Steuerrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Verfahrenshandlungen – Verbindung von Einspruchsverfahren nicht isoliert angreifbar – Steuergeheimnis bei der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung

Aktenzeichen  VII B 62/20

Datum:
30.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:B.300321.VIIB62.20.0
Normen:
Art 19 Abs 4 S 1 GG
§ 30 Abs 2 Nr 1 Buchst a AO vom 17.07.2017
§ 30 Abs 2 Nr 1 Buchst b AO vom 17.07.2017
§ 30 Abs 4 Nr 1 AO vom 17.07.2017
§ 114 FGO
§ 128 Abs 2 FGO
§ 128 Abs 3 FGO
§ 44a VwGO
§ 179 Abs 2 S 2 AO
§ 180 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AO
§§ 355ff AO
§ 355 AO
Spruchkörper:
7. Senat

Leitsatz

1. Die Verbindung von Einspruchsverfahren stellt eine Verfahrenshandlung dar, die grundsätzlich nicht isoliert angefochten werden kann. Auf die Frage, ob die Verbindung als Verwaltungsakt einzuordnen ist oder nicht, kommt es insoweit nicht an.
2. Das Steuergeheimnis steht der Offenbarung steuerlicher Verhältnisse eines Beteiligten im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen regelmäßig auch dann nicht entgegen, wenn bereits streitig ist, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Durchführung eines solchen Feststellungsverfahrens (hier: Vorliegen einer GbR) gegeben sind.

Verfahrensgang

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 2. März 2020, Az: 7 V 1191/19, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Hessischen Finanzgerichts vom 02.03.2020 – 7 V 1191/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Verbindung zweier Einspruchsverfahren mit der Begründung, dass die Verbindung zu einer rechtswidrigen Weitergabe von Informationen führe, die dem Steuergeheimnis unterliegen.
2
Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und Steuerberater. Im Zuge steuerstrafrechtlicher Ermittlungen wegen des Verdachts der Vereinnahmung zusätzlicher Erfolgshonorare durch den Antragsteller und einen weiteren Rechtsanwalt (B) gelangte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) auf der Grundlage eines Berichts der zuständigen Oberfinanzdirektion (OFD) vom 25.07.2017 zu der Auffassung, dass sich der Antragsteller und B neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit als Partner einer Sozietät in den Jahren 2006 bis 2010 zu einer Mitunternehmerschaft in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammengeschlossen und in dieser Gestalt zusätzliche Leistungen an Dritte erbracht hätten, die ihnen gesondert vergütet worden seien. Das FA erließ daher am 23.08.2017 für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2010 im Wege der Einzelbekanntgabe entsprechende Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und rechnete in diesen die Erfolgshonorare dem Antragsteller und dem B als Gesellschafter der –inzwischen beendeten– GbR jeweils hälftig zu.
3
Sowohl der Antragsteller als auch B legten gegen sämtliche Feststellungsbescheide Einsprüche ein und bestritten die Existenz einer GbR. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Feststellungsbescheide des Antragstellers lehnte das FA ab. Dagegen gewährte das Finanzgericht (FG) auf einen entsprechenden Antrag nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin mit Beschluss vom 24.01.2019 – 6 V 385/18 die AdV der Feststellungsbescheide und führte hierzu aus, die vom FA beigebrachten präsenten Beweismittel genügten nach summarischer Prüfung nicht für die Annahme einer eigenständigen GbR, die neben der regulären Rechtsanwaltstätigkeit betrieben worden wäre.
4
Bereits mit Schreiben vom 27.10.2017 teilte das FA dem Antragsteller mit, dass es beabsichtige, zu seinem Einspruchsverfahren den B hinzuzuziehen, und dass B einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt habe. Der Antragsteller erwiderte, da B seinerseits Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt habe, gebe es keinen Grund für eine Hinzuziehung; es sei zu befürchten, dass B die Hinzuziehung und die beabsichtigte Akteneinsichtnahme vor allem dazu benutzen werde, Verhältnisse, die ansonsten dem Schutz des Steuergeheimnisses unterlägen, Dritten zu offenbaren.
5
Mit Aktenvermerk vom 23.01.2018 verfügte daraufhin das FA die Verbindung der beiden Einspruchsverfahren und teilte dies dem Antragsteller mit Schreiben vom 19.02.2018 mit. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Ebenfalls mitgeteilt wurde dem Antragsteller, man habe dem B Akteneinsicht zunächst in der Weise gewährt, dass man ihm Kopien des OFD-Berichts und des Einspruchsschreibens des Antragstellers überlassen habe, dass jedoch in diesen Kopien sämtliche Passagen geschwärzt worden seien, die ausschließlich die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers beträfen.
6
Gegen die Verbindung der Einspruchsverfahren legte der Antragsteller am 04.03.2018 Einspruch ein und beantragte zugleich AdV.
7
Das FA lehnte den AdV-Antrag mit der Begründung ab, bei der Verbindung der Einspruchsverfahren handele es sich um eine verfahrensleitende Verfügung, die nach dem allgemeinen Rechtsgedanken, der sowohl § 128 Abs. 2 FGO als auch § 44a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zugrunde liege, einer eigenständigen Anfechtung entzogen sei. Könne wie im vorliegenden Fall in Bezug auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer GbR nur eine einheitliche Entscheidung ergehen, sei eine Verbindung erforderlich; das Ermessen der Behörde sei insoweit “auf Null” reduziert.
8
Den gegen die Verbindung gerichteten Einspruch des Antragstellers verwarf das FA mit Entscheidung vom 30.07.2019 als unzulässig. Über die Einsprüche gegen die Feststellungsbescheide hat das FA bislang noch nicht entschieden.
9
Der Antragsteller hat am 12.08.2019 beim FG beantragt, das FA im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO zu verpflichten, “eine Weitergabe von dem Steuergeheimnis unterliegenden Informationen durch Verbindung” der Einspruchsverfahren gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2010 “an Dritte, insbesondere an den vermeintlichen Mitgesellschafter … oder dessen Rechtsberater, hinsichtlich einer (nichtexistenten) GbR” bis zum Abschluss des Hauptverfahrens zu unterlassen.
10
Mit Klage vom 02.09.2019 hat der Antragsteller zudem die Aufhebung der mit Schreiben vom 19.02.2018 mitgeteilten Verbindung der Einspruchsverfahren und hilfsweise die Unterlassung der Weitergabe von Informationen, die dem Steuergeheimnis unterliegen, “durch Verbindung der Einspruchsverfahren” an B oder dessen Rechtsberater beantragt (Az. 7 K 1304/19).
11
Das FG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 02.03.2020 als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, dass die Verbindung der beiden Einspruchsverfahren einen anfechtbaren Verwaltungsakt darstelle, gegen den einstweiliger Rechtsschutz nur im Wege einer AdV erlangt werden könne. Soweit daneben noch Raum sei für einen auf die Untersagung der Weitergabe einzelner Informationen gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, sei dieser nicht hinreichend bestimmt und somit ebenfalls unzulässig.
12
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden, vom FG zugelassenen Beschwerde. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, B habe sich im Zusammenhang mit den steuerstrafrechtlichen Ermittlungen bereiterklärt, der Staatsanwaltschaft Auskunft über die Vermögensverhältnisse des Antragstellers zu geben. Es bestehe daher die Gefahr, dass B sein Akteneinsichtsrecht aufgrund der Verbindung der Einspruchsverfahren vor allem dazu benutzen werde, Verhältnisse in Bezug auf ihn, die ansonsten dem Schutz des Steuergeheimnisses unterlägen, Dritten gegenüber zu offenbaren.
13
Nach Form und Inhalt sei die Verbindung der Einspruchsverfahren kein Verwaltungsakt gewesen, sodass der von ihm gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig sei. Der Antrag sei auch begründet, da sich ein Anordnungsanspruch aus seinem subjektiven öffentlichen Recht auf Wahrung des Steuergeheimnisses ergebe, das bei der Verbindung von Einspruchsverfahren auch dann zu beachten sei, wenn es sich bei den Einspruchsführern um mehrere Gesellschafter derselben Personengesellschaft handle. Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass bei einer Verbindung der Einspruchsverfahren und einer dadurch möglichen Akteneinsichtnahme des B sein grundgesetzlich geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung endgültig und unheilbar verletzt würde. Dem stünde die Vornahme von Schwärzungen durch das FA nicht entgegen; denn diese Vorgehensweise sei für ihn nicht kontrollierbar.
14
Ungeachtet dessen fehle es an den Voraussetzungen für eine Verbindung der Einspruchsverfahren; eine GbR, die neben der Rechtsanwaltssozietät, über die der Antragsteller und B ohnehin bereits als Partner verbunden gewesen seien, betrieben worden wäre, habe tatsächlich nicht existiert. Dies ergebe sich auch aus der Zeugenaussage des B in dem Strafverfahren vor dem Landgericht (LG) (Az. XY); zum Beweis seien die Akten dieses Verfahrens beizuziehen. Selbst wenn man aber die Existenz einer solchen GbR unterstelle, sei für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2010 zwischenzeitlich Festsetzungsverjährung eingetreten, da eine Steuerhinterziehung mangels Vorsatzes nicht angenommen werden könne. Schließlich habe das FA bei der Entscheidung über die Verbindung das erforderliche Ermessen nicht ausgeübt.
15
Der Antragsteller beantragt,unter Aufhebung des Beschlusses des FG vom 02.03.2020 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO als zulässig zu erachten und das FA einstweilig zu verpflichten, eine Weitergabe von dem Steuergeheimnis unterliegenden Informationen an Dritte, insbesondere an den vermeintlichen Mitgesellschafter oder dessen Rechtsberater, durch die rechtswidrige Verbindung der Einspruchsverfahren gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2010 hinsichtlich der (nicht-existenten) GbR bis zum Abschluss des Hauptverfahrens zu unterlassen.
16
Das FA beantragt,die Beschwerde zurückzuweisen.
17
Das FA verweist zunächst darauf, dass über die Einsprüche gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen erst dann entschieden werden könne, wenn dem B die beantragte Akteneinsicht in die Feststellungsakten der Mitunternehmerschaft gewährt worden sei; denn erst dann könne B seinen verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–) wahrnehmen. Die den Antragsteller betreffenden steuerlichen Verhältnisse seien ohnehin nur insoweit zu den Steuerakten der GbR und zum Einspruchsverfahren genommen worden, wie dies dem jeweiligen Verfahren diene. Dementsprechend seien auch der OFD-Bericht vom 25.07.2017 und die Einspruchsbegründung des Antragstellers dem B nur in geschwärzter Form zur Verfügung gestellt worden. An dieser Verfahrensweise werde das FA auch weiterhin festhalten. Ob es sich bei der Verbindung zweier Einspruchsverfahren um einen Verwaltungsakt handle, könne offengelassen werden; denn jedenfalls sei diese Verbindung als Verfahrenshandlung nicht anfechtbar.
18
Ungeachtet dessen bestehe aber auch kein Anordnungsanspruch. Die Verbindung der Einspruchsverfahren sei bei einer einheitlichen Feststellung nach § 352 der Abgabenordnung (AO) Folge der kumulativen Einspruchsbefugnis der Feststellungsbeteiligten und unterliege den gleichen Voraussetzungen wie eine notwendige Hinzuziehung gemäß § 360 Abs. 3 Satz 1 AO. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, weshalb die Offenbarung der in den Feststellungsakten und den Schriftsätzen des Antragstellers enthaltenen Verhältnisse gegenüber B der Durchführung des Rechtsbehelfsverfahrens i.S. von § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO diene.
19
Auf die Frage, ob zwischen dem Antragsteller und B tatsächlich eine GbR bestehe und ob dem Antragsteller eine Steuerhinterziehung nachgewiesen werden könne, komme es in dem vorliegenden Verfahren nicht an; dies könne erst im Hauptsacheverfahren gegen die Feststellungsbescheide geklärt werden. Ungeachtet dessen sei auf der Grundlage umfangreicher Ermittlungen und eines zweiten OFD-Berichts vom 10.07.2019 davon auszugehen, dass die GbR bestanden habe und dass eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die streitgegenständlichen Beträge gegeben sei.


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