Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung – Steuergeheimnis steht einer Anhörung öffentlicher Stellen nicht entgegen

Aktenzeichen  RN 5 K 16.1146

Datum:
23.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr.5, Art. 46
AO AO § 30 Abs. 4 Nr. 5

 

Leitsatz

Das Steuergeheimnis steht einer Anhörung öffentlicher Stellen nach § 35 Abs. 4 GewO nicht entgegen.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage hat im Ergebnis keinen Erfolg, da der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt nicht vor (1.) und die hier vorliegenden Tatsachen sind ausreichende Gründe, um die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit darzutun (2.).
1. In formeller Hinsicht ist der in Frage stehende Bescheid rechtmäßig, insb. liegt kein Verfahrensfehler in Form einer unterlassenen Anhörung der zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK …) vor.
a) Zwar werden im Schreiben vom 08.04.2016 weder die erhobenen Vorwürfe mitgeteilt noch zur Abgabe der Stellungnahme erforderliche Unterlagen übersandt, womit die Vorgaben des § 35 Abs. 4 S.2 GewO noch nicht erfüllt wurden, noch kann durch das Schreiben vom 02.08.2016 eine Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr.5 BayVwVfG eingetreten sein, da auch in diesem die erhobenen Vorwürfe nicht enthalten sind. Allerdings deutet die Formulierung „Um Kenntnisnahme wird gebeten.“ im Schreiben vom 27.04.2016 an die IHK darauf hin, dass die Kenntnisnahme nicht dieses Schreibens, sondern des erwähnten Anhörungsschreibens gleichen Datums gemeint ist und letzteres daher ebenfalls der IHK übersandt wurde. In jenem Anhörungsschreiben an den Kläger wurden die erhobenen Vorwürfe jedoch umfassend dargelegt und somit durch Übersendung desselben den Anforderungen des § 35 Abs. 4 S.2 GewO ausreichend Genüge getan.
b) Würde man dies anders beurteilen, und davon ausgehen, dass die erhobenen Vorwürfe nicht mitgeteilt wurden, so läge zwar ein Verfahrensfehler vor (aa), welcher aufgrund von Art. 46 BayVwVfG jedoch nicht zur Aufhebung des Verwaltungsakts führen würde, auch nicht im Rahmen der erweiterten Gewerbeuntersagung (bb).
aa) Das Steuergeheimnis des § 30 AO verhindert nämlich nicht die Unterrichtung der IHK über den Vorwurf der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aufgrund von Steuerrückständen. Zwar ist anerkannt, dass die Weitergabe von Informationen zu Steuerrückständen durch die Finanzbehörde an die Gewerbebehörde sich nicht auf eine spezialgesetzliche Ermächtigung stützen kann, sondern ihre Grundlage in § 30 Abs. 4 Nr.5 AO findet, da ein zwingendes öffentliches Interesse an der praktischen Durchführung von Gewerbeuntersagungen aufgrund der Vielzahl von Fällen von Steuerrückständen bestehe (BVerwG, Urteil vom 02. Februar 1982 – 1 C 146/80 -, Rn. 19; BVerwG, Beschluss vom 23. September 1991 – 1 B 96/91 -, juris; BFH, Urteil vom 10. Februar 1987 – VII R 77/84 -, BFHE 149, 387, BStBl II 1987, 545; BayVGH, Beschl. 28.08.2013, 22 ZB 13.1419 Rn. 28f.; jedoch eine rechtssicherere Offenbarungsgrundlage fordernd Drüenin: Tipke/Kruse, AO/FGO, 147. Lieferung 01.2017, § 30 AO, Rn. 137). Für die hier infrage stehende Weitergabe der Daten von der Gewerbebehörde an die IHK sprechen zwar keine ähnlich gewichtigen Überlegungen. Jedoch stellt § 35 Abs. 4 S.2 GewO ein Gesetz dar, welches die Offenbarung im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr.2 AO ausdrücklich zulässt. Das Merkmal „ausdrücklich“ ist dabei nicht als Zitiergebot zu verstehen, Empfänger und erlaubte Informationen müssen aber unmissverständlich klar werden (BFH, Urt. vom 27.02.2014 – III R 40/13, Rn. 17). Da es sich bei Gewerbeuntersagungen aufgrund von erheblichen Steuerrückständen um eine praktisch häufig vorkommende Form derselben handelt (was dem Gesetzgeber auch bewusst war, vgl. S. 14 BT-Drs. 12/5826: „In der Praxis stellt die Gewerbeuntersagung wegen Nichtabführens von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen den Hauptanwendungsfall des Untersagungsverfahrens dar, so daß die Gewerbeüberwachungsbehörden auf die Kenntnis der entsprechenden Daten dringend angewiesen sind.“) und es sich somit bei den erhobenen Vorwürfen in diesen Fällen immer um vom Steuergeheimnis grundsätzlich erfasste Daten handelt, muss § 35 Abs. 4 S.2 GewO dahingehend zu verstehen sein, dass er auch zur Weitergabe dieser Steuerdaten ermächtigen soll. Aus der Formulierung „erhobene Vorwürfe“ wird dabei unmissverständlich klar, dass nur diejenigen steuerlichen Verhältnisse offenbart werden dürfen, auf die sich im konkreten Fall der bereits erhobene Unzuverlässigkeitsvorwurf stützt. Dass es sich bei dieser Norm um eine Grundlage zur Datenweitergabe handeln soll, zeigt sich auch darin, dass die zentrale gewerberechtliche Vorschrift zur Datenverarbeitung, § 11 GewO, in Abs. 5 nur die Information der zuvor beteiligten Stellen über das Ergebnis des Verfahrens für regelungsbedürftig hält, für die Beteiligung selbst aber keine Regelung trifft. Hieraus lässt sich erkennen, dass diese bereits in § 35 Abs. 4 S.2 GewO getroffen sein muss, welcher mit dem gleichen Änderungsgesetz wie § 11 GewO Eingang in die GewO erhielt (Gesetz vom 23.11.1994, BGBl. I S. 3475). § 9 Abs. 3 S.2 IHKG stellt zudem sicher, dass die übermittelten und vom Steuergeheimnis grundsätzlich geschützten Daten nur zum Zweck der Anhörung der IHK im Rahmen von § 35 Abs. 4 GewO verwendet werden dürfen (anders etwa als bei der Ergebnismitteilung nach § 11 Abs. 5 S.1 GewO, welche „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ (= der IHK etc.) erfolgen kann).
bb) Sähe man einen solchen Verfahrensfehler hier nun verwirklicht, etwa wenn das Anhörungsschreiben nicht mitgeschickt worden wäre, so könnte man wegen Art. 46 BayVwVfG auf diesen allein aber auch nicht die beantragte Aufhebung des Verwaltungsakts stützen, da er offensichtlich die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids ergibt sich dies daraus, dass es sich bei der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S.1 GewO um eine gebundene Entscheidung handelt. Auch bei ordnungsgemäßer Beteiligung der IHK hätte in der Sache daher die gleiche Entscheidung ergehen müssen. (So auch schon VG München, Gerichtsbescheid vom 25. September 2002 – M 16 K 01.4696 -, Rn. 24f.) Auch liegt es fern, anzunehmen, dass sich die zugrunde zu legenden Tatsachen geändert hätten und etwa ein Sanierungskonzept vorgelegt worden wäre. Schließlich wurden bereits zwei entsprechende Anhörungsschreiben des Beklagten nicht beachtet, sodass selbst ein entsprechender Hinweis der IHK nach deren Anhörung aller Wahrscheinlichkeit nach genauso behandelt worden wäre.
Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung steht nach § 35 Abs. 1 S.2 GewO zwar im behördlichen Ermessen, eine unterlassene Anhörung der IHK würde jedoch auch hier nach Art. 46 BayVwVfG nicht zur Aufhebung des Verwaltungsakts führen. Zwar soll diese ihr Fachwissen unverbindlich in das Verfahren einbringen können (vgl. Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18. Mai 2010 – 1 L 62/10 – Rn. 6, juris), in einem Fall von mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (im Gegensatz zu gewerbespezifischen Unzuverlässigkeitsgründen) ist jedoch nicht zu erkennen, inwiefern ein Mehr an eingebrachtem Fachwissen die Bewertung als gewerbeübergreifend unzuverlässig hätte erschüttern sollen (so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. Januar 1998 – 7 L 4223/97 – Rn. 14, juris), zumal die gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit und die nötige Ausweichwahrscheinlichkeit in solchen Fällen nur in besonderen Konstellationen nicht vorliegen sollen (BayVGH, Beschluss vom 28. August 2013 – 22 ZB 13.1419 -, Rn. 24).
2. In materieller Hinsicht gewerberechtlich unzuverlässig ist nach ständiger Rechtsprechung und Literatur, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird (BVerwG, U.v. 19.03.1970 – I C 6.69 – DVBl. 1971, 277; Pielow, Gewerbeordnung 2013, § 35 Rn. 19). Nicht ordnungsgemäß ist die Gewerbeausübung durch eine Person, die nicht willens oder nicht in der Lage ist, die im öffentlichen Interesse zu fordernde einwandfreie Führung ihres Gewerbes zu gewährleisten. Erforderlich ist weder ein Verschulden im Sinne eines moralischen oder ethischen Vorwurfs, noch ein Charaktermangel. Die Unzuverlässigkeit muss sich nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO aus in der Vergangenheit eingetretenen Tatsachen ergeben. Die bereits geschehenen Tatsachen hat die Behörde daraufhin zu beurteilen, ob sie auf eine Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in der Zukunft schließen lassen, d.h. ob sie die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit erfordert kein Verschulden des Gewerbetreibenden (BVerwGE 24, 38). Es kommt auch nicht darauf an, welche Ursachen zu der Überschuldung und der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des Klägers geführt haben. Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit, ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten, seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Der Unzuverlässigkeitsvorwurf der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit knüpft daher weniger an die Vermögenslosigkeit als solche an, sondern an die unterlassene Betriebsaufgabe trotz anhaltender wirtschaftlicher Krise (Ennuschat, in: Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung, 8. Auflage 2011, § 35 Rn. 63). Ansonsten würde dem Gewerbetreibenden jeder finanzielle Spielraum zur Erfüllung der mit seinem Gewerbebetrieb verbundenen Zahlungsverpflichtungen fehlen.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung ist immer der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, B.v. 23.11.1990 – 1 B 155/90 – juris Rn. 4). Ein späterer Entfall der Untersagungsvoraussetzungen berührt die Rechtmäßigkeit einer ausgesprochenen Untersagungsverfügung nicht, weil Wohlverhalten nach Bescheidserlass nur in einem Wiedergestattungsverfahren nach § 35 Abs. 6 GewO berücksichtigt werden kann.
Bei der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S.1 GewO handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, sodass der Beklagten nicht, wie der Klägervertreter vorträgt, eine Abwägung hätte vornehmen können (vgl. Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, GewO § 35 Rn. 125).
a) Im Schuldnerverzeichnis war der Kläger bei Bescheidserlass mit 24 (und ist trotz der seit Bescheidserlass erfolgten Löschungen immer noch mit 16 Einträgen verzeichnet). Zu den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis kann es u.a. wegen der Nichtabgabe der Vermögensauskunft (§ 882c Nr. 1 ZPO) und wegen ausgeschlossener Gläubigerbefriedigung (§ 882c Nr. 3 ZPO) kommen. Diese Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zeigen, dass der Kläger zur Erfüllung der ihm im Vollstreckungsverfahren obliegenden Pflichten, seinen Gläubigern den notwendigen Überblick über seine Vermögensverhältnisse zu verschaffen, freiwillig nicht bereit und daher nicht nur leistungsunfähig, sondern auch leistungsunwillig ist (vgl. dazu BayVGH vom 23.8.2015, Az. 22 ZB 15.1271 Rn. 12 und auch BayVGH vom 28.8.2013, Az. 22 ZB 13.1419 Rn. 19).
Die Eintragungen waren auch nicht deshalb nicht verwertbar, weil sie auch bei vollständiger Tilgung erst 3 Jahre später aus dem Schuldnerverzeichnis gelöscht würden. Vielmehr regelt § 882e Abs. 3 Nr.1 ZPO einen Löschungsanspruch, wenn vollständige Gläubigerbefriedigung nachgewiesen wird. Es lag also in der Hand des Klägers, das durch die Eintragungen entstandene Bild mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu revidieren, sodass die vorhandenen Eintragungen unproblematisch durch den Beklagten verwendet werden konnten.
b) Daneben rechtfertigen allein die hier zum Zeitpunkt des Bescheidserlass über mehr als 3 Jahre aufgelaufenen Steuerrückstände in Höhe von 28.489,80 € und deren unmittelbar bevorstehender weiterer Anstieg um 4.518,25 € die Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Abs. 1 GewO.
Es ist allgemein anerkannte Meinung und ständige Rechtsprechung, dass Steuerschulden geeignet sind, auf die Unzuverlässigkeit zu schließen (Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 2013, § 35 Rn. 49 m.w.N.). Staat und Gemeinden sind auf den fristgerechten Eingang der von ihnen erhobenen Steuern und Abgaben angewiesen, um ihren ständig zunehmenden Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit genügen zu können. Wenn ein Gewerbetreibender sich seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Staat und der Gemeinde entzieht, so schädigt er nicht nur die Allgemeinheit, sondern versucht damit zugleich, sich in unlauterer Weise im Geschäftsleben einen Vorsprung vor den mit ihm im Wettbewerb stehenden Gewerbetreibenden zu verschaffen, die ihre Steuerpflichten in redlicher Weise erfüllen. Von einem Gewerbetreibenden, der mit derart unlauteren Mitteln unter Missachtung der Belange der Allgemeinheit und seiner Mitbewerber nur seine eigenen geschäftlichen Interessen verfolgt, kann nicht erwartet werden, dass er sein Gewerbe im Einklang mit den bestehenden Vorschriften einwandfrei führen wird (BVerwG, B.v. 17.01.1964 – VII B 159/63).
Eine Norm über die Höhe der für eine Gewerbeuntersagung relevanten Steuerrückstände lässt sich von Gesetzes wegen nicht aufstellen. Wie das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen ausgeführt hat, sind Steuerrückstände nur dann geeignet einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung (BVerwG, B.v. 29.01.1988 – 1 B 164/87 – juris Rn. 3; BVerwG, B.v. 19.01.1994 – 1 B 5/94 – juris Rn. 6). Eine feste Grenze, ab welcher Höhe der Steuerschuld Unzuverlässigkeit bejaht werden kann, lässt sich dabei nicht angeben (BVerwG, B.v. 09.04.1997 – 1 B 81/97 – juris Rn. 4). Trotzdem wird in der Literatur eine Grenze bei 5.000 € gezogen (Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 2013, § 35 Rn. 52; so auch der Erlass des Bundesministers der Finanzen vom 17.12.2004, Az. IV A 4 – S. 0130 – 113/04, BStBl. I S. 117). Irrelevant dabei ist, ob die Steuerrückstände auf Schätzungen beruhen, da nur die Fälligkeit der Steuerschuld maßgeblich ist, nicht deren materielle Rechtmäßigkeit (BVerwG, B.v. 01.02.1994 – 1 B 9/94 – juris Rn. 3; Ennuschat, in: Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung, 8. Auflage 2011, § 35 Rn. 51). Diese Grenze ist vorliegend aber sehr deutlich überschritten und ein weiterer Anstieg der Schulden stand unmittelbar bevor. Nur vereinzelte und sehr niedrige (etwa im Bereich von 1% der bestehenden Rückstände liegende) Zahlungen ließen nicht im Ansatz ein Sanierungskonzept erahnen.
Aufgrund der noch laufenden Verhandlungen mit Gläubigern ausweislich der Mail vom 12.07.2016 und der Mitteilung des Klägervertreters vom 05.08.2016 über einen noch unter Vorbehalt stehenden Vergleich, liegt es nahe, dass zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses noch kein Sanierungskonzept vorhanden war. Ein solches hätte trotz Vorhandensein der Schulden gegen die Unzuverlässigkeit sprechen können, wenn es sinnvoll und Erfolg versprechend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 02. Februar 1982 – 1 C 146/80). Jedenfalls war ein solches dem Beklagten trotz zweier Anhörungsschreiben und eines expliziten Hinweises hierauf nicht vorgelegt worden, sodass dieser Erkenntnisstand zu Recht der Entscheidung zugrunde gelegt wurde (in diesem Sinne auch Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl., § 35 Rn. 28) Die Behörde ist nämlich, wenn und soweit ein Beteiligter es unterlässt, zur Klärung der für ihn günstigen Tatsachen beizutragen, obwohl ihm dies möglich und zumutbar wäre, in der Regel nicht mehr gehalten, insoweit von sich aus allen sonstigen denkbaren Erkenntnismöglichkeiten nachzugehen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Behörde den Beteiligten auf die Erheblichkeit bestimmter Umstände (vorliegend: des Sanierungskonzepts) hingewiesen hat (Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 26 Rn. 43 m.w.N.). So kann ein schlüssiges und tragfähiges Sanierungskonzept in diesem Fall erst im Wiedergestattungsverfahren Bedeutung erlangen.
c) Da bereits die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis als auch die Steuerschulden für sich genügen, die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit zu begründen, kommt es auf die weiteren Schulden und die Verletzung steuerlicher Mitwirkungspflichten nicht mehr an.
Somit ist der Kläger als gewerberechtlich unzuverlässig anzusehen. Die Unzuverlässigkeit ist offenkundig gewerbebezogen, es drohen der Allgemeinheit durch die wiederholt aussichtslose Gläubigerbefriedigung Gefahren für Gläubigervermögen und durch die Nichtzahlung von Steuerschulden wird öffentlichen Kassen ein Nachteil zugefügt. Zudem ist kein milderes, genauso effektives Mittel wie eine Gewerbeuntersagung ersichtlich.
Hieran ändert es nichts, dass nach Darstellung der Klägerseite nur ein „Nischengewerbe“ mit wenigen Vertragspartnern und wenig finanziellem Risiko betrieben wird, da der Vorwurf wie oben dargestellt nur in dem Weiterbetrieb des Gewerbes trotz mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit liegt ohne dass es auf die Ursache oder ein Verschulden ankommt. Potentiell gefährdete Gläubiger können schließlich nicht nur (hier nur wenige) Vertragspartner, sondern auch öffentliche Stellen oder Gläubiger von Deliktsforderungen sein. Die dargestellte Natur des Gewerbes kann jedoch (wird sie hinreichend belegt) im Rahmen des Wiedergestattungsverfahrens die Tragfähigkeit eines vorzulegenden Sanierungskonzeptes stützen, da dies darauf hindeuten kann, dass nach Abtragung bestehender Schulden diese nicht wieder neu entstehen und so wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wiederhergestellt wäre.
3. Da die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit ein Umstand ist, der jeglicher Gewerbeausübung entgegensteht, konnte nach § 35 Abs. 1 S.2 GewO eine erweiterte Gewerbeuntersagung ausgesprochen werden (vgl. OVG Münster, B.v. 23.11.2009 – 4 A 3724/06). Die Verletzung steuerlicher Pflichten und die allgemeine wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit führen zu einer gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit (BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9/11). Die Wahrscheinlichkeit anderweitiger Gewerbeausübung folgt aus dem Umstand, dass der Kläger an seiner gewerblichen Tätigkeit trotz Unzuverlässigkeit festgehalten hat, wodurch er regelmäßig seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen (BayVGH, B.v. 28.08.2013 – 22 ZB 13.1419) und wird durch die Tatsache, dass schon einmal das Gewerbe gewechselt wurde unterstützt. Ermessensfehler, die nach § 114 Satz 1 VwGO vom Gericht hätten beanstandet werden können, sind nicht ersichtlich. Dass es sich ggf. um ein risikoarmes Gewerbe handelt, konnte vom Beklagten auch in diesem Rahmen schon deshalb nicht einfließen, da trotz mehrfachen Anhörungsversuchen nichts vorgetragen wurde (vgl. oben 2b), unabhängig von der Frage, inwiefern dies für die Erweiterung der Gewerbeuntersagung überhaupt eine Rolle spielt.
4. Gegen die Abwicklungsfrist in Ziffer 3 des Bescheides bestehen keine rechtlichen Bedenken.
5. Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Rechtsgrundlagen hierfür sind die Art. 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 Nr. 3, 29, 31 und 36 VwZVG. Gegen die Höhe der angedrohten Zwangsgelder bestehen aus Sicht der entscheidenden Kammer keine Bedenken. Im Übrigen hat auch der Kläger insoweit nichts vorgetragen.
6. Die Kostenentscheidung im angegriffenen Bescheid begegnet keinen rechtlichen Bedenken und basiert auf den Art. 1, 2, 5 und 6 KG i.V.m. Tarif-Nr. 5.III.5/15 des Kostenverzeichnisses. Der Kostenrahmen für die Gewerbeuntersagung beträgt danach 50,– € bis 2.000,– €. Die von der Beklagten angesetzte Gebühr in Höhe von 400,– € bewegt sich im unteren Bereich dieses Kostenrahmens.
7. Da die Klage erfolglos war, war sie abzuweisen und es waren gemäß § 154 Abs. 1 VwGO dem unterlegenen Kläger die Kosten aufzuerlegen.
8. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.


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