Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung, Friseurhandwerk, Unzuverlässigkeit, Steuerrückstände, Konsequente Umsetzung eines Sanierungskonzepts (verneint), Antrag auf Aussetzung der Vollziehung

Aktenzeichen  M 16 K 19.3923

Datum:
5.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51633
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1 und S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nur die Beklagtenpartei zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Ein Antrag auf Terminsverlegung wurde im vorliegenden Verfahren bereits nicht formuliert. Abgesehen davon war aber auch kein Verlegungsgrund ersichtlich bzw. glaubhaft gemacht; insoweit wird auf die Gerichtsakte und das Urteil vom 5. Juni 2020 in dem Verfahren M 16 K 19.2899 verwiesen.
2. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3. Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides, der das Gericht folgt, wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Lediglich ergänzend hierzu ist auszuführen:
4. Die Beklagte hat zutreffend angenommen, dass § 35 GewO einschlägige Ermächtigungsgrundlage für die erweiterte Gewerbeuntersagung ist. Die Handwerksordnung enthält für das Friseurhandwerk keine besonderen Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften, die auf die Unzuverlässigkeit der Person abstellen, und entfaltet damit auch keine Sperrwirkung (§ 35 Abs. 8 GewO; vgl. dazu Walter in PdK Bu K-2b, Die Handwerksordnung, Nr. 6.2, beckonline, Stand September 2016; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand Dezember 2019, § 35 Rn. 195a).
5. Die Beklagte ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgegangen.
a) Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, B.v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage zugunsten des Gewerbetreibenden, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben daher außer Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12. 888 – juris Rn. 15 m.w.N.).
b) Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Gewerbeuntersagung zu Recht ergangen.
aa) Die Beklagte ist zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger mit Blick auf die im Bescheid genannten Rückstände beim Finanzamt sowie beim Kassen- und Steueramt der Beklagten wirtschaftlich nicht leistungsfähig bzw. nicht willig ist, seinen steuerlichen Zahlungspflichten nachzukommen. Der somit begründete Unzuverlässigkeitsgrund der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit wäre nur dann entfallen, wenn der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept gearbeitet hätte, d.h. er einen realistischen Plan, der eine Tilgung der Verbindlichkeiten innerhalb überschaubarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten ließ, tatsächlich und konsequent verwirklicht hätte (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2016 – 22 ZB 16.2177 – juris Rn. 16). Grundsätzlich setzt ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept dabei voraus, dass mit den Gläubigern eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen wird (vgl. dazu BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 22 C 13.1163 – juris Rn. 10). An einem solchen tatsächlich und konsequent verfolgten Sanierungskonzept fehlte es hier. Der in der Klageschrift genannte Einspruch bzw. Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stand der Annahme der Unzuverlässigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt nicht entgegen, denn gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2 AO tritt die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis – und damit die Pflicht des Schuldners, solche Ansprüche zu befriedigen – bereits mit der Bekanntgabe eines Bescheids ein, durch den ein solcher Anspruch festgesetzt wurde. Ein Einspruch gegen einen Steuerbescheid gibt keine Befugnis zu einer auch nur temporären Verweigerung der Entrichtung der festgesetzten Steuerschuld, da er gemäß § 361 Abs. 1 Satz 1 AO keine aufschiebende Wirkung entfaltet (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2017 – 22 ZB 17.244 – juris Rn. 50; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris Rn. 5). Die Beklagte musste entsprechende Anträge des Klägers bei den Steuerbehörden auch nicht als Teil eines tragfähigen Sanierungskonzepts betrachten (vgl. dazu BVerwG, a.a.O.); dem steht jedenfalls entgegen, dass das Kassen- und Steueramt am 24. Juni und 1. Juli 2019 mitgeteilt hatte, die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt zu haben.
bb) Unabhängig von Vorstehendem folgt die Unzuverlässigkeit des Klägers aber auch daraus, dass er als Geschäftsführer der … … … … dafür verantwortlich ist, dass diese ihre öffentlichrechtlichen Verpflichtungen gegenüber den Steuerbehörden sowie den Sozialversicherungsträgern verletzt hat. Dafür hat der Kläger – unabhängig davon, ob er oder Frau V* … tatsächlich die Geschäfte der GmbH führt – einzustehen (vgl. dazu BGH, U.v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95 – juris Rn. 15 ff.). Für die Pflichtverletzungen, die jede für sich die Unzuverlässigkeit des Klägers begründen, nimmt das Gericht Bezug auf das Urteil vom 5. Juni 2020 in dem Verfahren M 16 K 19.2899.
6. Die erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat insbesondere das ihr insoweit eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt. Der Kläger ist gewerbeübergreifend unzuverlässig, da er überschuldet ist und Regeln verletzt hat, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies rechtfertigt die Annahme, dass er ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes an den Tag legen wird. Es ist auch zu erwarten, dass der Kläger auf andere Gewerbe ausweichen wird. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende ein anderes Gewerbe in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 CB 2/81 – juris; BayVGH, B.v. 23.7.2012 – 22 ZB 12.992 – m.w.N. – juris). Solche besonderen Umstände sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Ausschluss des Klägers aus dem Wirtschaftsverkehr steht im Übrigen auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 GG in Einklang (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – juris Rn. 5).
7. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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