Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung

Aktenzeichen  M 16 K 16.1192

Datum:
2.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20036
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 14 Abs. 1, § 35 Abs. 1, Abs. 6

 

Leitsatz

1. Zwar setzt eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO grundsätzlich voraus, dass das Gewerbe, dessen Ausübung untersagt werden soll, im Zeitpunkt der Untersagungsverfügung tatsächlich noch ausgeübt wird, der Anzeige über die Betriebsaufgabe nach § 14 Abs. 1 GewO ist jedoch diesbezüglich keine konstitutive Wirkung beizumessen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Gewerbetreibender ist dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird, wobei sich die Unzuverlässigkeit insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben kann. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gem. § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung; nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
5. Im Rahmen des § 35 GewO ist eine auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Steuerfestsetzung nicht anders zu würdigen als eine Steuerschuld, die sich aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergibt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 C 16.2481 2017-06-13 Bes VGHMUENCHEN VGH München

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2016 ist rechtmäßig. Rechte des Klägers werden deshalb nicht verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides, der das Gericht folgt, wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Lediglich ergänzend ist auszuführen:
Der Einwand des Klägers, er habe das untersagte Gewerbe bereits am 28. Februar 2014 abgemeldet, verhilft der Klage nicht zum Erfolg. Zwar setzt eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO grundsätzlich voraus, dass das Gewerbe, dessen Ausübung untersagt werden soll, im Zeitpunkt der Untersagungsverfügung tatsächlich noch ausgeübt wird (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2003 – 6 C 10/03 – juris). Der Anzeige über die Betriebsaufgabe nach § 14 Abs. 1 GewO ist jedoch diesbezüglich keine konstitutive Wirkung beizumessen (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Stand Oktober 2017, § 35 Rn. 26). Die Gewerbeabmeldung ist nur ein Indiz dafür, dass das Gewerbe auch tatsächlich eingestellt werden soll. Diese rein tatsächliche Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Dabei wird in diesem Zusammenhang die Vermutung stärker sein, dass ein angemeldetes Gewerbe begonnen, als die Vermutung, dass ein abgemeldetes Gewerbe auch tatsächlich eingestellt ist. Denn es liegt nahe, dass sich der Gewerbetreibende durch eine „Scheinabmeldung“ einem drohenden Gewerbeuntersagungsverfahren entziehen will. Das Gewerbe muss daher ernsthaft aufgegeben sein (z. B. Veräußerung, Verpachtung, Betriebseinstellung) und der Gewerbetreibende muss ggf. einen anderen Beruf ergriffen haben (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Stand Oktober 2017, § 35 Rn. 26).
Davon ausgehend ist im Fall des Klägers schon nicht hinreichend belegt, dass die Anzeige der Gewerbeabmeldung bereits vor Erlass des Bescheids erfolgt ist. Die rückwirkende Gewerbeabmeldung (mit vom Kläger am 23. Februar 2016 unterschriebenem Formblatt) ging nach Aktenlage erst mit Schreiben vom 23. Februar 2016 und damit nach Bescheiderlass bei der Behörde ein. Soweit der Kläger geltend macht, bereits am 28. Februar 2014 ein Abmeldeschreiben in den Briefkasten des Kreisverwaltungsreferats eingeworfen zu haben, liegen hierfür keine Nachweise vor und ergibt sich kein Anhaltspunkt in dieser Richtung. In der Behördenakte findet sich ein solches Schreiben nicht, der Beklagten ist ein solcher Vorgang nicht bekannt. Zudem kommt es nach den o.g. Grundsätzen nicht auf die Abmeldung an, sondern darauf, ob das Gewerbe tatsächlich weiterhin ausgeübt wurde. Von einer derartigen fortwährenden Gewerbeausübung ist vorliegend auszugehen. Insbesondere hat der Kläger im Anhörungsverfahren nicht klargestellt, dass er das Gewerbe, das untersagt werden sollte, schon seit langem nicht mehr betreibe, obwohl sich dies im Falle der tatsächlichen Betriebsaufgabe aufgedrängt hätte und das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 9. Dezember 2015 ausdrücklich eine entsprechende Aufforderung enthält. Dieses Anhörungsschreiben war dem Kläger ausweislich der Behördenakte mit Zustellungsurkunde am 11. Dezember 2015 zugestellt worden. Ebenso wenig erfolgte eine entsprechende Klarstellung gegenüber der IHK, die ihm Gelegenheit zur Äußerung gab (vgl. Schreiben der IHK an die Beklagte v. 5.1.2016). Auch in Bezug auf die im Wesentlichen erst nach der behaupteten Betriebsaufgabe zum 28. Februar 2014 fortlaufend aufgelaufenen bzw. fällig gewordenen Steuerrückstände einschließlich Verspätungszuschlägen ist der Kläger erst nach Bescheiderlass tätig geworden, obwohl ihm die Bedeutung der Angelegenheit nicht zuletzt aufgrund des Pfändungsversuchs des Finanzamts vom 11. Juni 2015 bewusst gewesen sein muss. Somit sprechen alle äußeren Umstände gegen eine tatsächliche Betriebsaufgabe vor Erlass des Bescheids; Nachweise oder Belege für die Richtigkeit seines gegenteiligen Vorbringens hat der Kläger nicht beigebracht. Im Übrigen kann eine nach Erlass der angefochtenen Gewerbeuntersagung vorgenommene „bloß formelle“ und im Widerspruch zur tatsächlichen gewerblichen Betätigung stehende rückwirkende Gewerbeabmeldung der Gewerbeuntersagung nicht im Nachhinein die rechtliche Grundlage entziehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.6.2017 – 22 C 16.2481).
Die Beklagte ist auch zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers i.S. d. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgegangen. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 -juris).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, B.v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12. 888 – juris).
Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Gewerbeuntersagung zu Recht ergangen. Die negative Prognose der Beklagten rechtfertigt sich insbesondere im Hinblick auf die im Zeitpunkt des Bescheiderlasses vorliegenden Rückstände beim Finanzamt in Höhe von etwa 11.900 EUR. Diese mögen für sich gesehen nicht außergewöhnlich hoch sein, stellen sich im Vergleich zur Wirtschaftskraft des klägerischen Betriebs (Rückschlüsse erlauben insoweit die Umsatzsteuerforderungen) aber als erheblich dar. Dabei ist im Rahmen des § 35 GewO eine auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Steuerfestsetzung nicht anders zu würdigen als eine Steuerschuld, die sich aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergibt (vgl. BVerwG, B. v. 25.10.1996 – 1 B 214/96 – juris; BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12.888 – juris). Zudem hat die Beklagte zu Recht auf die Einträge im Schuldnerverzeichnis mit den Vermerken „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ und „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ abgehoben. Diese rechtfertigen die Annahme, dass der Kläger nicht nur wirtschaftlich leistungsunfähig, sondern auch leistungsunwillig ist, da er seinen Gläubigern nicht durch Abgabe der Vermögensauskunft den notwendigen Überblick über seine Vermögensverhältnisse verschafft (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2009 – 22 ZB 09.218 – juris Rn.2).
Die Klage waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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