Steuerrecht

Erloschen der Steuerrückstände durch Zahlungsverjährung

Aktenzeichen  1 K 2830/17

Datum:
20.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 23727
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 139b Abs. 3
FGO § 105 Abs. 5, § 135 Abs. 1
FVG § 2 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Streitig ist, ob entgegen der Feststellung des streitgegenständlichen Abrechnungsbescheids vom … 2016 rückständige Steuern und Nebenleistungen i.H.v. insgesamt … € zum Stichtag … 2016 (Steuerrückstände 2016) durch Zahlungsverjährung erloschen sind.
Der Beklagte, das … (…; – Finanzamt -) ist bereits seit jedenfalls dem Jahr 2006 mit Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger befasst. Nach Aktenlage erging am … 2009 eine an den damaligen inländischen Bevollmächtigten des Klägers adressierte Vollstreckungsankündigung des Finanzamts (damals: …) über bereits einen erheblichen Teil der Steuerrückstände 2016 (i.H.v. insgesamt … €); als Adresse des Klägers wurde hierbei … (Adresse CM), aufgeführt
(vgl. Vollstreckungsakte – Vollstr-Akte – III, Bl. 30).
An diese Adresse CM war der Kläger nach einer Melderegisterabfrage des Finanzamts vom … 2010 (Fussnote:Vollstr-Akte III, Bl. 47) (wie auch nach Angaben seines damaligen inländischen Bevollmächtigten (Fussnote:vgl. Schriftsatz des Klägers vom …, Vollstr-Akte III, Bl. 71) aus dem Inland (…) verzogen. Im Jahr 2010 an den Kläger unter der Adresse CM versandte Schreiben des Finanzamts
– vom … (mit Rückschein) (Fussnote:Vollstr-Akte III, Bl. 51) mit einer Rückstandsaufstellung i.H.v. insgesamt … € und Zahlungsaufforderung sowie
– vom … (Fussnote:Vollstr-Akte III, Anhang) mit einer Ausfertigung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom … (nunmehr zuständige Sachbearbeiterin: …) kamen jedoch jeweils (am … (Fussnote:Vollstr-Akte III, Bl. 66) bzw. am … (Fussnote:Vollstr-Akte III, Anhang) mit dem Vermerk „unbekannt“ zurück. Ein an den Kläger unter der Adresse CM versandtes Schreiben des Finanzamts vom … mit einer Ausfertigung einer weiteren Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom … (Fussnote:Vollstr-Akte III, Anhang) wurde nicht an das Finanzamt zurückgeschickt.
Mit Niederschlagungsverfügung des Finanzamts vom … 2010 (Fussnote:Vollstr-Akte III, Bl. 82) erfolgte eine Niederschlagung der Steuerrückstände des Klägers mit Überwachung der Zahlungsverjährung (nach Aktenlage unstreitig) mit Ablauf des Jahres 2015 (§§ 228, 229 Abs. 1 Satz 1, § 231 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3, 7 und 8 sowie Abs. 3 Abgabenordnung – AO -).
Auf eine an den Kläger unter der Adresse …(Adresse RM), adressierte Vollstreckungsankündigung des Finanzamts (zuständiger Sachbearbeiter: … – W -, …) vom … 2015 (Vollstreckungsankündigung 2015) betreffend rückständige Finanzgerichtskosten fand am …2015 eine telefonische Erörterung statt
(vgl. Schreiben des Finanzamts vom …, Vollstr-Akte, Bl. 3)
im Rahmen derer der Kläger gegenüber W die c/o-Adresse … (Adresse B), als Kontaktadresse benannte. Mit Schreiben vom … an W beantragte der Kläger (unter Angabe der Adresse RM als Absenderadresse) hinsichtlich der rückständigen Finanzgerichtskosten Ratenzahlung; zur Begründung legte der Kläger hierbei Rentenanpassungsbescheide zum … vor, welche an ihn unter der Adresse B adressiert waren
(vgl. Vollstr-Akte, Bl. 2, 10, 13).
Im Jahr 2015 setzte das Finanzamt die Beitreibung der Steuerrückstände des Klägers fort. Mit einem an den Kläger unter der Adresse CM adressierten Schreiben mit Rückschein vom … 2015 (Zahlungsaufforderung 2015/CM) (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 2, 6) fordert das Finanzamt (nunmehr zuständige Sachbearbeiterin: … – F -, …) ihn unter Beifügung einer Rückstandsaufstellung zur Zahlung der Steuerrückstände auf. Die Zahlungsaufforderung 2015/CM kam am … 2015 (Eingang Finanzamt) mit dem Vermerk „unbekannt“ zurück.
Ein Abruf vom … 2015 aus der beim Bundeszentralamt für Steuern, Berlin (BZSt), gemäß § 139b Abs. 3 AO geführten Datenbank (Abruf 2015) ergab als Adresse des Klägers … (Adresse M). Diese Adresse M teilte F dem für die steuerliche Veranlagung des Klägers zuständigen Finanzamt … mit Schreiben vom … (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 9) mit und bat hierbei „um sofortige Änderung der Anschrift“.
Außerdem stellte das Finanzamt mit einem weiteren Schreiben vom … 2015 beim BZSt ein Kontenabrufersuchen gemäß § 93 Abs. 7 i.V.m. § 93b AO betreffend den Kläger unter der Adresse M (Kontenabruf 2015) (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 12); als Aktenzeichen des Ersuchens wurde hierbei „…“ angegeben. U.a. die sich aus der entsprechenden Auskunft des BZSt vom … (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 29, 34) ergebenden Konten des Klägers bei der … wurden mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamts vom … 2016 (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Anhang) gepfändet (Pfändung 2016).
Ein Amtshilfeersuchen des Finanzamts vom … gegenüber der …, betreffend den Kläger unter Angabe der Adresse M ergab mit Rücklauf beim Finanzamt am … u.a., dass an den Kläger eine Altersrente ausgezahlt wird (Fussnote:vgl. Vollstr-Akte IV, Bl. 19).
Mit einem weiteren, an den Kläger unter der Adresse M adressierten und mit Rückschein versandten Schreiben vom … 2015 (Zahlungsaufforderung 2015/M) forderte das Finanzamt diesen zur Zahlung seiner Steuerrückstände (i.H.v. insgesamt … €) bis spätestens … auf; dieses Schreiben ging als unzustellbar mit dem Vermerk „nicht abgeholt“ mit Eingangsdatum … 2016 wieder beim Finanzamt
(Vollstr-Akte IV, Bl. 21, 26) ein.
Nach einem Aktenvermerk des Finanzamts vom … 2015
(Vollstr-Akte IV, Bl. 16)
war als weitere Maßnahme zur Aufenthaltsermittlung des Klägers im Bundeszentralregister (BZR) ein Suchvermerk zwecks „Aufenthaltsermittlung“ niederzulegen. Gemäß einem nachfolgend in den Akten befindlichen entsprechenden Entwurf erfolgte unter dem Datum … 2015 eine Mitteilung des Finanzamts an das Bundesamt für Justiz (BJ), BZR, Bonn, zur Aufenthaltsermittlung des Klägers unter Angabe der Adresse M als seine letzte bekannte
(Vollstr-Akte IV, Bl. 16)
Anschrift (Mitteilung 2015).
(Vollstr-Akte IV, Bl. 18)
Mit Schreiben vom … 2016 (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 42) wandte sich der Kläger, vertreten durch den nunmehrigen inländischen Prozessbevollmächtigten, insbesondere gegen die Pfändung 2016 und beantragte die Vollstreckung gemäß § 258 AO einstweilen einzustellen. Als Anlage beigefügt war diesem Schreiben eine Erklärung des Klägers über seine wirtschaftlichen Verhältnisse vom …unter Angabe der Wohnanschrift „…“; die betreffende Vollmacht des Klägers vom … 2016 (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 150) weist als seine Adresse „…“ aus. Ergänzend erhob der Kläger mit Schreiben vom … 2016 (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 60) gegenüber den vom Finanzamt geltend gemachten Steuerrückständen die Einrede der Verjährung.
Über den durchgeführten Kontenabruf 2015 informierte das Finanzamt den Kläger mit einem an die Adresse … adressierten Schreiben vom … 2016 (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 69), der nach Angaben des Klägers mit Schreiben vom …2016 (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 85) zutreffenden Anschrift.
Schließlich beantragte der Kläger mit Schreiben vom … (Fussnote:Vollstr-Akte IV, Bl. 79) den Erlass eines Abrechnungsbescheides betreffend seine Steuerrückstände. Insoweit sei mit Ablauf des 31. Dezember 2015 Zahlungsverjährung nach § 228 AO eingetreten, weil die Ansprüche letztmals durch die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom … 2010 geltend gemacht worden seien. Die für 2015 vom Finanzamt vorgetragenen Verjährungsunterbrechungen würden bestritten, insbesondere die sich lediglich aus einem entsprechenden „Entwurf“ ergebende Mitteilung 2015. Zudem sei dem Finanzamt im Jahr 2015 seine Postanschrift ausweislich des Schriftwechsels zur Vollstreckungsankündigung 2015 bekannt gewesen, so dass bereits kein Anlass bestanden habe, Ermittlungen über seinen Wohnsitz anzustellen; demzufolge habe insoweit keine „Ermittlung“ als Voraussetzung für eine Verjährungsunterbrechung vorgelegen.
Mit dem hierauf erlassenen, streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO vom … 2016 stellte das Finanzamt fest, dass die Steuerrückstände 2016 nicht durch Zahlungsverjährung erloschen seien. Jedenfalls der sich aus der Mitteilung 2015 ergebende Eintrag im BZR habe verjährungsunterbrechende Wirkung gehabt. Gegen diesen Abrechnungsbescheid legte der Kläger mit Faxschreiben vom … (Fussnote:Rechtsbehelfsakte – Rb-Akte -, Bl. 16) fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf folgende Punkte:
Das BZSt habe ihm mit jeweils an die Adresse M adressierten Schreiben vom … 2014 sowie vom … 2015 (Fussnote:Rb-Akte, Bl. 18, 19) seine Identifikationsnummer bzw. die über ihn gespeicherten Daten mitgeteilt. Dementsprechend sei die Mitteilung 2015 als Aufenthaltsermittlung bereits nicht erforderlich gewesen und damit als Unterbrechungstatbestand unwirksam.
Er sei im Jahr 2011 aus dem Inland nach …, verzogen. Seine Büroanschrift habe sich zunächst unter der Adresse CM und später unter der Adresse RM befunden. Im Frühjahr 2015 habe er im Zusammenhang mit der Vollstreckungsankündigung 2015 mit W auch telefonisch korrespondiert und diesem die Adresse B als Kontaktadresse mitgeteilt. W habe die Adresse RM anschließend an das … und an die … weitergereicht, wie sich aus späterem Schriftverkehr mit diesen Stellen ergebe
(vgl. Schreiben des Klägers vom …, Rb-Akte, Bl. 32).
Das BJ bat das Finanzamt mit Schreiben vom … (Eingang Finanzamt: …)
(Vollstr-Akte IV, Bl. 100)
in einer eigenen Vollstreckungssache unter Angabe des „Zeichens“ des Finanzamts „…“ (entsprechend dem vom Finanzamt im Kontoabruf 2015 angegebenen Aktenzeichen) um nähere Informationen zu Beitreibungsmaßnahmen gegenüber dem Kläger. Mit einem Antwortschreiben vom … hierauf
(Vollstr-Akte IV, Bl. 103; vgl. Schreiben des Finanzamts vom 21. November 2018, Anlage)
forderte das Finanzamt das BJ auf, die Rechtsgrundlage dieses Auskunftsersuchens mitzuteilen. Nachdem das BJ hierzu keine Stellungnahme abgegeben hatte, wurde der Vorgang vom Finanzamt zu den Akten genommen.
Der Einspruch des Klägers wurde mit der Einspruchsentscheidung vom … als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger mit Faxschreiben vom … fristgerecht Klage, mit der er sein Einspruchsbegehren auf Feststellung der Zahlungsverjährung weiterverfolgt.
Zur Begründung seines Klagebegehrens verweist der Kläger im Wesentlichen und z.T. sinngemäß auf sein bisheriges Vorbringen sowie auf folgende Punkte:
Die Zahlungsaufforderung 2015/CM sei an seine veraltete (Geschäfts-)Adresse CM versandt worden, obwohl dem Finanzamt seine korrekte Anschrift bekannt gewesen sei; dies sei durch die richtig adressierte Zahlungsaufforderung 2015/M belegt. Eine Adressermittlung des Finanzamts sei folglich objektiv nicht notwendig gewesen. Außerdem stelle der Abruf 2015 und damit eine Abfrage nur der Adressdatenbank des BZSt als eine für das Finanzamt lediglich „interne Datenbank“ keine Unterbrechungshandlung dar, da hiermit keine „Ermittlungshandlung nach außen“ vorliege.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Abrechnungsbescheids gemäß § 218 Abs. 2 AO vom … 2016 und der Einspruchsentscheidung vom … festzustellen, dass Steuern und Nebenleistungen über insgesamt … € zum Stichtag … 2016 durch Zahlungsverjährung erloschen sind, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist das Finanzamt im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung sowie auf folgende Punkte:
Entgegen den Ausführungen des Klägers sei beim Abruf 2015 die erforderliche Außenwirkung gegeben gewesen, nachdem damit nach außen manifestiert worden sei, dass die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche durchgesetzt werden sollten. Das Verfahren nach § 139b AO stelle ein Surrogat für eine ansonsten erforderliche Ermittlung über die Meldebehörden dar.
Der Umstand, dass eine
– von der vorliegend im Jahr 2015 zuständigen und tätig gewordenen Bearbeitungsstelle … (Sachbearbeiterin: F)
– organisatorisch getrennte Stelle des Finanzamts (Bearbeitungsstelle …, Sachbearbeiter: W)
die Vollstreckungsankündigung 2015 an die zutreffende (Geschäfts-)Adresse RM versandt habe und anschließend vom Kläger seine c/o-Adresse B mitgeteilt bekommen habe, sei vorliegend unerheblich.
Gleiches gelte insoweit, als nach einer telefonischen Auskunft des BZR vom …2018 nicht mehr nachvollziehbar sei, ob die Mitteilung 2015 zu einer entsprechenden Eintragung geführt habe (Fussnote:vgl. Schreiben des Finanzamts vom …, Finanzgerichtsakte).
Einem vom Finanzamt in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Auszug des Geschäftsverteilungsplans des Finanzamts zum 31. Dezember 2015, auf den verwiesen wird (Geschäftsverteilungsplan 2015), ist u.a. zu entnehmen, dass im Jahr 2015 W dem Sachgebiet … und F dem Sachgebiet … zugeordnet war und diese Sachgebiete unterschiedlichen Sachgebietsleitern unterstellt waren.
Auf die Aufklärungsordnung des Gerichts vom … betreffend das von der zuständigen Veranlagungsstelle geführte Steuerkonto des Klägers (Steuerkonto Kläger) und die Stellungnahme des Finanzamts hierzu vom … wird verwiesen. Aus dieser Stellungnahme des Finanzamts ergibt sich u.a., dass im Rahmen des Steuerkontos Kläger am … 2015 lediglich die Adresse CM abgespeichert war; die Adresse M wurde hiernach erst am … 2015 durch eine entsprechende Änderung im Steuerkonto Kläger abgespeichert.
Das Gericht erhob Beweis durch die Vernehmung von …, als Zeugin.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2019 und vom 3. April 2019 Bezug genommen.
II.
1. Die Klage ist unbegründet. Der Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO vom …2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil das Finanzamt die vorliegend nach Aktenlage unstreitige Zahlungsverjährungfrist der Steuerrückstände 2016 mit Ablauf des 31. Dezember 2015 (§§ 228, 229 Abs. 1 Satz 1, § 231 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3, 7 und 8 sowie Abs. 3 AO) mit dem Abruf 2015 wirksam gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO unterbrochen hat.
a) Die fünfjährige Zahlungsverjährung (§ 228 AO) wird durch die in § 231 Abs. 1 Satz 1 AO abschließend aufgezählten Maßnahmen unterbrochen; hierzu gehören u.a. „Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen“. Liegen die Voraussetzungen einer Verjährungsunterbrechung vor, beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterbrechung geendet hat, eine neue fünfjährige Verjährungsfrist (§ 231 Abs. 3 AO).
aa) Aus den im Gesetz abschließend aufgezählten, die Verjährung unterbrechenden Maßnahmen ergibt sich, dass diese auf den konkreten Anspruch, dessen Verjährung unterbrochen werden soll, gerichtet sein müssen. Dazu muss zum Ausdruck kommen, dass die Finanzbehörde einen bestimmten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn nicht sofort, so doch später, realisieren will. Daraus folgt hinsichtlich der – für den Streitfall als Unterbrechungsmaßnahme allein in Betracht kommenden – „Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen“, dass es sich um Ermittlungshandlungen der Finanzbehörde handeln muss, die auf die Durchsetzung des Steueranspruchs gerichtet sind. Das kann aber grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn die Finanzbehörde besonderen Anlass hat, zum Zwecke der Realisierung ihres Anspruchs den Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen zu ermitteln.
Ein solcher Anlass zu Ermittlungshandlungen besteht nur dann, wenn die Finanzbehörde den Wohnsitz oder den Aufenthaltsort des Verpflichteten nicht kennt. Rein schematische Anfragen an das Einwohnermeldeamt, die nach den Umständen des Falles nicht erforderlich sind, stellen demgegenüber keine Maßnahmen dar, die als „Ermittlungen“ i.S. des § 231 AO angesehen werden können. Sie können folglich die Verjährung des Anspruchs nicht unterbrechen (vgl. Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 24. November 1992 VII R 63/92, BFHE 169, 493, BStBl II 1993, 220; BFH-Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 VII B 106/11, BFH/NV 2012, 691; vom 17. September 2014 VII R 8/13, BFH/NV 2015, 4).
bb) Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die Verjährungsunterbrechung weiterhin eine nach außen wirkende Maßnahme voraus; rein innerdienstliche Maßnahmen reichen nicht. Maßgebend ist allein, dass das Finanzamt den Entschluss fasst, seinen Zahlungsanspruch durchzusetzen, und dies über den rein innerdienstlichen Bereich hinaus nach außen sichtbar wird. Die erforderliche Außenwirkung ist im Fall einer Anfrage der Finanzbehörde bei einer allein von der städtischen Meldebehörde betriebenen Meldedatenbank gegeben. Ähnlich wie bei der schriftlichen Einwohnermeldeamt (EMA)-Anfrage hat die Finanzbehörde hiermit nach außen manifestiert, die streitigen Zahlungsansprüche durchsetzen zu wollen; der Zweck, durch das Erfordernis der Außenwirkung Rechtssicherheit zu schaffen, rechtfertigt in solch einem Fall keine weitere Einschränkung der verjährungsunterbrechenden Maßnahmen. Allerdings tragen die Finanzbehörden die Feststellungslast, dass tatsächlich eine EMA-Online-Anfrage durchgeführt worden ist. Ob die erforderliche Außenwirkung auch dann vorliegt, wenn auf die Datenbank des BZSt (§ 139b Abs. 3 AO) bzw. auf eine andere (zumindest auch) von den Finanzbehörden auf Grundlage des automatisierten Datenabgleichs nach § 139b Abs. 6 bis 8 AO geführte Datenbank zugegriffen wird, wurde vom BFH ausdrücklich offengelassen (vgl. BFH-Beschluss vom 17. September 2014 VII R 8/13, BFH/NV 2015, 4).
b) In Anwendung dieser Grundsätze hat das Finanzamt die Zahlungsverjährungfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2015 der Steuerrückstände 2016 mit dem Abruf 2015 wirksam gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO unterbrochen.
aa) Im Streitfall war der im Jahr 2015 für die Beitreibung der Steuerrückstände 2016 zuständigen Bearbeitungs- bzw. Vollstreckungsstelle des Finanzamts – der Bearbeitungsstelle … (zuständige Sachbearbeiterin: F) – zum Zeitpunkt der dargelegten, aufgrund des Rücklaufes der Zahlungsaufforderung 2015/CM am … 2015 noch im Jahr 2015 durchgeführten Maßnahmen zur Aufenthaltsermittlung des Klägers der Wohnsitz oder der Aufenthaltsort des Klägers nicht bekannt.
aaa) Die Zahlungsaufforderung 2015/CM dieser Bearbeitungsstelle … konnte ausweislich des Rücklaufes am … 2015 nicht unter der
– zuletzt vorgehend für die Vollstreckungsmaßnahmen vom … 2010 verwandten und
– unstreitig auch noch am … 2015 im Rahmen des Steuerkontos Kläger – als (alleinige) aktuelle zustellungsfähige Wohnanschrift – gespeicherten
Adresse CM bekannt gegeben werden. Demzufolge zielten die vorliegenden Ermittlungshandlungen (insbesondere auch der Abruf 2015) tatsächlich i.S. von „Ermittlungen“ i.S. des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO darauf ab, den Kläger als Zahlungspflichtigen ausfindig zu machen (vgl. hierzu auch Kruse in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 231 AO, Rz. 31).
bbb) Dem steht nicht entgegen, dass einer weiteren Bearbeitungsstelle des Finanzamts – der Bearbeitungsstelle … (zuständiger Sachbearbeiter: W) – zu diesem Zeitpunkt bereits die aktuelle (Geschäfts-)Adresse RM des Klägers bzw. die weitere inländische Adresse B als Kontaktmöglichkeit bekannt waren:
– Zum einen ergab sich hieraus noch keine Kenntnis der Bearbeitungsstelle … bzw. des W vom Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Klägers i.S. des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO und
– zum anderen ändert selbst die Kenntnis einer anderen organisatorischen Stelle des Finanzamts von einer aktuellen Adresse, unter der mit dem betreffenden Steuerpflichtigen Kontakt aufgenommen werden kann, nichts an der verjährungsunterbrechenden Wirkung von „Ermittlungen“ i.S. des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO.
aaaa) Dem vom Finanzamt in der mündlichen Vorahnung vorgelegten Geschäftsverteilungsplan 2015 ist zu entnehmen, dass W und F im Jahr 2015 unterschiedlichen und verschiedenen Sachgebietsleitern unterstellten Sachgebieten des Finanzamts zugeordnet waren.
Auch nach den glaubhaften und vom Kläger nicht bestrittenen Angaben der in der mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommenen F handelte es sich bei den im insoweit maßgeblichen Jahr 2015 eingerichteten Bearbeitungsstellen … bzw. … um zwei organisatorisch und räumlich voneinander getrennte Arbeitseinheiten. Ein unmittelbarer Informationsaustausch zwischen diesen beiden Arbeitseinheiten bzw. Bearbeitern war dementsprechend nach der Organisationsstruktur des Finanzamts weder vorgeschrieben oder vorgesehen noch wurde ein solcher ausweislich der Angaben von F tatsächlich durchgeführt.
bbbb) Hierbei ist es im Übrigen bereits unerheblich, ob die zu § 173 AO entwickelten Rechtsgrundsätze auch im Rahmen des § 231 AO anwendbar sind. Denn anders als bei § 173 AO, bei dem die Kenntnis von einer Tatsache – genauer gesagt deren nachträgliches Bekanntwerden – ausdrückliches Tatbestandsmerkmal ist, ist dies bei § 231 Abs. 1 AO nicht der Fall.
(1) Das Erfordernis, dass Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsermittlungen nur dann die Verjährung unterbrechen, wenn der Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort unbekannt sind, wird vielmehr – wie dargestellt – lediglich im Wege der ergänzenden Auslegung in das Tatbestandsmerkmal „Ermittlungen“ hineingelesen, um einen Missbrauch dieser Vorschrift seitens des Finanzamts zu verhindern. Diesem Zweck ist jedoch auch schon dann Genüge getan, wenn – wie vorliegend – jedenfalls der Vollstreckungs-/Erhebungsstelle der Wohnsitz/Aufenthaltsort unbekannt ist, denn auch dann sind deren Ermittlungen ernstgemeint. Ein anderes Ergebnis wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn – wie im vorliegenden Streitfall nicht gegeben – sich die Vollstreckungs-/Erhebungsstelle einer sich aufdrängenden Kenntnis verschließen würde (vgl. Finanzgericht Münster, Beschluss vom 13. September 2010 11 K 1550/10 AO [PKH], juris; vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 5. Februar 2003 II R 22/01, BFHE 201, 403, BStBl II 2003, 502).
(2) Abgesehen davon wird eine Tatsache der Finanzbehörde i.S. des § 173 Abs. 1 AO bekannt, wenn diejenigen Personen, die innerhalb der zuständigen Finanzbehörde organisa-tionsmäßig für die Bearbeitung des Steuerfalls berufen sind – wie vorliegend F hinsichtlich der Vollstreckung der Steuerrückstände des Klägers im Jahr 2015 – bzw. die den zu ändernden Steuerbescheid erlassen haben, positive Kenntnis darüber erlangen; hierbei handelt es sich um den Vorsteher, den Sachgebietsleiter und den Sachbearbeiter, weil nur diese Personen die Finanzbehörde gegenüber dem Steuerpflichtigen repräsentieren und den Steuerbescheid verantworten (vgl. BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 VI R 61/09, BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479). Kennt eine andere als die für die Bearbeitung des Steuerfalls zuständige Dienststelle die betreffende Tatsache, so ist sie nicht auch der zuständigen Dienststelle als bekannt zuzurechnen (vgl. von Wedelstädt in: Gosch, AO/FGO, § 173 AO, Rzn. 55 f. m.w.N.).
(3) Dementsprechend kann im Übrigen auch nicht dem sinngemäßen Vorbringen des Klägers gefolgt werden, wonach der Auftritt des Finanzamts nach außen als einheitliche (Vollstreckungs-)Behörde als eigenständige Abteilung des Finanzamts München zu dessen Lasten zur Folge habe, dass auch sämtliche in dieser einheitlichen Behörde insgesamt vorhandenen Erkenntnisse, etwa in Bezug auf seine verschiedenen Kontaktadressen, jeweils bei jeder Maßnahme gegenüber einem Steuerpflichtigen beim jeweils zuständigen und handelnden Sachbearbeiter – wie vorliegend F hinsichtlich der Verjährungsunterbrechung durch den Abruf 2015 – als bekannt behandelt werden müssten.
(4) Gegenteiliges ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts auch nicht aus der vom Kläger insoweit vorgetragenen Entscheidung des Finanzgerichts Münster im Beschluss vom 13. September 2010 11 K 1550/10 AO (PKH; juris). Zwar werden in dieser Entscheidung als „andere organisatorische Stellen des Finanzamts“ lediglich
– „der Veranlagungsbezirk“ bzw.
– „die Vollstreckungs-/Erhebungsstelle“
benannt. Bereits aus der weiteren Bezugnahme in dieser Entscheidung auf die zu § 173 AO entwickelten Rechtsgrundsätze ergibt sich jedoch ohne weiteres und zutreffend, dass
– hierunter jeweils nicht die jeweilige Gesamtheit einer organisatorisch zusammengefassten Vielzahl von einzelnen, mit gleichartigen Aufgabenstellungen betrauten Bearbeitungsstellen einer Finanzbehörde, wie etwa vorliegend sämtlicher Vollstreckungsstellen des Finanzamts und damit des …, verstanden werden kann, sondern vielmehr
– jeweils lediglich Bezug auf die für den betreffenden Steuerpflichtigen/ Vollstreckungsschuldner zuständige Veranlagungs- bzw. Vollstreckungsstelle genommen werden sollte.
(5) Selbst unter Berücksichtigung dieser engeren, sich aus dem Tatbestand des § 173 Abs. 1 AO ergebenden Maßgaben bestehen folglich keine Zweifel daran, dass im vorliegenden Streitfall im Hinblick auf die im Jahr 2015 wiederaufgenommene Beitreibung der Steuerrückstände des Klägers ein hinreichender – und Missbrauch ausschließender – Anlass zu Ermittlungshandlungen der zuständigen Bearbeitungsstelle VOV85 (zuständige Sachbearbeiterin: F) – u.a. in Gestalt des Abrufs 2015 – bestand.
ccc) Gleiches gilt, soweit dem BZSt im Jahr 2015 die Adresse M des Klägers bekannt war.
bb) Weiterhin hatte zwar die Mitteilung 2015 keine Unterbrechung der Zahlungsverjährung der Steuerrückstände 2016 zur Folge, obwohl die Speicherung eines Suchvermerks im Zentralregister grundsätzlich hierzu geeignet ist (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 2. Dezember 2011 VII B 106/11, BFH/NV 2012, 691); ob die Mitteilung 2015 allerdings zu einer entsprechenden Eintragung geführt hat, ist nach den im Laufe des Klageverfahrens erfolgten Angaben des Finanzamts nicht mehr nachvollziehbar, was nach den im Steuerrecht geltenden allgemeinen Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast; vgl. BFH-Urteile vom 10. August 1988 II R 252/83, BFHE 154, 232, BStBl II 1988, 987; vom 19. Januar 1994 I R 40/92, BFH/NV 1995, 181; jeweils m.w.N.; ständige Rechtsprechung) zu Lasten des Finanzamts geht.
cc) Zur Überzeugung des Gerichts genügt jedoch entgegen dem Vorbringen des Klägers auch der Abruf 2015 u.a. dem dargelegten Erfordernis der Außenwirkung der zur Verjährungsunterbrechung getroffenen Maßnahme.
aaa) Mit der Einschaltung des BZSt als Bundesoberbehörde (§ 1 Nr. 1 Gesetz über die Finanzverwaltung – Finanzverwaltungsgesetz [FVG]) hat das Finanzamt als örtliche Landesfinanzbehörde (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 FVG) den rein innerdienstlichen Bereich nach außen sichtbar verlassen. Dem Erfordernis, dass für den Betroffenen aus Gründen der Rechtssicherheit mit der erforderlichen Klarheit feststellbar sein muss, ob der Zahlungsanspruch bereits durch Verjährung erloschen ist oder ob er – wegen Unterbrechung der Verjährung – weiterhin zur Leistung verpflichtet ist (vgl. Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 231 AO, Rzn. 12, 31, m.w.N.), ist damit ersichtlich genügt. Insoweit ist der Abruf 2015 einer EMA-(Online)-Anfrage bei einer städtischen Behörde gleichzusetzen (vgl. Rüsken in: Klein, AO, 13. Auflage 2016, § 231 Rz. 17), insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die betreffende Datenbank des BZSt (§ 139b Abs. 3 AO) lediglich die „Datenzulieferungen“ durch die Meldebehörden zusammenfasst (vgl. Wiese in: Gosch, AO/FGO, § 139b AO, Rz. 1).
bbb) Unerheblich ist hierbei entgegen dem Klagevorbringen, dass
– F der Abruf 2015 mittels der in den Bearbeitungsstellen des Finanzamts üblichen technischen Ausstattung unmittelbar an ihrem Arbeitsplatz möglich war und
– ggf. derartige Abrufe aus der beim BZSt geführten Datenbank auch häufiger vorgenommen wurden bzw. werden.
Diese Umstände treffen auch bei einer EMA-Online-Anfrage zu, deren verjährungsunterbrechende Wirkung anerkannt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 17. September 2014 VII R 8/13, BFH/NV 2015, 4).
c) Mit Ablauf des Kalenderjahres 2015 hat folglich hinsichtlich der Steuerrückstände 2016 eine neue fünfjährige Verjährungsfrist (§ 231 Abs. 3 AO) begonnen.
d) Ergänzend verweist das Gericht auf die Gründe der Einspruchsentscheidung vom …, denen es im Übrigen folgt (§ 105 Abs. 5 FGO).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.


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