539). Zwar führt der BFH in seinem Urteil vom 10. April 2008 (VI R 38/06, BStBl II 2008, 768) aus, die 1%-Regelung komme nicht schon deshalb zur Anwendung, weil die Firma, die das Kfz gestellt hat, die auf den jeweils zur Nutzung überlassenen Dienstwagen entfallenden Kosten nicht getrennt aufgezeichnet hat. § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG setze die Einrichtung eines gesonderten Aufwandskontos nicht voraus. Demgegenüber vertritt ein Teil der Literatur die Auffassung, dass eine (Teil-) Schätzung von Aufwendungen aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift nicht zulässig sei (vgl. Adamek in Bordewin/Brandt, EStG, § 8 Rz. 151; Ettlich in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 8 EStG Rz. 120; Krüger in Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020, § 8 Rz. 53; Kulosa in Schmidt, § 6 Rz. 568), während andere Autoren eine differenzierende Betrachtung fordern. So erläutert Werndl, eine Schätzung der Aufwendungen könne den Belegnachweis jedenfalls nicht ersetzen. Probleme könnten sich allerdings dort ergeben, wo Leistungen nicht auf ein konkretes Kfz bezogen, sondern gemeinsam für alle in Nutzung stehenden Kfz eingekauft würden (z.B. Treibstoffe, Öl, Garagierungsleistungen). Für diesen Fall seien zusätzliche interne Aufzeichnungen, die eine individuelle Zuordnung zu den einzelnen Kfz ermöglichten, einzufordern (Werndl in: Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, § 6 Anm. E 91; ebenso Schober in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 6 Anm. 823). Ehmke lässt eine teilweise Schätzung von Aufwendungen zu, wenn es sich beim fehlenden Belegnachweis, wie beim Fahrtenbuch, um geringfügige Mängel handelt (Ehmcke in: Blümich, § 6 EStG Rz. 1014a).
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist vorliegend der Belegnachweis geführt, da die erforderliche Teilschätzung des konkreten Treibstoffverbrauchs der genutzten Kfz nur einen geringfügigen Mangel darstellt, der insgesamt nicht zur Verwerfung der Fahrtenbuchmethode führt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind sämtliche Aufwendungen für das Fahrzeug durch Belege nachzuweisen. Diese gesetzliche Vorgabe ist im Streitfall erfüllt, weil die Klägerin für die allein noch streitigen Treibstoffkosten ihre Einkaufsrechnungen sämtlich vorgelegt hat. Durch die Bewertung nach Durchschnittspreisen stehen auch die Kosten pro Liter fest und sind belegmäßig nachgewiesen. Somit fehlt vorliegend lediglich der belegmäßige Nachweis für den konkreten Treibstoffverbrauch der Fahrzeuge. Die Klägerin ist nicht in der Lage, diesen Verbrauch nachzuweisen, weil die von ihren Arbeitnehmern genutzte betriebliche Tankstelle nicht über eine Vorrichtung zur Erfassung der abgegebenen Menge verfügte. Dieser Mangel ist jedoch geringfügig, da die verbrauchte Treibstoffmenge unter Heranziehung der Herstellerangaben geschätzt werden kann. Sofern hierbei der höchste vom Hersteller angegebene Verbrauch pro km (innerstädtischer Verkehr) angesetzt wird, ist eine Manipulation praktisch ausgeschlossen und dem vom Gesetz geforderten vollständigen Belegnachweis hinreichend Genüge getan. Mit dem BFH (in BStBl II 2008, 768) ist davon auszugehen, dass die individuelle Zuordnung der belegmäßig nachgewiesenen Kosten zu den jeweiligen Dienstwagen durch getrennte Aufzeichnung der Kosten nicht verlangt werden kann. Auch insoweit sind die entstandenen Aufwendungen im Wege der sachgerechten Schätzung aufzuteilen.
3. Unter Anwendung der Fahrtenbuchmethode berechnen sich die geldwerten Vorteile für die beiden Arbeitnehmer A und B sowie die nachzuversteuernden Beträge wie nachfolgend dargestellt. Dabei wurde für den Treibstoffverbrauch der höchste Durchschnittsverbrauch laut Herstellerangaben zugrunde gelegt.

Der Haftungsbetrag berechnet sich demnach wie folgt (vgl. Schr. des Finanzamts vom 22. September 2020, Prozessakte S. 77):

Der Haftungsbetrag ist um die unstreitige Prüfungsfeststellung für die Arbeitnehmerin C in Höhe von 510,75 € zu erhöhen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 FGO. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung in Hinblick auf die Anforderungen für den belegmäßigen Nachweis nach § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG zugelassen.


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